Armenien und Europa. Eine Anklageschrift/Erster Teil/Fünftes Kapitel

<<< Erster Teil >>>
{{{UNTERTITEL}}}
aus: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift
Seite: {{{SEITE}}}
von: [[{{{AUTOR}}}]]
Zusammenfassung: {{{ZUSAMMENFASSUNG}}}
Anmerkung: {{{ANMERKUNG}}}
Bild
page
[[w:{{{WIKIPEDIA}}}|Artikel in der Wikipedia]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[[Index:{{{INDEX}}}|Wikisource-Indexseite]]
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
5. Die türkische Lügenfabrik.

Wir haben im vorigen Kapitel unsere Beschuldigungen gegen die türkischen Civil- und Militärbehörden in einer langen Reihe von Anklagen zusammengefaßt und unsern Lesern bereits genügendes Material unterbreitet, um sie in stand zu setzen, sich von der Wahrheit unserer Beschuldigungen zu überzeugen. Wir müssen nun einen Schritt weitergehen und die Frage aufwerfen: Haben diese Behörden aus eigener Initiative oder auf höheren Befehl gehandelt?

Ehe wir eine Antwort auf diese Frage geben, ist es notwendig, zuvor eine merkwürdige Thatsache zu untersuchen, welche aus allen Provinzen in übereinstimmender Weise berichtet wird: In allen Städten und Landdistrikten wurden die Vorsteher, Notabeln und Priester der armenischen Gemeinden durch Einkerkerung, Folterungen, Bedrohung mit Tod und Androhung neuer Massacres durch die Behörden selbst gezwungen, lügenhafte Erklärungen, falsche Berichte, erheuchelte Dankadressen und gefälschte Dokumente jeder Art zu unterschreiben, des Inhalts, daß sie selbst, die Armenier, durch revolutionäre Aufstände den Frieden gestört hätten, der nun, dank der Bemühungen der Regierungsbehörden, wieder hergestellt sei.

Für wen waren diese Zwangserklärungen bestimmt? Von wem wurden sie gewünscht? und welcher Gebrauch wurde von ihnen gemacht?

Die Erörterung dieser Fragen ist notwendig, ehe wir den nächsten Schritt in der Untersuchung der Schuldfrage thun können.

Zunächst die Thatsache der Zwangserklärungen und die Methode, mit der sie erpreßt wurden. Wir geben eine kleine Auswahl von Berichten, die einen genügenden Einblick in beides eröffnen. Anführungen aus dem Botschafter-Bericht setzen wir in Anführungsstrichen:

Diarbekir. „Nachdem Aniz Pascha die Bestätigung seines Amtes als Vali Anfang Oktober 1895 erhalten hatte, begann er damit, die Christen aufzureizen und Zwietracht zwischen den Gemeinden und dem Klerus zu säen, indem er diesen zwingt, ein Dank-Telegramm an den Sultan zu unterzeichnen für seine definitive Ernennung zum Vali. Nach dem Massacre verweigert er der armenischen Gemeinde, welche 400 Familien zu ernähren hat, die geringen Unterstützungen, die von der Behörde bewilligt sind, aus dem Grunde, weil der Bischof es abgelehnt hat, ein Telegramm zu unterzeichnen, welches die Schuld den Armeniern zuschrieb.

Erzingjan. Drei Wochen nach dem Massacre präsentierten die Behörden dem Bischof ein Telegramm, das an den Sultan und die Centralbehörde gesandt werden sollte, dessen Inhalt den Armeniern die Provokation und Verantwortlichkeit für die Massacres zuschrieb. Die Armenier weigerten sich, aber man übte Pression aus. Arretierungen erfolgten. An den Bettelstab gebrachte Notable seufzen im Kerker.

Sivas. „Alle möglichen Mittel wurden angewendet, um die Christen zu zwingen, Erklärungen zu unterzeichnen, in denen die Armenier der Provokation beschuldigt werden, und ihre Glaubensgenossen zu denunzieren.

Seert. „Die Behörde bedient sich aller Mittel, um die Armenier zu zwingen, eine Erklärung zu unterzeichnen, dahingehend, 'daß sie selbst die Unruhen provoziert hätten.“

Arabkir. Man zwingt die armenischen Gefangenen, eine Erklärung zu unterzeichnen, daß die Armenier die Unruhen provoziert hätten.

