BLKÖ:Berchet, Giovanni

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Beöthy, Sigmund
Band: 1 (1856), ab Seite: 289. (Quelle)
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Berchet, Giovanni (italienischer Dichter, geb. zu Mailand zu Ende der Achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, gest. zu Turin 23. December 1851). Vollendete die Studien der Literatur und Jurisprudenz, und diente unter der Napoleonischen Periode im Secretariat des Senats. Nach der Restauration widmete er sich ausschließend dem Schriftstellerleben, verband sich mit lombardischen und venetianischen Patrioten, die in der Mailänder Zeitschrift: „Il Conciliatore“ Ansichten, welche des Carbonarismus verdächtig waren, verbreiteten, und schlug jene Richtung ein, wofür Silvio Pellico auf dem Spielberge büßte. B.’s Poesien machten Epoche in jener Zeit und ihre politisch nationale Richtung erwarb dem Dichter die Bezeichnung des „italienischen Tyrtaeus“. Berchet namentlich ist es, der dem Könige von Sardinien, Karl Albert in den Jahren 1820 und 1821 die furchtbaren Worte nachschleuderte:

Esecrato o Carignano
Sia il tuo nome in ogni gente,

die er noch 1848 so gern zurückgenommen hätte. B. rettete sich durch die Flucht, und brachte die Zeit seines Exils in England, Belgien, Frankreich und Deutschland zu. In Deutschland verlebte er mehrere Jahre zu Bonn, und beschäftigte sich mit seltener Beharrlichkeit mit dem Studium der deutschen Literatur, welches sich sogar bis auf die Sprache der Nibelungen erstreckte. Was von seinem Hasse gegen Deutschland und Deutschthum zum Besten gegeben wird, ist Faselei, die durch seinen mehrjährigen Aufenthalt in deutschen Städten und seine freundschaftlichen Beziehungen zu deutschen Gelehrten am treffendsten widerlegt wird. Eine Frucht seiner im Auslande gemachten Studien sind seine: „Vecchie Romanze Spagnuole, recate in italiano“ (Bruxelles 1839, Haumann et Cie.), worin er italienische Uebersetzungen altspanischer Romanzen bringt. Vorher aber erschien von ihm: „Le fantasie. Romanza“ (Parigi 1829, Delaforest, 12°.). Als zu Ende der dreißiger Jahre Oesterreich mit einer ausgedehnten Amnestie einem großen Theile der politischen Flüchtlinge die Rückkehr in ihre Heimat ermöglichte, kehrte auch B. zurück, und nahm seinen Aufenthalt in Florenz, wo er in engem Freundeskreise bis 1847 lebte. Im Winter 1847/48 ging er nach Turin, als der Ausbruch und das Ende der lombardischen Revolution ihn überzeugten, daß er von der Zeit überflügelt worden. Am Abend seines Lebens durch die Wahl in die zweite piemontesische Kammer genöthigt, noch einmal die politische Laufbahn einzuschlagen, vertrat er in derselben die gemäßigten Ansichten, und der alte Carborano erhielt nunmehr den Ehrentitel eines Codino oder Zopfträgers. Seine seit Jahren [290] schwächliche Gesundheit begann mit 1851 sichtlich zu verfallen, und B. sollte dieses Jahr nicht überleben. Mit Uebergehung der politischen Gedichte B.’s, welche als Kinder einer bewegten Zeit mit derselben dahingegangen und vergessen worden sind, weil der schönste poetische Gedanke in der subjectiven leidenschaftlichen Erfassung der Zeitverhältnisse untergeht, ist Berchet bemerkenswerth als Verfasser des erzählenden Gedichtes: „Profughi di Parga,“ wovon eine französische Uebersetzung erschien: „Les fugitifs di Parga, poëme traduit librement de l’italien avec l’original en regard“ (Didot, 1823 12°.). Den Stoff zu den „Flüchtlingen von Parga“ bildet der bekannte Vorgang, daß die englische Regierung die Halbinsel Parga, als nicht zu den Dependenzen der jonischen Inseln gehörend, dem Ali Pascha von Janina auslieferte. Den Parginoten war freigestellt worden, zu bleiben oder nach den Inseln auszuwandern. Sie wählten das letztere. Als nun den Parginoten der Befehl zum Abzuge verkündet ward, trat jede Familie aus ihrer Wohnung hervor. Es war eine stumme Scene; keine Klage wurde laut, keine Thräne floß. Die Männer und Jünglinge, voran die Priester begaben. sich zu den Gräbern ihrer Väter, gruben deren Gebeine aus, sammelten sie und schichteten einen Scheiterhaufen auf dem Platze vor der Kirche. Ihre Waffen zur Hand nehmend, umringten sie den Holzstoß, dann legten sie Feuer an und blieben stumm und regungslos stehen, bis die Flamme Alles verzehrt hatte. Während dieser traurigen Ceremonie erschienen an den Thoren einige von Ali’s Kriegern, ungeduldig, von der Stadt Besitz zu nehmen. Die Bürger ließen den englischen Befehlshaber wissen: „Betrete ein einziger Ungläubiger den Boden Parga’s ehe die Gebeine ihrer Vorfahren vor Entweihung gesichert, bevor sie selbst und ihre Familien sich eingeschifft, so würden sie Weiber und Kinder tödten, und die Waffen in der Hand sterben, im Sterben Rache nehmend an den Käufern und Verkäufern ihrer Heimat.“ Eine solche Protestation in solchem Momente fand Gehör; dem General Adam gelang es, das Einrücken der Muselmänner zu verhindern. Nachdem die Flamme ausgeglüht, schiffte sich das Volk ein, still und stumm wie zuvor. Dieß ist der Gegenstand des Gedichtes von Berchet. Alle Phasen dieser traurigen aber zugleich erhebenden Geschichte werden uns von Berchet vorgeführt. Der geistreiche deutsche Vermittler italienischer Literatur Alfred von Reumont sagt darüber: „Wie die Erzählung lebendig und ergreifend, die Scenen mit Talent und Wahrheit geschildert, so ist das Versmaß in seinem Wechsel der Stimmung und dem Moment sich anpassend, und das Ganze ein vollendetes Gemälde, während im leidenschaftlichen Schmerz des Griechen der des italienischen Heimatlosen durch- und nachklingt. So ist das Gedicht B.’s beschaffen, das man immer mit Freude und reichem Genusse lesen wird, während seine italienischen Zeitgedichte höchstens von geschichtlicher Bedeutung sind, neben den tausend Kunimundsschädeln aber, aus denen die umgekehrten Alboine in den Versen ihrer neuen Tyrtaeen den schweren Lombardenwein getrunken, alle Wirkung eingebüßt haben.“

Allgemeine Zeitung. Beilage 1851, S. 747: „Zur italienischen Nekrologie. V. Giovanni Berchet“ von R(eumon)t. – Steger (F. Dr.), Ergänzungs-Conversations-Lexikon (Leipzig u. Meißen 1853, Lex.-8°.) VIII. Bd. S. 108. – Nuovissimo Dizionario degli uomini illustri d’ogni età ec. (Milano 1854, Pozzoli, 16°.) I. Bd. S. 439 [gibt irrig Paris als B.’s Sterbeort an).