Pfeil Der Titel dieser Seite ist mehrdeutig. Für das Gedicht von Julius Wolff siehe Aus Sturmes Not.
Textdaten
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Autor: Richard Stecher
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Titel: Aus Sturmes Not!
Untertitel:
aus: Die redenden Künste (Leipziger Konzertsaal.) Zeitschrift für Musik und Litteratur unter spezieller Berücksichtigung des Leipziger Musiklebens. 1895/96, Heft 23, Seite 737-8
Herausgeber: Friedrich Wild und Paul Alexander Wolff
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Constantin Wilds Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
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Quelle: Internet Archive
Kurzbeschreibung: Gedicht
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[737]
Aus Sturmes Not![1]
Von Richard Stecher

„Hörst Du nicht, Klaus? Steh auf!
Draussen da sitzt ein Schiff auf der Barre!
Hörst Du den Schuss? - s'ist höchste Zeit!
     Eile, ich hole die andern!“

5
Und nun von dem Fenster stürzt weg der Rufer,

Gellend erklingt eine Stimme durchs Dorf,
hastig greift jeder der Fischer zum Kleide,
Stülpt sich aufs Haupt den alten Südwester,
     Eilt dann zum Ufer. -

10
Männer und Frauen und Kinder und Greise

Sich dort versammeln. Und jedes Auge
     Richtet sich nach dem Riffe.
„Siehst Du nicht dort, dort ganz zur Linken,
Da, wo die scharfe Spitze sich hebt,

15
Siehst Du das Schiff, wie es da schwebt

     Zwischen den Wassern?“
„Brausend stürzt sich die See darüber,
     Rettungslos ist es verloren!“
„Und in dem Tauwerk die Schiffsbesatzung

20
Klammert sich fest und kämpft mit der Tiefe,

Die ihren gierigen Arm schon ausstreckt,
     Sie zu umschlingen.“ -

„Rettungsboot klar!“

Ausgebracht ist's schon und alles bereit. -

25
     „Doch wo ist Harro?“

Harro, der mächt'ge, blondlockige Riese,
Dessen Auge die Nebel durchdringt,
Dessen Arm die Wogen bezwingt,
Er, der mutig beherzte Führer.

30
     „Sagt, warum fehlt er?“


„„Drüben im Nachbardorf - hofft nicht sein' Rückkunft!““

Länger können sie nicht warten. -

„Jürgen, nimm Du die Führung!“

     „„Sei es!““ -

35
„„Mann jetzt an Bord und Du, Klaus, ans Steuer!““


In die Riemen fassen die schwieligen Hände,
Hochaufatmend die Brust sich hebt. -
Und nun zum Kampf in die Brandung!

Wild wirft die See sich ihnen entgegen.

40
Wogengraus! Schäumende Wellenberge

Stürzen ins Boot, Gischt spritzt ins Antlitz,
     Und zurück prallt der Kahn.

     Aber kein Zaudern!

„Jetzo aufs neue! - Fasst fester! - Legt ein jetzt!“

45
Und mit kräftigem Ruck schiesst das Boot hin,

Hin durch die bäumenden, schäumenden, hemmenden,
stemmenden, stürzenden Wände des Wassers!

     Gott sei gedankt! Es glückt! -

„Jetzo zum Wrack!“ -- Da sind sie, sie klimmen

50
Rasch jetzt empor, jetzt bringen sie einen,

Jetzo die andern der Mannschaft zur Bergung,
     Nur noch ein einziger fehlt! -
An des Mastes Höhe hat er sich gebunden,
Und nirgends ist Möglichkeit sich ihm zu nähern

55
     Und das Boot überfüllt!


Und die wütenden Wellen erbrausen aufs neue,
Und mit furchtbar'm Gebrüll sie die Opfer heischen,
     Die schon so sicher in ihrer Hand. -

Höchste Zeit ist's, sonst verschlingt sie die Tiefe! -

60
     „Lasset das Schiff!“

Das Kommando ertönt, sie gehorchen. -

Gegen das Land fliegt der Kahn mit der schwer errungenen Beute,
Brandung wird überrannt ... jetzo gelandet:
     Glücklich gerettet.

65
     Am Ufer stehn Frauen und Kinder. -

Sorgenden Blicken sie folgten dem Wracke. -
     Und in der Mitte, sie all' überragend,
Sieh', da ist Harro!

Eilenden Schrittes war er gekommen, doch war's zu spät.

70
     Zu den Genossen er fliegt.

„Sind sie alle gerettet?“ so lautet kurz seine Frage.
„„Nur ein einziger fehlt, hoch oben hing er im Tauwerk,
s' war uns unmöglich!““

Da blickt er fragend umher: „Wer hilft mir, dass ich ihn rette?“ -

75
Und als die Köpfe sie senken, und als sie verzweifeln,

„Nun, so geh' ich allein!“ ruft er und springt in das Boot.

Siehe, da nahet sich langsam die alte, gebrechliche Mutter,
Weiss fliesst ihr Haar ihr ums Haupt und zitternd nur trägt sie der Fuss.
..............

  1. Am Schriftstellerfest in Leipzig mit grossem Beifall aufgenommen.

[738]
„Harro, geh nicht“, so bittet sie, „bleibe zurücke!

80
Denk an des Vaters Tod ... denke an Uwe!“ -


Den Vater hatte einst das Meer verschlungen,
Als er mit ihm um seine Beute rang. -
     Und Uwe?
Es waren lange Jahre schon verflossen,

85
Seitdem ihr Jüngster in die Welt hinausgezogen

Auf schmuckem Schiff, doch nimmer wieder
     War er zurückgekehrt:
Auch er schlief wohl den Schlaf im Schoss des Meeres.

Und wieder bittet sie: „O gehe nicht, mein Harro!

90
O bleibe hier um Deiner Mutter Liebe!“ -

„„Und jener draussen? ... denkst Du nicht,
Dass auch um ihn ein Mutterherz zum Himmel betet?““ -

     Da schweigt sie still.

Zum Ruder greift er, und noch vier Genossen

95
Sie folgen ihm ins Boot, zu teilen kühn sein Wagnis.


Schwer ringen sie sich durch zum Wracke,
Schon schlagen dort die Wellen hoch darüber,
Frohlockend, dass ein Opfer ihnen doch geblieben!

Gar schwer ist's und gefährlich nah zu kommen,

100
     Doch es gelingt.


An den Wanten klettert der Führer hinauf!

Und mit unsäglicher Mühe löst er den Armen,
Bringt ihn herunter und legt ihn ins Boot.

Und mit letzter Kraft sie kehren zurücke,

105
Durchbrechen der Brandung tobende Flut,

Und im wirbelnden Kahne mit siegendem Blicke,
Die Hand hoch erhoben, steht Harro und winkt,
Und jubelnd es durch die Brandung erklingt:
„Gott half uns! Der, den wir vom fremden Kutter

110
Gerettet, 's ist Uwe, o sagt's schnell der Mutter!“