Die Behörden des Distriktes von Aghen verlangen von den Armeniern, daß sie mit ihrer Unterschrift bescheinigen, sie hätten freiwillig den Islam angenommen. Die Einwohner des Dorfes Antscherti mußten ebenfalls eine Erklärung in gleichem Sinne unterzeichnen.

Nicht nur auf die Armenier, sondern auch auf Würdenträger und angesehene Männer anderer Konfessionen, selbst auf Europäer, wird ein dahingehender Druck ausgeübt. „In Marsivan versuchte der Kaimakam (Distrikts-Gouverneur) die Jesuiten-Patres zu zwingen eine Erklärung zu unterzeichnen, daß die Armenier die Massacres provoziert hätten.

In Urfa wurden die Häupter verschiedener Religionsgemeinschaften und sogar Europäer mit ähnlichen Zumutungen von den Behörden belästigt.

Diese Zwangserklärungen wurden fast allerorten, wie es scheint, schon durch die eigene Initiative der Lokalbehörden erpreßt. Für die Aufhellung des Dunkels, welches bisher über das Entstehen der armenischen Massacres schwebte, ist es aber von besonderem Werte, festzustellen, daß auch die Emissäre des Sultans und die Enquete-Kommissionen, die von der Central-Regierung nach den Massacres in die Provinzen gesandt wurden, es sich angelegen sein ließen, solche Zwangsadressen sei es selbst zu erwirken oder von den Lokalbehörden erwirken zu lassen, wie denn überhaupt diese Kommissionen sich ihrer Aufträge auf die merkwürdigste Weise erledigt haben.

Nach Baiburt und Mezere kamen zwei Kommissare, riefen einige der ersten Männer unter den Armeniern zu sich, sagten ihnen, wieviel von dem gegenwärtigen Herrscher für ihr Volk gethan worden sei, schoben alle Schuld der Unruhen auf sie und drohten, daß noch größere Strenge angewendet werden würde, wenn sie noch weitere Unruhen verursachten. Diese Kommissare, welche herumreisten, um die Spuren der Verwüstungen hinwegzuschaffen, zwangen die Armenier, Läden und Bazare zu öffnen, obgleich sie keine Waren zum Verkaufen hatten. Anfang Januar kamen mehrere Regierungsbeamte in die Provinzen Charput und Diarbekir, um die vor kurzem bekehrten Dörfer zu besuchen und den Einwohnern einzuschärfen, wenn gefragt, keineswegs einzugestehen, daß man sie zur Annahme des Islam gezwungen habe. Im anderen Falle stehe ihnen die Todesstrafe bevor.

Die türkische Enquete-Kommission in Musch begann nach ihrer Ankunft damit, den Lokalbehörden Vorwürfe zu machen, daß es ihnen noch nicht gelungen sei, von den Armeniern von Musch Dankadressen an den Sultan zu erwirken. Der Pascha rief den Vorsitzenden der Ephorie und forderte ihn unter Drohungen auf, ein Danktelegramm zu unterzeichnen. „Aber wofür wollen Sie, daß wir uns bedanken?“ fragte der Vorsitzende. „Das geht Sie nichts an, thun Sie wie die andern.“ Er bat, das Telegramm vom Metropolitan unterzeichnen zu lassen und entfernte sich. Auch in das Gefängnis wurde geschickt. Nachdem man die Gefangenen gefoltert, ihnen die Bastonnade gegeben, Massen von Eiswasser über ihre Köpfe geschüttet und ihren Leib mit Nägeln durchbohrt, erpreßte man von ihnen ein Telegramm an die Centralbehörde, worin sie die Verantwortlichkeit der Unruhen auf sich nahmen und die armenische Bevölkerung der Anstiftung beschuldigten. Auf Bitte der Gefangenen unterschrieben auch die angesehensten Einwohner der Stadt das Telegramm, um ein neues Massacre zu vermeiden. Nach diesem ersten Telegramm redigierten die Behörden ein zweites, welches den Armeniern noch schwerere Verschuldungen aufbürdete, und man zwang sie unter den schrecklichsten Drohungen zu unterzeichnen. Sie gaben nach, um einem neuen Massacre zu entrinnen.

