Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Semper, Gottfried
Band: 34 (1877), ab Seite: 89. (Quelle)
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Sempenz, Johann (Abenteurer, geb. in Ungarn im Jahre 1780, gest. zu Ofen während der Belagerung im Jahre 1849). Eine insbesondere durch seine Kreuz- und Querzüge in allen Welttheilen denkwürdige Persönlichkeit, tapfer, weltgewandt, unterrichtet. In den ihn betreffenden Documenten erscheint er auch, jedoch irrthümlich, Schumpence genannt. Sein Vater war Beamter in Diensten eines ungarischen Edelmannes, reiste in dessen Auftrag wiederholt nach Siebenbürgen, ließ sich dort unvorsichtiger Weise in die Umtriebe des Majors Salis mit den Walachen verwickeln, und verlor dadurch nicht nur sein kleines, dem genannten Salis anvertrautes Vermögen, sondern auch seine Stelle; da sein Gebieter einen Beamten, der sich in politische Geschichten mengte, nicht länger im Dienste behalten wollte. So wuchs der junge S. in sehr drückenden Verhältnissen auf, verrichtete, kaum eilf Jahre alt, bereits Dienste als Pferdewärter und später als Schiffsknecht bei einem Schiffmeister in Pesth. Als zu dieser Zeit der junge Sempenz in Erfahrung brachte, daß jener Salis, der seinen Vater um sein ganzes Vermögen betrogen, in Saus und Braus in Constantinopel lebe, machte er sich sofort auf, den Betrüger aufzusuchen, gelangte auch nach mancherlei Beschwerden und Irrfahrten nach Constantinopel, ohne jedoch den gesuchten Betrüger daselbst zu finden. Als in der Zwischenzeit sein Vater in Ungarn gestorben war, verließ er Constantinopel wieder, wo er ohnehin in kümmerlichster Weise sein Leben gefristet, um in seine Heimat zurückzukehren, er nahm also Dienste als Matrose auf einem dalmatinischen Schiffe, das eben im Begriffe stand, nach Oesterreich zu segeln. Aber das Schiff hielt nicht den directen Curs ein, da sein Eigenthümer den Schleichhandel betrieb. So ging die Fahrt vorerst nach Sicilien, dann nach Neapel, und da hier eben der Aufstand ausgebrochen war, sofort nach den jonischen Inseln, von diesen über Cattaro nach Ancona und nun erst nach Fiume. In letztgenannter Station entzweite sich S. mit seinem Schiffsherrn, gab seine Matrosenstelle auf und wanderte nach Ungarn. Auf dieser Wanderung traf er schon am zweiten Tage in einem Dorfe ein Huszaren-Detachement, welches die Befugniß zu werben hatte und ließ sich als Huszar anwerben. Er kam nun zu Kaiser-Huszaren, machte das Ende des Feldzugs 1799 mit, wurde viel zu Ordonnanzdiensten verwendet und als er im April 1800 mit noch zwei anderen Huszaren eine feindliche Patrouille von sieben Mann gefangen genommen, mit einem Geldgeschenk belohnt. Nach dem Friedensschlusse stand S. als beständige Ordonnanz bei dem Feldmarschall-Lieutenant Grafen Nauendorf [Bd. XX, S. 103], rückte 1804 zum Regimente ein und machte 1805 als Corporal den kühnen Zug unter Erzherzog Ferdinand d’Este von Ulm nach Böhmen mit, bei welcher Gelegenheit er, ohne selbst verwundet zu werden, zwei Pferde unter dem Leibe verlor. Im Jahre 1809 wurde der wohlempfohlene S. Estandartenführer bei der in Veszprim errichteten freiwilligen Huszaren-Division, kam, als diese nach Beendigung des Krieges aufgelöst worden, zum 8. Huszaren-Regiment, [90] mit welchem er als Corporal im Jahre 1812 mit dem österreichischen Auxiliar-Corps nach Rußland zog. Auf dem Marsche zum Wachtmeister befördert, gerieth er kurz vor der Schlacht bei Podubnie bei einem Ritte zum Regimentsstabe auf eine Abtheilung russischer irregulärer Cavallerie. Wie tapfer er sich auch zur Wehr setzte, er wurde übermannt und seiner Kenntniß der türkischen Sprache mochte er wohl sein Leben verdanken; denn dadurch machte er sich den ihn angreifenden