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Titel: Aus dem Hamburger Hafen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 605–608
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Viehverladung im Hamburger Hafen.
Nach der Natur aufgenommen von H. Leutemann.

[606]

Aus dem Hamburger Hafen.

Mit Abbildung.

Jedem Binnenländer, der Hamburg besucht, ist der Hafen das Sehenswürdigste, und er pflegt halbe Tage damit hinzubringen, um die in mannigfaltigster Weise wechselnden Scenen voll Leben und Munterkeit mit reger Theilnahme zu beobachten. Fast zu jeder Tageszeit findet er hier thätige Menschen, die in Rüstigkeit und Fröhlichkeit ihr Tagewerk vollbringen, als sei die Arbeit Zweck ihres Daseins, die sich durch lauten Gesang darin fördern und durch ihr kräftiges Aussehen und Zugreifen beweisen, daß frische Luft und reichliche Bewegung am besten gesund erhalten.

Am regsten ist das Leben früh Morgens, nachdem um sechs Uhr die Glocke an der Zolljacht durch vier weithin vernehmbare Schläge das Zeichen zu allgemeiner Thätigkeit gegeben hat. Kurz vor dieser Zeit aber herrscht die tiefste Ruhe im Hafen; es ist ruhiger als selbst in der Nacht, in welcher doch mitunter der Ruderschlag eines Bootes den spät vom Lande zum Schiffe zurückkehrenden Seemann verräth. Nichts regt sich auf den Schiffen, nur bläuliche Rauchwolken, aus den Combüsen (Schornsteinen der Schiffsküchen) aufsteigend, thun kund, daß die für die leibliche Pflege der Mannschaft bestimmten Seeleute bereits in Thätigkeit begriffen sind. In größerer Ferne aber, stromabwärts, oder auch in der Mitte des Stromes in der Nähe des Hafens erblickt man die vielen kleineren Fahrzeuge, die Hunderte von Milch- und Gemüseewern, mit aufeinander gethürmten rothen Milcheimern oder flachen Körben, hochbeladene und langsam vorwärts kommende Smacks, [607] Ruderboote mit Fluß- und Meerfischen, die bei den größeren Seeschiffen vorbeifahren, um weiter aufwärts in die für sie bestimmten Oertlichkeiten zu gelangen.

Im Hafen selbst beginnt dagegen das tägliche Treiben, wie schon erwähnt, erst mit dem Schlage sechs Uhr. Sobald die Zolljacht die vier Schläge hat ertönen lassen, so antworten alle Schiffsglocken, nicht harmonisch zusammenklingend wie die beliebten Heerdenglocken, sondern kurz, kräftig, auffordernd, und die Michaelisuhr fällt im tiefen Baß ein, durch ihre sechs Schläge bestätigend, daß nun der eigentliche Tag begonnen habe. Wie mit einem Schlage ist das Bild verändert; rasch entwickelt sich die Arbeit und die tiefe Stille weicht lautem Geräusche, wie es bei so lebendigem und entschlossenem Volk gleich den Seeleuten nicht anders Sitte ist. Bei ihnen bewegt sich Alles in Contrasten. Hier hört man die kurzen und kräftigen Befehle der Capitaine und Steuerleute, dort poltern Segel und rasseln Taue; hier sind ein paar Ewerführer, die von demselben Schiffe ihre Ladung zu empfangen haben, wegen des Vortritts aneinander gerathen, und auf vielen Schiffen klettern Matrosen und Schiffsjungen mit wahrhaft „affenartiger Behendigkeit“ an den Masten und Tauen hinan, stehen auf den äußersten Enden der Raaen und entwickeln eine Sicherheit und Leichtigkeit in ihren Bewegungen, wie sie ein ausgelernter Seilkünstler nicht besser zu zeigen vermag.

Wie am Morgen, so hat auch am Abend der Hafen seinen besondern Reiz. Dann sieht man am Lande selber viele Matrosen, Leute aus allen Nationen, mit fremdländischem Gesichtsausdruck und mit Sprachen aus aller Herren Ländern, meistens in schmucker und kleidsamer Tracht, stets aber mit dem kurzen und breiten Seitenmesser bewaffnet, das leider allzu oft bei den leichterregten Heißspornen zur Anwendung kommt.

Eine Scene aus dem Hafenleben gegen Sonnenuntergang, die am häufigsten wiederkehrt und einen wichtigen Handelszweig bezeichnet, stellt unser Bild dar. Es zeigt Ochsen, zur Verladung nach England bestimmt. Die großen (englischen) Schiffe, welche diese Fracht übernehmen, ziehen es meistens vor, die bei unruhiger See leicht geängstigten Thiere unter Deck zu schaffen, und bewerkstelligen diese Arbeit in einer ebenso originellen wie einfachen Weise. Die Arbeiter befestigen um den Bauch des Thieres einen breiten Gurt, ein oben an demselben befindlicher eiserner Ring faßt in den Haken eines festen Seiles und durch einen Krahn, an dem Menschenhände oder auch Dampfkräfte arbeiten, wird das ganze Thier in die Höhe gehoben. Eine kurze seitliche Bewegung bringt den Krahn mit dem schwebenden Thiere über die Oeffnung des Zwischendecks, und darauf verschwindet es plötzlich vor den Augen des Zuschauers wie im Schauspiel der böse Geist in der Versenkung.

