BLKÖ:Sojer, Johannes Capistran

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Sojka, Mathias
Band: 35 (1877), ab Seite: 236. (Quelle)
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Sojer, Johannes Capistran (Franziskanermönch, geb. Schwaz in Tirol 24. Jänner 1798, gest. zu Kaltern ebenda 4. Mai 1865). An diesen Namen knüpft sich eng die Geschichte der ekstatischen Jungfrau Maria von Mörl [Bd. XVIII, S. 425], die er von Kindheit an geleitet und deren ekstatische Zustände die Aufmerksamkeit nicht nur Tirols, sondern des fernen Auslandes im hohen Grade auf sich gezogen hatten. Sojer war frühzeitig Laiengehilfe im Franziskanerkloster zu Schwaz, hatte dann seine Studien in Hall gemacht und gehörte zu den Ersten, welche in die, durch die Revolutionsstürme aufgelöste, im Jahre 1816 wiederhergestellte nordtirolische Franziskaner-Ordensprovinz eingetreten waren. Sein Eintritt war am 15. November 1816 erfolgt, am 21. November 1819 hatte er die Ordensgelübde abgelegt und am 10. März 1822 die erste Messe gelesen. Seit 1826 verweilte Pater Capistran – so wurde er gemeiniglich genannt – in Kaltern und war da eine bei Einheimischen, deren öffentlicher und heimlicher Rathgeber er war, wie bei Fremden, welche die ascetische, fast unheimliche Erscheinung mit gemischten Empfindungen betrachteten, eine allgemein gekannte Persönlichkeit. Seine lange, hagere, mehr einem wandelnden Leichnam, denn einem lebendigen Menschen ähnliche Gestalt flößte den Einfältigen Furcht und Schrecken, den Starken Unbehagen und das Gefühl des Unheimlichen ein und als später die Erscheinungen mit Maria von Mörl in Scene gesetzt wurden, trug das nicht wenig dazu bei, die oberwähnten Empfindungen zu steigern. Obwohl durch den steten Verkehr mit Maria von Mörl auf das Gebiet der Mystik hinübergezogen, vergaß er doch nebenbei nicht, die übrigen Aufgaben des Mönchs und auch als solchen sehen wir ihn eine fast an’s Unglaubliche streifende Thätigkeit entfalten. Viermal stand er dem Kloster zu Kaltern vor als Guardian und war gleichzeitig Lector der [237] Moraltheologie; dreimal bekleidete er das Amt eines Definitors, einmal das eines Custos und zweimal stand er als Provinzial an der Spitze der über vier Kronländer sich ausdehnenden Ordens-Provinz. Alle diese kirchlichen Aemter versah er überdieß in einer gährenden, das Mönchswesen und sein Treiben theils mit Uebelwollen, theils mit Mißtrauen betrachtenden Zeit. Wie sehr aber S. den ihm auferlegten Pflichten nachkam, dafür spricht die Thatsache seiner wiederholten und öfteren Berufung zu den erwähnten kirchlichen Aemtern. Daß in Rom das Gebaren des für den Ruhm seiner Kirche und zur Ehre Gottes unermüdlich offen und im Stillen wirkenden oder energisch streitenden Mönches nicht übersehen ward, dafür spricht die Thatsache, daß ihn im Jahre 1853 der Ordensgeneral zum General-Visitator der westphälischen Ordensprovinz ernannte, welche anstrengende Aufgabe S. mit dem Feuereifer löste, der sich in allen seinen Verrichtungen kundgab. Während aber das innere Ordensleben an ihm eine Stütze fand, woraus manche Erscheinungen des kirchlichen Lebens in Tirol zur Genüge sich erklären lassen, griff er nicht weniger energisch in das sociale Leben ein, und erzielte Resultate, an denen sich die Laien ein Beispiel nehmen können, welche immer der Ansicht sind, man könne Erfolge erreichen, wenn man nur zusehe und dabei die Hände in den Schooß lege. Nachdem Pater Capistran vorerst das Ordenshaus der Tertiarierinen oder sogenannten und vielbekannten Schulschwestern zu Kaltern als Mutterhaus gegründet hatte, ließ sein Eifer in dieser Richtung nicht nach, bis er acht Filialen des Mutterhauses, in deren Hände nun die Erziehung und der Unterricht der weiblichen Jugend nach den von ihm aufgestellten Regeln gelegt war, in Tirol und Kärnthen in’s Leben gerufen hatte. Wer es weiß, welchen Einfluß die Mutter auf ein Kindesherz ausübt, wie mächtig die von der Mutter in der Kindheit empfangenen Eindrücke für das ganze spätere Leben nachwirken, wie die aus dem Muttermunde empfangenen Lehren und Glaubenssätze in Wesen, deren Thätigkeit in enggezogenen, nur dieselben Eindrücke und Anschauungen jahrein jahraus immer wiederholenden Kreisen sich bewegt, unauslöschlich festhaften, den werden die Erscheinungen, wie sie sich in Tirol den Augen des denkenden Beobachters darstellen, nicht mehr befremden, und er wird die Saat, die aus dem von Pater Capistran reichlich gestreuten Samen üppig aufgeschossen, leicht begreifen. Außer jenen Hilfsanstalten für seine ascetischen Zwecke, hatte er im Verein mit dem auch bereits verstorbenen Dechant Reinalter, ohne die geringste Beihilfe der Gemeinde, sondern blos durch seine nie rastende Thätigkeit, deren Hebel er bei seinen zahlreichen Bekanntschaften in hohen und vermögenden Kreisen ansetzte, den Neubau eines Krankenhauses in Kaltern durchgeführt und dessen Leitung und Aufsicht in die Hände der Barmherzigen Schwestern gegeben. Dabei bemerken Blätter jener Partei, die sein ganzes Thun vertreten, wie z. B. die „Katholischen Blätter aus Tirol“, daß sein zur Erzielung solcher Erfolge „oft überkühnes Handeln eben ein Charakterzug S.’s“ war. Die Willensstärke des Pater Capistran grenzte an’s Unglaubliche. Bereits schwer leidend, in einem Zustande, daß man immer befürchten mußte, er werde im nächsten Augenblicke zusammenbrechen, ließ er sich doch nicht von seinen oft höchst anstrengenden geistlichen Verrichtungen abhalten, las die Messe, nahm stundenlange [238] die Beichte ab, oder eilte zu Maria von Mörl, wo ihm die aufregendsten Scenen mit der ekstatischen Jungfrau eben auch keine Erholung bereiteten. Welch’ Aufsehen sein obwohl längst erwartetes Ableben in kirchlichen Kreisen hervorgebracht, dafür spricht die Thatsache, daß ihm noch vor seinem Ableben die Nachricht mitgetheilt wurde, Papst Pius IX. übersende ihm nicht nur seinen apostolischen Segen, sondern habe am 3. Mai, also einen Tag vor Capistran’s Hingang, um die neunte Stunde eine Messe für ihn und Maria von Mörl in eigener Person gelesen. Maria von Mörl überlebte den Pater Capistran, der 37 Jahre lang ihr Beichvater gewesen, um nicht volle drei Jahre.

Tiroler Stimmen (polit. Parteiblatt, 4°.) 1865, Nr. 105, S. 487: „Aus Kaltern, 4. Mai“. – Katholische Blätter aus Tirol, XXIII. Jahrg. (1865), Nr. 14.