Textdaten
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Autor: V.M.
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Titel: Arabische Erzählung
Untertitel:
aus: Wünschelruthe - Ein Zeitblatt. Nr. 47, S. 183/184
Herausgeber: Heinrich Straube und Johann Peter von Hornthal
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Vandenhoeck und Ruprecht
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Erscheinungsort: Göttingen
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Arabische Erzählung.




Alhareth, der Sohn Hammams, erzählte seine Geschichte und hub an: Zu dem was Merkwürdiges in diesem Jahrhunderte sich ereignete, rechne ich, was in der Stadt Maarvat-on-Naamam geschah. Zwei Leute, die einen Prozeß mit einander hatten, erschienen vor dem Kadi. Der eine war alt und finster, der andere war schön gewachsen und gebildet und glich der Myrabelane. Der ältere sprach zum Kadi: Gott erhalte den Richter, wie er den Kläger erhält. Ich hatte eine Sklavin, gut und regelmäßig gebildet, mit länglichem Kopf; sie war gelehrig bei der Arbeit, und vollbrachte sie schnell wie ein junger Hund; dann ruhte sie in einem kleinen Bette. Ihrer Frische schadete die Hitze des Julius nicht; sie war scharf und stechend. Ihre Hand, obgleich sie nur Einen Finger hatte, war geschickt im Säumen; ihr zahnloser Mund verwundete, so wie sie ihre Zunge rührte. Sie arbeitete in einem langen Gewande; das Schwarze und Weiße schadeten ihrem Glanze nicht; sie war nicht wie die Frauen manchen Beschwerden unterworfen; sie war klug und hinterlistig zu gleicher Zeit; sie verbarg und zeigte sich abwechselnd; sie war von Natur nützlich; sie war gehorsam, es mochte ihr gut gehen oder sie mochte in Noth sein. Was man trennte vereinte sie; und wenn sie sich einmal von euch trennte, so war sie weg. So oft man sie gebrauchte, stiftete sie Nutzen. Bisweilen schadete sie gegen ihren Willen; bestürzt schlich sie sich fort. Dieser Eigenschaften wegen bat mich der junge Mensch hier sie ihm zu leihen: ich that es, ohne ein Pfand zu nehmen, aber unter der Bedingung daß er sie gebrauchen sollte, ohne von ihr Arbeiten zu fodern die ihre Kräfte überstiegen. Er jedoch gebrauchte sie, vermehrte für sich durch ihre Hülfe die Mittel fortzukommen, und gab sie mir in einem sehr schlechten Zustande zurück.

Drauf nahm der junge Mann das Wort: der Alte, sprach er, redet Wahrheit wie der Vogel Kata; und was er da erzählt ist wahr, ich gestehe es, aber gegen meinen Willen ist das Unglück geschehen, und ich habe dem Alten, um ihn zu entschädigen, meinen Arbeiter gegeben, der in jeder Hinsicht gut ist, und wohlgestaltet als ob ihn ein Stahlarbeiter gemacht hatte; er ist frei von allem Schmutz und aller Unredlichkeit. Die Augäpfel nähern sich dem Orte wo er sich befindet; er thut Gutes und erregt Bewunderung; er ernährt den Menschen und nimmt seine Zunge in Acht. Wenn man ihn anschwärzt, befindet er sich wohl, wenn man ihn färbt, so wird er nur noch liebenswürdiger. Giebt man ihm Nahrungsmittel, so vertheilt er sie; und je mehr man ihm giebt, desto mehr verschenkt er. Er ist dankbar wenn man großmüthig gegen ihn ist; er ist gelehrig bei jeder Bewegung seines Freundes, obgleich er ein ganz anderes Naturel hat als jener; er wirft auf ihn den Schein und Glanz seiner Schönheit und raubt ihm nichts von seiner Sanftmut.“

Macht endlich ein Ende, rief der Richter, erklärt euch, oder pakt euch fort!

Der Alte, bestürzt über die Heftigkeit des Richters, stand lange da mit halboffenem Munde, und schlug die Augen nieder. Der Jüngling nahm wieder das Wort und sagte: „der Alte hat mir eine Nähnadel geliehen, um meine durch die Länge der Zeit abgenuzten Kleider auszubessern. Unglücklicherweise zerbrach ich sie, als ich einen Faden zu stark anzog. Als der Alte sah daß seine Nadel zerbrochen war, wollte er es mir nicht verzeihen. - Er sagte zu mir: bringe mir eine Nadel ganz so wie meine war, oder gieb [184] mir vollkommene Entschädigung.“ Er nahm zum Pfande meinen Pinsel, womit ich die Augen schwärze, und überhäufte mich mit Schimpfreden. Nun verderben meine Augen, weil ich meinen verpfändeten Pinsel nicht habe, und ich ihn nicht wieder kaufen kann. Sieh, Kadi, in welcher unglücklichen Lage ich bin, und bemitleide einen Menschen, der daran nicht gewöhnt ist.“

Der Kadi wendete sich zu dem Alten, und hieß ihn ohne Umschweif reden.

