Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I/Der liebste Roland

Rumpelstilzchen Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I von Johannes Bolte, Jiří Polívka
56. Der liebste Roland
Der goldene Vogel
Für verschiedene Auflagen des Märchens der Brüder Grimm siehe Der liebste Roland.

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56. Der liebste Roland. 1856 S. 96.

1812 nr. 56. – Von Dortchen Wild 19. Januar 1812 im Gartenhaus (von Nentershausen). 1819 stilistisch gebessert.

Nach einer andern Erzählung (1812) stecken die zwei bei ihrer Flucht eine Bohne in einen Kuchen, der eben auf dem Herd liegt und backen soll. Als die Stiefmutter aufwacht und ihre Tochter ruft, antwortet die Bohne für diese auf jede Frage und sagt, sie sei in der Küche und koche, so lange aber nur, als der Kuchen noch backt. Als er gar ist, schweigt sie still, da ist ihre Kraft vorbei, und über das Stillschweigen wird die Mutter aufmerksam und findet dann ihre tote Tochter[1]. – In einer weiteren hessischen Fassung (1822) wird das Märchen mit dem von Hänsel und Gretel (nr. 15) verbunden. Die Hexe will das Hänsel, weil es fett ist, töten und kochen; aber Gretel befreit es, und die Kinder [499] laufen fort, vorher speit aber Gretel vor dem Feuerherd. Wie nun die Hexe ruft: ‘Ist das Wasser bald heiß?’, antwortet die Speie: ‘Jetzt hol ich’s’, und hernach: ‘Jetzt kocht es’ und ‘Jetzt bring ich’s’, und jedesmal schläft die Alte ein bißchen dazwischen. Beim letzten Ruf aber, wo die Speie vertrocknet war, erhält sie keine Antwort; da steht sie auf, und wie sie die Kinder nicht findet, so tut sie ihre Schlittschuhe an und läuft ihnen nach. Aber das Mädchen hat sich in einen Teich, sein Brüderchen in eine Ente verwandelt, die darauf schwimmt. Die Hexe will den Teich aussaufen, aber sie platzt von dem Wasser und bleibt tot liegen. Die beiden nehmen ihre menschliche Gestalt an und gehen nach Haus. – Eine Variante aus Österreichisch-Schlesien bei Peter 2, 164 ‘Das Pfefferkuchenhaus’ hängt gleichfalls an die Geschichte Hänsels und Gretels, welche die Hexe in den Ofen schieben, die Flucht beider Kinder an, die Spiegel, Bürste und Schwamm hinter sich werfen und sich in einen Teich und eine Ente darin verwandeln. Bechstein, Neues MB. nr. 19 ‘Vom Knaben, der das Hexen lernen wollte’.

