Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Seidel, Max Johann
Band: 34 (1877), ab Seite: 11. (Quelle)
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Seidlitz, Julius, mit seinem wahren Namen Ignaz (Itzig) Jeitteles (Journalist und Schriftsteller, geb. in Prag 1815, gest. in Wien 9. März 1857). Er soll ein Vetter des als gediegenen, ästhetischen und philosophischen Schriftstellers bekannten Ignaz Jeitteles [Bd. X, S. 122] sein, worüber doch keine bestimmten Nachweise vorliegen. Die Nachrichten über das Vorleben dieses wenig bekannten, aber unter allerlei Masken ungemein thätigen Schriftstellers, sind sehr lückenhaft. Er soll in Prag unter Lichtenfels und Hallaschka studirt, jedenfalls aber muß er eine gute literarische Bildung erhalten haben, denn eine solche gibt sich aus seinen besseren – nicht durch unmittelbare Noth entstandenen – Arbeiten kund. Ursprünglich hatte [12] er sich dem Handlungsgeschäfte gewidmet, dasselbe aber, als seinem edleren Streben nicht zusagend, aufgegeben. Er wurde nun Schriftsteller oder, wie es damals hieß, Literat. Die erste Arbeit, mit welcher er in die Oeffentlichkeit[WS 1] trat, war, wie es heißt, eine Novelle, welche in der „Bohemia“ abgedruckt stand und deren Held der alte böhmische Maler Brandel war. Diese Arbeit verrieth unbestreitbares Talent. Dann trat er mit einem Bändchen „Novellen“ (Leipzig 1838, Friese) auf. Von den darin enthaltenen drei Novellen behandelt die erste, betitelt: „Glück und Ende eines Dichters“, das Schicksal des Dichters Camoens, in völlig verfehlter Weise; von den beiden anderen ist die zweite „Ginévra Piombo“ wohl besser, aber sie ist nicht von Seidlitz, sondern von Balzac[WS 2]. Fast zu gleicher Zeit erschien ein größerer Roman: „Böhmen vor vierhundert Jahren“, 3 Theile (Leipzig 1837, Engelmann, 8°.), der wohl kaum beachtet worden wäre, wenn nicht um dieselbe Zeit von demselben Autor das literarisch pikante Werk: „Die Poesie und die Poeten in Oesterreich im Jahre 1836.“ 2 Theile (Grimma 1837, Gebhardt, 8°.), erschienen wäre. Im 1. Theile behandelt Seidlitz die Wiener Dichter und Schriftsteller, im anderen die in den Provinzen des Kaiserstaates lebenden Männer der Feder. Es ist manches wahre und trotz der pikanten Fassung zutreffende Urtheil in diesen zwei Bänden, deren dieses Lexikon an mancher Stelle gedachte, enthalten; doch weht durch das ganze ein frivoler Ton, ja mitunter eine Gehässigkeit gegen die Kritisirten, welche vermuthen läßt, der Autor wollte mehr sein Müthchen an Dem und Jenem, der ihm eben nicht zu Gesichte stand, kühlen, als literarische Porträte liefern, wodurch dem Werthe der Arbeit, die offenbar kritisches Talent verräth, großer Abbruch geschieht. Das nächste Werk, mit welchen nun S. auftrat, war „Der Astrolog, historischer Roman aus dem 16. Jahrhundert“ (Leipzig 1839, E. Klein), aber so verfehlt, daß er bei dem 1. Bande stecken blieb. Nun erschienen zunächst: „Der arme Heinrich, ein Weihnachtsgeschenk für fleissige Kinder“ (Prag 1841, mit ill. K. K.), und „Wanderungen durch Prag“ (ebd. 1844, mit 1 Plan u. 4 K. K.). Zugleich hatte er seit mehreren Jahren bei und für verschiedene Journale gearbeitet. Die darauf erschienenen „Neuen Novellen“, zwei Bände (Wien 1845, Stöckhölzer, 8°.), welche im 1. Bande: „Die Brüder“ – „Vielliebchen“ – „Zur rechten Zeit“ – „Etienne“ – „Die Räthselhafte“ – „Jaromir“; – im 2. Bande: „Don Juan“ – „Der Afrikaner“ – „Das zweite Gesicht“ – „Eine Wasserparthie“ enthalten, verrathen in ihrer Durchführung und Stoffwahl einen bedeutenden Fortschritt. Nach mehrjährigem Aufenthalte im Auslande, kehrte er um das Jahr 1845 nach Oesterreich zurück, hielt sich