Tataren zur Noth verständlich, die ihn nun nur ausplünderten und in’s Hauptquartier des Generals Tormassow brachten. Als Gefangener kam er zunächst nach Charkow, dann bis an den Ural, wo er in einem Bergwerke arbeiten sollte, aber schon sechs Wochen später fand seine Auswechslung statt und Ende Juli 1813 betrat Sempenz wieder österreichischen Boden. Er kehrte nun in sein Regiment zurück, focht bei Leipzig, wurde durch eine Kartätschenkugel, welche seinen Schenkel traf, kampfunfähig und im März 1814 als Real-Invalide entlassen. Er wurde nun Stallmeister bei einem walachischen Edelmann in Pesth, und kam, als dieser in den griechischen Befreiungskampf zog, auf dessen Empfehlung zu einem französischen Agenten, welcher eben in Pesth auf der Durchreise nach Persien und Arabien sich befand, um dort Pferde einzukaufen. Mit diesem Agenten zog S. in’s Weite. Da S., der ein besonderes Sprachentalent besaß, deutsch, ungarisch, slovakisch geläufig sprach und schrieb, überdieß türkisch und walachisch ziemlich gut verstand, wie er denn in Folge noch andere Sprachen u. z. russisch, persisch, spanisch, englisch[WS 1] u. s. w. erlernte, so konnte er diesem Agenten, der sich de Roeul schrieb, als Dollmetsch treffliche Dienste leisten. Im April machten sich Roeul und Sempenz auf die Reise, gingen über Siebenbürgen und Bessarabien nach Odessa, dann in’s Innere Arabiens, mit Karawanen nach Bagdad, Teheran, Ispahan, Schiras, auf welchen Kreuz- und Querzügen Sempenz bald inne ward, daß Roeul weniger den Einkauf von Pferden im Sinne hatte, als vielmehr eine Mission politischer Natur ausführte, deren eigentlichen Charakter zu erfahren Sempenz aber nicht gelang. Das vertrauliche Verhältniß zwischen Roeul und Sempenz erlitt eine Störung, sobald Ersterer erkannte, daß sein Begleiter ihn durchschaue und ein Conflict, der mit einer Tracht Prügel endete, welche Sempenz dem Agenten für eine im Wortstreit S. gegebene Ohrfeige verabreicht hatte, führte in Aden, wo sich eben die Reisenden befanden, schnell genug die Lösung des Verhältnisses herbei und S. trat nun in die Dienste eines Engländers Namens Kingsfort, dessen Oheim bei der Präsidentschaft in Madras sich befand. Am 2. Februar 1823 verließ Sempenz mit seinem neuen Gebieter Kingsfort den Hafen von Aden. Einige Jahre blieb Sempenz bei Kingsfort und kam mit ihm nach Calcutta, Ceylon, Tranquebar, dann nach Manilla, Borneo, Malakka und zuletzt nach Sidney unter mannigfaltigen Erlebnissen mit seinem dem Spiele ergebenen Gebieter, dem sein Oheim in Madras immer wieder aufhalf, bis dieser wegen Unterschlagungen gerichtlich verfolgt, selbst verschwunden war, worauf sich Kingsfort, dem nun alle Hilfsmittel versagten, eines Tages die Kugel durch den Kopf schoß. Sempenz, der nun wieder allein dastand, fühlte große Sehnsucht nach der Heimat und bestieg, um nach Europa, wenngleich auf einem Umwege, zu kommen, [91] zunächst ein eben nach Valparaiso absegelndes Schiff. Mit diesem Schiffe kam S. vorerst nach Buenos-Ayres, dann nach Montevideo, wo S., dem seine Ersparnisse es ermöglichten, beschloß, längere Zeit zu verweilen. Zu Montevideo traf S. mit einem alten portugiesischen Officier zusammen, der unter Napoleon in Rußland gefochten und für Sempenz, der ja auch in Rußland gewesen, eine Art soldatischer Zuneigung faßte, so daß er Sempenz antrug, in seine Dienste als Kammerdiener und Secretär zu treten, wozu sich S. auch ohne weitere Bedenken entschloß. Das war im Jänner 1827 geschehen. Bereits anderthalb Jahre stand S. in den Diensten seines Hauptmanns, als dieser auf die Nachricht, daß sein Neffe einen ansehnlichen und einflußreichen Posten im brasilianischen Kriegsministerium bekleide, sofort einpackte und nach Rio Janeiro