Es macht einen eigenthümlichen Eindruck, eine solche Verladung mit anzusehen. Man wird ergriffen von der Gewalt des Menschen über die rohe Fleischmasse des Thieres, mit der nach Belieben geschaltet und herumgeworfen wird, und andererseits muß man lächeln über den geistlosen und stieren Blick, die einzige Aeußerung des lebenden Fleischklumpens, mit welchem er die angethane Behandlung beantwortet. Da rührt sich auch kein Glied, wenn der Ochs nur schnell genug vorn Boden gehoben wird, kein Laut verräth Ueberraschung, der Hals mit dem schweren Kopf hängt abwärts und willenlos sinkt die Last hinunter, als ob schon jetzt das Leben darin erloschen wäre.

Es ist erstaunlich, welche Massen Schlachtvieh ein großer Dampfer fassen kann. Ganze Heerden Rinder, Schafe und Schweine stehen oft wenige Schritte vom Einschiffungsplatze eingepfercht, und doch wird in manchen Fällen dies Alles auf einem Schiffe untergebracht. Aber wie hilft man sich auch dann! Unter dem Deck, auf dem Deck und über dem Deck werden die künftigen Schinken, Hammel- und Rinderbraten zusammengedrängt. Jetzt kommt z. B. zuerst eine gewaltige Heerde schönvließiger Schafe. Mit unendlichem Blöken (wie üblich in den verschiedensten Tonarten) folgen sie gewöhnlich dem vorangehenden Schäfer ohne Umstände über den kaum zwei Ellen breiten Steg auf das Schiff, ja sie drängen sich mit ungestümer Eile ihrem Schicksal entgegen. Freilich, wenn der Schäfer nicht dabei ist und vorangeht, gestaltet sich die Scene meist anders. Selbst die Schafsnatur erkennt dann, daß das kein Weg zur saftigen Wiese ist, und weigert sich, den unbekannten Pfad zu beschreiten. Aber der Matrose hilft sich. Der Leithammel oder ein zu dieser Rolle passendes anderes Thier wird von zwei entschlossenen Theerjacken gemüthlich mit seinen Vorderbeinen Arm in Arm genommen; so, aufrecht auf seinen Hinterbeinen zwischen seinen ihn fortziehenden Freunden voranwandelnd, giebt er ein vortreffliches Beispiel gezwungenen Muthes, und hinter ihm drängen dann ohne Weiteres die blökenden Cameraden nach.

Werden die Schafe, wie es zuweilen der Fall, auch mit dem Krahn unter Deck geschafft, so geschieht dies bei ihrer Leichtigkeit natürlich viel schneller; ihr Schafsgesicht ist während dem am ausgeprägtesten, während der Blick des Mastochsen natürlich ein ochsiger bleibt. Aber auch über dem Deck, wie schon erwähnt, wird das Schlachtvieh bei Mangel an Raum aufgestellt, und zwar ebenfalls die Schafe, da sie sich eben am besten fügen. Dazu sind aus Brettern ordentliche Galerien über dem Deck errichtet, zu denen eine gleichfalls aus Brettern hergestellte schiefe Ebene als Aufgang dient. Das Geländer, welches diese Galerie umgiebt, muß so hoch sein, daß kein Schaf dasselbe überspringen kann, denn käme ein solcher Fall vor, so würde die ganze Heerde dem vorangesprungenen Thiere in’s Wasser nachfolgen und unrettbar verloren sein, wie es schon geschehen sein soll. Solche Galerien, wenn sie über dem größten Theile eines Schiffes errichtet sind, dürften allein gegen eintausend Schafe fassen, abgesehen von denen, die sonst noch untergebracht sind.

Schweine bilden, wie später dargethan wird, gegen Rinder und Schafe die Minderzahl des nach England gehenden Schlachtviehes. Aber wenn auch nur wenige sich neben den anderen Schicksalsgenossen auf dem Schiffe befinden, ihr gellendes Quieken übertönt das Brüllen und Blöken jener ganz gewiß. Für sie werden auch die Räume auf dem Schiffsdeck eingepfercht, denn bei ihrer bekannten Widerspenstigkeit dürfte das Herablassen unter Deck seine großen Mißlichkeiten haben.

