Aus alten Harz-Chroniken

Textdaten
Autor: Julius Bernhard von Rohr
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Titel: Aus alten Harz-Chroniken
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Herausgeber: Karl Reinecke-Altenau
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Quelle: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Jahr 1921
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Aus alten Harz-Chroniken.

Bernhard von Rohr, Merkwürdigkeiten des Vor- oder Unterharzes, 1748.

     Im vorigen Jahre brachte der Kalender eine uns modernen Menschen ergötzliche anmutende Harzreisebeschreibung des gleichen Verfassers. Diesmal geben wir seine allgemeinen Ansichten über den Harz wieder. Der Leser wird lächeln über mancherlei Unklarheit und Verworrenheit der damaligen geographischen Wissenschaft, anderseits wird er Dinge finden, die heute, nach fast 200 Jahren, noch genau so sind wie damals.


General Discurs
von dem Hartz überhaupt.


     Woher der Hartz seine Benennung erhalten, ist unter den Gelehrten noch sehr streitig; einige wollen dies Wort aus dem Teutschen, andere aber aus dem Griechischen herleiten. Unterschiedene sind der Meynung, daß das lateinische Wort Hercynia ein zusammengesetztes griechisch Wort sey... Andre leiten es von denjenigen griechischen Wort her, welches eine Vermachuung und Schutzwehr bedeutet, weil der Hartz-Wald bey den Kriegs-Zeiten gar bequem wäre, sich in demselben wider die Feinde zu schützen und darinnen zu verdecken.

     Ihrer viele halten es vor ein teutsches Wort, und meynen, der Hartz-Wald habe seinen Nahmen bekommen von dem Hartz, welches aus den Kiefern, Fichten und Tannen heraus triefft, weil man dieser Art Bäume in hiesigen Gegenden vor andern anträfe. Jedoch scheinet mir diese Meynung nicht gar glaubwürdig, inmassen in den urältesten Seiten dieser Hartz-Wald also benennet worden, da er doch, wie ich bald weiter sagen werde, sehr viel andere Wälder, und mancherley unterschiedene Arten Holzes in sich begriffen; man siehet auch noch jetzund, in dem sogenannten Unter-Hartze, mehr Laub-Holz-Bäume, Buchen und Eichen, als Harz-Bäume. Noch andere behaupten, daß sie es am besten treffen, wenn sie die Benennung von dem deutschen Wort Hart herleiten, inmassen sowohl das Land um den Hartz, als auch dessen An- und Einwohner harte wären, die Berg-Erze hier herum wären so harte, daß sie kaum durch Eisen und Pulver könnten gezwungen werden, die Lufft wäre so kalt und rauh, daß die Feldfrüchte an manchen Orten garnicht, an andre aber doch nur spate zur Reife gelangen könnten, die Einwohner wären harter Arbeit, harter Speise und einer harten Lebens-Art gewohnt. Ob nun wohl bereits in sehr alten Zeiten die hiesige Gegend Hartingow genennet worden, so lasse doch dahin gestellt seyn, ob das teutsche Wort Hart zu diesen Nahmen Gelegenheit gegeben. Ein jeder kann sich hiervon diejenige Meynung auslesen, so ihm am besten gefällt, ich halte davon, daß wenig oder nichts daran gelegen, und auch alle zusammen ungewiß: Gewisser hingegen ist es, daß derjenige Wald, den die alten Römischen Scribenten Silvam Hercyniam genennet, einen erschrecklichen Umfang in sich gefasset, und beynahe durch gantz Teutschland gegaringen......

     Wie nun in den ehemaligen Zeiten die Grentzen des Umfangs der Silvae Hercyniae schwer zu bestimmen gewesen, also kan man auch noch jetzund schwerlich sagen, wie weit die Länge und Breite des Hartzes sich erstrecke, und giebet einer dieses Maaß davon an, ein anderer wieder um ein anderes, nachdem er entweder feine Absicht gerichtet hat auf die Gegend des Brockens und anderer benachbarten Berge, oder auf diejenigen Wälder, die er zu dem Hartz-Wald mitrechnen will. Wie kan man auch bey einer solchen Sache, bey der man nicht weiß, woher man die Grentzen ihres Anfangs und Aufhörens setzen soll, etwas accurates bestimmen? Magister Zeitfuchs schreibet in seiner Stolbergischen Chronica dem Hartz-Walde in der Länge ein 12 Meilen von Morgen gegen Abend, in der Breite aber ein 4 bis 5 Meilen zu......

