Aus der Zeit August des Dritten

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Titel: Aus der Zeit August des Dritten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 676–678
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus der Zeit August’s des Dritten.

Unter Kanonendonner und Glockengeläute hielt im Jahre 1697 der Kurfürst Friedrich August von Sachsen seinen feierlichen Einzug in die polnischen Lande, zu deren Kronenträger er nach dem Tode des heldenmütigen Johann Sobieski erwählt wurde. Wohl staunten die zu seiner Begrüßung an der schlesischen Grenze erschienenen adeligen Deputationen über die ritterliche Erscheinung des Mannes, der später in der Geschichte den Beinamen des Starken tragen sollte, und über die verschwenderische Pracht seines königlichen Gefolges. Von Ohr zu Ohr pflanzte sich rasch die wunderliche Nachricht fort, daß die Kleidung, welche der neue König trug, als er zum ersten Mal den polnischen Boden betrat, allein auf eine Million Thaler geschätzt wurde. Und bezeichnend war diese erste Erscheinung des Fürsten sowohl für seine eigene Regierung, wie für die seines Sohnes, der nach ihm als August der Dritte den polnischen Thron bestieg; denn Verschwendung ist das charakteristische Merkmal, welches sich diesen beiden Herrschern gegenüber dem Geschichtsforscher aufdrängt.

Dem sächsischen Volke kostete die Königscaprice seines ehrgeizigen Fürsten, welcher wegen des fraglichen Machtzuwachses zum Katholicismus übergetreten war, Millionen, und auch Polen mußte dieselbe theuer bezahlen; denn seine inneren Angelegenheiten versanken unter jenen sächsischen Königen immer tiefer in Anarchie, und nach außen hin gerieth es in eine vollständige Abhängigkeit von seinem östlichen russischen Rivalen.

Nach einem kurzen fruchtlosen Versuch, den polnischen Adel durch Gewalt der Botmäßigkeit der Krone zu unterwerfen, beschloß August der Starke, die Nation durch Sittenverderbniß und höfischen Prunk einzuschläfern und seinen Plänen gefügig zu machen. Dasselbe System befolgten auch später die Minister und Rathgeber, welche im Namen seines Nachfolgers das Land regierten, und so lebte der polnische Adel trotz der kostspieligen Kriege, welche das Land verwüsteten und Sachsen allein gegen 100 Millionen Thaler kosteten, Jahrzehnte lang in einem unaufhörlichen Festjubel, zu dem der elende Zustand des polnischen Bauers und die Hungersnoth im Erzgebirge einen grellen Gegensatz bildeten.

Für die beiden sächsischen Könige und ihre Minister war es überhaupt keine schwierige Aufgabe, die ihrer Natur nach leichtlebigen Polen auf die abschüssige Bahn der Ausschweifung und der Prunksucht zu führen. Das damalige Königreich Polen durfte wohl gegen 10 Millionen Einwohner zählen, von denen sich nur eine halbe Million, der Adel, im Genuß staatsbürgerlicher Rechte befand. Der in früheren Jahrhunderten geführte Kampf zwischen dem Adel und der Krone artete schon vor August dem Starken in einen völligen Sieg der unter einander gleichberechtigten Adeligen aus, und es begann nunmehr eine neue Entwickelungsphase der polnischen Geschichte, in welcher nicht der Reichstag und die einzelnen Landtage, sondern mächtige Magnaten tatsächlich im Lande die Herrscherrechte ausübten.

Ein Blick in das persönliche Leben dieser Potentaten dürfte nicht uninteressant sein. Die stolzesten und angesehensten polnischen Adelsgeschlechter hatten in dem damaligen südlichen Polen, in dem eigentlichen Ruthenenlande, ihre viele Quadratmeilen umfassenden

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Herrschaften auf Reisen zur Zeit August’s des Dritten von Polen.
Nach dem Oelgemälde von J. Chelminski.

[678] Besitzthümer. Auf den üppigen Weiden von Podolien, Wolhynien und der Ukraine tummelten sich unzählige Rinderheerden, die seiner Zeit vielgepriesenen polnischen Ochsen, und jeder Magnat hielt etwas darauf, ein großes Gestüt edler Rosse zu halten, um die ihn noch heute mancher europäische Fürst beneiden würde.

Der Wohnsitz des Edelmanns wurde im Gegensatz zu dem bäuerlichen Gehöfte der „adelige Hof“ genannt. In früherer Zeit zeichnete sich derselbe durch Einfachheit aus, wurde aber später zu einem Abbilde des in Warschau residirenden königlichen Hofes; war doch nach den im Lande üblichen Begriffen der König nur der Erste unter den gleichgestellten Adeligen (primus inter pares), und was später der Dichter Slowacki in einem seiner epischen Gedichte sagte, das fühlte und befolgte man wohl zu August’s des Dritten Zeit:

„Was der König von Polen hat, das kann sich auch der Edelmann leisten.“

Zu der großen Machtentfaltung der einzelnen Magnatenhöfe trugen auch die politischen Verhältnisse des Landes Vieles bei. Die Ukraine, welche der Verfasser von „Schloß Krakau und das letzte Turnier“ so treffend mit dem Namen „das Scheideland“ in’s Deutsche übertrug, lag ja dicht vor dem damaligen Ausfallsthor der asiatischen Horden; sie bildete die erste Station, auf welcher die plündernden und sengenden Tataren, wenn sie gegen Europa aufbrachen, ihre Rast hielten.

