Auerswald und Lichnowsky/Rechtliche Würdigung

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aus: Auerswald und Lichnowsky
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von: Christian Reinhold Köstlin
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Rechtliche Würdigung.
Gesammtansicht über das begangene Verbrechen.

Es liegt ein Verbrechen vor, an welchem näher oder entfernter eine große Mehrheit von Personen sich betheiligt hat. Zugleich hatte aber die vorliegende Beurtheilung nur die Akte von drei Personen zum Gegenstand, welche jedenfalls nur einen sehr mäßigen Bruchtheil des Ganzen ausmachen. Denn nicht nur sind mehrere Theilnehmer, zum Theil die am meisten beschwerten, im J. 1850 von einem kurhessischen Schwurgerichtshof abgeurtheilt worden, sondern es ist auch noch eine große Anzahl Andrer, die nach allen Anzeichen zu den Hauptschuldigen gehören (wie Buchsweiler, Escherich, die Meloschs u. A.) auf flüchtigem Fuße.

Diese Begrenzung des nächsten Gegenstands der Beurtheilung überhob jedoch die hier zu gebende Darstellung nicht der Aufgabe, über jene Grenzen hinauszugehen und in dem Gesammtbild der Handlung zugleich die Akte der übrigen Theilnehmer in’s Auge zu fassen.

Aus diesem Grunde ist schon der Darstellung des Faktums eine breitere Grundlage gegeben worden, ohne welche das über die vorliegenden Angeschuldigten Vorzutragende [60] gar nicht verständlich sein würde. Es war jedoch die Auszeichnung des ganzen Gemäldes nicht bloß deßhalb nöthig, um diese Einzelakte überhaupt an der gehörigen Stelle und im rechten Lichte erscheinen lassen zu können; sondern es setzte auch die rechtliche Würdigung der Akte der hier zunächst zu beurtheilenden Personen ein Gesammtbild des ganzen Vorfalls in rechtlicher Beziehung als Folie voraus. Sollte sie nicht die Gefahr der Unsicherheit und lästiger Wiederholungen laufen, so mußten vorerst einige Vorfragen erörtert werden, deren vorläufige Beantwortung zwar die Erörterung in Betreff der einzelnen Angeschuldigten nicht zum Voraus binden und einseitig machen, wohl aber zur Orientirung und wesentlichen Erleichterung der Hauptaufgabe dienen sollte.

Als eine solche Vorfrage erschien zunächst die: Ist anzunehmen, daß die einzelnen gegen die beiden Abgeordneten ausgeführten widerrechtlichen Handlungen absichtlich und zwar mit Vorbedacht unternommen worden seien?

Die erstere Frage war nach allen vorliegenden Umständen so unbedenklich und ohne Zweifel zu bejahen, daß darüber kaum ein Wort verloren zu werden brauchte.

Was dagegen die Frage betraf, ob ein Handeln mit Vorbedacht oder im Affekte anzunehmen sei, – so konnten für Ersteres mehrere Gründe geltend gemacht werden.

Schon die längere Zeit, welche von den ersten Vorfällen am Friedberger Thore an bis zu dem Tode der beiden Verfolgten verfloß, die entschiedene Beharrlichkeit, womit die Theilnehmer gehandelt haben, schienen auf’s Bestimmteste die Annahme eines Handelns im Affekte auszuschließen. Deßgleichen der Umstand, daß – wenn auch [61] nicht von Allen – doch jedenfalls von mehreren Betheiligten ein auffallend höhnendes und verletzendes Betragen beobachtet *), – sowie daß von ihnen nachher überall keine Reue, kein Gewissensbiß gezeigt, sondern umgekehrt mit Verübung der fraglichen Verbrechen bei jeder Gelegenheit großgethan wurde **).

Dagegen war jedoch anzuführen, daß selbst der höchste Grad des Affekts oft noch weit länger fortdaure, als es hier vorausgesetzt werden müsse, und daß Beharrlichkeit [62] nach täglicher Erfahrung gerade als charakteristische Eigenschaft des Affekts erscheine. Es konnte bemerkt werden, daß der angebliche Mangel an Reue an sich nichts gegen die Annahme eines blos affektvollen Handelns beweise und daß es überdies noch überhaupt zweifelhaft bleibe, ob nicht bei dem einen oder andern in der That Reue vorhanden gewesen sei und derselbe gerade die Regungen seines Gewissens durch jene Großsprechereien zu übertäuben gesucht habe.

Jedenfalls schienen für die Annahme, daß die Betheiligten im Affekt gehandelt haben, folgende Gründe in überwiegender Weise zu sprechen.

1) Die Ereignisse der Zeit überhaupt, insbesondere die der unmittelbar vorangegangenen Tage, der Eindruck, den die Genehmigung des Waffenstillstands von Malmö machte, die Versammlung auf der Pfingstwaide etc. – bereiteten die Gemüther für jeden Ausbruch der Leidenschaft vor.

2) Die Ereignisse des Tags selbst, an dem das Verbrechen begangen wurde, besonders der offen ausgebrochene Straßenkampf, ließen für Ruhe und Ueberlegung keinen Raum. Die sogenannte Volksparthie glaubte einmal in ihrem Rechte zu sein; sie sah in der Gegenparthei nur Leute, welche die Ehre der Nation geopfert hätten, welche darauf ausgiengen, das Volk zu verrathen, zu überlisten, zu tödten. Zu diesem Zwecke, hieß es, sei das Militär von Mainz herbeigezogen worden, und was man von diesem Militär zu erwarten habe, davon liefre der Bajonettangriff vor der Paulskirche, wie der gerade jezt ausgebrochene Barrikadenkampf den Beweis.

3) In dieser Stimmung der Aufregung bildeten sich [63] die einzelnen Gruppen, von welchen die Verfolgung ausgieng. Die jezt folgenden Ereignisse aber waren offenbar nicht geeignet, die jenen Gruppen von Anfang an fehlende Ruhe und Besonnenheit herzustellen. Schon der bloße Anblick der beiden Reiter, namentlich des der sogenannten Volksparthie so besonders verhaßten Fürsten Lichnowsky warf einen neuen Funken in den bereits aufgehäuften Zündstoff. Von dem Standpunkte der Verfolgenden aus konnte man es sich gar nicht als möglich denken, daß ein Mann wie Lichnowsky gerade jezt einen harmlosen Spazierritt unternehmen sollte, man konnte diesem nur eine volksfeindliche Absicht unterlegen.

4) Wenn somit schon die Verfolgung im Affekte begann, so mußte dieser im Laufe derselben sich nur noch steigern. Das fortwährende Toben und Brüllen ließ der ruhigen Ueberlegung keinen Raum. Das wiederholte Hin- und Hersprengen der Reiter mochte fast als Hohn und Geringschätzung gegen die Verfolger gedeutet werden. Das (freilich falsche) Gerücht endlich, daß die Verfolgten auf das Volk geschossen hätten, mußte den Affekt fast zur Wuth steigern *).

[64] Eine zweite Vorfrage war diese: Ist anzunehmen, daß die Betheiligten im Komplott gehandelt haben? und zwar in einem sämmtliche verbrecherischen Akte, auch die Tödtung, umfassenden Komplott?

Zu weit gegangen war es ohne Zweifel, wenn die Untersuchung in Frankfurt und in Kurhessen die Fäden bis auf die am 17. Sept. auf der Pfingstweide von Zitz und Genossen gehaltenen Reden und den am 16. d. M. an der Westendhalle zu Frankfurt a/M. begangenen Hausfriedensbruch zurückzuführen suchte.

Allerdings war um jene Zeit das Gerücht sehr verbreitet, daß ein Komplott gegen die hervorragenden Mitglieder der rechten Seite des Parlaments geschmiedet sei. Die gewaltthätige Behandlung, welche der damalige Reichsminister Heckscher an demselben Tage (18. Sept.) in Höchst zu erleiden hatte, gab diesem Gerüchte einigen Bestand, und die genauere Verbindung schien sich durch die Thatsache zu ergeben, daß mehrere der Angeschuldigten erweislich am Sonntag (17. Sept.) auf der Pfingstwaide anwesend gewesen waren. –

Der jetzige großh. hessische Minister v. Dalwigk übermittelte durch Herr v. Eigenbrodt die Anzeige, daß die Mörder der beiden Abgeordneten auf dem Dampfboot von Mannheim nach Straßburg nicht nur mit ihren Thaten geprahlt, sondern auch namentlich erzählt hätten, es seien [65] ihnen von mehreren Abgeordneten der National-Versammlung in Beziehung auf ihr Verbrechen bedeutende Versprechungen gemacht worden. Allein die Vernehmung der Passagiere des Dampfschiffs hat für das letztere keine Bestätigung geliefert.

Eine weitere Bestätigung schien der Ginnheim-Bockenheimer Freischaarenzug zu liefern, und zwar deßhalb, weil von einigen Seiten angegeben wurde, Daniel Georg, der Vermittler mit dem demokratischen Heerde in Frankfurt, habe als Ordre aus der Stadt mitgebracht, in einer Stunde müsse jeder von der Rechten an einer Orgelpfeife hangen, und derselbe habe von Stricken gesprochen, die im Kirschenwäldchen bereit seien.

Allein eine Menge Zeugnisse bekunden, daß jener Dan. Georg selbst über die wahre Sachlage sehr im Unklaren, bloßes untergeordnetes Werkzeug, vor Allem ein Maulheld und Prahlhans, überall, wo es Muth galt, feig und nicht einmal bei der Mehrzahl seiner Genossen gehörig geachtet war, um als ihr Führer gelten zu können.

Zwar nennt ihn J. Müller den Magnet, an dem Alle gehangen hätten. Allein derselbe erzählt sehr despektirlich von Georg’s Feigheit, Eitelkeit, seinem kindischen Kommando; anderswo heißt es in den Akten: “Der Kerl ist nämlich bei allen Vereinen, auch beim Vaterlandsvereins; da haben sie ihn aber ausgestoßen.“ Ueber sein Bramarbasiren, seine Feigheit, seine Prahlereien nach der That liegen Zeugnisse in Menge vor.

Jedenfalls waren aber diejenigen, zu deren Rathgeber und Führer er sich berufen hielt, noch um ein Gutes unklarer, als er selbst.

Konr. Hofmann sagt: Er habe es so im Herzen [66] gehabt: es solle gegen das Parlament gehen – wegen des Waffenstillstands. Was aber eigentlich mit dem Parlament gemacht werden sollte, sei ihnen nicht gesagt worden.