ging, aber auch Sempenz dahin mitnahm, mit der Hoffnung sich schmeichelnd, für sich und ihn gute Stellen zu erhalten. In der That erhielt der Hauptmann alsbald eine Stelle als Oberstlieutenant und Festungs-Commandant in einem an der Grenze von La Plata gelegenen befestigten Städtchen. Sempenz aber erhielt nach langem Warten und fruchtlosen Bemühungen endlich eine Lieutenantsstelle in einem neu errichteten, meist aus Europäern bestehenden Lancier-Regiment. Er glaubte nun seine Existenz gesichert. Das Regiment marschirte nach Buenos-Ayres, um dort wegen der streitigen Grenze im Kampfe verwendet zu werden, was auch geschah. Nach blutigen Kämpfen, durch welche, wie durch schwere Entbehrungen und sonstige Drangsale, das Regiment große Verluste erlitten, wurde dasselbe, da mittlerweile ein Waffenstillstand weiteren Feindseligkeiten ein Ende gesetzt, zurückbeordert und als es in Rio de Janeiro eintraf, sofort – aufgelöst. Die Mannschaft wurde bei anderen Truppenkörpern eingetheilt, die Officiere – mit Ausnahme der Creolen – mit einer kleinen Abfindungssumme entlassen. Sempenz kehrte darauf zu seinem früheren Herrn zurück, der aber mittlerweile einen neuen Secretär in Dienste genommen und nun nichts für seinen früheren Diener that. Alle anderen Versuche, ein Unterkommen in der Armee oder im Civildienste zu erlangen, scheiterten, endlich nach einem Jahre erhielt er von der Regierung ein Geschenk, das aus Grundstücken, etwa 1000 Joch groß, bestand, welche S. bebauen und wo er als Colonist sich niederlassen sollte. Diese Grundstücke aber lagen im Innern des Reiches, fern von jeder Communication, eine Niederlassung in dieser Gegend glich einer Verbannung in die Wüste. Was sollte S. der einzelne, im Lande völlig Fremde dort beginnen? Enttäuscht in allen seinen Hoffnungen, wollte S., dessen geringe Ersparnisse immer mehr und mehr zusammenschmolzen, eben auf einem Schiffe als Matrose sich verdingen, um nach Europa zurückzukehren, als ihm durch Vermittelung eines schwedischen Schiffscapitäns der Antrag zukam, bei einem mexikanischen Plantagenbesitzer zur Führung von dessen Correspondenz in Dienste zu treten. Sempenz nahm ihn an, aber schon wenige Wochen nach seinem Dienstesantritt befiel ihn das gelbe Fieber, das er aber glücklich überwand. Dann als seinem Herrn durch Falliment eines Handlungshauses in Florida große Verluste drohten, begab er sich, von demselben aufgefordert, dahin, und war so glücklich, die Geschäfte in einer für seinen Herrn günstigsten Weise abzuwickeln. So war alles gut gegangen und für S. eröffneten sich die besten Aussichten, aber [92] sein Plantagenbesitzer gehörte der ultraspanischen Partei an, welche damals allgemein angefeindet wurde. Und in der That, als eines Abends S. von einem fernen Geschäftsgange zurückgekehrt war, fand er das Landhaus seines Herrn von einer Bande Freibeuter überfallen; Herrn, Frau und einen Bruder der Letzteren bereits ermordet. Sempenz selbst wurde nebst noch zwei Europäern, die sich eben daselbst befanden, im Kampfe überwältigt, geknebelt und mit mehreren Messerstichen verwundet. Das Landhaus wurde dann geplündert und zuletzt angezündet. Sempenz wurde nur dadurch vom Flammentod gerettet, daß ihm ein gutmüthiger Neger die Bande löste und floh mit den beiden anderen Europäern, die sich gleichfalls von ihren Banden freigemacht, von dem Schauplatze der Greuelthat, wo sie ohnedieß gefährdet waren. Seine ganze Habe, eine Summe von etwa 3000 fl., war geraubt, und was er noch besaß, bestand in einem großen ungarischen Muttergottesstück, das er seit seiner Kindheit immer an seinem Halse getragen. Die beiden anderen Gefährten nahmen sich des verwundeten Sempenz an, brachten ihn nach Mexiko, wo S. nach