Asyl für stellenlose Erzieherinnen
[233] Asyl für stellenlose Erzieherinnen. In Karlsruhe soll unter Mitwirkung des Frauenvereins, der unter dem Protectorate der Großherzogin Louise von Baden steht, durch Fräulein Fanny Trier ein Asyl für stellenlose Lehrerinnen und Erzieherinnen gegründet werden. Wer da weiß, was es heißt, ohne Zufluchtsort zu sein und dabei die Sorge für die Zukunft im Herzen zu haben, der wird den Segen einer solchen Anstalt leicht erkennen. Vielleicht braucht dieser Plan nur bekannt zu werden, um den Wohlthätigkeitssinn Vieler anzuregen, vor Allem aber alle Erzieherinnen zu veranlassen, das Ihrige dazu beizutragen, daß Fräulein Trier’s Ideen verwirklicht werden. Dieses Asyl würde die erste derartige Anstalt in Deutschland sein. Engländer und Russen sind uns darin längst zuvorgekommen.
Fräulein Trier, in deren Hause in Paris ich vor zehn Jahren, als ich selbst noch Lehrerin war, mehrere Monate zugebracht habe, hat dort schon lange Jahre für dieselbe Sache gearbeitet, der sie jetzt alle ihre Kräfte widmen will. Sie nahm damals gegen geringes Kostgeld, oft sogar ganz ohne dasselbe (ihre eigenen Mittel waren durchaus nicht bedeutend), so viele junge Mädchen in ihrem Hause auf, als sie irgend konnte. Und wahrlich, es war eine Wohlthat, bei ihr aufgenommen zu werden; denn wir Alle fanden an ihr eine mütterliche verständige Freundin. Sie sorgte dafür, daß die Zeit des Wartens auf eine neue Stelle, eine sonst so schwere Zeit, durch nützliche zweckmäßige Thätigkeit ausgefüllt wurde und die Muthlosigkeit nicht aufkommen konnte.
Der Krieg hat Fräulein Trier in ihr Vaterland zurückgeführt; das soll nun die Früchte ihrer vielen Erfahrungen ernten. – Seit dem 1. Januar dieses Jahres besteht, durch sie gegründet und unter ihrer Leitung, in Karlsruhe eine Central-Nachweiseanstalt, die den Zweck hat, „Erzieherinnen auf eine der hohen Bedeutung ihrer Stellung würdige Weise den Familien zuzuführen und Eltern und Erzieherinnen der unangenehmen Nothwendigkeit zu entheben, sich einander ohne Gewährleistung zu begegnen.“ Die Nachweiseanstalt übernimmt die Vermittelung zwischen den Familien oder Erziehungsanstalten und den Erzieherinnen unentgeltlich.
Die Familien oder Erziehungsanstalten, welche sich an die Anstalt wenden wollen, werden ersucht, die Verhältnisse der von ihnen angebotenen Stellen so genau als möglich anzugeben, ebensowohl was von den Erzieherinnen gefordert wird, wie die Vortheile, die geboten werden, Gehaltsangabe etc.
Die Erzieherinnen haben einzuschicken:
- 1) einen kurzen Lebenslauf (mit Angabe des Geburtsortes, des Alters, der Religion, der Stellung der Familie etc.);
- 2) ein beglaubigtes Zeugniß des Vorstandes der von ihnen besuchten Schule oder der betreffenden Schulbehörde;
- 3) ein beglaubigtes Zeugniß der Familien oder Anstalten, in denen sie bereits gewirkt haben;
- 4) beglaubigte Abschriften der Zeugnisse über etwa bestandene Prüfungen.
Zuschriften werden franco erbeten, mit Einlage von Marken, wenn man frankirt Antwort zu erhalten wünscht, unter der Adresse: Centralanstalt für Erzieherinnen, in Karlsruhe.
Fräulein Trier schreibt mir darüber:
„Unsere Nachweiseanstalt ist seit dem 1. Januar eröffnet; der erste Monat hat ein unerwartet gutes Ergebniß geliefert; viele Familien habe sich an uns gewandt, und schon sind viele günstige Engagements geschlossen worden; die Sache bedarf nur des Bekanntwerdens, um segensreich zu wirken, und das ist auch Alles, was ich will. Die Nachweiseanstalt ist nur die Introduction zu einer größern Institution, von der ich mir den größten Einfluß verspreche, die aber nur dann gegründet werden kann, wenn ich die nöthigen Fonds gesammelt haben werde. Deshalb habe ich zu dieser Gründung die Hülfe meiner Freunde und aller guten Menschen nöthig, die an gemeinnützigen Bestrebungen Theil nehmen. Ich will nämlich ein Asyl für stellenlose Erzieherinnen gründen, wo diese für eine sehr mäßige Pension anständiges Unterkommen finden, bis die Nachweiseanstalt für sie gesorgt hat. Mit dieser Anstalt aber soll eine Fortbildungsschule eröffnet werden, in welcher Mädchen, die mangelhaft für den Beruf der Erzieherin vorbereitet sind, den nöthigen Unterricht finden, damit sie wenigstens den Elementarunterricht nach den Ansprüchen der Gegenwart ertheilen können. Der Krieg hat solch arme, zu nichts Rechtem vorbereitete Mädchen in Menge geschaffen, die von Stelle zu Stelle gehen, überall unzulänglich gefunden werden, am Ende die Achtung Anderer und die ihrer selbst verlieren und traurig zu Grunde gehen.“
So weit der Brief. Man sieht aus ihm, welch hohe Ziele sich Fräulein Trier gesteckt hat; möchte es ihr vergönnt sein, dieselben zum Wohle so Vieler zu erreichen!
Gruschewka, den 5. März alt. St. 1873.