Joh Hennig giebt an: „Der Berliner ließ merken, daß was Festes war beschlossen worden. Aber weil er in Berlin ist groß gezogen worden, hat er immer soviel lateinische Worte an sich, von denen ich wirklich sagen muß, daß ich sie nicht verstehe. Er sprach viel vom Parlament und nannte vielmal die Rechte und Linke. Allein was? das hörte ich doch nicht recht.“

G. Schmunk erzählt, wie Georg über die Versammlung im Greber´schen Lokal, über die Reden von Ludw. Simon, Zitz, G. Metternich referirt habe, und sagt dann: „Er brachte einen Waffenstillstand in Erwähnung, den der König von Preußen haben wolle, und daß die Rechte nicht auf der Seite des Volks wäre. Die Linke solle sich als pergament – oder wie man’s heißt – erklären.“ Einer habe dem Georg unterwegs fortwährend Vorwürfe darüber gemacht, daß er bei der Auseinandersetzung des Zwecks des Zugs nicht laut und verständlich genug gesprochen habe. „Ich verstehe nicht, was pergament ist; das hat keiner von uns verstanden.“

Jakob Häusler sagt: „Die Frankfurter Turner sind am meisten Schuld. Die sind alle Abende gekommen. Die Frankfurter sind merkwürdig gelehrte Kerle. Die haben alle Abend was Neues in unsrem demokratischen Turnverein vorgebracht. Da war vom Fürstenjoch und daß die Fürsten uns Alle schlucken wollten, und daß uns die Preßfreiheit genommen werden sollte, und daß die Republik eingeführt wird, – und von viel so Sachen die Rede. Wir sollten uns jezt einen ganz andren Sinn anschaffen [67] und nicht mit unsern Schätzen die Zeit versäumen. Wir sollten uns Gewehre anschaffen statt einer Fahne. Man hat jeden Abend mehr Zorn und Haß gekriegt gegen seine Vorgesetzten. Wir sollten nur auf die Republik denken; wenn es einmal losgienge, dann wäre ein Fetzen rothes Tuch an einer Stange genug. – Am Sonntag Abend hat man uns zugeredet, wir sollten Alle am Montag herein, aber bewaffnet, und wenn die Thore geschlossen wären, dann wollten sie uns schon aufmachen. Es wurde da verabredet, die Leute im Parlament sollten alle vor die Thüre treten und müßten nicht blos schriftlich, sondern mündlich sagen, daß sie Volksverräther wären. Wenn die da so einen rechten Haufen sähen, so würden die aus dem Parlament Furcht kriegen und das sagen, und das wäre ein rechter Schimpf für sie, – der Metternich hätte das vorgeschlagen. Deswegen ist Alles hinein. – Es war ein Volksanruf von der Linken. Schon 14 Tage vorher hat ein Frankfurter in unsrer Versammlung uns zergliedert, daß, ehe 4 Wochen vergiengen, ehe der Thau falle, es losgehen werde. Er meinte damit, wie Alle, die republikisch gesinnt, daß, wenn die Früchte zu Haus wären, dann gienge es an. Diese Klasse von Menschen sind aber zu pfiffig; die drücken sich nicht so aus, daß man sie berufen kann; aber sie legen es einem auf die Zunge. Mir selbst wurde geheißen, ich sollte ein Paar Herrn fortjagen, die davon sprachen, Schleswig wolle zu Dänemark, und welche Parlamentsherrn sein sollten. – Dann hat ein Frankfurter Jud, – er zwickert immer mit den Augen und guckt durch ein Glas, – auch was gesagt: derselbe Jud war in diesem Sommer einmal bei uns und hat uns allerlei liberale Sachen, z. B. Briefe des Kurfürsten von Hessen [68] und des Königs von Preußen vorgelesen. Vor dem deutschen Haus am Sonntag Abend hat der Esselen auch eine Anrede gehalten. Unsre Meinung war, es sollten Reden gehalten werden; – es wurde etwas erwartet, ich wußte nur nicht was. – Vom Waffenstillstand ist bei uns nicht die Rede gewesen, außer daß ein Frankfurter Turner was herbeigebracht hat vom König von Preußen, der die Menschheit hintergangen hätte. – Ich versichere Sie, daß die Frankfurter seit 14 Tagen den ganzen Krawall schon vorhergewußt haben. Sie haben gesagt, die Linke wolle jetzt noch eine Zeit lang fortwirken, dann aber wollten sie das Volk anrufen. – Der Hermann war immer der Schlimmste in unsrem Verein, der hat alle Abend was Neues gewußt, der hat sich immer zum Derlam gehockt; denn der hatte Geld, und der Hermann keins; und, wenn der Derlam im Wirthshaus ist, kommt’s ihm auf 1–7 fl. nicht an. – Die Frankfurter haben unserem Verein die Statuten gemacht, nämlich republikanische, z. B. haben sie uns erzählt von einer allgemeinen deutschen Bank, wo die Geldsäcke all ihr Geld hinthun müßten, und daß ein Fabrikant, z. B. der Herr Reifert hier nicht mehr Arbeiter haben dürfe, als er beschäftige, etwa 20, nämlich ohne Werkführer; – kein Fabrikant und Geschäftstreibender dürfe Werkführer haben, damit der arme Man auch was zu verdienen bekäme. Da hat sich Jeder von uns schon darauf gefreut, daß wir was verdienen würden.“

Auch dieser naive Zeuge sagt übrigens zuletzt, auf der Pfingstweide habe man ihnen nicht blos gesagt, daß sie die gegen die Linke auftretenden Redner fortjagen, sondern auch, daß sie dieselben „tischen“ sollten.“

H. Weber hat von der Versammlung auf der [69] Pfingstweide nur mitgebracht, daß das Parlament gestürmt, – gestürzt werden solle. – Weiter will auch J. Müller am Vormittag nicht von Georg vernommen haben. Er sagt, es sei nach Georgs Abgang von Generalmarsch und Preußen erzählt worden, die mit gefälltem Bajonett in der Stadt herumliefen. „Nach dieser Erzählung sahen wir uns an und zogen nicht mehr recht.“ – Nach seiner Erzählung sind die Aufforderungen des wiedergekehrten Berliners nicht gehörig vernommen und kühl aufgenommen worden. Erst durch die Erscheinung des Buchsweiler mit zwei andern Wühlern sei die Flamme wieder angeblasen worden (anderweitig mehrfach bestätigt). – Er fügt noch von Georg bei: „Der Berliner hat (am Montag Morgen) getobt und gewirthschaftet, wir müßten und müßten Hand anlegen (sc. um der Linken zu Hilfe zu kommen), und dabei hat er soviel affektirte Worte gesprochen, daß man das zehnte Wort nicht verstehen konnte …., demnach, wie er sagte, hat er in dem Begriff gesprochen, daß die Rechte in der Kirche umgebracht werden solle.“ Ueber die Versammlung im Greber’schen Lokal hat er von Georg nur Unbestimmtes über wüthende Reden und eine beabsichtigte Volksversammlung gehört.

Wilh. Röder erzählt, man habe sie bei der Aufforderung zum Auszug nur ermahnt, ihren Brüdern in Frankfurt gegen das Militär zu Hilfe zu eilen.

Ludw. Rein sagt: „Ich bin Turnwart des hiesigen demokratischen Turnvereins; aber, daß ich die Wahrheit sage, ich bekümmere mich um die demokratischen Sachen nicht viel. Ich bin noch kein Mal im Parlament gewesen. Auf der Volksversammlung war ich auch, aber der Mehrest im Wirthshaus nebenan, und habe ich wirklich nicht viel [70] verstanden. – Auf jeden Fall hat der Gedanke darauf beruht, daß es gegen das Parlament gehen sollte.“ –

Heinr. Reuter gibt an: „Ich bin mit den Andern nach Frankfurt zu der bewaffneten Volksversammlung, auf die am Tage vorher auf der Pfingstweide eingeladen worden ist. Pulver und Blei nahmen wir mit, weil man nicht wissen konnte, was vor thäte fallen. Weßwegen die Volksversammlung sein sollte, das weiß ich nicht. Ich war in Bergen auf der Volksversammlung, und dachte, es solle auch wieder eine sein.“

Ph. Kern erzählt: er und einige Andre seien am Vormittag in Frankfurt gewesen und von einem dortigen – Bürger aufgefordert worden, nach Haus zu gehen und sich Waffen zu holen, um die Preußen aus der Stadt zu werfen. Dann sind wir an’s Hauswalds, wo ein Kreis geschlossen wurde und Georg sagte, er führe uns an einen Ort, da käme der Metternich hin und hole uns. Ich meine, er hätte auch vom Parlament einen Brocken hineingeworfen. Wer kann die Reden all behalten? Das ewige Einerlei von den Reden war in einem Styl gefaßt, daß man kein Obacht darauf hielt. Es kann die Absicht gewesen sein, die Rechte zu verjagen; das wird es wohl gewesen sein, – es war ja schon auf der Volksversammlung so. Und, weil die Preußen das Parlament schützten, deßhalb sollten sie hinaus.“ – F. W. Waßmuth sagt: „Der ganze Sinn von der Sache war, daß es gegen die Preußen und gegen das Parlament gehen solle. Ich habe eigentlich gar keinen rechten Gedanken gehabt. Weil ich im Frühjahr in Hanau mitgewesen, wollte ich gern die Sense wieder einmal in die Hand nehmen.“ –

Nimmt man die Aussagen zusammen, so ergiebt sich, [71] daß die Meisten von mehr nicht wußten, als daß gegen das Parlament, gegen die Preußen gekämpft werden sollte, wovon die Einzelnen die unklarsten Vorstellungen hatten. Die öffentlichen Reden auf der Pfingstweide und nach aller Wahrscheinlichkeit auch die Reden im Greber’schen Lokal hatten nur eine bewaffnete Demonstration, Volksversammlung, Massendeputationen, Straßenkampf, Barrikadenbau in Aussicht gestellt. –

Allerdings wurde nun bei dem Ginnheim-Bockenheimer Auszug auch noch von Mehrerem, namentlich davon die Rede, daß den Mitgliedern der Rechten in der Nationalversammlung persönlich zu Leib gegangen, daß sie fortgejagt, gehangen, „getischt“, umgebracht, daß behufs des Hängens im Kirschenwäldchen Stricke vertheilt werden sollten.

Allein vor Allem stimmen jedenfalls alle hierüber aussagenden Zeugen darin überein, daß diese Ordre als eine geheime gegeben, daß ein Kreis geschlossen, daß sie nur von einer Minderzahl vernommen worden sei. Und sie setzen hinzu, daß in der That am Kirschenwäldchen nicht Halt gemacht worden sei.

Ebenso gewiß erhellt aus sämmtlichen Aussagen über diesen Freischaarenzug, daß er sehr schlecht geführt wurde und bei dem ersten blinden Lärm, daß Preußen um den Weg seien, auf die elendeste Weise auseinander stob, daß hernach zwar einzelne Trupps sich wieder zusammenfanden, nunmehr aber die Absicht der Führer nicht weiter als dahin gieng, auf die Pstngstweide zu ziehen und Hanauer Zuzügler abzuwarten, was auch schon vorher projektirt war.

Entschieden ist jedenfalls, daß von dem Augenblick jenes feigen Auseinanderstäubens an jede Disziplin in dem Haufen aufhörte, daß viele einzeln das Weite suchten, einige [72] zwar sich wieder zusammenfanden, aber nunmehr keineswegs als Organe des ursprünglich dem Auszug in Masse zu Grund gelegten Beschlusses, sondern auf eigene Faust und in Folge neuer Eingebungen des Moments handelten.

Wollte man also auch jenen Freischaarenzug – wenn nicht hinsichtlich aller, so doch hinsichtlich einer Elite seiner Theilnehmer – als das Erzeugniß eines auf der Pfingstweide, im Greber’schen Lokal, oder in Bockenheim angezettelten Komplotts zur Tödtung der Mitglieder der rechten Seite der Nationalversammlung ansehen, so muß doch von jenem Momente an mit dem Freischaarenzuge selbst auch seine Tendenz als gescheitert, mithin das etwa darin gelegene Komplott als solches als aufgegeben angenommen werden.

Daß dasselbe den gefährlichsten Gährungsstoff in den Gemüthern vieler Theilnehmer zurücklassen mußte, ist natürlich genug. Aber von jenem Augenblicke an traten sie als Einzelne in die tumultarisch die Gegend durchwogende Masse zurück. Sie konnten sich, von neuen Eindrücken erregt, zu einem neuen Komplotte zusammenfinden; – gewiß ist nur, daß, was ferner geschah, nicht über jenen Moment des falschen Preußenlärms in seinen Ursachen rechtlich zurückgeleitet werden darf, um so weniger, da der Anfang der Verfolgung der beiden Abgeordneten nicht von den Theilnehmern des Ginnheim-Bockenheimer Zugs ausgegangen ist.

