Aus der Bücher- und Bilderbude des Weihnachtsmarkts
Es gehört schon ein Bischen Glück der Geburt dazu, wenn ein Kind in den Besitz eines Bilderbuchs gelangen soll. Die Preise selbst mittelmäßiger Bilderbücher sind durchschnittlich noch zu hoch für den Geldbeutel des Arbeiterstandes, der die Mehrzahl aller Bevölkerungen ausmacht. Man muß das beklagen, denn ein hübsches Bilderbuch ist eine außerordentliche Kinderlust und der erste Schatz, aus dem der erwachende Geist des Kindes nachhaltige Nahrung zieht. Deshalb ist es durchaus nothwendig, daß die Speculation ernstlich auf technische Mittel sinnt, um der Kinderwelt auch bis in die weniger vom Mammon bedachten Kreise dennoch mit guten, das Auge des Kindes gleich für das Schöne gewinnenden Bilderbüchern zu erfreuen.
Vor der Hand ist das noch frommer Wunsch, und auch die paar uns soeben vorliegenden Bilderbücher werden nur auf Weihnachtstische kommen, die auch außerdem von jenem ersten Kindesglück, dem der Geburt, zeugen. Je weniger dies ihnen von ihrem Werthe nehmen kann, um so mehr gerade bedauert man, daß sie nicht eine größere Anzahl der funkelnden Augen ergötzen können.
Den ersten Rang unter allen uns vorliegenden „Weihnachts-Schriften“ nimmt, was künstlerische Ausstattung anlangt, unbedingt das in Berlin bei Weidmann erschienene Kinderbuch: Was willst Du werden? von Oskar Pletsch, ein. In einer Reihenfolge von 22 Zeichnungen, die in Auffassung und Ausführung mit den besten Leistungen Ludwig Richter’s concurriren, führt uns der Künstler in ganz reizender Weise die verschiedenen Handwerker und Berufsarten des Lebens vor, die er zugleich mit höchst naiven, oft schalkhaften Reimen [813] begleitet. Denn nur der Schalk war es wohl, der folgenden Reim dichtete:
Ruhmvoll ist des Soldaten Stand!
Mit Gott für König und Vaterland
Zieht freudig Jeder in den Krieg,
Ein Braver sagt: „Tod oder Sieg!“
und oben drüber den Vater Wrangel zu Pferde abbildete und daneben – eine steif präsentirende Schildwache! – Die meisten der Bilder, von denen wir mit Erlaubniß der Verlagshandlung nebenstehend zwei Proben geben, sind kleine Meisterwerke in ihrer Art und können zu den besten Erzeugnissen der Holzschneidekunst gerechnet werden.
Für Kinder von 6 bis 9 Jahren ist „der runde Tisch“ von R. Horter bestimmt, dem 6 colorirte Zeichnungen von G. Bartsch beigegeben sind. Die 25 Erzählungen des Büchleins sind größtentheils für die Kinderwelt geeignet. Die Sprache ist einfach, sollte jedoch hie und da correcter sein. Provincialismen, wie „seine Mutter machte sich alt“, statt „kam in die Jahre“ etc., und Sätze wie S. 189: „Glücklicherweise traf er ihn zu Hause und ließ ihn vor sich“, dürften nicht vor Kindesaugen kommen, die, wie leider der meisten Menschen Augen, an Fehlern leichter haften bleiben, als an Gutem, Tüchtigem und Schönem.
Diesen Tadel können wir auch dem Texte B. Rein’s zu den „24 alten und neuen Spielen mit Versen, Erklärungen und 12 farbigen Bildern von August Reinhardt“ nicht ersparen. Verse und Ausdrücke wie: „Wenn nicht auch blind ich wär’“ – „Schämt Euch, wer solch Jäger wär’“ – „Wirst Du oder ich es sein“ – „Fangt ihn auf“ (nämlich den Fuchs) etc. sollten in unserer hochgebildeten Sprache vermieden werden. Von diesen Schwächen abgesehen, ist das Buch besonders seiner hübschen Bilder wegen zu empfehlen. Die Kinder erfinden sich zwar ihre liebsten Spiele am besten selbst; – indeß mag es Kreise und Zeiten geben, wo den Kleinen die Lust oder das Zeug dazu gebricht, oder wo die kleine Unruhe nach Neuem sucht; dann giebt dies Buch eine treffliche Aushülfe an die Hand. Für den Zeichner die Bemerkung, daß auf seinem Bildchen zu „Storch und Frösche“ eine so reizende Kinderlust, wie ein Storchnest ist, nicht fehlen dürfte. – Noch möchten wir – namentlich unsern sächsischen Lesern – „die gesammelten Erzählungen von Märchen der Frau Charlotte Krug, geb. Schnorr von Carolsfeld“ empfehlen, wovon bis jetzt zwei Bändchen erschienen sind. „Das böhmische Harfenmädchen“ – „der Schatz bei Aue“ – „ die Steinkohlenprinzessin“ (preisgekrönt) behandeln sächsische Stoffe und sind sehr gut erzählt.