zwei Monaten so weit hergestellt war, um ernstlich an seine Heimkehr zu denken, nachdem alle seine Versuche, die Bestrafung der übrigens allbekannten Mörder seines Herrn und Räuber seiner Habe zu erwirken und Ersatz seines Verlustes zu erhalten, gescheitert waren. Durch Vermittelung eines seiner Lebensretter erhielt S. einen Dienst bei einem französischen Naturforscher, der aber, keiner anderen als seiner Muttersprache mächtig, Jemand an der Seite haben mußte, der Dollmetscherdienste verrichtete und Sempenz war ganz der Mann dazu. Der Naturforscher reiste nach dem Cap der guten Hoffnung und wollte dasselbe und die Südwestküste Afrikas wissenschaftlich durchforschen. Sempenz segelte nun mit seinem neuen Gebieter nach der Capstadt, nach mehrmonatlichem Aufenthalte in derselben nach St. Helena und den Azoren und zuletzt nach England, wo er im Sommer 1831 von der Themse an’s Land stieg, und nach zehnjährigen, wechselvollen Fahrten wieder europäischen Boden betrat. Dann eilte er über Bremen seiner Heimat zu. Seit er sein Vaterland verlassen, war er in allen fünf Welttheilen gewesen und das Ergebniß seiner Fahrten war, wie er es selbst aussprach: „ich habe rothe und schwarze, braune und gelbe Menschen gesehen, aber diese alle besser als die weißen gefunden“. Entsetzliche Ironie auf die Segnungen der Cultur und Gesittung! – In seiner Heimat erhielt S. bald einen sehr einträglichen Posten in einem Großhandlungshause, wo er die englische, russische und spanische Correspondenz zu führen hatte. Neun Jahre, bis 1841 blieb er in dieser günstigen Anstellung, aber in einem Zustande von Trunkenheit – auf seinen Irrfahrten hatte er sich den Genuß geistiger Getränke angewöhnt – überwarf er sich mit seinem Principal, vergriff sich, als dieser ihm mit Entlassung drohte, thätlich an demselben und wurde nun wirklich augenblicklich entlassen. Nun ging es mit ihm stetig abwärts. Er trat wohl wieder hie und da in einen Dienst, verlor ihn aber immer wieder in Folge von durch seine Trunkenheit veranlaßten Ausschreitungen. Schon war er zum Lohndiener in einem Pesther Hotel herabgesunken. Drei Jahre versah er musterhaft diese Stelle, als das Jahr 1848 herankam. Bei Errichtung der Honvéd-Bataillone bewarb er sich um eine Officiers- oder doch Feldwebelstelle, wurde [93] aber seines höheren Alters wegen – er zählte damals schon bereits 68 Jahren – abschlägig beschieden. An der Bewegung nahm er weiter keinen Theil, war vielmehr, seiner gut kais. Gesinnung wegen, wiederholt in Gefahr gerathen. Als endlich die Kaiserlichen in Pesth-Ofen einrückten, erhielt er über Fürwort eines k. k. Stabsofficiers, der unter Sempenz als Gemeiner und Corporal gedient, die Stelle als Aushilfeschreiber bei einem Spital in Ofen. In dieser Anstellung hatte er auch die Wein- und Branntwein-Vertheilung für die Kranken zu besorgen, der alte Dämon erwachte von neuem in ihm, noch verrichtete er seinen Dienst während der Belagerung von Ofen, aber den größten Theil des Tages im trunkenen Zustande wurde er dienstuntauglich und war – verschollen. Sein Biograph schreibt: Ob er der Wassersucht, einer Spitalepidemie, oder vielleicht gar dem Säuferwahnsinn zum Opfer gefallen sei, konnte er nicht mit Bestimmtheit erfahren. Ob er Aufzeichnungen von seinen mannigfaltigen Schicksalen und Irrfahrten gemacht, ist auch nicht bekannt, wie sein Biograph leider auch nicht berichtet, woher er die Einzelnheiten dieses bewegten Lebens erfahren hat.

Oesterreichischer Militär-Kalender. Herausg. von Hirtenfeld und Meynert (Wien, kl. 8°.) XII. Jahrg. (1861), S. 49, im Artikel: „Drei österreichische Landsknechte des 19. Jahrhunderts“. Von Adolf Dittrich.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: englich.