Atala
[123] Atala. (Mit Illustration S. 109.) Chateaubriand († 1848), der freiheitbegeisterte große französische Schriftsteller und Staatsmann, den die Ermordung des Herzogs von Enghien zum Todfeinde Napoleons machte, hatte mit 22 Jahren sein Vaterland verlassen, um in den Urwäldern Amerikas seinem Drange nach Unabhängigkeit und ungebundener Freiheit leben zu können. Mit Indianern durchschweifte er das Land vom Niagara bis Louisiana, und dieser Zeit verdankt seine Erzählung „Atala“, durch welche er seinen dichterischen Ruhm begründete, ihre Entstehung. Atala, die Tochter eines Weißen und einer Indianerin, wird von ihrer Mutter, die dann später einen Häuptling der Muscogulgen heirathete, im Christenthume erzogen. Schakta, der Sohn eines Häuptlings der Natches, wird von den Muscogulgen gefangen und zum Feuertode verurtheilt. Atala rettet ihn davor unter eigener Lebensgefahr, und die beiden jungen, in Liebe zu einander entbrannten Leute fliehen. Unter unsäglichen Mühsalen in der einsamen Wildniß des Urwaldes gelangen sie endlich zur Hütte eines christlichen blinden Einsiedlers, der Schakta zum Christenthume bekehren und dann Beide als Gatten verbinden will.
Doch Atala ist durch einen Schwur, den sie ihrer Mutter auf dem Todtenbette geleistet, zur Ehelosigkeit und Entsagung verurtheilt und vergiftet sich, um in dem Kampfe ihrer Liebe und Leidenschaft gegen das Gelübde nicht zu unterliegen. Schakta ist zerschmettert von dem Entsetzlichen, rast und tobt und flucht dem Gotte der Christen, der so Unnatürliches zugelassen, wird aber von dem Einsiedler endlich beruhigt, und Beide schreiten zur Bestattung der lieblichen, so früh dahingerafften Menschenknospe.
Diese Beerdigung Atala’s hat das ergreifende Gemälde Courtois’, dessen Holzschnitt nach einer im Verlage von Braun u. Comp. in Dornach erschienenen Photographie ausgeführt ist, zum Vorwurf.
Unter dem Bogen einer natürlichen Brücke sollten die Ueberreste der so Heißgeliebten bestattet werden. Der Eremit hatte sie in ein Stück europäischer Leinwand gewickelt, die seine Mutter selbst gesponnen hatte und die – das Einzige, was ihm aus seinem Vaterlande geblieben – für sein eigenes Grab bestimmt war. Zu schlafen schien die Jungfrau, ihre Lippen, einer kaum geöffneten Rosenknospe gleich, schienen in süßem Verlangen zu lächeln. Ihre schönen Augen waren geschlossen, der herrliche Kopf, die Schultern und die Füße waren entblößt. So trug der verzweifelte Schakta den Leichnam der geliebten Braut zu der einsamen Stelle des vertrockneten Gießbaches, und in der Wildniß des Urwaldes lagen der junge Wilde und der alte Eremit auf den Knieen einander gegenüber und gruben ein Grab für ein unglückliches junges Mädchen, das durch den tragischen Konflikt zwischen Liebe und Pflicht in den Tod getrieben war. – Schakta blieb ein gebrochener Mann, er kehrte zu seinem Stamme zurück und nahm erst kurz vor seinem Tode das Christenthum an.
–r.