Doch auch die Rinder werden zuweilen, wenn eben der Raum unter Deck nicht ausreicht, auf demselben aufgestellt. Dann wird nicht jeder einzelne Ochse von einem Mann an den Ort geführt, wo ihm der Gurt angelegt wird, sondern der Trupp ohne Weiteres über die Brücke auf das Schiff getrieben. Dies ist oft ein hochlebendiges Bild. Die Landungsbrücke, insbesondere der eigentlich auf das Schiff führende Steg, sind, weil oft ganz schlüpfrig, mit Stroh belegt, damit die Thiere nicht ausgleiten und stürzen sollen. Aber trotzdem, wenn die gewaltigen Ochsen, ihre Treiber hinter sich, vorwärts drängen, geschieht es oft, daß einzelne stürzen und sich nicht gleich erheben können. Dadurch stockt die gesammte Heerde; einzelne machen Versuche zur Umkehr, es regnet Knüppelhiebe auf die Ochsennasen, und die ganze Energie der Treiber und Matrosen ist nöthig, um den Zug wieder in Gang zu bringen. Auf dem Schiffe selbst aber, wo sie ganz enge nebeneinander angebunden werden, verhalten sie sich vollkommen ruhig; nur die Stiere müssen mit mehr Umsicht behandelt werden, ja, es kam diesen Sommer vor, daß zwei Bullen, welche nicht gleich angebunden worden waren, in einem unbewachten Augenblicke plötzlich Kehrt machten und von dem Schiff über die Landungsbrücke wieder nach dem Lande rannten, Alles vor sich hertreibend. Ihre Anstrengungen halfen ihnen indeß nichts; noch ehe sie das eigentliche User erreicht, wurden sie von kräftigen Händen beim Strick erfaßt, und obgleich sie die Treiber noch eine ziemliche Strecke mit sich fortrissen, durch die nicht gesparten Nasenprügel bald zum Stehen und zur Umkehr gebracht.

Wie schon gesagt, stehen die Thiere auf dem Schiffe ganz eng aneinander gedrängt, so daß sie sich schlechterdings nicht legen können. Selbst bei der Kürze der Ueberfahrt, die höchstens einige Tage dauert, mag dies eine große Pein sein, denn der große Zeitvertreib, das Fressen, findet so gut wie nicht statt. Nur verhältnismäßig wenig Heubündel werden mitgenommen, um dem Nöthigsten zu genügen, so daß, wenn etwa durch Sturm eine Verzögerung der Ankunft geschieht, der Hunger die Thiere furchtbar peinigen muß. Stürme sind überhaupt für solche mit Schlachtvieh vollgeladene Schiffe eine doppelte Noth. In dergleichen Fällen muß manchmal, um das Schiff zu retten, ein großer Theil des Viehes über Bord geworfen werden, was an sich schon wieder mit der größten Schwierigkeit verknüpft ist, wie man sich sehr wohl denken kann.

Natürlich bezieht England seinen Bedarf an Schlachtvieh noch von vielen anderen Orten, doch ist Hamburg der Haupteinschiffungsplatz für das größere Hornvieh. Im Jahre 1866 wurden nach amtlichen Zusammenstellungen achtunddreißigtausend [608] dreihundertneunundvierzig Ochsen und Bullen und neuntausend sechshundertundvier Kühe für England verladen. Nächstdem folgt Frankreich mit neununddreißigtausend zweihundertvierundvierzig Stück Hornvieh, dann Holland, Schleswig-Holstein, Bremen, Spanien, Dänemark, Portugal, Schweden, Belgien, Rußland und noch viele andere Länder. Im Ganzen sind in dem genannten Jahre zweihundertundneuntausend hunderteinundsiebenzig Stück großes Hornvieh im Werthe von fast vier Millionen Pfund Sterling nach England geschafft worden, außerdem mehr als achtundzwanzigtausend Kälber, achtmalhunderttausend Schafe, vierundsiebenzigtausend Schweine, ferner zweihundertdreiunddreißigtausend Centner gesalzenes und frisches Ochsenfleisch (selbst von Australien schafft man jetzt frisches, in flüssigen Talg gepacktes Rind- und Hammelfleisch nach London, wo es das Pfund zu fünf Pence verkauft wird), fünfhundertachtundsiebenzigtausend Centner Speck, siebenundfünfzigtausend Centner Schinken, drei Millionen Großhundert (einhundertundzwanzig) Eier, fünfhunderttausend Centner Fische aus nichtenglischen Gewässern etc. Man sieht aus diesen Zahlen mit aller Augenscheinlichkeit, daß die Engländer den Werth der thierischen Nahrung zu schätzen wissen, sich dieselbe verschaffen, wo sie nur irgend zu haben ist, und sie sich auch ein gutes Stück Geld kosten lassen. Für die aufgeführten Nahrungsmittel bezahlte England im Jahre 1866 mehr als zehn Millionen Pfund Sterling oder siebenzig Millionen Thaler. Und in dieselbe Abtheilung muß man noch die jährliche Ausgabe von mehr als sechs Millionen Pfund Sterling für eingeführte Butter und zwei unddreiviertel Millionen Pfund Sterling für Käse rechnen. Der Einfluß, welchen dieser ungeheure Verbrauch von Nahrungsstoffen auf den Preis derselben ausgeübt hat, ist auf dem ganzen europäischen Continente zu spüren.