Aus Sturmes Not!
Der Titel dieser Seite ist mehrdeutig. Für das Gedicht von Julius Wolff siehe Aus Sturmes Not. |
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Aus Sturmes Not![1]
Von Richard Stecher
„Hörst Du nicht, Klaus? Steh auf!
Draussen da sitzt ein Schiff auf der Barre!
Hörst Du den Schuss? - s'ist höchste Zeit!
Eile, ich hole die andern!“
Gellend erklingt eine Stimme durchs Dorf,
hastig greift jeder der Fischer zum Kleide,
Stülpt sich aufs Haupt den alten Südwester,
Eilt dann zum Ufer. -
Sich dort versammeln. Und jedes Auge
Richtet sich nach dem Riffe.
„Siehst Du nicht dort, dort ganz zur Linken,
Da, wo die scharfe Spitze sich hebt,
Zwischen den Wassern?“
„Brausend stürzt sich die See darüber,
Rettungslos ist es verloren!“
„Und in dem Tauwerk die Schiffsbesatzung
Die ihren gierigen Arm schon ausstreckt,
Sie zu umschlingen.“ -
„Rettungsboot klar!“
Ausgebracht ist's schon und alles bereit. -
Harro, der mächt'ge, blondlockige Riese,
Dessen Auge die Nebel durchdringt,
Dessen Arm die Wogen bezwingt,
Er, der mutig beherzte Führer.
„„Drüben im Nachbardorf - hofft nicht sein' Rückkunft!““
Länger können sie nicht warten. -
„Jürgen, nimm Du die Führung!“
„„Sei es!““ -
In die Riemen fassen die schwieligen Hände,
Hochaufatmend die Brust sich hebt. -
Und nun zum Kampf in die Brandung!
Wild wirft die See sich ihnen entgegen.
Stürzen ins Boot, Gischt spritzt ins Antlitz,
Und zurück prallt der Kahn.
Aber kein Zaudern!
„Jetzo aufs neue! - Fasst fester! - Legt ein jetzt!“
Hin durch die bäumenden, schäumenden, hemmenden,
stemmenden, stürzenden Wände des Wassers!
Gott sei gedankt! Es glückt! -
„Jetzo zum Wrack!“ -- Da sind sie, sie klimmen
Jetzo die andern der Mannschaft zur Bergung,
Nur noch ein einziger fehlt! -
An des Mastes Höhe hat er sich gebunden,
Und nirgends ist Möglichkeit sich ihm zu nähern
Und die wütenden Wellen erbrausen aufs neue,
Und mit furchtbar'm Gebrüll sie die Opfer heischen,
Die schon so sicher in ihrer Hand. -
Höchste Zeit ist's, sonst verschlingt sie die Tiefe! -
Das Kommando ertönt, sie gehorchen. -
Gegen das Land fliegt der Kahn mit der schwer errungenen Beute,
Brandung wird überrannt ... jetzo gelandet:
Glücklich gerettet.
Sorgenden Blicken sie folgten dem Wracke. -
Und in der Mitte, sie all' überragend,
Sieh', da ist Harro!
Eilenden Schrittes war er gekommen, doch war's zu spät.
„Sind sie alle gerettet?“ so lautet kurz seine Frage.
„„Nur ein einziger fehlt, hoch oben hing er im Tauwerk,
s' war uns unmöglich!““
Da blickt er fragend umher: „Wer hilft mir, dass ich ihn rette?“ -
„Nun, so geh' ich allein!“ ruft er und springt in das Boot.
Siehe, da nahet sich langsam die alte, gebrechliche Mutter,
Weiss fliesst ihr Haar ihr ums Haupt und zitternd nur trägt sie der Fuss.
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- ↑ Am Schriftstellerfest in Leipzig mit grossem Beifall aufgenommen.
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„Harro, geh nicht“, so bittet sie, „bleibe zurücke!
Den Vater hatte einst das Meer verschlungen,
Als er mit ihm um seine Beute rang. -
Und Uwe?
Es waren lange Jahre schon verflossen,
Auf schmuckem Schiff, doch nimmer wieder
War er zurückgekehrt:
Auch er schlief wohl den Schlaf im Schoss des Meeres.
Und wieder bittet sie: „O gehe nicht, mein Harro!
„„Und jener draussen? ... denkst Du nicht,
Dass auch um ihn ein Mutterherz zum Himmel betet?““ -
Da schweigt sie still.
Zum Ruder greift er, und noch vier Genossen
Schwer ringen sie sich durch zum Wracke,
Schon schlagen dort die Wellen hoch darüber,
Frohlockend, dass ein Opfer ihnen doch geblieben!
Gar schwer ist's und gefährlich nah zu kommen,
An den Wanten klettert der Führer hinauf!
Und mit unsäglicher Mühe löst er den Armen,
Bringt ihn herunter und legt ihn ins Boot.
Und mit letzter Kraft sie kehren zurücke,
Und im wirbelnden Kahne mit siegendem Blicke,
Die Hand hoch erhoben, steht Harro und winkt,
Und jubelnd es durch die Brandung erklingt:
„Gott half uns! Der, den wir vom fremden Kutter