Aus den Sonntagsbriefen eines Zeitgenossen (Die Gartenlaube 1869/47)

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Titel: Aus den Sonntagsbriefen eines Zeitgenossen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 753
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[753] Aus den Sonntagsbriefen eines Zeitgenossen.[1] ... So hätten wir also eine neue Freiheit – die Theaterfreiheit. Woraus entstand, worin besteht sie und was wird sie uns bringen?

Das Gesetz des Norddeutschen Bundes, das die Concessionsbeschränkungen für theatralische Darstellungen aufhebt, hat seine Begründung in zwei unabweisbaren Grundrechten: in der Befugniß, durch Wort und Schrift die Gedanken zu äußern, und in der Gewerbefreiheit. Sie sehen freilich als erste Folge, daß Bierhäuser, Concerthäuser, Etablissements zweideutigen und entschieden verwerflichen Rufes Schaubühnen errichten.

Wer bietet nun Schauspiele, wem und was wird geboten?

In der Zeit der Reaction war man auf das Mittel verfallen, für Herausgabe einer Zeitschrift eine bestimmte Garantie, abgesehen von der Censur, zu verlangen. Das hat sich als unthunlich erwiesen; das Strafgesetz für Übertretung der staatlichen und sittlichen Ordnung reicht aus. Denn wer darf bestimmen: „Du bist befähigt zur Herausgabe einer Zeitschrift und Du nicht!“? Ebenso verhält es sich mit Errichtung eines Theaters. Erinnern Sie sich aber eines Wortes von Lessing in Emilia Galotti: „Könnte ich diesen Ton vor Gericht stellen.“ Ja, es kann Töne, Bewegungen geben, die Alles verletzen und doch nicht vor Gericht gestellt werden können.

Wem bieten die neuen sogenannten Volkstheater ihre Schaustellungen? Nicht dem arbeitsamen, im Feierabend Erholung suchenden Volke, sondern in der Regel den verlebten Müßiggängern, und was sie bieten, sind Possen, Reizspiele, halb maskirte oder ganz demaskirte Tanzreizungen.

Die erste Folge der Theaterfreiheit ist also Geschmackverwilderung und noch Schlimmeres.

Daran sind die Dichter schuld, werden Sie erwidern – warum bringen sie nicht gute Volksstücke? Das Volk in seinem gesunden Kern wird sich daran mehr erquicken, als an Possenreißereien mit wohlfeilen politischen Anspielungen in Couplets oder gar mit leicht zu enträthselnden Unzüchtigkeiten.

Gewiß! Hier liegt allerdings der Hauptaccent. Es ist aber Thatsache, daß sich die Productivität des modernen Dichtergeistes vom Theater entfernt und auf die erzählende Dichtkunst in Prosa gewendet hat. Daneben bildet die Naturwissenschaft, die der eigentliche Mittelpunkt unserer Geistesepoche ist, eine ganz neue Literatur. Das Theater und die theatralische Dichtkunst ist unverkennbar im Verfall. Die Theaterfreiheit wird diesen Verfall, nach meiner Ansicht, noch beschleunigen, indem sie die Geschmacksverwilderung, die gemeine Schaulust auf die Spitze treibt. Dann aber kommt die Umkehr, denn die Freiheit ist in allen Dingen das beste Correctiv für die in ihr gegebenen Ausschreitungen.

Wie es sich allmählich herausarbeitete, daß Zeitschriften, die auf die niedrigen Lüste des Publicums wie auf Scandal und momentane Aufreizung speculirten, in sich verkommen, wie sich allmählich eine sittliche und eine Geschmacksnorm im lesenden Publicum bildete, so wird es sich auch im schauenden gestalten und neue Kräfte werden sich hervorthun, die das Rechte schaffen. Ich komme wohl noch einmal auf dies Thema zurück.



  1. Unter diesem Titel werden die „Blätter und Blüthen“ von Zeit zu Zeit Auszüge aus den an den Herausgeber gerichteten Briefen eines unserer bekanntesten und meistgenannten Schriftsteller und Publicisten bringen. D. Red.