Bei dem letzten Massacre in Wan, 14.–22. Juni 1896, zwang der Kommissar der Hohen Pforte eine Anzahl hervorragender Armenier unter Anwendung von Gewalt dazu, ein Schriftstück an die Adresse des Sultans zu unterschreiben, worin sie erklären, daß die belanglosen Unruhen (es wurden dabei nur 20 000 Armenier ermordet) in Wan durch Anstiften einiger verbrecherischer armenischer Uebeltbäter hervorgerufen worden seien.

Man wird vielleicht sagen, warum unterschreiben die Armenier solche Lügenfabrikate? Wir geben die Antwort mit zwei Dokumenten, die wohl genügen werden, um jede weitere Nachfrage nach Gründen verstummen zu machen.

Das eine, ein Brief aus Arabkir vom 29. Dezember 1895:

„Mein lieber Bruder! … Das cynischste an dieser ganzen Sache ist dies, daß nach allen Leiden, die wir haben erdulden müssen, man uns zwingt, Dankadressen an den Sultan zu unterzeichnen. Man zwingt uns sogar, zu sagen, daß wir selbst, die Armenier, all dies gethan hätten. Sind denn die Armenier verrückt geworden, daß sie sich selbst, einer den andern umgebracht und ihre eigenen Häuser verbrannt haben sollen? Und ist Europa so blöde, daß man sich nicht schämt, es mit solchen abgeschmackten Mitteln zu täuschen? Oh, sagen Sie es in Europa, wie es hier zugegangen, damit man kommt, uns zu retten; ohne Hilfe sind wir verloren. Unser Elend ist furchtbar. Was die Massacres überlebt hat. Frauen, Greise und Kinder, kommt von den Bergen, wohin sie sich geflüchtet hatten, zurück; krank, halb nackt, erschöpft vor Hunger und Kälte, irren sie von Straße zu Straße, klopfen an die Thüren der Häuser, die aus dem Brande übrig geblieben sind, und betteln. Aber niemand hat etwas, ihnen zu geben. Man ißt Gras.“

Haben Menschen, die an der Grenze des Hungertodes leben, noch die moralische Kraft, auch unter Torturen und Todesgefahr sich den diabolischen Lügenerpressungen der Obrigkeit zu entziehen? Daß es dennoch möglich ist, dafür ein heroisches Beispiel. Vielleicht gehen unsern Lesern die Augen darüber auf, welches Maß von Blut und Thränen selbst an ganz trockenen Depeschen oder Nachrichten klebt, welche von der türkischen Regierung in die stets willigen Telegraphen-Agenturen und Bureaus der großen Weltblätter hineinlanciert werden.