Jedenfalls wäre dieß schlechthin unzuläßig hinsichtlich einer Reihe von Personen, die sich bei dem vorliegenden Verbrechen näher oder entfernter betheiligt, mit jenem Freischaarenzuge aber erweislich nicht in der mindesten Verbindung gestanden haben (wohin in dem hier zur Aburtheilung vorliegenden Falle die Angeklagten, Ph. Rückert und Henr. Zobel gehören).

[73] Wenn nun aber auch die Tödtung der beiden Abgeordneten nicht auf ein schon früher angezetteltes Komplott zurückgeführt werden konnte, so schienen um so gewisser für die Annahme eines bei dem Erscheinen der Reiter vor den Thoren entstandenen, auf ihre Einfangung und Tödtung gerichteten Komplotts folgende Momente, im Zusammenhang aufgefaßt, zu sprechen.

a) Es ist gewiß, daß die beiden Reiter, nachdem sie kaum die Stadt verlassen hatten, schon bei ihrem ersten Erscheinen am Friedberger Thor von einem dort herumstehenden Menschenhaufen erkannt, als Spione angeschrieen, bedroht, mit Steinen geworfen wurden, und daß einer schon dort eine Pistole hinter ihnen her abfeuerte.

Zwar enthalten nun die Akten keine positiven Data darüber, daß die Reiter auf ihrem Weg am Hermesbrünnchen, an Reinsteins und Schmidts Haus vorbei nach der Friedberger Chaussée hin verfolgt worden wären. Indessen sah doch Gärtner Reinstein, daß sie am hintern Ende der v. Bethmannischen Gartenmauer Halt machten und sich 2–3 Minuten lang nach allen Richtungen hin umsahen, darauf aber in scharfem Trab fortritten. – Mathilde und Heinrich Daniel sahen die Reiter sogleich für Verfolgte an und suchten sie, wiewohl vergebens, in Sicherheit zu bringen. – Marie Magnus fand, daß die Reiter sehr bestürzt aussahen, und hörte den einen zum Andern sagen: „wir sind in einer frappanten Lage.“ –

Nicht minder gewiß ist, daß, sobald die beiden Reiter, aus dem Gäßchen III. hervorkommend, in der Absicht, den Weg nach Bockenheim einzuschlagen, auf die Friedberger Landstraße wieder einbogen und dem Friedberget Thor [74] zuritten, der Sturm der Verwünschungen, Drohungen und Thätlichkeiten auf’s Neue gegen sie losbrach. Schon am Gäßchen II. wurden Steine nach ihnen geworfen; aber erst, als sie dem Haufen am Friedberger Thor sichtbar wurden, brach der Sturm heftiger los, so daß sie umwenden und auf der Friedberget Straße fliehend zurückreiten mußten, von Menschenhaufen und einzelnen Schüssen verfolgt.

Aus den Zeugenaussagen geht als zweifellos hervor, daß jedenfalls von der Friedberger Landstraße aus eine immer massenhafter anwachsende Verfolgung der beiden flüchtigen Reiter anhob, welche, verschiedenen Merkzeichen und Kundschaften folgend, durch verschiedene Kanäle sich ergoß und unaufhaltsam ihre Opfer umgarnte.

Kaum war der Fürst durch das Dohmer’sche Grundstück in den Schmidtischen Garten gekommen, als Heinr. Daniel, durch das stumpfe Gäßchen hineilend, bereits viele Bewaffnete und Unbewaffnete sich entgegen laufen sah, welche riefen: „Wo ist der Schuft?“ – Auch giebt Heinr. Reuter an: „Der Schäfer sagte, er wäre nach dem Zersprengen mit dem Georg gleich wieder auf die eiserne Hand und die Chaussee, wo er von einem Frauenzimmer (einem sauber gekleideten) gehört habe, daß der Lichnowoky verfolgt worden, daß schon nach ihm geschossen sei mit einer Pistole, daß mit Steinen nach ihm geworfen worden, und daß er in das grüne Gäßchen an der Krümme der Friedberger Chaussée hinein sei. Das Frauenzimmer hätte ihn gebeten, er solle hinter dem Lichnowsky hermachen und ihn todtschießen. Ert mit Andern sei nun in das Gäßchen den Hufspuren nach bis an eine Plankenwand, wo der Lichnowsky durchgemacht sei; aber [75] die Planke hätte schon wieder aufrecht gestanden. Er habe nun die Planke wieder umgelegt und sei durch, dem Lichnowsky nach, wo er dann in den Garten gekommen sei und alsbald die Pferde gefunden habe.“

Es ist ferner durch eine Reihe übereinstimmender Zeugenaussagen erwiesen, daß die flüchtigen Abgeordneten kaum in ihrem Versteck waren, als bereits von verschiedenen Seiten her Verfolger heranstürmten, theils durch frische Hufspuren, theils durch Nachricht von Vorüberfahrenden, theils durch Straßenjungen, theils durch Herbeirufen früher Angekommener geleitet.

Der Schmidtische Garten füllte sich alsbald mit tumultuirenden ungebetenen Gästen, welche von den Hausbewohnern unter ungestümmen Drohungen die Auslieferung der Flüchtlinge verlangten und sofort auf’s Gewaltthätigste alle Räume im Garten und Haus von oberst bis zu unterst durchsuchten. Der Durchsuchung folgte aber sofort die successive Auffindung der Versteckten und unaufhaltsam ihre Mißhandlung und Tödtung auf dem Fuße.

Faßt man dieß Alles zusammen, so erscheint es kaum als möglich, diese Thatsachen als getrennte aufzufassen, sondern vielmehr geradezu als geboten, sie als Glieder Einer Kette, als die Momente Einer stetig fortschreitenden Handlung, einer nur in der wirklichen Tödtung sich sättigenden tödtlichen Verfolgung anzusehen.

b) In der That fehlt es auch in den Akten nicht an erklärenden Motiven für eine solche Handlung. Wenn auch die Verfolgung und Tödtung der beiden Abgeordneten nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit den blutigen Vorgängen in Frankfurt selbst gebracht werden darf, so ist doch ein mittelbarer nicht in Abrede zu stellen.

[76] Unfehlbar war der bei weitem größte Theil derjenigen, welche sich am Nachmittag des 18. Sept. vor den Thoren von Frankfurt herumtrieben, in voller Sympathie mit den Barrikadenkämpfern in der Stadt, die jetzt eben mit Gewalt der Waffen durch das Militär zu Paaren getrieben wurden. Sie hielten den Kampf von Seiten ihrer Gesinnungsgenossen für einen gerechten, und glaubten, sich ihren Gegnern, namentlich dem Militär gegenüber im Kriegszustande zu befinden. Enthalten doch die Akten eine Reihe von Zeugnissen dafür, wie die Bevölkerung in der Umgegend von Frankfurt schon seit geraumer Zeit der Gegenstand einer großartigen systematisch betriebenen Wühlerei war.

Erwiesenermaßen folgte nun das Erscheinen der beiden Reiter am Friedberger Thore dem Vorbeimarsch einer preußischen Truppenabtheilung nach dem Allerheiligenthore zu auf dem Fuße. Lichnowsky fragte nach der Richtung, welche die Truppen genommen, und sprengte mit seinem Genossen in derselben Richtung weiter; beide kamen bald darauf aus einem Gäßchen heraus wieder auf der Friedberger Chaussée zum Vorschein. Je weniger nun um jene Zeit alle Umstände geeignet waren, einen harmlosen Spazierritt vermuthen zu lassen, um so natürlicher mußte in der Menge die Meinung entstehen, daß die Reiter von einer geheimen volksfeindlichen Absicht geleitet, daß sie ausgeritten seien, um zu spioniren, um Truppen nach der Stadt herbeizurufen, zu geleiten u. dgl. In der That wurden sie denn auch von Anfang an und noch im Schmidtischen Garten wiederholt als Spione, als Volksverräther bezeichnet und eben um deßwillen als Opfer eines gerechten Volkshasses dargestellt.

Die leidenschaftliche Erregung, welcher der Donner [77] der Geschütze in der Stadt fortwährende Nahrung gab, wurde aber noch gesteigert durch das Erkennen des Fürsten Lichnowsky. „Lichnowsky,“ – sagte der Vertheidiger der Angeklagten Zobel treffend, – „eines der hervorragendsten Mitglieder der Rechten, der mit einschneidender Schärfe und oftmals wahrhaft verletzendem Hohne den Bestrebungen der Linken der Nationalversammlung unabläßig entgegengetreten war und in der Nationalversammlung wie im gemeinen Leben ein gewisses hochfahrendes Wesen nie verläugnete, war von den Führern der Demokratie innerhalb und außerhalb des Parlaments den niederen Volksklassen in Wort, Schrift und Bild als der vorzüglichste Gegenstand ihres Abscheus und Hasses dargestellt, als der hauptsächlichste Träger der volksverrätherischen Tendenzen der Rechten bezeichnet worden.“

Mit sehr wenigen Ausnahmen stimmen alle über die Verfolgung aussagenden Zeugen darin überein, daß die Erkennung des Fürsten Lichnowsky von hauptsächlichem Einflusse auf die Erregung oder Steigerung der feindseligen Gesinnung der Menge gewesen sei. – Auerswald war den Meisten ganz unbekannt. Mehrere wollten freilich auch von Lichnowsky nichts gewußt haben; es sind dies aber theils verdächtige, theils unerhebliche Zeugen. Sehr bezeichnend sagt dagegen Ludwig Rein: „Bornheimer, die da standen, sagten, da unten würde der Lichnowsky gesucht. Ich wußte nicht, wer das war, und wurde ich bedeutscht, das wäre einer von der Rechten und wäre auf den Karrikaturen mit einem Pfauenschwanz abgemalt. Gesagt wurde es nicht, ich habe mir es aber natürlich gedacht (weil man schon so viel darüber gehört hat), daß er kaponirt werden sollte. Es war von [78] Zwei die Rede, der Name des Andern ist aber nicht genannt worden“ *).

Dazu kommt noch, daß unter der Menge das (freilich irrthümliche) Gerücht sich verbreitete, die beiden Reiter oder der eine oder andere von ihnen hätten beim Auf- und Absprengen auf der Friedberger Landstraße auf das Volk geschossen.

c) Der Hauptnerv der vorstehenden Ansicht liegt aber in den von dem ersten Augenblick der Verfolgung an bis zur That selbst in mannigfachster Weise wiederholten Todesdrohungen gegen die beiden Abgeordneten, welche Drohungen schon während der Verfolgung wiederholt durch Steinwürfe und Schüsse thätlich bekräftigt wurden.

Ueber Steinwürfe und Schüsse variiren die Zeugenangaben zwar im Einzelnen sehr; auch ist es nicht unwahrscheinlich, wenn der eine oder andere der Schüsse als nicht sehr ernstlich dargestellt wird. Aber trotz aller Abweichungen im Einzelnen bleibt die allgemeine Thatsache stehen, daß wiederholt Steinwürfe und Schüsse, begleitet von heftigen Drohungen, erfolgten und eben durch Alles zusammen die Lage der Verfolgten eine verzweifelte wurde, daher sie, um ihr Leben zu retten, ein Versteck aufsuchten. Aus einem Familienwagen, der auf der Friedberger Chaussée fuhr, rief ein Mann heraus: Da sind die Zwei. Die schießt todt!

