Auerswald und Lichnowsky/Die Untersuchung in Frankfurt a. M.
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Obwohl die Vorfälle, von denen es sich im Folgenden handelt, sich noch am hellen Tage und im Beisein einer Menge von Zuschauern ereignet hatten, so lieferte doch das Zeugenverhör vom 19. bis zum 23. Sept. kein Material, um gegen bestimmte Personen als verdächtig einschreiten zu können. Erst am 20/22. Sept. erfolgten verschiedene vertrauliche Mittheilungen, welche eine Reihe von Personen der Thäterschaft verdächtigten und gerichtliches Vorschreiten gegen dieselben veranlaßten. Allein diese Schritte blieben vorerst ohne Erfolg. Fast alle Verdächtigten waren flüchtig und die durch Vermittlung des Reichs-Justizministeriums wiederholt versuchten Bemühungen, die Auslieferung der in Frankreich Verhafteten zu erwirken, hatten die gewünschte Wirkung vorerst nicht.
Leider gelang es nicht, vom Reichs-Justizministerium die Verfügung einer Vereinigung der gesammten Untersuchung in Einem Centrum zu erwirken. Denn bereits waren neben der in Frankfurt begonnenen weitere Untersuchungen anhängig geworden: bei dem kurfürstl. hess. Justizamt Bockenheim, – bei dem großherz. hess. Landgericht Rödelheim, bei dem großherz. hess. Landgericht Offenbach, – und bei dem herz. nassauischen Kriminalgericht Wiesbaden. Indessen hat von allen diesen Untersuchungen nur die in Kurhessen [15] eröffnete zu einem Resultate geführt, indem sie in einem Erkenntniß des Schwurgerichtshofs zu Hanau dd. 27. April 1850 (vgl. das Urtheil der Kriminalkammer des O. A. Ger. zu Kassel dd. 10. Aug. 1850) sich abschloß.
Die Frankfurter Untersuchung wurde im März 1849 in einem Hauptberichte abgeschlossen, dem jedoch kein Endurtheil folgte. Eben damals schien sich nämlich die Hoffnung verwirklichen zu wollen, daß die bisher vergeblich betriebene Auslieferung der flüchtigen Hauptverdächtigen seitens der französischen Regierung endlich zu Stande kommen würde. Vom Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten in Paris wurde die Auslieferung von 9 Personen unter dem 29. Juni ausdrücklich zugesagt. Allein die Sache zerschlug sich abermals; denn aus einer Mittheilung gedachten Ministeriums vom 12. Juli gieng hervor, daß vier von den genannten Personen noch gar nicht verhaftet, die fünf übrigen in Verdun verhaftet Gewesenen aber aus dem Gefängnisse entsprungen und wahrscheinlich nach Belgien entkommen seien.
Mittlerweile war das peinliche Verhöramt in Frankfurt vornämlich nur mit der Erledigung von Requisitionen in der in Kurhessen im Gang befindlichen Untersuchung beschäftigt.
Erst am 3. Juni 1850 gelang es einer Mittheilung des kurhessischen Staats-Prokurators zu Hanau, die Thätigkeit der Frankfurter Gerichte wieder anzuregen.
Es war nämlich unterdessen in Kurhessen eine neue Untersuchung wegen Theilnahme an der Ermordung von Auerswald und Lichnowsky anhängig geworden, und das hiemit beschäftigte Gericht hatte durch Vermittlung der preußischen Gesandtschaft in London ein auf die Erzählungen [16] des flüchtigen Aug. Escherich gegründetes, interessantes Zeugniß eines in London sich aufhaltenden deutschen Sprachlehrers erhalten, welches neues Licht auf die Sache warf und über den Aufenthaltsort einiger seit 1848 steckbrieflich Verfolgten Aufschluß gab.
Auch hatte schon am 25. Nov. 1849 das peinliche Verhöramt in Erfahrung gebracht, daß ein Hauptverdächtiger, G. A. Nispel, sich in Paris aufhalte, und diplomatische Verwendung behufs der Erwirkung seiner Auslieferung nachgesucht. Zwar zeigten dießmal die französischen Behörden größere Dienstfertigkeit, als früher. Gleichwohl kam derselbe erst am 1. Aug. in Frankfurt an. Die Untersuchung gegen ihn dauerte bis zum 25. März 1851.
Von hier an bis zum September, resp. November 1851 zeigen aber die Akten abermals eine Periode von auffallender Stagnation, die sich nur durch die fortdauernde Unsicherheit über das Maß der auch in Frankfurt eingeleiteten Justizreform, namentlich über die Einführung der Schwurgerichte erklärt. Erst im Sept. 1851 scheint das Appellationsgericht auf den Gedanken gekommen zu sein, den seit 4 Jahren verhafteten Angeklagten Henr. Zobel und Ph. Rückert den Vorschlag zu machen, ob sie etwa – mit Verzicht auf schwurgerichtliche Verhandlung – „die alsbaldige Fortsetzung (?) und Beendigung der gegen sie eingeleiteten strafgerichtlichen Verhandlung nach dem dermalen gesetzlich geltenden Strafverfahren für sich in Anspruch zu nehmen gemeint sein und ihren Antrag hierauf richten möchten,“ welchenfalls ihnen die Zulassung formeller Defension unter Gewährung von Akteneinsicht und sofortige Entscheidung mittelst Aktenversendung in Aussicht gestellt wurde. Dem Angeklagten Nispel wurde derselbe [17] Vorschlag erst im Nov. 1851 gemacht. Allein auch für die erstgenannten Angeklagten kam es erst am 31. Okt. und 8. Nov. zur wirklichen Vollziehung der betreffenden Anordnung, infolge deren die formelle Vertheidigung der drei Angeklagten zu den Akten gebracht und die Versendung der Akten an das Spruchkollegium in Tübingen beliebt wurde.