vorerst in Prag auf, worauf er sich nach Pest begab. Daselbst gründete um diese Zeit Hermann Klein [Bd. XII, S. 57, Nr. 4] das Journal „Der Ungar“, hatte aber, obgleich er dafür tüchtige Kräfte gewonnen, nach Jahresfrist nichts erzielt, als – sehr beträchtliche Verluste. Klein besaß nicht die – „undefinirbaren,“ aber unerläßlichen – Eigenschaften eines Journalisten“, die eben auch angeboren sein müssen und sich kaum in ihrer Vollendung durch Praxis erwerben lassen. Da erschien Seidlitz als Retter in der Noth und schrieb für dieses Blatt Alles: Novellen, Humoresken, Theaterkritiken, sogar die pikante Fassung der Notizen vor sein Werk; Klein war in wenigen Jahren ein gemachter Mann, Seidlitz blieb der er im [13] Anfang war, der arme Journalist. In Folge von Mißhelligkeiten verließ er das Blatt, dessen Entwickelung und Gedeihen sein Werk war, und begab sich von Pest nach Wien, wo er sich zunächst thätig an der Redaction des „Humoristen“ betheiligte, und an demselben längere Zeit eine einflußreiche Rolle spielte, bis er selbst ein Blatt, „Der schwarze Domino“, begründete, welches nur durch die Ereignisse des Jahres 1848 beiseite geschoben worden Zu Anbeginn dieses denkwürdigen Jahres begegnen wir Seidlitz auf dramatischem Gebiete. Schon früher hatte er in Ofen ein Stück: „Wer hoch steigt, fallt tief“ mit nicht ungünstigem Erfolge zur Aufführung gebracht; nun kam sein Lebensbild „Doctorin Nacht“ am 22. Jänner 1848 im Josephstädter Theater zur ersten Darstellung. Das Stück war einem französischen Drama: „Victorine ou la nuit porte conseil“[WS 3] nachgebildet, das im Jahre 1843 in Paris im Theater Porte St. Martin und 1846 (am 28. Jänner) von einer französischen Schauspielertruppe im Wiener Kärnthnerthortheater gegeben wurde. (20 Jahre später machte Hugo Müller [aus dem französischen Original oder aus Seidlitz’ Lebensbild?] sein Effectstück: „Von Stufe zu Stufe“, das in der Böhm’schen Bearbeitung in der Wintersaison 1869/70 im Josephstädter Theater unter Bukovics-Börnstein über 100 Mal nach einander gegeben wurde). Die politischen Ereignisse des Jahres 1848 drängten auch S. auf das politische Gebiet, auf welchem ihm seine journalistische Geschicklichkeit bald zu Statten kommen sollte. Er trat mit mehreren Staatsmännern, welche damals am Ruder standen, zunächst mit Baron Doblhof, in nähere Berührung, und wurde bei der officiellen Presse in mannigfacher Weise verwendet. Zu jener Zeit sollen aus seiner Feder mehrere politische Broschüren, von einflußreichen Männern als Fühler in die Oeffentlichkeit gesetzt, geflossen sein; Schreiber Dieses war selbst Augenzeuge dieser publizistischen Thätigkeit[WS 4] von S., ohne jedoch je von ihm, mit dem er amtlich viel zu verkehren hatte, nähere Aufschlüsse zu erhalten, da S. den Verschwiegenen nicht nur zu spielen liebte, sondern in der That von Natur aus ein ungemein verschlossener Charakter war. Nach den October-Ereignissen und als sich der Reichstag in Kremsier versammelte, während der Hof in Olmütz sich aufhielt, erschien Seidlitz mit einem Male in Olmütz, wo man das Bedürfniß fühlte, ein officiöses Blatt zu gründen. Seidlitz bot seine Dienste an und wurde bei der Gründung des „Oesterreichischen Correspondenten“ verwendet, auf welchem er als nomineller Redacteur erscheint, worauf aber auch sein Hauptantheil am Blatte sich beschränkt, denn mit Ausnahme einiger weniger Leitartikel in der ersten Zeit, und daß er immer wie ein Deus ex machina im Redactionsbureau lautlos erschien und ebenso wieder verschwand, war er für dieses Blatt nicht weiter thätig. Im Jahre 1849, nachdem der „Oesterreichische Correspondent“ überflüssig geworden, kehrte