[79] Bestimmteren Ausdruck nahmen aber die Drohungen an, sobald einmal Bewaffnete in den Schmidtischen Garten stürmten, die Ausgänge besetzten und ebenso gewaltthätig als beharrlich alle Räume im Garten und Hause durchsuchten.

M. Magnus erzählt, ein Frauenzimmer, das einen bewaffneten Haufen herbeigerufen, habe gesagt: „Hier herein! Da drin sind sie. Nur geeilt! Ich hab sie euch gefangen. Ich helfe euch werfen; ich werfe ihnen auch Steine auf den Kopf.“ – Joh. Kramm will einen Bewaffneten gesehen haben, der – von der Haide herkommend – sich am Schmidtischen Garten mit dem Gewehr auf den Anstand gestellt und versichert habe, daß „hinten schon besetzt sei.“

Kath. Kraus hörte beim Wegführen der Pferde schreien: „Die Opfer haben wir; die andern bekommen wir auch!“ (Dabei ist zu bemerken, daß Mehrere von der Rotte sehr eifrig auf der Tödtung der Pferde bestanden haben.)

Gärtner Schmidt wurde gleich von den zuerst erschienenen Bewaffneten angeschrieen: „Heraus mit den Hunden!“ und wegen des Versteckens derselben selbst mit dem Tode bedroht. Seine Frau wurde angefahren: „Der Lichnowsky ist in Ihrem Haus, der Spitzbub, der Landesverräther! – Wenn wir den Hund kriegen, so wird Standrecht gehalten.“ – Einer sagte: „Wie wäre es, Madamchen, etc.“ (s. o.).

Lehrer Schnepf hörte die Bewaffneten schreien: „Das ist der Lügner Lichnowsky; der muß sterben! Standrecht muß gehalten werden; die Spione müssen sterben! Die sind Schuld an dem Blute, das in Frankfurt fließt. [80] Dankt Gott, wenn sie nicht vor euren Augen erschossen werden! Ihr habt sie doch versteckt, ihr Jesuiten!“ – Auf die dringendsten Vorstellungen, daß man doch Niemanden tödten möchte, sei die Familie selbst tödtlich bedroht und geantwortet worden: „Bitten Sie nicht für diese Leute! Das sind Spione. Die sind Schuld an dem Blut, das fließt. Wir können nicht mehr rückwärts; wir müssen vorwärts!“

Sophie Gambs sagt: „Sie erklärten, uns sollte nichts geschehen; sie suchten nur die Spione, und die wollen sie erschießen; denn sie seien Schuld an dem Blute, das an diesem Tage in Frankfurt geflossen sei.“ Ein Theil derjenigen, die das Haus umstellt hätten, habe öfters ausgerufen: „Rache, Rache wollen wir haben!“

Dieselben Drohungen wurden sofort nach Auffindung der Abgeordneten und bis zu ihrer Tödtung wiederholt geäußert.

Henr. Pfalz bat, als Auerswald aus der Bodenkammer herabgebracht wurde, man möchte doch den Mann nicht tödten. Man entgegnete ihr aber: das sei ein Spion, ein Verräther; über den müsse Standrecht gehalten werden. – Schnepf sagt: „Es war ein entsetzliches Gewirr und Geschrei: Schießt ihn todt, den Hund!“

Nachdem sofort Auerswald in den Garten herabgeschleppt war, soll selbst sein zweideutiger Beschützer (S. Rau) nur dahin gewirkt haben, daß man ihn erst außerhalb des Gartens erschießen möge. Andere hätten aber gerufen, er müsse todtgeschossen werden. – J. Birkenholz sagt: es sei geschrieen worden: „Schießt ihn todt! Es ist der Lichnowsky!“ Aber weder seine eigenen, noch die Protestationen Anderer hätten etwas gefruchtet. [81] Aus dem Haufen sei geschrieen worden; der Hund müsse todtgeschossen werden, der Volksverräther. G. Sonneberg sagt, dem Dr. Hodes, als er sich über den Anblick des eben ermordeten Auerswald entsetzt habe, sei von Einem in einer Blouse geantwortet worden: „Ach was! Es ist Einer von denen, die es verdienen. Wer bedauert die, die Schuld sind, daß unsere Brüder drinn ihr Blut vergießen müssen?“

Joh. Kramm erzählt: als Auerswald um sein Leben gefleht, habe das Frauenzimmer geschrieen: „nein! Schießt ihn todt! Er ist ein Volksverräther!“ und nach dem ersten Schuß: „schießt noch einmal! er ist noch nicht todt.“

P. Lorey sagt: Auerswald habe gebeten, sie möchten ihn doch gehen lassen; er sei nicht der, den sie suchten. Es sei ihm aber erwiedert worden: „Du mußt sterben, du bist er.“

Maurergesell Heuß bezeugt, die Frauensperson habe in Einem fort geschrieen: „schießt ihn todt! schlagt ihn todt!“ – L. Ruß sagt: der Haufe schrie: „Spitzbub! Hallunk! Dieb! Schießt ihn todt! etc.“ – Heil sagt: ein Bewaffneter sei aus dem Hause nachgelaufen und habe gerufen: „Haben wir Einen? Sterben muß er, der Hund!“ ein Anderer habe die Tödtung gebilligt.

App. Dürre erzählt: als Auerswald zuerst nur zu Boden gerissen worden sei, habe es ein Geschrei gegeben: „Das ist nicht genug. Er muß todtgeschossen werden.“ Besonders die Zobel sei unermüdlich gewesen; aber auch Andere hätten „gekrischen“: Auf ihn! Auf ihn!

Joh. Müller erzählt: Am andern Morgen habe ihm der Berliner ohne Zeugen vertraut, daß er schon [82] vielmals gehört habe, daß Auerswald und Lichnowsky zwei Hauptmänner von der Rechten seien; – und fügt bei: „Wer die Beiden zuerst erkannt und zum Mord gereizt hätte, das hat Georg nicht gesagt.“

Dieselben Erscheinungen wiederholten sich bei Lichnowsky. Dr. Hodes hörte schon in der Nähe des Gartens die rohesten Drohungen gegen ihn ausstoßen. – Math. Daniel sagt, die von Auerswalds Ermordung Zurückkehrenden hätten nur noch heftigere Drohungen ausgestoßen. Körber sagt, Georg habe gerufen: „Besetzt das Haus, damit der Andre nicht entkommt!“ – Derselbe will zwar nichts davon gewußt haben, daß die Jagd auf Parlamentsherrn gehe, sondern nur gedacht haben, es würde nach Preußen gesucht; allein vor dem Hanauer Schwurgericht hat er zugestanden, daß er nach Auerswalds Ermordung sich allerdings gedacht habe, es werde dem Zweiten ebenso gehen. – P. Lorey sagt: Nach Auerswalds Ermordung hätten die Kerle gerufen: „Einen Spitzbuben haben wir; jetzt muß der Andre auch noch dran.“ – Schnepf hörte sie schreien: »Der hat seinen Lohn. Nun den Andern.“

Unter diesen Voraussetzungen konnte wohl die Annahme nahe liegend erscheinen, daß die da und dort vor den Thoren der Stadt versammelten, von denselben Sympathieen und Antipathieen beseelten Gruppen schon durch den bloßen Anblick der beiden Reiter, besonders des so gründlich und allgemein verhaßten Fürsten Lichnowsky, gleichsam elektrisch hätten getroffen werden und sofort mit sich einig sein müssen, was mit denselben anzufangen sei, da ein glücklicher Zufall sie gerade in dem nämlichen Augenblick, wo das Volk in den Straßen der Stadt [83] kämpfte, außerhalb der Stadt in die Gewalt dieses selben Volkes gegeben hatte. Man konnte versucht sein, in den mit tobendem Beifall und wildem Jubel aufgenommenen Todesdrohungen sofort den Ausdruck des Allen gemeinschaftlichen Denkens und Wollens zu erblicken und sofort weiter zu folgern, daß Jeder, der sich von jetzt an von jenen Gruppen nicht alsbald trennte, sondern sogar an der anhebenden Verfolgung thätigen Antheil nahm, eben hiemit den deutlichsten Beweis geliefert habe, daß auch er jenes allen Uebrigen gemeinsame Wissen und Wollen zu dem seinigen gemacht, daß mithin schon jetzt ein auf Tödtung gerichtetes Komplott unter sämmtlichen Verfolgern bestanden habe.

Indessen erschien diese Annahme selbst derjenigen Ansicht, welche im vorliegenden Fall überhaupt ein auf Tödtung gerichtetes Komplott als vorhanden annehmen zu müssen glaubte, allzugewagt und unstichhaltig.

Es wurde zugegeben, daß jene Todesdrohungen und blutdürstigen Rufe, wie sie gleich beim ersten Erscheinen der beiden Reiter laut wurden, von den Drohenden und Rufenden selbst ohne Zweifel noch keineswegs mit klarem Bewußtsein und deutlicher Einsicht in das zu erstrebende Ziel und die dazu führenden Mittel ausgestoßen worden seien, und daß bei denjenigen, mindestens dem größten Theil derjenigen, welche jenen Drohungen nur applaudirten und dem allgemeinen Strome folgten, sicherlich noch eine weit größere Unklarheit und Unentschiedenheit vorhanden gewesen sei. War nun aber hiernach anzunehmen, daß in diesem Stadium bei den einzelnen Verfolgern noch kein irgend klares Denken und Wollen eines bestimmten Zwecks möglich gewesen sei, so war natürlich vollends ein [84] Komplott, näher ein Tödtungskomplott für dieses Stadium schlechthin ausgeschlossen.

Dagegen wurde nun die Ansicht aufgestellt, daß ein solches allerdings von dem Augenblick an als entstanden anzunehmen sei, wo die Verfolger – überzeugt, daß die beiden Reiter hierher geflüchtet seien und es also nur einer genauen Nachforschung bedürfe, um sie wirklich in ihre Gewalt zu bekommen, – die Grenzen des Schmidtischen Besitzthums überschritten und mit der Durchsuchung desselben wirklich begannen.

An der bloßen Verfolgung der Reiter, – wurde geltend gemacht, – konnte Mancher Theil nehmen, der mit sich selbst noch durchaus nicht im Reinen war, was nun weiter erfolgen sollte, wenn die Reiter wirklich erreicht und ergriffen würden. Ob man dieselben in der That einholen werde oder nicht, blieb bis dahin noch fortwährend zweifelhaft, und um dieses Zweifels willen lag auch für die einzelnen Verfolger noch überall keine Nöthigung vor, an weitere Erfolge zu denken, beziehungsweise deren Unvermeidlichkeit sich klar zu machen. Allein jetzt, nachdem man wußte, daß hier, in dem vergleichungsweise kleinen Schmidtischen Besitzthume die Gesuchten zu finden waren, daß sie unmöglich mehr von hier entkommen konnten, jetzt mußte Jeder, bevor er dieses Besitzthum betrat und innerhalb desselben für die Aussuchung der Versteckten thätig wurde, sich scharf und bestimmt die Frage vorlegen, welche Resultate er von dieser seiner Thätigkeit erwarte, d. h. welches Schicksal die Ergriffenen von Seiten ihrer Verfolger sich zu gewärtigen hätten. Die Antwort auf diese Frage konnte für Jeden, der alles Vorausgegangene gesehen oder gar selbst mitgemacht, der die sich [85] stets steigernde Wuth der Rotte beobachtet, der ihr Toben und Brüllen, ihre Todesdrohungen gehört hatte, kaum zweifelhaft sein. Er mußte sich sagen: wer jetzt die Verfolgten in die Hände ihrer Verfolger liefert, übergibt sie einem sichern und unvermeidlichen Tode. Wer immer also für diese Auslieferung thätig wurde, wollte nicht nur für sich den Tod der Verfolgten, sondern er sah auch in jedem andern für denselben Zweck Thätigen einen Gesinnungs- und Willensgenossen. Ja, indem gerade diese Gleichheit des Sinnes und Willens bei sämmtlichen Theilnehmern sich herausstellte, scheint es keinem Zweifel zu unterliegen, daß in Beziehung auf Alle ein wirkliches Komplott, und zwar ein auf Tödtung gerichtetes Komplott angenommen werden müsse.