„In dem Dorfe Hoh, Distrikt Charput, versprachen die Aghas, die Christen zu schützen; aber als sie überall brennende Dörfer sahen, weigerten sie sich, ihr Wort zu halten. Die Christen wurden in einer Moschee versammelt, 80 junge Männer wurden ausgewählt und zum Dorf hinausgeführt, um dort abgeschlachtet zu werden. Hunderte von armenischen Christen wurden gepeinigt, weil sie sich weigerten, Adressen an den Sultan zu unterschreiben, in denen ihre Verwandten und Nachbarn des Hochverrats beschuldigt wurden. Einer z. B. hatte sich geweigert, einen Eid zu leisten, der die besten Leute seines Dorfes dem Henker überliefert hätte. Daraufhin befahlen seine Richter, ihn zu foltern. Eine ganze Nacht wurde darauf verwendet. Zuerst empfing er Schläge auf die Fußsohlen in einem Raum, in dessen unmittelbarer Nähe sich seine weiblichen Angehörigen befanden. Dann entkleidete man ihn und band zwei Stangen, die von den Achselhöhlen bis zu den Füßen reichten, an seinem Körper fest. Dann wurden seine Arme ausgestreckt, die Hände an Stangen befestigt und dieses lebende Kreuz an einem Pfeiler festgebunden, worauf die Auspeitschung begann. Der Unglückliche vermochte kein Glied zu regen, um seine Schmerzen zu mildern, nur seine Gesichtszüge verrieten durch furchtbare Verzerrungen, welche Qualen er litt. Je lauter er schrie, um so wuchtiger fielen die Hiebe. Wiederholt fragte man ihn, ob er den Eid leisten wolle. Aber er antwortete stets: „Ich kann meine Seele nicht mit unschuldigem Blut beflecken, ich bin ein Christ!“ Nun holte man Zangen herbei, um ihm die Zähne auszureißen, stand aber davon ab, da er fest blieb. Ein Beamter gab hierauf seinen Dienern den Befehl, dem Gefangenen die Barthaare einzeln mit den Wurzeln auszuziehen. Es geschah unter lautem Hohngelächter. Als auch dies nichts half, hielt einer einen glühenden Bratspieß an die Hände des Unglücklichen, dessen Fleisch brannte, und der in seiner Qual ausrief: „Um Gottes Barmherzigkeit willen tötet mich gleich!“ Die Henker nahmen hierauf das rotglühende Eisen von den Händen weg und legten es an Brust, Rücken, Gesicht und Füße. Dann rissen sie seinen Mund mit Gewalt auf und brannten seine Zunge mit glühenden Zangen. Der Unglückliche fiel drei Mal in Ohnmacht, aber jedes Mal, wenn er wieder zu sich kam, war sein Entschluß gleich unerschütterlich. Die Frauen und Kinder im Nebengemach wurden ohnmächtig vor Schrecken bei dem Stöhnen und Wehklagen des gefolterten Mannes. Als sie die Besinnung wieder erlangt hatten, wollten sie hinaus eilen, um Hilfe herbeizurufen. Die Polizeidiener an der Thür aber stießen sie ins Zimmer zurück.“

Wir denken, daß die Thatsache der Zwangserklärungen und die Methode, mit der sie erpreßt wurden, genügend erhärtet und beleuchtet ist. Ueberdies steht uns ja der Botschafter-Bericht auch hier zur Seite. Ehe wir aber die oben aufgeworfenen Fragen beantworten, möchten wir noch auf die offizielle Berichterstattung der türkischen Behörden etwas Licht fallen lassen. Der Botschafter-Bericht giebt an verschiedenen Stellen die von der türkischen Regierung gegebene Statistik der aus armenischer Seite Getöteten an. Wir konfrontieren diese türkischen Zahlen mit den Thatsachen.

                                               Armenier †
                              Offizielle Statistik     In Wahrheit
                              d. türk. Regierung     n. europ. Quellen.
Erzingjan                             70                 1000
Bitlis                               130                  900
Charput                               80                  900
Arabtir                              200                 4000
Amasia                                80                 1000
Vezir-Keupru                          38                  200
Aintab                               100                 1000
Marasch                               30                 1390

Wir haben bereits in einem früheren Artikel Angaben der türkischen Regierung über gefallene Muhammedaner notiert. Die Zahl derselben ist jedenfalls sehr sorgfältig ermittelt worden, und doch ist sie eine verschwindende. Man fragt sich: Wie wurden die Zahlen für die getöteten Armenier gewonnen? Hätte man die Wahrheit auch nur annähernd festgestellt, so würde man das Märchen von den armenischen Revolten niemandem haben glaubhaft machen können, deshalb begnügte man sich wahrscheinlich, die Zahl der gefallenen Türken mit 2 oder 3 zu multiplizieren und die so gewonnene Statistik den Botschaftern zu präsentieren. Wenn auch die europäischen Berichterstatter hernach einige Nullen anhängen mußten, so floß darüber viel Wasser den Bosporus hinab, und man konnte sie dann immer noch dementieren.