     Es verstehen zwar die meisten, sowohl von alten als neueren, wann sie von dem Hartze reden, gewisse Wälder, die sich als Stücke des ehemaligen grossen Hartz-Waldes ansehen; also sagt Winnigstad in seinem Chronico Halberstadensi, daß anno 1590 der Hartz in den Graffschaften Wernigerode, Regenstein, Hohenstein und andern benachbarten Holzungen zu brennen angefangen, und etzliche Wochen gebrannt, daher 400 Bürger aus Halberstadt und alles Landvolck dahin ziehen müssen, um selbigen zu löschen, es wäre ihnen aber unmöglich gewesen. Inzwischen finden sich auch einige, welche unter dem Worte Hartz das Gebürge verstehen; also sagt Melissantes in seiner Geographie: Zwischen den Braunschweigischen um Goslar herum, und dem Thüringischen Lande, ist das grosse Gebürge der Hartz, lateinisch Silva Hercynia, von dem Gebürge Hercinia, so durch gantz Teutschland gegangen, darauf die vier Berg⸗Städte sind, als Zellerfelde, der Wildemann, Grunde und Lautenthal......

     Daß der Hartz, man mag nun auf die Gebürge oder Wälder sehen, weil ohnedem die meisten Gebürge in den hiesigen Gegenden mit lauter Waldung besetzt, in den Ober- und Unter-Hartz eingetheilet [16] getheilet wird, ist eine Sache, die Gelehrten und Ungelehrten bekandt ist; wenn man aber eigentlich anzeigen soll, an welchen Orten die Grenzen des Ober-Hartzes oder Unter-Hartzes sich anfangen und endigen, verfällt man wieder in eine grosse Ungewißheit.

     Mehrenteils nennet man den Ober-Hartz denjenigen Strich des Landes, so hinter dem Brocksberge liegt, oder ganz nahe um den Brocksberg herum. Also gehören eigentlich zu den Ober-Hartz nach den Urtheil des Gelehrten Herrn Doct. Bruckmanns, der ein grosser Kenner dieser Gegenden ist, die sieben Bergstädte, als Clausthal, St. Andreas⸗Berg, Altenau, Zellerfelde, Wildemann, Grunde und Lautenthal. Die ersten drey gehören Ihro Königl. Majest. von Groß-Britanien, die letztern sind in Communione, und gehören theils Ihro Königl. Majest. theils Ihro Hochfürstl. Durchl. dem Herzog zu Braunschweig und Lüneburg.....

     Den Unter-Hartz nennet man, meines Erachtens, diejenigen Gebürgischen Gegenden, die in den Graffschaften Mansfeld, Stolberg, in den Fürstenthümern Anhalt, Harzgerode, Halberstadt und Schwarzburg-Sondershausen, nach den Abend und Mitternacht zu liegen, und sich von dem ebenen Lande absondern. So bald sich nun diese höheren Gegenden zekgen, das Land unfruchtbarer, und die Lufft rauher wird, so fängt man an sie den Unter-Hartz zu nennen.

     Wie nun der gütige Schöpfer einem jeden Lande so viel gutes mitgetheilet, als möglich gewesen, also findet man auch in dem Hartz, so wilde und rauh manchen diese Gegenden vorkommen möchten, allenthalben Fußstapfen der göttlichen Güte ... Vor allem andern ist der Hartz ein reiches Magazin der unterirdischen Schätze; man findet hier nicht allein mancherley Arten der Metalle und Mineralien, sondern auch viele Gattungen von besonders figurirten Marmor und Alabaster ... und Steinkohlen in grosser Menge.