Gleichwohl sprachen nun aber gewichtige Gründe gegen die Annahme eines auch erst seit dem Einstürmen bewaffneter Haufen in den Schmidtischen Garten vorhandenen und sofort stetig ausgeführten allgemeinen Tödtungskomplotts.

Vorerst fehlt für die Annahme eines ausdrücklich eingegangenen Komplotts aller und jeder Beweis, wie auch von dem Anstifter oder Anführer eines solchen nirgends eine Spur zu finden ist. Es hätte diese Annahme nur dann einige Wahrscheinlichkeit für sich, wenn es gestattet wäre, die Vorfälle im Schmidtischen Garten und Haus mit den wenigstens theilweise bei dem Ginnheim-Bockenheimer Auszug wirksam gewordenen Motiven in ursächliche Verbindung zu bringen. Daß dies jedoch nicht zuläßig sei, wurde schon oben auseinandergesetzt. Auf jeden Fall könnte es sich daher nur von einem stillschweigend eingegangenen Komplotte handeln.

[86] Vorläufig aber einmal angenommen, daß dieser Begriff überhaupt hier Anwendung finden könne, so entsteht sogleich die große Schwierigkeit, darüber zu bestimmen, welche Personen dann überall als Theilhaber des Komplotts angesehen werden sollen. Abgesehen nämlich von den Angehörigen des Schmidtischen und Domerischen Hauses und vollends von solchen, die sich die Beschützung und Rettung des Bedrohten positiv angelegen sein ließen, – wie Pillot, Dr. Hodes etc. – war eine große Anzahl von Personen am Orte und um den Ort des Verbrechens her gegenwärtig, welche nur gemeine oder mitleidige oder schadenfrohe Neugier dahin geführt hatte. Unter letztern mögen nun, wie auch die Vertheidigung theilweise anzudeuten versucht hat, Manche gewesen sein, auf welche der gewöhnliche Begriff des Komplotts als auf schon durch ihre Anwesenheit Wirkende gepaßt haben würde. Allein es fehlt an allen Anhaltspunkten, um diese von der übrigen Masse zu unterscheiden; und so bleiben als mögliche Theilnehmer – auch für ein stillschweigendes Komplott – nur diejenigen übrig, welche sich bei der Aussuchung, Bemächtigung, Mißhandlung und Tödtung der beiden Abgeordneten wirklich in irgend einer Weise selbst mit Rath oder That betheiligt haben.

Auch dieser Personen war jedoch eine große und sehr buntscheckige, namentlich eine nie geschlossene, sondern stets Theilnehmer absetzende und wieder neue hinzugewinnende Menge. Es wird ausdrücklich bezeugt, daß selbst unter den beim Durchsuchen des Hauses und Herausführen der Abgeordneten Thätigen keineswegs dieselben Gesinnungen und Absichten sich kundgaben.

Lehrer Schnepf sagt: „es war ein beständiges [87] Wechseln von Suchenden. Auf mein und meiner Frau Zureden sagte bald der eine, es wäre vom Todtschießen keine Rede, bald hieß es: dankt Gott, wenn sie nicht vor euren Augen erschossen werden.! – Bei dem unaufhörlichen Wechseln der Personen war es nicht möglich, auf jemand von der Rotte, wie ich unaufhörlich bemüht war, einzuwirken oder, wenn es geschehen, kamen stets neue hinzu, die dasselbe drohende Geschrei ausstießen. – Als Auerswald auf der Terasse vorbeigeführt wurde, hörte ich sagen: „Ach Gott! der wird nicht erschossen.“– Derselbe erzählt, daß einer der Bewaffneten gebeten habe, ihn im Zimmer bleiben zu lassen, da er den Lichnowsky (nach Andern den alten Mann) nicht erschießen sehen könne.

Von dem in Hanau verurtheilten Matth. Körber ist nachgewiesen worden, daß seine Thätigkeit sich darauf beschränkte, vor dem Treibhause Wache zu stehen, und daß er auch dies nur that, weil er sich vor den blutdürstigen Mitgliedern der Rotte fürchtete. Derselbe (geständig und reuig und in seinen Aussagen zuverläßig) versichert, im Garten sei nichts davon geäußert worden, warum die Herrn gesucht würden. Auch L. Rein sagt, er habe sich zwar gedacht, daß Lichnowsky kaponirt werden sollte; aber gesagt sei nichts davon worden.

Von besondrem Gewichte sind hier die vielen Zeugenaussagen, welche namentlich von einem der Herausführer Auerswalds auf’s Bestimmteste versichern, daß er denselben geschützt, Hiebe und Stiche von ihm abgehalten, seiner Erschießung sich widersetzt und der Menge in diesem Sinne zugeredet habe. Zwar liegt über dieser Thätigkeit, soweit sie dem Simon Rau von Bornheim zugeschrieben wird, noch immer ein gewisses Dunkel, da zwei Zeugen sie so [88] darstellen, als habe der Beschützer nur die Erschießung innerhalb des Gartens widerrathen; – allein diesen Angaben steht die übereinstimmende, auf’s Bestimmteste wiederholte Versicherung mehrerer beeidigten Zeugen entgegen, daß sie sich in der Bedeutung des Benehmens des fraglichen Mannes nicht geirrt hätten, daß derselbe unzweideutig, um den General Auerswald zu schützen, ihn umklammert und den Hirschfänger über ihm gezogen gehalten habe.

Auch App. Dürre sagt, noch im Garten seien viele Leute gewesen, die hätten lamentirt: „Gott! Schießt ihn doch nicht todt!“ – die Zobel habe sich im Garten mit Einem von der Bornheimer Schützenwehr herumdisputirt, der nicht habe leiden wollen, daß Auerswald erschossen werden sollte.

Der besonders zuverläßige Zeuge Joh. Schwab sagt ausdrücklich: „Ueberhaupt schätze ich, daß an dem Führen und Malträtiren des Herrn (Auerswalds) nur etwa 5–6 thätlichen Antheil nahmen; die Andern waren nur so drum herum.“

Diese Aussage ist ebenso bezeichnend als glaubwürdig, da sie durch die Art und Weise des ganzen Verlaufs des Ereignisses unterstützt wird. Unfehlbar waren einige Mitglieder der Rotte zum Voraus entschlossen, die beiden Abgeordneten zu tödten. Namentlich muß dies von denjenigen angenommen werden, die (wie Daniel Georg, Peter Ludwig u. A.) an der Mißhandlung und Tödtung Beider auch wirklich thätigen Antheil genommen haben. Wenn nun aber von Seiten dieser eine ausdrückliche Anwerbung von Genossen durchaus nicht nachzuweisen ist, so läßt sich ebensowenig behaupten, daß durch die von ihrer Seite [89] ausgeübte Thätigkeit nothwendig in den übrigen nicht zum Voraus mit der Absicht der Tödtung an Ort und Stelle gekommenen Personen das Bewußtsein habe entstehen müssen, daß es auf Tödtung abgesehen sei.

Mag immer von Daniel Georg kommandirt worden sein, daß einige das Haus durchsuchen, Andere dasselbe umstellen sollen, damit Keiner entkommen solle, so war damit nur die Absicht einer gewaltsamen Bemächtigung ausgedrückt. Ein Mehreres könnte darin gefunden werden, daß vielfach das Geschrei bezeugt wird, die Flüchtigen seien Spione, Volksverräther, und es müsse Standrecht über sie gehalten werden. Allein dieses Tumultuiren, wie der Ruf: „Rache wollen wir haben, – Opfer wollen wir haben!“ – erscheint bei nüchterner Betrachtung nur als der wilde Ausbruch einer allgemeinen feindseligens Gesinnung, der um so weniger wörtlich und buchstäblich genommen werden darf, als nirgends bezeugt ist, daß diese Ausrufe gerade von denen ausgegangen seien, die als die Hauptspieler dieses blutigen Dramas betrachtet werden müssen. Wären diese Ausbrüche einer dumpfen Wuth als wirklich thatkräftige Drohungen anzusehen, so hätte einem nüchternen und wahrheitsliebenden Zeugen, wie dem Joh. Schwab nicht die ganze „Führung und Malträtirung“ des Generals v. Auerswald in der Weise sich darstellen können, wie es seine angeführte Aeußerung kundgibt.

Das Wuthgeschrei, daß die Abgeordneten getödtet werden sollen, gieng zudem nach allen detaillirter berichtenden Zeugenaussagen vornämlich von einer Frauensperson aus, der man nach der Lage der Dinge nicht denjenigen Einfluß auf die Willensbestimmung der bewaffneten Männer zuschreiben kann, welcher genügen würde, um [90] alle Mithandelnden sofort zu Theilnehmern eines auf Tödtung gerichteten Komplotts zu stempeln. Die Drohungen selbst sprachen an sich nur aus, was Viele wünschten und hofften, keineswegs dagegen auch, daß in den Einzelnen der Wille vorhanden gewesen sei, dem Worte die That folgen zu lassen. Das sichere Kriterium dafür liegt eben darin, daß dem Worte die That nicht folgte, daß die Mehrzahl sich passiv verhielt, der Begehung des Verbrechens durch Einzelne nur zusah und zwar ein viehisches Jubelgeschrei darüber erhob, gleichwohl aber sogleich sich großentheils verlief, ohne den zweiten Akt der Tragödie abzuwarten. Gerade dieses Weglaufen vom Schauplatze des Verbrechens, welches von Seiten Einzelner sogar noch vor der Erschießung Auerswalds stattfand, zeigt am deutlichsten, daß zwischen dem Wunsche und der Ausführung noch eine große Kluft war.

In hergebrachter Weise brüllte und tobte die Masse, natürlich im Superlativ, in Erwartung irgend eines rohen Spektakels. Sie sah den Bestrebungen zur Ausführung ebenso passiv zu, wie den Gegenbestrebungen. Als aber die blutige Katastrophe in dämonischer Eile sich entwickelte, zerstob sie großentheils, von Schauer über die gräßliche Wirklichkeit ergriffen, und nur diejenigen kehrten zur Fortsetzung des Verbrechens in den Schmidtischen Garten zurück, welche dasselbe schon vorher im Herzen getragen hatten *).

[91] Anders war die Sachlage bei der Aufsuchung und Herausführung Lichnowskys. Hier wußte man, was die Sache zu bedeuten habe, während vor der wirklichen Niedermetzelung Auerswalds es noch immer problematisch geblieben war, bis zu welchem Ziele die Thäter forttschreiten würden. Am schlagendsten hiefür spricht das oben angeführte Geständniß des Körber. Allein andrerseite kommt hier zu bedenken, daß ein großer Theil derjenigen, welche bei der ersten Handlung mitgewirkt hatten oder wenigstens gegenwärtig gewesen waren, sich entfernt hatte und neue und immer neue Verstärkungen zu dem den Fürsten fortschleppenden Trupp hinzukamen, denen daher nicht ohne Weiteres das von Körber eingestandene Bewußtsein zugeschrieben werden kann. Dazu kommt ferner, daß bei Lichnowskys Hinausführung noch viel entschiedener, als bei der seines Gefährten, zwei verschiedene Ansichten sich geltend machten, davon die eine die Rettung seines Lebens bezweckte, daß letztere sogar einige Zeit lang Aussicht auf Erfolg hatte, und erst ein unglückliches Zusammentreffen verschiedener Umstände der Tendenz der Mordlust das Uebergewicht verschaffte. Hier kann daher noch weit weniger, als im vorhergegangenen Falle, angenommen werden, daß, wie die kurhessische Staatsbehörde sich ausdrückt, Beispiel und Aufforderung bei sämmtlichen Mitwirkenden Gemeinschaftlichkeit des Willens erzeugt hätten.