Ich schwöre bei der heiligen Caaba, versezte dieser, bei den Bewohnern des Thales von Mina, daß wenn das Glück mir günstig gewesen wäre, ich gewiß nicht diesen Pinsel zum Pfande genommen hätte, noch hieher gekommen wäre um Bezahlung für meine Nadel zu fordern[WS 1]. Aber, ach! von allen Seiten fliegen die Pfeile des Unglücks auf mich heran. Kennt ihr meine Lage, so kennt ihr auch die seinige. Wir haben nichts als unsre Armut, als das Unglück und unsere einzige Hülfe ist die Pilgrimschaft. Das Schicksal hat uns einander so gleich gemacht, daß ich eben so elend bin als er; denn er kann sich keinen Pinsel wieder kaufen und ich bin so arm daß ich mir keine Nähnadel wieder schaffen kann. Das ist unsere Geschichte, nun sprecht das Urtheil.

Als der Richter dies gehört hatte, nahm er ein Goldstück aus seiner Börse und sagte: Endigt durch dies Goldstück eure Zwistigkeiten.“

Der Alte riß das Gold weg, und ohne es mit dem jungen Manne zu theilen, eignete er es sich zu, indem er ganz ernsthaft zu ihm sagte: „die eine Hälfte gehört mir für meine Rechtfertigung, die andere weil du mir meine Nadel zerbrochen hast. Ich gebe gewiß keine meiner gerechten Ansprüche auf; daher erhebe dich und nimm deinen Pinsel wieder.“

Der Jüngling ward traurig, und der Richter ärgerte sich, wie er dies hörte, daß er das Goldstück gegeben hatte. Doch suchte er den jungen Mann durch einige Drachmen, die er ihm schenkte, zu trösten, und sagte dann zu beiden: „trefft ins künftige nicht wieder solchen Vergleich, hütet euch vor Zank, und erscheint nicht wieder vor mir um eure Streitigkeiten schlichten zu lassen; denn ich habe keine Börse um die Schulden der Partheien zu berichtigen.“

Die beiden Streitenden entfernten sich, froh über seine Freigebigkeit und überhäuften ihn mit Lobsprüchen. Der Kadi indeß, verbarg seinen Unwillen nicht, daß sein Stein genöthigt worden war Thau zu geben; und seine üble Laune zeigte sich deutlich, als er kein Mitleiden mehr empfand. Indeß als er etwas weniger mißlaunig ward, wendete er sich zu seiner Leibwache und sagte: „Jezt verstehe ich . . . mein Mißtrauen öffnet mir die Augen ... Es sind Spitzbuben und sie hatten sich verabredet! Wie kann ich das entdecken und ihnen ihr Geheimniß entlocken?“ - Man kann dies nicht erfahren, rief der verschlagenste seiner Begleiter, als wenn sie selbst es gestehen! - Der Kadi gab Befehl sie zurückzuführen.

Als sie vor ihm erschienen, sagte er: „Bekennt mir die Wahrheit, ich will euch verzeihen.“ Der junge Mann konnte kein Wort hervorbringen und stammelte einige Entschuldigungen. Der Greis trat näher und hub an: „Der Apfel fällt nicht weit von Stamme; ich stamme her aus Saroudje; er ist mein Sohn; der junge Löwe ähnelt seinem Vater. Die Geschichte von der Nadel und dem Pinsel ist erdichtet; aber die Noth hat uns so gequält, daß wir genöthigt sind freigebige Seelen um Allmosen zu bitten und selbst Geizige darum anzusprechen, auf mehrere Arten und Weisen, bald ernsthaft, wenn es glückt, bald scherzend, wenn was nöthig ist, um unser Elend zu erleichtern und unser kümmerliches Leben zu fristen. Der Tod lauert immer auf uns, und verschont er uns heute, so packt er uns morgen.

Der Kadi antwortete: „Wie gut weißt du deine Worte zu setzen! wie interessant wärest du, wenn du nicht ein Schurke wärest. Ich für mein Theil rathe dir in Zukunft keine Richter mehr zu hintergehen, und die Obrigkeit zu achten; denn nicht alle möchten es dir so hingehen lassen und deine Entschuldigungen anhören.“ Der Alte versprach dem Kadi seinem Rath zu folgen und nie wieder zu lügen. Er entfernte sich darauf, aber seine Miene verrieth eben nichts Gutes.

Alhareth, der Sohn Hammams, endigte seine Erzählung und versicherte daß er weder auf Reisen noch in seinen Büchern etwas Aehnliches gefunden habe.

V. M.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: fodern