auch Seidlitz nach Wien zurück, wo er in die Redaction des „Wanderer“ eintrat und bald der Hauptmitarbeiter dieses Blattes wurde. Um diese Zeit soll er mit dem bekannten Statistiker Siegfried Becher sich an der Gründung eines Handelsblattes betheiligt haben. Ob dieses Unternehmen überhaupt in’s Leben trat und wie weit es gediehen, ist nicht bekannt. Bei dem Journale „Der Wanderer“ arbeitete S. zwei oder drei Jahre, er hielt es nirgends lange aus, in Unruhe, wohl aus seinem beständig kränkelnden [14] Wesen erklärbar, trieb er immer wieder fort und so trat er zur „Presse“ über, die damals schon ein Blatt im großen Maßstabe war und hohe Politik trieb. An derselben schrieb er politische Leitartikel und für das Feuilleton pseudonym Romane, deren er auch aus fremden Sprachen übersetzte. Nachdem er bei derselben mehrere Jahre thätig gewesen, gründete er selbst, u. z. unter den ungünstigsten Verhältnissen – ein politisches Volksblatt, die „Wiener Vorstadt-Zeitung“, und bewährte auch da seinen alten journalistischen Genius, denn, obgleich dem neuen Blatte viele andere, ältere und immer neu auftauchende große Concurrenz machten, hielt es sich nicht nur selbst, sondern gewann allmälig eine solche Bedeutung, daß seine tägliche Auflage bald auf 20.000 Exemplare stieg und es das einfluß- und gewinnreichste der Wiener Kreuzer-Blätter wurde. Diesen Absatz verdankte das Blatt vorzugsweise der fast unglaublichen Thätigkeit seines Gründers, der Alles selbst schrieb, populäre, politische und soziale Leitartikel, und durch zweckmäßige anregende Einrichtungen, wie z. B. durch die Preisfragen für Arbeiter, welche eben er in’s Leben gerufen, seine Leser und Abnehmer in immer näheres Interesse zu ziehen verstand. Während er aber dieses täglich einflußreicher werdende Volksblatt redigirte, schrieb er nebenbei politische Flugschriften und gründete noch ein zweites Blatt, die in kurzer Zeit sehr beliebt gewordene Wochenschrift „Feierstunden“. Auch dieses Journal, das sich allmälig zu einem Familien-Journal emporgeschwungen, gewann in Oesterreich bald eine Verbreitung, wie einer ähnlichen bisher kein zweites sich zu erfreuen gehabt. Hätten die Verleger es verstanden, mit den Anforderungen der Zeit vorwärts zu schreiten, es wäre nicht von auswärtigen Unterhaltungsblättern, welche prickelnden Text und saubere Illustrationen brachten, überflügelt worden. Nicht lange sollte Seidlitz die Früchte seiner Mühen genießen, als eben die genannten Blätter eine immer größere Verbreitung gewannen und S. daran war, sich an dem Ertrage seiner Schöpfungen zu erfreuen, legte der längst kränkelnde, immer schwächlich aussehende und trotzdem rastlos thätige S. sich zum Sterben nieder. Bis dahin der israelitischen Religion treu, trat er, um einem jahrelangen Herzensbündniß die kirchliche Weihe zu geben, wenige Tage vor seinem Ableben zum Christenthums über und ließ sich acht Tage danach mit dem Weibe seines Herzens trauen, auf welches auch einige jener Rechte übergingen, welche S. mit der Gründung der genannten Blätter erworben. Die Witwe heirathete einige Jahre später den bekannten Schriftsteller August Silberstein. Mit Seidlitz ging eine journalistische Persönlichkeit unter, wie sie nicht häufig zu finden. Mit einer vielseitigen, nicht oberflächlichen Bildung besaß er einen Scharfblick ohne Gleichen für die geistigen Bedürfnisse der großen Menge und ein eben solches Talent, sie derselben mundgerecht vorzulegen. Hätte er die Kraft und Gabe der Rede in dem Grade besessen, wie er das Talent besaß, zu redigiren: er wäre ein Agitator und als solcher von mächtigstem Einflusse geworden. Sein Name ist im Hinblick auf die