Trotz dieser Voraussetzung hat auch die kurhessische Staatsbehörde die Angeklagten Körber und Dietrich, obgleich zu den offenbar verdächtigsten Theilnehmern der vorliegenden Handlungen, d. h. zu den Mitgliedern des Ginnheim-Bockenheimer Freischaarenzugs gehörig, doch nur wegen Beihilfe zur Ermordung, resp. Mißhandlung und [92] Ermordung angeklagt. Sie hat also bei diesen Angeklagten zwar ein auf gewaltsame Bemächtigung, resp. Mißhandlung, in keinem Falle aber ein auf Tödtung gerichtetes Komplott angenommen. Dieselbe Ansicht hat auch der Schwurgerichtshof ausgesprochen.

Die Hauptfrage bleibt daher immer die, ob sich denn überhaupt in vorliegendem Falle, und in welchem Umfange der Begriff eines stillschweigenden Komplotts anwenden lasse? Sowohl der Hanauer Schwurgerichtshof als der Kassationshof zu Kassel haben ein solches nur bei einigen Angeklagten angenommen, andere dagegen nur wegen Beihilfe zur Mißhandlung, resp. Tödtung der Abgeordneten verurtheilt, – und zwar in der Weise, daß dieses Ergebniß nicht etwa blos als Folge des Wahrspruchs der Geschwornen, sondern schon in der Fragestellung Seitens der Richter angedeutet erscheint.

Bekanntlich wird die Möglichkeit eines solchen Komplotts von Vielen – mit größerer oder geringerer Bestimmtheit – in Abrede gezogen, s. z. B. Kleinschrod System. Entwicklung I. §. 180. Grolman Grundsätze §. 34. Henke Handb. I. S. 275. v. Schirach im N. Arch. I. S. 517. 518. Cucumus eb. XIV. S. 14. Mittermaier z. Feuerb. §. 47. n. V.

Dagegen ist dieselbe vertheidigt von Böhmer Medit. ad CCC art 148. §. 1. Quistorp Grundsätze I. §. 231 f. Heffter L.B. §. 86. n. 1. Luden Abh. II. S. 351. Berner Theilnahme etc. S. 404 f. Breidenbach Kommentar etc. I. 2. S. 305. u. A. vgl. Meine Neue Revision S. 586 ff.

Von den neueren Gesetzgebungen führen das sächsische Gesetzbuch Art. 38, das braunschweigische [93] §. 42. 43 und das thüringische §. 31 ausdrücklich die stillschweigende Uebereinkunft mit auf. Deren Anerkennung ist auch nach dem württembergischen Gesetzbuche gemäß den Motiven zu demselben anzunehmen. Dasselbe wird gemäß dem Zeugnisse des Kassationshofs zu Kassel von der kurhessischen Praxis angenommen.

Indessen darf man hiebei nicht zu weit gehen; namentlich darf man nicht die Grenze gegenüber dem Fall der zufälligen Miturheberschaft in der Art verwischen, daß jedes auch durch den Zufall herbeigeführte Zusammenwirken mehrerer dolosen Urheber sofort den Typus des Komplotts annehmen müßte, wie dies z. B. bei Hufnagel Kommentar III. S. 94–96 geschieht. Es muß vielmehr – welche Ansicht sich auch der kurhessische Kassationshof angeeignet hat – stets eine der Ausführung des Verbrechens vorausgehende Willenserklärung vorausgesetzt werden, weil nur hiedurch das Verhältniß wechselseitiger Anstiftung entstehen kann, welches die spezifische Eigenthümlichkeit des Komplotts ausmacht*).

Die Uebereinkunft kann allerdings auch stillschweigend getroffen werden durch konkludente Handlungen, welche unter den Miturhebern das Verständniß herstellen, daß sie auf die Wechselwirkung ihrer Handlungen rechnen können **). Allein man darf nicht die stillschweigende Begründung des komplottartigen Bundes in eben denjenigen Handlungen suchen, welche zur Ausführung des gemeinsamen Willens dienen sollen. Denn damit wäre eben jeder Fall der zufälligen Miturheberschaft sofort zum extemporirten Komplotte gestempelt.

[94] Soll also ein stillschweigendes Komplott angenommen werden können, so müssen drei Momente zusammentreffen: 1) daß das Verbrechen von jedem Mithandelnden für sich bezweckt sei, daß jeder von Hause aus die Gesinnung des Urhebers habe, 2) daß die That gemeinschaftlich begangen werde, 3) daß der Begehung jedenfalls irgend eine solche gegenseitige Willensmittheilung vorangegangen sei, wodurch jeder den Uebrigen gegenüber als Anstifter erscheint, jeder mit den Uebrigen in das Verhältniß der Solidarität tritt.

Der praktische Nerv davon besteht darin, daß allen in den komplottartigen Bund stillschweigend Eingetretenen die ganze Fülle des wirklich begangenen Verbrechens solidarisch zugerechnet werden muß, gleichviel wie groß oder gering die Theilnahme des Einzelnen an der Ausführung war, ob er erst nach Vollendung des Verbrechens Hand anlegte, vor der Vollendung sich entfernte etc.

Wo dagegen nur zufällige Miturheberschaft vorliegt, da greift die solidarische Verantwortlichkeit nur soweit Platz, als Miturheberschaft vorhanden ist, welche natürlich für jeden Theilnehmer besonders erwiesen sein muß. Die Voraussetzung ist nämlich hier, daß keiner auf den andern intellektuell eingewirkt, sondern Mehrere sich zufällig als Theilnehmer an einem und demselben Verbrechen zusammengefunden haben. Sollen hier die Theilnehmer nicht blos als Gehilfen, sondern als Miturheber erscheinen, so ist das Doppelte nothwendig, daß Jeder das Verbrechen als seine eigene That (als Urheber) hervorbringen wolle, und daß er zugleich dieselbe Absicht an Andern gewahre und seine Thätigkeit als Glied in die Thätigkeit dieser Andern einreihe, wodurch eben für alle [95] das Verbrechen Beabsichtigenden die Solidarität des Willens hervorgebracht wird, welche jeden für die ganze Handlung verantwortlich macht, sobald seine Thätigkeit nur überhaupt mit unter den Bedingungen des eingetretenen Erfolgs [WS 1] lag.

Eben aber weil hier die Voraussetzung einer vorgängigen gegenseitigen Willensmittheilung fehlt, so ist hier für jeden Einzelnen, der als Urheber betrachtet werden soll, der Beweis genau zu erbringen, daß er gerade das gewollt habe, worin das ausgeführte Verbrechen besteht *).

Hierin liegt aber zugleich das Weitere, daß in solchem Falle gleichzeitig noch Andere ihr Handeln auf dasselbe Objekt richten können, ohne gleichwohl ihr Thun gegenseitig vertreten zu müssen. „Es ist möglich, daß Einer oder der Andere unter den Mithandelnden gar nicht den Willen der Uebrigen theile. In denjenigen Ansätzen zur Ausführung, welche solche nicht übereinstimmenden Willen machen, liegen dann gar keine Anfänge wirklicher Miturheberschaft. Die wirklichen Anfänge einer solchen werden nämlich in derartigen Fällen nicht selten von isolirten Handlungsreihen umgeben, welche eine Folge desselben nun auch durch den Zusammenhang waltenden Zufalls sind, der die Vielen zur gemeinsamen Verübung an einander gebracht hat“ **).

Im vorliegenden Falle nun handelt es sich von verschiedenen Verbrechen: widerrechtlichem Eindringen in Garten und Haus des Gärtners Schmidt, gewaltsamer Bemächtigung der beiden Abgeordneten, Mißhandlung und Tödtung derselben.

[96] Nach genauer Erwägung alles oben Vorgetragenen wird man sich wohl dahin entscheiden müssen, daß diese verschiedenen Handlungen von einander zu trennen und abgesondert zu beurtheilen seien. Es liegt hier in der That nicht etwa Ein Verbrechen vor, das (wie z. B. der Aufruhr) nur durch verschiedene Stadien hindurch seinen begriffsmäßig nothwendigen Verlauf genommen hätte und wobei daher jedem auch nur am ersten Stadium Theilnehmenden eine eventuell auf das Aeußerste gehende Absicht zuzurechnen wäre. Aus der gewaltsamen Aufsuchung und Bemächtigung folgte keineswegs mit Nothwendigkeit, daß die Abgeordneten sofort getödtet werden mußten. Man hat es demnach hier mit verschiedenen Verbrechen zu thun, die sich aneinander reihten und nicht von vorn herein in Ein monströses Ganzes zusammengeworfen werden dürfen.

Wenn daher überall von der Annahme eines stillschweigenden Komplotts die Rede wird, so kann sich dieselbe eben nur auf diejenigen Stadien des vorliegenden Verbrechens erstrecken, welche unzweifelhaft unter diesen Begriff fallen. Dies ist aber in der That nur der Fall in Beziehung auf das gewaltsame Eindringen in das Schmidtische Besitzthum und die gewaltsame Bemächtigung der beiden Abgeordneten, worin von selbst ihre Auslieferung an einen feindseligen, zum Mindesten zu groben Mißhandlungen ausgelegten Volkshaufen lag.

Es ist unzweifelhaft erwiesen, daß die beiden Abgeordneten unmittelbar vorher einer massenhaften Verfolgung unter heftigen Drohungen, Steinwürfen und einigen Schüssen ausgesetzt waren, daß sie eben, um vor dieser Verfolgung sich zu retten, ein Versteck im Schmidtischen Hause aufsuchten, und daß mindestens ein Theil ihrer Verfolger [97] ihnen buchstäblich sogar auf der Spur nachstürmte. Allerdings sind mit dem Strome der in der Gegend sich wälzenden Menge außer denjenigen, welche nach den Verfolgten suchten, auch viele andre Personen an und in den Schmidtischen Garten gekommen, welche blos die Neugierde herbeiführte und welche sich bei sämmtlichen vorgefallenen Gewalthandlungen passiv verhielten. Allein eben die übereinstimmenden Aussagen dieser unbetheiligten Zeugen ergeben auf’s Bestimmteste, daß der Grund, warum von allen Seiten auf den Schmidtischen Garten losgestürmt wurde, ein allgemein bekannter war.

Wenn einige wenigen Personen in der kurhessischen Untersuchung aussagten, sie selbst, resp. Andere hätten nichts davon gewußt, daß Herren, oder wenigstens daß Parlamentsherren gesucht würden, so sind diese Aussagen theils verdächtig, da sie von Personen herrühren, welche den gegründeten Verdacht, am Orte des Verbrechens gegenwärtig gewesen zu sein, von sich abzuwälzen bemüht sind, theils stehen sie so vereinzelt, daß ihnen kein Gewicht beigelegt werden kann. Ein Theil der Verfolger gieng unmittelbar den Spuren der Huftritte von Lichnowskys Pferd nach, Andre wurden durch Weisungen von Reisenden, die der Friedberger Landstraße entlang fuhren, Andre von Straßenjungen, wieder Andre durch den Anblick der aufgefundenen Pferde geleitet. Der eine oder andre Trupp wurde sogar geradezu von bereits früher Angekommenen herbeigerufen, zum Theil unter der ausdrücklichen Versicherung, daß die Verfolgten entdeckt, gefangen seien.