So ward jahrein jahraus der Horizont dieses Scheidelandes zwischen der europäischen und asiatischen Welt von der blutigen Lohe brennender Dörfer erhellt, und jahraus jahrein wurden die Einwohner des von der Natur reichgesegneten Landes in ihren Hütten und Höfen von den wilden Reiterschaaren der Mongolen überrumpelt und in den „Jassyr“, in die tatarische Gefangenschaft, getrieben.

Wer sollte da diese äußersten Grenzmarken des Landes hüten? Das sogenannte polnische Kronheer war nicht besonders stark und nicht immer zur Hand, bevor aber das bunte Aufgebot der adeligen Streiter aus allen Woiwodschaften des Königreichs an der Grenze erschien, waren die tatarischen Horden mit ihrer Kriegsbeute längst in der nogaischen Steppe verschwunden. Unter solchen Umständen galt es, an diesen Ostmarken sich selbst zu helfen, und so wurden die adeligen Höfe zu kleinen Burgen, auf welchen stets eine Anzahl waffentüchtiger Männer lag.

Es ist nun leicht begreiflich, daß, je größer der Besitzstand eines Magnaten war, er auch desto mehr schützende Hände bedurfte, und so erwuchsen dort kleine Herren, die ihre eigenen Truppen besaßen, im Kriege mit denselben dem Feinde trotzten, im Frieden aber ihre Mannen nicht selten zu ihren Privatzwecken auf den Landtagen verwendeten.

Bald ahmte auch der reichere Adel Westpolens diese Hofhaltung seiner „Herren Brüder“ im Osten nach, und so wimmelten die adeligen Schlösser von einer Menge kleinerer Beamten, die im Dienste der Magnaten standen. Die arme Adelsclasse, die nur wenige Morgen Land ihr Eigen nannte, lieferte zu diesen Diensten ein unerschöpfliches Contingent, und während der reiche Adelige als Kämmerer oder Truchseß beim Könige fungirte, hatte er in seinem Hause gleichfalls seinen kleinen Kämmerer oder Hofmarschall.

Dieses Personal, welches sich in der Sonne des Reichthums wärmte, wurde noch durch den gemeinen Troß der Kosaken, Haiduken, oder wie diese Leute sonst hießen, verstärkt.

Ging nun ein solcher Herr auf Reisen, so zog wenigstens ein Theil des Hofes in seiner Begleitung mit. Das figurenreiche Bild (S. 677), welches dieser flüchtigen Skizze beigegeben, stellt uns eine solche Herrschaftsreise zur Zeit August’s des Dritten trefflich dar. Die damals modischen sächsischen Trachten zeigen uns freilich nur die Dienstleute; denn die beiden jungen Herren, welche neben dem Wagenschlage reiten, tragen die altpolnische Kleidung, welche der Edelmann allen Modewandlungen zum Trotz niemals ablegte. Wir sehen ferner einen Wagen, den sogenannten Küchen- oder Bagagewagen, und einige Diener der Herrschaft folgen. Der Vorreiter dagegen, mit einer Laterne in der Hand, giebt das Zeichen, daß soeben eine Fuhrt zu passiren sei.

Die großen Herren von Lithauen und Kleinrußland reisten oft mit noch größerem Gefolge. Einem Radziwill, Sapieha, Potocki oder Lubomirski folgten förmliche Wagenkarawanen von Ort zu Ort, und zogen erst die Herren auf den Reichstag oder gar zur Königswahl nach Warschau, so begleitete sie ein förmliches Heer ihrer Clienten und der gewaltige Troß, der für die leiblichen Bedürfnisse eines solchen kleinen Hofes zu sorgen hatte.

Auf diesem gesellschaftlichen Boden mußte das vom Hofe aus gegebene Beispiel der Verschwendung eine unbeschreibbare Nachahmungslust erwecken, und, im fortwährenden Rausche des Genusses befangen, ging Polen unter den Königen aus dem sächsischen Hause mit rascheren Schritten, denn jemals, seinem Untergange entgegen; wir brauchen nicht daran zu erinnern, daß dieser äußere Prunk die tiefsten inneren Schäden überall durchblicken ließ.

Die religiöse Toleranz, deren sich Polen früher rühmen durfte, machte einem religiösen Fanatismus Platz, da der größte Theil des Adels von dem Jesuitenorden mit dem todbringenden Netze der geistigen Stumpfheit umgarnt wurde. Die Verkäuflichkeit der Aemter, das Zerreißen der Reichstage durch den Einspruch eines einzigen Landboten (das berüchtigte liberum veto) wurden zur Regel. Die kriegerische Tüchtigkeit und der staatsmännische Sinn der Nation waren im Erlöschen begriffen, während dem Lande ein Bürgerstand fehlte, um den überlebten Adel als Führer des Volkes zu ersetzen. Außerdem war Polen schon in jener Zeit, bevor es seinen Gegnern auf dem Schlachtfelde erlag, zum Spielball der Intriguen des im Osten heranwachsenden russischen Riesen geworden.

Mit dem Untergang des Reiches verschwand auch die äußere Pracht des Magnatenthums, von dem wir in den vorstehenden Zeilen ein flüchtiges Bild entworfen haben.