Es geht weiter aus dem Botschafter-Bericht hervor, daß die türkische Regierung bei allen Nachrichten von Massacres sofort bei der Hand war, die Armenier der Provokation zu beschuldigen; und sie wird auch nicht verfehlt haben, die von allen Seiten aus den Provinzen einlaufenden Erklärungen, über deren Ursprung wir uns bereits überzeugt haben, als Beweismittel vorzulegen. Leider erwiesen nur die gleichzeitig einlaufenden Konsularberichte, daß es mit den Provokationen nichts war, und daß die schönen Geschichten von armenischen Revolten, vom Schießen in die Moscheen, von Angriffen auf Patrouillen u. s. w. sich als niederträchtige Lügen herausstellten. Aber semper aliquid haeret, selbst an Botschaftern. Und was bei den Botschaftern nicht verfing, konnte immer noch gute Dienste leisten bei Telegraphen-Agenturen, Korrespondenten von europäischen und amerikanischen Zeitungen und zur Versendung an die türkischen Botschafter in allen Ländern. Ueberdies wurde auch noch der Telegraph in Atem gehalten mit nicht endenwollenden Nachrichten über revolutionäre Komitees, armenische Geheimbünde, Mordanschläge auf türkische Paschas, das Auftauchen armenischer Agitatoren bald in Paris, bald in London, bald in Athen, bald in Konstantinopel, bald selbst in Armenien, wo immer es nötig schien. Die Hohe Pforte konnte in dieser Beziehung daheim und auswärts so viel Nachrichten erhalten, als sie nur irgend wünschte. Was war auch leichter als, wo immer drei Armenier die Köpfe zusammensteckten, ein revolutionäres Komitee auszuheben und die Delinquenten, die man zu Dutzenden in Konstantinopel auf offener Straße hängen ließ, waren ja Beweis genug für die Wahrheit aller gegen die Armenier ausposaunten Beschuldigungen. Ganz gewiß, es hat einige Revolutionäre gegeben, und es giebt noch in einigen Städten des Auslandes revolutionäre Komitees, und die menschliche Natur müßte sich verwandelt haben, wenn es sie nicht geben sollte, denn die türkische Verwaltung züchtet dieselben förmlich, und man kann sich nur darüber wundern, daß ihre Zahl so gering und ihre Handlungen so unbedeutend sind. Immerhin weiß es die türkische Regierung ihnen Dank, daß sie existieren, hat sie auch schon auf freien Fuß gesetzt, damit sie nicht aussterben, denn wer würde sonst die Spatzen liefern, nach denen man mit Kanonen schießen kann? Welcher Unfug aber mit den Nachrichten über armenische Revolutionskomitees etc. in europäischen Zeitungen getrieben wurde, darauf hat bereits der Herausgeber der „Christlichen Welt“ D. Rade gebührend hingewiesen und über die bodenlose Leichtgläubigkeit unserer Zeitungen und unserer Zeitungsleser ein gerechtes Urteil gefällt. „Die Teilnahmlosigkeit will nun einmal ihre Schutzhütte haben, in der sie unterkriechen kann!“

Nun, für wen sind jene Zwangserklärungen bestimmt gewesen, die den Armeniern alle Schuld in die Schuhe schoben? Für wen die Dankadressen, welche die väterliche Regierung Sr. Majestät des Sultans und die mütterliche Sorgfalt der Provinzialbehörden bescheinigten? Für wen die Telegramme, welche „vollkommene Ruhe“ kurz vor dem Ausbruch der Massacres oder mitten im Aufruhr nach Konstantinopel depeschierten? Ohne Frage in erster Linie für das ängstliche Europa, welches vor jedem Krachen in den Fugen des morschen türkischen Reiches wie vor einer Weltkatastrophe zittert, für besorgte Diplomaten, die um des Weltfriedens willen Beruhigung um jeden Preis für die höchste politische Weisheit halten und nicht vielleicht zum mindesten für das böse Gewissen christlicher Großmächte, welches auf diesem Ruhekissen über der durch ihre Politik aufgerührten orientalischen Frage am liebsten wieder einschlafen möchte. Um alles in der Welt Ruhe! Die hunderttausend erschlagenen Armenier werden ja so wie so den Mund halten. Es könnte aber sein, daß die Fabrikate der Lügenfabrik noch einen anderen Zweck gehabt haben. Vielleicht bedurfte eine emsige Hofkamarilla im Yildiz-Kiosk solcher Machwerke, wie wir sie charakterisiert haben, um ihren Herrn und Gebieter zu Entschließungen zu drängen, zu denen sonst vielleicht der zureichende Grund gefehlt hätte. Doch um diese Schlußkette zu Ende zu führen, müssen wir erst weiter ausholen.