Die zuerst einstürmende Hauptrotte verlangte von den Hausbewohnern mit lautem Geschrei die Auslieferung der Versteckten. Aus allen Nachbarhäusern beobachtete man das [98] Gewimmel der emsig Suchenden. Es wurde das Haus und der Garten wenigstens theilweise mit Wachen umstellt. Die Durchsuchung selbst gieng mit zähester Gründlichkeit vor sich. Dabei wiederholte sich stets auf’s Neue das Geschrei, daß man die Spione heraushaben wolle, die Volksverräther, den Lichnowsky etc. Unfehlbar konnte hiernach keinem der Mitthätigen der Zweck des Eindringens und Suchens unbekannt sein. Jeder mußte wissen, daß es auf eine gewaltsame Bemächtigung der beiden Abgeordneten abgesehen sei.

Indem aber jeder bei der Aufsuchuug Mitthätige dies als den Zweck derselben kennen mußte, so mußte er diesen Zweck auch hervorbringen wollen, sobald nicht nachgewiesen werden kann, daß er etwa nur einem Zwange weichend die Absicht Andrer, z. B. durch Wachestehen, unterstützte, oder etwa gerade in der entgegengesetzten Absicht mithandelte, die Verfolgten zu beschützen, zu retten, die Verfolger irre zu führen und dergleichen. Betheiligte er sich außerdem am Suchen, so mußte er auch finden, d. h. in diesem Fall das Verbrechen der Gewaltthätigkeit gegen die Versteckten begehen wollen. Er mußte die Eigenschaft eines Urhebers in Beziehung auf dieses Verbrechen haben. Eben hiemit war aber nothwendig zugleich das Bewußtsein gesetzt, daß die Aufgefundenen, von denen gutwilliges Ergeben nicht erwartet werden konnte, körperlichen Mißhandlungen – und zwar voraussichtlich den schwersten – ausgesetzt werden würden. In der Theilnahme an der gewaltsamen Aufsuchung und Bemächtigung lag daher von selbst die bestimmte oder mindestens eventuelle Absicht der Körperverletzung.

Zunächst aber auch nur diese. Er konnte allerdings [99] daneben noch andre Absichten haben, namentlich die Absicht, die Aufgefundenen zu tödten. Es konnte in einem engeren Kreise bereits ein Komplott dazu gebildet sein, beziehungsweise so eben gebildet werden. Aber keineswegs darf die Absicht der Tödtung ohne besondern Beweis jedem Mitsuchenden ohne Weiteres zugeschrieben werden.

Es verhält sich damit vielmehr ebenso wie mit noch andern Absichten, welche neben jener Hauptabsicht der gewaltsamen Bemächtigung vorkommen konnten und wirklich vorgekommen sind. Dahin gehört namentlich die Absicht des Diebstahls. Es ist erwiesen, daß in der Wohnung des Lehrers Schnepf eine Pistole, und daß sowohl der Rock als der Hut des Generals v. Auerswald entwendet worden ist. Gleichwohl wäre es ganz unstatthaft, in Beziehung auf diese Entwendungen ein stillschweigendes Komplott sämmtlicher Mitsuchenden anzunehmen.

Wenn somit das erste Erforderniß eines stillschweigenden Komplotts zur gewaltsamen Bemächtigung der beiden Abgeordneten, d. h. die zum Mindesten auf ein an denselben zu begehendes Verbrechen der Gewaltthätigkeit und körperlichen Mißhandlung gerichtete Absicht der einzelnen Mitsuchenden feststeht, – so liegt das zweite, d. h. die Gemeinschaftlichkeit der hierauf gerichteten Thätigkeit nach allem bisher Angeführten so sehr auf flacher Hand, daß es sich nur noch um das dritte Erforderniß, d. h. um die Frage handeln kann, ob der gemeinschaftlichen Begehung der That eine das allgemeine Solidaritätsverhältniß begründende wechselseitige Willensmittheilung vorhergegangen sei?

Diese Frage muß unbedenklich bejaht werden, wenn man die für die Urheberschaft der einzelnen Theilnehmer [100] angegebenen Aktenbelege gehörig in Erwägung zieht. Vor Allem ist nämlich so viel klar, daß die ganze auf die gewaltsame Bemächtigung gerichtete Thätigkeit nach der gesammten Sachlage im vorliegenden Falle eben nur in der Weise der Gemeinschaftlichkeit ausgeübt werden konnte, wie denn auch der Erfolg nur einer massenhaften Theilnahme verdankt wurde. Diese Gemeinschaftlichkeit war aber nicht blos eine objektive, dem Zufall entsprungene, sondern sie mußte dem Bewußtsein der einzelnen Mithandelnden klar eingeprägt sein.

Nach der Lage des Hauses und des umgebenden Gartens mit verschiedenen Ausgängen, bei der natürlichen Voraussetzung, daß eine Mehrzahl von Hausbewohnern das Versteck der Flüchtigen nicht gutwillig verrathen werde, bei der Unbekanntschaft der Eingedrungenen mit den Lokalitäten, – bei diesen und andern Umständen konnte kein Einzelner für sich allein den Zweck zu erreichen hoffen. Er mußte ebenso die Uebrigen in ihrer Thätigkeit unterstützen, wie er ihre Unterstützung für die seinige bedurfte und benützte.

Dieses wechselseitige Verständniß wurde aber im vorliegenden Falle offenbar nicht erst durch die auf die Ausführung selbst gerichteten Handlungen erzeugt, sondern war schon durch die vorhergegangene Verfolgung hinlänglich vorbereitet, durch die Thätigkeit verschiedener Herbeirufenden genährt, durch den Anblick ausgestellter Wachen und einer reißend wachsenden Menge gleichgesinnter Theilnehmer bestärkt, durch das fortwährende wilde Geschrei nach Auslieferung der Spione, Volksverräther etc. endlich zur hellen Flamme angefacht. Wer hier thätig wurde, der wußte und mußte wissen, daß er im Sinne und Interesse [101] einer feindselig aufgeregten Menge handelnd eingreife, er konnte sein eigenes Thun nicht als isolirtes auffassen, er mußte es in Zusammenhang mit dem Thun der andern Verfolger bringen, wenn seine Sinne irgend in normaler Thätigkeit waren. Nach erfolgter Bemächtigung mochte der Einzelne erschrecken, wenn er bemerkte, daß Einzelne noch weit mehr beabsichtigt hatten. Aber bis hieher konnte er nicht anders, als im stillschweigenden Einverständniß mit allen denen gehandelt haben, welche gleich ihm den Fliehenden nachgefolgt waren, sie in ihrem Versteck aufgesucht und erst durch beharrliches Suchen entdeckt hatten.

Sollte dagegen jeder beim Aussuchen der Versteckten Thätige sofort auch als Theilnehmer eines stillschweigenden Komplotts zur Tödtung derselben bezeichnet werden können, so müßte entweder jedem Einzelnen derselben schon von vorn herein die bestimmte oder unbestimmte Absicht der Tödtung nachgewiesen, – oder es müßte gezeigt werden, daß schon zur Zeit des gewaltsamen Aufsuchens nothwendig bei allen Theilnehmern das Bewußtsein habe vorhanden sein müssen, die Auffindung werde und müsse zur Tödtung der Aufgefundenen führen.

Was das Erstere betrifft, so wird sich unten näher herausstellen, daß zum Mindesten nicht bei allen hier in Rede stehenden Angeschuldigten eine mitgebrachte bestimmte oder unbestimmte Tödtungsabsicht anzunehmen ist. Waren aber, – wie sich eben dort ergeben wird, – unter den Mitsuchenden erweislich solche, welche eine solche Absicht nicht hatten, so würde diesen der Eintritt in ein stillschweigendes Tödtungskomplott nur dann zugeschrieben werden können, wenn erwiesen werden könnte, daß schon zur Zeit der Aufsuchung der Versteckten eine – durch [102] Worte oder Zeichen vermittelte – Willensmittheilung in dem Sinne stattgehabt hätte, daß jeder Mitsuchende das Bewußtsein gehabt haben müßte, er wirke nicht blos zur gewaltsamen Bemächtigung, beziehungsweise körperlichen Mißhandlung der Gesuchten mit, sondern auch zu deren Tödtung.

Wenn nämlich allerdings die Annahme eines stillschweigenden Komplotts an sich keineswegs zu beanstanden ist, so muß doch immer, damit ein Unterschied gegenüber dem Falle der zufälligen Miturheberschaft noch existire, wenigstens eine irgendwie (durch Worte oder Zeichen) vermittelte, der Ausführung selbst vorangegangene Willensmittheilung gefordert werden, wodurch eben die solidarische Mitverantwortlichkeit jedes Mithandelnden auch für den schlimmsten Erfolg begründet wird. Eben diese Voraussetzung aber kann im vorliegenden Falle nicht als für jeden Theilnehmer an der Aufsuchung gegeben angenommen werden, wie sich auch noch aus Nachstehendem näher ergibt.

Die Zusammensetzung der verfolgenden Menge aus den verschiedenartigsten Elementen und der stets im Wechsel begriffene Bestand derselben lassen die Bildung eines einheitlichen Willens zwar in Beziehung auf den nächsten Zweck der Verfolgung, die Versteckten gewaltsam aufzusuchen und in die Gewalt eines rohen Haufens zu bringen, nicht aber auch in Beziehung auf weitere Zwecke (wie die Tödtung) annehmen, welche erwiesener Maßen nur durch Einzelne, durch einen Bruchtheil der Masse zur Ausführung gebracht wurden.

Dazu kommt, wie oben ausgeführt, die Thatsache, daß selbst unter denen, die sich bei der gewaltsamen Herausführung [103] der Abgeordneten thätig zeigten, verschiedene Ansichten über das, was mit ihnen zu thun sei, laut wurden, in keinem Falle die Absicht der Tödtung die allgemein getheilte war, – ganz besonders aber das Zeugniß des Johann Schwab, daß bei der Führung und Malträtirung Auerswalds nur 5–6 Personen eigentlich thätig, und die übrigen nur so drum herum gewesen seien, – welches Zeugniß durchaus theils durch gewisse, theils durch wenigstens höchst wahrscheinliche Ergebnisse der Untersuchung bekräftigt wird, sofern hieraus hervorgeht, daß es nur eine Minderzahl von Personen war, welche zur Tödtung mitwirkte und daß namentlich – zum Theil wenigstens – dieselben Personen es waren, welche sowohl bei Auerswald als bei Lichnowsky die letzte Katastrophe herbeiführten, während die begleitenden Haufen stets die Mitglieder wechselten.