Thätigkeit, die er entfaltete, wenig bekannt geworden, obgleich er, denn S. war einer der productivsten Schriftsteller Oesterreichs, eine solche Menge von publicistischen und belletristischen Arbeiten, freilich meist in Leitartikeln und Feuilletons, lieferte, daß auch nur annäherungsweise das Quantum nicht anzugeben ist. Einer [15] seiner Biographen sagt ausdrücklich, daß er unter den verschiedensten Namen an 100 Bände Romane verfaßt habe. Aus diesen sind nur sehr wenige, so z. B. „Die letzten Adepten“, 4 Theile – „Die Franzosen in Wien“, 3 Theile – „Der Mann aus der Vorstadt“ – „Die Geheimnisse von Wien“, in Buchform ausgegeben worden. Interessant wäre es, seine Autorschaft an den zahllosen Flugschriften der Jahre 1849 bis 1852 nachzuweisen, aber den Schleier dieser mitunter die Zeitströmung andeutenden, politische Geheimnisse enthüllenden oder als versuchende Fühler tastenden Ephemeriden zu lüften, wird wohl niemals gelingen, denn wenn auch seine sehr unterrichtete Witwe von Vielem Kenntniß haben mag, noch mehr wird ihrem Blicke, der eben nicht darauf achtete, entgangen sein. Die Theilnahme bei seinem Ableben war unter seinen journalistischen Collegen eine ungewöhnlich lebhafte. Die „Ostdeutsche Post“ nahm seinen Anstand zu schreiben: „Seidlitz’ Schriften haben einen nicht zu verkennenden Werth und selbst der ernste Literaturhistoriker wird das Material derselben als Charakteristik der Zeit niemals unbeachtet lassen können“. Nun das mag von jenen seiner früheren Periode gelten, später, als ein großer Theil seiner Arbeiten durch den Drang der Nothwendigkeit dictirt war, sinkt auch ihr ästhetischer und literarischer Werth, obgleich auch seine unbedeutendsten Arbeiten Geist und Talent verrathen, denn sein ungemein lebhafter und trotz der äußeren Ruhe ununterbrochen schaffender Geist wußte sich auf jedem Gebiete schnell zu orientiren und überall die für den Effect geeignetsten Pointen herauszufinden. In der Anordnung und gefälligen Darstellung des Stoffes war er Meister und selbst seine unbedeutendsten Arbeiten haben den Vorzug, daß sie sich, wie man zu sagen pflegt, „gut lesen“ lassen. In seinen politischen Ansichten war er gemäßigt, duldsam. Herausgeber, der ihn persönlich genau kannte, möchte geradeheraus sagen: ohne eigene Meinung, aber, stylistisch gewandt, diente er als Echo für manche Partei und manche Flugschrift, deren Erscheinen ihrer Zeit Aufsehen erregte, und deren Verfasser man in sehr hohen Regionen suchte, hatte ihren Ursprung auf dem stillen Pulte Julius Seidlitz’, wohin sie freilich auch nicht unmittelbar aus seinem Kopfe gekommen, sondern durch einen Wink von da und dort hervorgerufen worden war. Was aber S. den Menschen betrifft, so that wohl seine vieljährige Kränklichkeit seinem im Grunde gutmüthigen Wesen etwas Eintrag; im Ganzen aber war er voll Güte und Herzlichkeit, theilnehmend und trotz seiner politischen Allüren und Steckenreiterei bei weitem harmloser und ehrlicher, als dergleichen Menschen zu sein pflegen.

Wiener Mittheilungen, Zeitschrift für israelitische Culturzustände. Von Dr. M. Letteris (Wien, 4“.) III. Jahrg. (1857), Nr. 11 [nach diesen gest. am 9. März]. – Neuigkeiten (Brünner politisches Blatt) 1857, Nr. 70 [nach diesen gest. am 8. März und geb. 1814]. – Jüdisches Athenäum, Gallerie berühmter Männer jüdischer Abstammung ... (Grimma u. Leipzig 1851, br. 8°.) S. 221 [unter den Namen Seidlitz]. – Wiener Zeitung 1857, Nr. 57, S. 698.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Offentlichkeit.
  2. La Vendetta (Wikipädia, französisch).
  3. Vorlage: „Victorine on la nuit porte conceil““. (Korrigiert nach: Google).
  4. Vorlage: Thätig-.