     Obschon dem Ober-Hartz mancherley Arten des Getreydes versagt sind, so sind die benachbarten und angrentzenden Oerter davor so reichlich gesegnet, daß sie mit ihrem Ueberfluß deffen Mangel zu statten kommen können. Die Nachbarn aus Nordhausen, Quedlinburg usw. führen sowohl zu ihrer eigenen, als auch zur Bequemlichkeit der Einwohner des Hartzes, ihr Getreyde in großer Quantität dahin, und nehmen davor aus dem Hartz das schöne Silber-Geld mit zurücke. Die Viehzucht ist auch in den Gebürgischen Gegenden gemeiniglich in bessern Stande, als an andern Orten, theils weil das Graß, so auf den Bergen und in den Thälern wächst, zärter, süsser und dem Vieh gedeylicher, theils auch und insonderheit, weil es mit vielen gesunden Kräutern vermenget, die man an andern Orten auf der Ebene nicht so findet.

     Ein Liebhaber der Antiquitäten und der Natur-Wissenschaft hat hierum mancherley Objecta vor sich, die ihn zur Bewunderung des Schöpfers und zur Unterhaltung seines Vergnügens guten Anlaß geben können, auch eines und das andere unbekandte zu erlernen und zu erfahren. Es zeigen sich hier in grosser Menge die Rudera von vielen Berg- und Raub-Schlössern, theils weil diese wilden Gegenden denen, die sich von andern menschlichen Gesellschaften absondern, und ihre Andacht in aller Stille unterhalten wollen, gar bequem gewesen, theils auch, weil man zu Kriegs-Zeiten die hohen Berge und Felsen ausgesucht, um sich wieder die Gewalt der Feinde desto besser zu schützen. Wie nun die alten Ueberbleibsel der Raub-Schlösser, Berg-Vestungen und Clöster, die hin und wieder von den Bergen hervor ragen, den Augen einen gantz angenehmen Prospect geben; Ao findet man nicht weniger bey den tiefen Thälern, bey denen besonderen Höhlen und verborgenen Klüfften, die auch in ihren innersten unterschiedene Curiosa in sich halten, eine angenehme Abwechselung.

     Was die Beschaffenheit der Einwohner des Hartzes anbetrifft, so wollen ihrer viele ihnen beymessen, daß sie gröber und plumper wären als die an andern Orten ... Es ist ein unbegründeter Vorwurff, wenn man den Hartz-Leuten ohne Unterschied ein grobes und plumpes Wesen zuschreiben will. Sie sind in Ansehung ihres Verstandes, Einfalt, Grobheit und Höflichkeit, Tugenden und Lastern, von den übrigen Teutschen nicht unterfchieden ... Daß die Leute hiesiger Gegenden vor andern grober und harter Speisen gewohnet, hat seine Richtigkeit. Daß man ihnen aber wegen der Kälte und rauhen Gegenden, in welchen sie gebohren und erzogen werden, schlechterdings beylegen könte, daß sie fähig wären, die Kälte mehr zu vertragen als andere, ist ebenfalls unrichtig. Weil es ihnen an Holtze nicht fehlet, so sind auch die meisten gewohnt, den gantzen Sommer einzuheitzen, und suchen eine warme Stube, sobald nur ein kalter Wind gehet; An einigen Orten wird eine solche unnöthige Verschwendung mit dem Holz getrieben, daß sie es den Hartz-Staat nennen, wenn sie in der Stube scharf einheitzen, und dabey Fenster und Thüren aufmachen ...

     Die wilden Gegenden des Hartz-Waldes, so rauh und unfruchtbar sie den fremden vorkommen, haben doch in diesem Stück vor den andern etwas zum Voraus, daß man in hiesigen dicken Waldungen, hohen Gebürgen und tiefen Klüfften, weniger von Mordthaten und Rauberenen höret, als auf andern Land-Strassen, die auf der Ebene angeleget, mit vielen Dörfern besetzt sind, und wo wenig oder [17] gar keine Waldungen zu spühren. Die Haupt-Raison hiervon ist wohl diese, weil diese waldigte Gegenden bey Tag und Nacht, zur Winter- und Sommerszeit, entweder mit Viehhirten, oder Jägern und Förstern, Kohl-Brennern und Berg-Leuten besetzt sind, die stets etwas darinnen zu handthieren haben, und also auf dergleichen böses Gesindel eher ein Ansehen haben als an andern Orten.