Die Todesdrohungen, die im Schmidtischen Garten und Hause fielen, beweisen nichts. Wenn gesagt wurde, den Reitern müsse es wie den Pferden ergehen („diese Opfer haben wir, die andern kriegen wir auch“), so ist zu erinnern, daß die Drohung, die Pferde zu tödten, gleichfalls wegen Meinungsverschiedenheit unter den Betheiligten unvollzogen geblieben ist. Unfehlbar haben ferner allerdings verschiedene einzelnen Personen zur Tödtung der Abgeordneten aufgefordert und sogar aufs Heftigste angereizt. Aber es waren dies gerade zum Theil solche, denen weder ein wirklich bestimmender Einfluß auf die schon vorher entschlossenen Thäter, noch auch die Kraft zugeschrieben werden kann, die übrige Masse davon zu überzeugen, daß eben nur oder in jedem Falle Tödtung beabsichtigt werde. Daß die Todesdrohungen gerade von [104] solchen ausgegangen wären, welche die Tödtung nachher wirklich verübten, ist nirgends erwiesen oder auch nur behauptet. Wenn dies aber auch der Fall wäre, so ist doch jedenfalls bei dem zuerst ausgeführten Verbrechen so viel gewiß, daß gerade diese Hauptpersonen noch keineswegs auf erkennbare Weise als Führer hervortraten, deren Aeußerungen ein überwältigender Einfluß auf die Uebrigen zuzuschreiben gewesen wäre. Einen solchen kann man aber auch nicht aus den von ganzen Haufen ausgestoßenen Reden, z. B. daß Standrecht gehalten, daß geschossen werden müsse etc., erschließen. Denn (s. o.) dieses Geschrei erscheint eben nur als ein Ausdruck roher Wünsche, brutaler Sympathie, der für eine zur That bereite Tödtungsabsicht solang nichts beweist, als noch Alles dafür spricht, daß die brüllende Masse bei dem ganzen durch verhältnißmäßig wenige Personen aufgeführten Schauspiel sich denn doch nur als passive Zuschauerin benahm, welche Vertheidiger wie Angreifer gewähren ließ.

Dieses Verhalten der großen Mehrzahl, die „nur so drum herum war,“ wird aber noch ganz besonders durch die Thatsache bestätigt, daß nach der überraschend schnell erfolgten Ermordung Auerswalds gemäß den übereinstimmenden Aussagen vieler glaubwürdigen Personen zwar ein großer Theil der mit Auerswald aus dem Garten gekommenen Bewaffneten in den Garten zurückstürmte, ein andrer aber auseinanderstob und sich auf der Haide zerstreute. Von Einzelnen, die Auerswald mit herausführen halfen, ist sogar erwiesen, daß sie sich aus dem Staube gemacht haben, noch ehe es zur Katastrophe kam. In dem zweiten Falle konnte allerdings die Katastrophe das Ueberraschende nicht haben, wie im ersten; dagegen sind hier von um so [105] größerem Gewicht die beiden Momente, daß einmal außer der Kerntruppe der zum voraus Entschlossenen das Personal der Begleitenden großentheils ein erst neu hinzugekommenes, und zweitens in diesem Falle der Widerstreit der Meinungen, ob man zur Tödtung fortschreiten oder bei der bloßen Gefangennehmung stehen bleiben solle, viel stärker und hartnäckiger war, als in dem ersten Falle.

Wenn ein Mitangeklagter allerdings sagt, er habe sich gedacht, daß die Herren kaponirt werden sollten, so versichert doch derselbe, was auch Andre bestätigen, im Garten und Hause sei davon nichts geäußert worden; und ein Zeuge gibt ausdrücklich an, er habe nicht geglaubt, daß man die zwei Herrn umbrächte; er habe gedacht, man werde sie blos mitnehmen.

Unter diesen Umständen kann denn auch auf die Motive, welche unter der Masse eine feindselige Gesinnung gegen die Abgeordneten zu erregen oder zu steigern geeignet waren, kein entscheidendes Gewicht gelegt werden, da die bloße Vermuthung einer Sympathie mit den Mördern durch keinerlei wirkliche Anzeigen einer Steigerung der Sympathie zu energischem Willen unterstützt wird.

Am wenigsten endlich darf aus der Kontinuität der sich aneinander reihenden Verbrechen geschlossen werden. Denn, so wahrscheinlich es auch ist, daß eine solche für eine kleine Minderzahl der Mitwirkenden in entschiedenster Weise stattgefunden habe, so gewiß ist doch auch, daß dasselbe nicht auch hinsichtlich der Mehrzahl behauptet werden kann. Dagegen spricht schon der wechselnde Bestand derselben, das Weglaufen Vieler, das Hinzutreten neuer Mitglieder. Aber auch abgesehen hievon, ist jedenfalls bei Auerswald nach der Auffassung der meisten und [106] tüchtigsten Zeugen trotz alles vorangegangenen Schreiens und Tumultuirens die Tödtung selbst überraschend eingetreten. Solang er im Garten war, wurde er nur auf brutale Weise mißhandelt, zugleich aber auch noch fortwährend beschützt, so daß es noch nicht als gewiß erscheinen mußte, daß es wirklich zur Tödtung kommen werde. Erst als Auerswald, von seinem Beschützer weggerissen, in den Graben sprang oder gestoßen wurde, benützten zwei Personen rasch die gute Gelegenheit, um den Wehrlosen, Halbliegenden aus nächster Nähe zu erschießen.

Aber auch in Lichnowskys Fall wurde die Kontinuität der Handlungen sehr entschieden und auf längere Zeit unterbrochen durch die Bemühungen derer, welche den Fürsten blos nach Hanau gebracht wissen wollten. Es ist glaubhaft bezeugt, daß diese Bemühungen längere Zeit erfolgreich waren, daß dann erst Einem, dem D. Georg, die Geduld riß, dieser auf die Führer Lichnowskys zu schießen drohte, wenn sie ihn nicht losließen, sofort der Fürst bloßgestellt und ohne weiteren Zeitverlust rasch hinter einander von 4–5 Schüssen getroffen wurde. Man kann hiernach den Akt der Tödtung nicht als die einfache und selbstverständliche Folge der gewaltsamen Bemächtigung ansehen.

Sowie die Sache sich darstellt, erscheint als das allein sichere Ergebniß dies: daß eine Minderzahl zum Aeußersten Entschlossener das doppelte Verbrechen unternahm und vollführte, unterstützt durch die Sympathie einer Mehrzahl andrer, vom Zufall mit ihr verbündeten Personen. Diese Andern wurden mit jenen durch den gleichen Grund im Schmidtischen Garten zusammengeführt, – durch die Absicht, die entflohenen Reiter zu verfolgen, zu packen, [107] beziehungsweise zu mißhandeln. Insoweit hatte die vorausgegangene Verfolgung nothwendig eine Gemeinschaftlichkeit des Willens herbeiführen müssen. Was nun aber mit den Aufgefundenen geschehen sollte? – das war noch nicht entschieden[WS 2], weder ausdrücklich, noch stillschweigend durch die einfache Thatsache der Verfolgung, die nur das Eine unzweifelhaft ausdrückte, daß die Flüchtigen in die Gewalt des Volks gebracht werden sollten. Daß es zur Tödtung kommen würde, war allerdings sehr möglich, ja wahrscheinlich. Kam Jemand bereits mit der Absicht der Tödtung, – nun wohl! so trat er sofort in das Verhältniß der Miturheberschaft mit denjenigen, welche in der gleichen Absicht hergekommen waren. Ist aber eine solche mitgebrachte Absicht bei dem Einzelnen nicht erwiesen, so berechtigt nichts zu der Annahme, daß sie ihm beim Eintritt in den Schmidtischen Garten sofort stillschweigend mitgetheilt worden sein müsse.

Diese Ansicht wurde denn auch von der Mehrheit gutgeheißen und der Beurtheilung der Verschuldung der einzelnen Angeklagten zu Grunde gelegt.





[61] *) Von Daniel Georg wird erzählt, er habe theils dem General Auerswald, als er um sein Leben gefleht, gesagt: „Komm her! Du sollst ein republikanisches Nachtessen mit mir genießen“, theils zu Lichnowsky: „komm her! Ich will Dir noch einmal deinen Freund zeigen, daß Du ihm die Hand geben kannst.“ – Er habe dem Einen oder Andern das Zündhütchen vorher gezeigt, mit dem er erschossen werden sollte. – Der Fahnenträger habe auf dem Brückchen vor Lichnowsky die Fahne geschwenkt und sei dann vor ihm hergegangen. Auch erzählt die Ehefrau des Gärtners Schmidt: noch ehe Auerswald entdeckt worden sei, habe ein Kerl mit einer Lanze, von Lichnowsky sprechend, zu ihr gesagt: „Wie wär’ es, Madamchen, wenn ich nachher ein Stück von dem als Kotelett gebraten auf meinem Spieß brächte? das ließe sich wohl köstlich schmecken.“ Dabei habe der Kerl mit der Zunge geschnalzt.

**) Hiefür liegt eine ganze Reihe von Zeugnissen vor, welche übereinstimmend besagen, daß namentlich wieder Daniel Georg (in geringerem Maß K. Schäfer u. A.) in unendlichen Wiederholungen und nimmersatter Ruhmredigkeit sich in verschiedenen Wirthshäusern seiner Thaten berühmt habe: er habe den Mann im Schlafmantel herausgeholt, er habe Auerswald und Lichnowsky erschossen, er habe zwei Spione erlegt, sein Gewehr habe seine Schuldigkeit gethan, habe dem Lichnowsky in den Rücken geblasen u. s. f. Der Berliner soll sich auch auf seiner Flucht nach Straßburg auf dem Dampfschiff öffentlich in eckelhaft affektirter Weise der Erschießung Lichnowskys berühmt haben. Aehnliche ruhmredige Aeußerungen werden von Joh. Pflug berichtet, noch mehr aber von Pet. Ludwig. Er soll sich der Erschießung Auerswalds gerühmt und dazu den Reim gesagt haben: „Juchhe! es ist vollend’t: seine Seele spricht nicht mehr im Parlament u. s. f.“


[63] *) Diese mildere Auffassung der Willensstimmung bei sämmtlichen Betheiligten im Durchschnitt will der Verfasser nicht als unrichtig anfechten. Er hat sich derselben nach dem Grundsatz, daß im Zweifel das Mildere anzunehmen ist, selbst anbequemt, soweit es sich um die Mißhandlung und Tödtung der beiden Verfolgten handelt. Verhehlen kann er aber nicht, daß ihm mit dieser Annahme, daß Mißhandlung und Tödtung im Affekt verübt worden seien, die weitere Annahme, daß in Beziehung auf Beides, namentlich in Beziehung auf Tödtung Komplott anzunehmen sei, nicht ganz zusammen zu stimmen scheint. S. Meine, neue Revision der Grundbegriffe des Strafrechts, S. 571. 572. Selbst Berner, der (die Lehre von der Theilnahme am Verbrechen S. 385) einen, eine zusammenhandelnde Menschenmenge „durchschnaufenden“ Massenaffekt [64] statuirt, läßt doch durch einen solchen nur Miturheberschaft, nicht aber Komplott begründet werden. S. auch Heuser a. a. O. S. 141; vergl. jedoch eb. S. 159. 161. Indessen dürfte das Richtigere im vorliegenden Fall sein, weder bei allen Betheiligten Handeln mit Vorbedacht, noch bei allen Handeln im Affekt anzunehmen, sondern die Frage bei jedem Einzelnen besonders zu stellen und zu beantworten.


[78] *) Ein Zeuge sagte, die Ermordung sei wegen der Republik geschehen, und „weil Lichnowsky die Weibsleute so schändlich behandelt habe.“ Bezeichnender ist aber jedenfalls die Angabe, daß Lichnowsky bei einer auf eine Barrikade gegebenen Salve sich im Sattel erhoben und Beifall geklascht habe.

[90] *)

Stets ist die Sprache kecker, als die That;
Und Mancher, der im blinden Eifer jetzt
Zu jedem Aeußersten entschlossen scheint,
Findt unerwartet in der Brust ein Herz,
Spricht man des Frevels wahren Namen aus.

 Schiller.

[93] *) Meine N. Rev. S. 587 und hiernach Berner a. a. O. S. 405.

**) Ebenso Luden Handb. I. S. 477.


[95] *) Meine N. Rev. §. 149. S. 562–576.

**) Berner, a. a. O. S. 348.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Erfogs
  2. Vorlage: enschieden