Daß das Mädchen nachts durch Tausch des Bettplatzes mit ihrer Stiefschwester der Ermordung durch die böse Stiefmutter entgeht, kommt ähnlich bei Knoop, Ostmärkische Sagen 1, 48 nr. 31 und schon in Wickrams Erzählung von guten und bösen Nachbarn (Werke 2, XXIII. 254) vor; ferner bei Jacobs, Engl. f. tales 1, 129 nr. 22 ‘Molly Whuppie’ (im Sack). Mélusine 3, 308. Revue des trad. pop. 9, 51. Sébillot, C. espagnols p. 84. Serbokroatisch: Stefanović S. 218 = Archiv f. slav. Phil. 5, 75 nr. 58; Bos. Vila 14, 217; Zbornik jslav. 12, 140 nr. 28; Krasić 2, 18; Vojinović S. 46. Slovenisch: Nar. pripov. Sošk. 3, 74 nr. 11. Čechisch: Radostov 8, 12 = Waldau S. 376. Slovakisch: Škultety-Dobšinský S. 115; bei Kollár, Zpěwanky 1, 420 schneidet der zwölfte Bruder selber den zwölf Hexentöchtern die Köpfe ab. Polnisch: Świętek S. 337 nr. 19; Mater. antropolog. 8, 155; Wisła 8, 526; über eine Dichtung von W. Dzieduszycki vgl. Zdziarski, Pierwiastek ludowy S. 501. Russisch: Chudjakov 1, 101. Etnograf. Zbirnyk 7, 61 nr. 41. 29, 226. 237. Kolberg, Pokucie 4, 137. Gliński 2, 19 = Chodzko p. 249. Litauisch: Leskien-Brugman S. 361 nr. 5. Ungarisch: Erdélyi-Stier S. 32 = Jones-Kropf p. 159. Berze Nagy nr. 11 = Rona-Sklarek 2, 95. 290. Awarisch: Schiefner S. 26 nr. 3. Tschetschenzisch: Sbornik Kavkaz. 22, 3, 19 nr. 6 (die Knaben entweichen, als die Hexe das Messer schärft). – Meist aber werden die Kopfbedeckungen der [500] Schlafenden vertauscht,[2] wie in Perraults ‘Petit poucet’ (oben S. 124) oder bei der Gräfin Aulnoj ‘L’oranger et l’abeille’ (unten nr. 70a): Zingerle 2, 237 ‘Der daumlange Hansl’. Curtze S. 167 ‘Die sieben Geschwister’. Dänisch: Kamp, Folkeminder p. 94. Schwedisch: Hyltén-Cavallius nr. 3a = Thorpe p. 139. Gälisch: Campbell 1, 260 nr. 17. Irisch: Kennedy, Fireside p. 4. Englisch: Jacobs 1, 126 nr. 22 ‘Mollie Whuppie’. Französisch: Luzel, C. bretons p. 1; Légendes 2, 235. Sébillot, C. pop. 1, 132 nr. 19. Revue des trad. pop. 9, 53. Carnoy, Picardie p. 245. Italienisch: Gonzenbach 2, 144 nr. 83. Imbriani, Nov. fior.² p. 340. Coronedi-Berti nr. 17 (Propugnatore 9, 1, 237). Riv. dilett. pop. 1, 82. Portugiesisch: Coelho nr. 21. Baskisch: Webster p. 78. Griechisch: Hahn 2, 179–181. Folk-lore 12, 94. Maltesisch: Stumme S. 4. Rumänisch: Schullerus, Archiv 33, 503. Serbokroatisch: Valjavec S. 6 nr. 2 = Krauß 1, 342 nr. 80. Slavische Blätter 1, 245 (1865). Zbornik jslav. 11, 283 nr. 9. 16, 130. Tordinac S. 44. Vojinović S. 67. Bulgarisch: Sbornik min. 5, 148. Polnisch: Mater. antropol. 4, 252 nr. 21. Kolberg, Lud 8, 33 nr. 14. Wisła 15, 480. Lud 2, 47. Großrussisch: Čudinskij S. 1. Afanasjev 1, 89 nr. 60 = Ralston p. 148. Kleinrussisch: Kolberg, Chełmskie 2, 114. Kolberg, Pokucie 4, 55. 142. Čubinskij 2, 37 (Kleider). 2, 410 nr. 117 (Kleider). Dragomanov S. 335 (Decken) und 337 (Hemden). Weißrussisch: Romanov 3, 238 (Kleider). 3, 240 nr. 39 (ebenso). 3, 245 nr. 40 (Kopftücher). 6, 290 nr. 364. Dobrovoljskij S. 632 nr. 39 (Kleider). Šejn 2, 278. Litauisch: Lud 2, 47. Dowojna Sylwestrowicz 1, 438. Finnisch: Salmelainen 4, nr. 20. 21. Aarnes Register nr. 1119. Ungarisch: Jones-Kropf p. 268. Róna-Sklarek 2, 290 zu nr. 9. Zigeunerisch: Miklosich nr. 9 = Groome p. 105 nr. 27. Tabarassanisch aus Dagestan: Sbornik kavkaz. 35, 3, 147 (Ringe vertauscht, Türwächter getötet). Ceylon: Parker p. 271 nr. 48. Stumme, Tripolis nr. 3 = Revue des trad. pop. 25, 79. Von den Baronga: Junod, Nouveaux contes 1898 p. 27 (Kopfbedeckung) und 39 (Bettdecke). – Beides, Bettplatz und Kopfbedeckung, wird vertauscht im isländischen [501] Märchen bei Árnason 2, 442 = Poestion S. 298 = Rittershaus S. 53; französisch: Pineau, C. p. 138; Revue des trad. pop. 3, 274; großrussisch in Zapiski Krasnojar. 1, 67; kleinrussisch aus Südungarn in Etnogr. Zbirnyk 29, 211; weißrussisch bei Federowski 2, 177 nr. 153; ungarisch Vikár nr. 14; sudanesisch bei Monteil p. 117. Im polnischen Märchen (Mitt. der schles. Ges. 6, 49) werden die Hexentöchter durch Umstellung der Teller und Weinbecher versteinert. Vgl. R. Köhler 1, 546f.

Über die an Stelle der Entflohenen antwortenden Blutstropfen, wofür auch der Speichel, eine Bohne, ein Apfel oder Holzstücke eintreten,[3] sowie über die Verwandlungen auf der Flucht s. unten nr. 113. Die letzte Verwandlung, wo die Stiefmutter durch Tanzen in der Dornhecke umkommt, erinnert an den Jud im Dorn (nr. 110). In der Eyrbyggiasage c. 20 verwandelt Katla ihren Sohn immer, um ihn zu schützen.

Daß die vergessene Braut vor Leid und Schmerz zu Stein wird wie Rosmer im dänischen Liede (Grundtvig DgF. 2, 85 nr. 41c = Grimm, Altdänische Heldenlieder 1811 S. 206), wird von den Brüdern Grimm schön mit dem Erstarren, wenn Licht und Wärme entzogen wird, verglichen. In andern Fassungen, wie Müllenhoff S. 400 und Kristensen, Danske Folkeæventyr S. 29, bleibt die Braut, als der Königssohn allein ins Schloß geht, vor der Tür ‘auf dem breiten Stein’[4] wartend stehn. – Sich aus Trauer in eine Blume am Weg verwandeln ist ein Zug, der geradeso in einem Volkslied aus dem Kuhländchen (Meinert, Der Fylgie 1817 nr. 5 = Erk-Böhme, Liederhort nr. 10a) wiederkehrt:

– Ai, Annle, lot dos Waene stohn,
Nahmt aich viel liever an anden Man!
– ‘Eh wenn ich lo das Waene stohn,
Wiel ich liever ouff de Wagschaed gohn,
Diett wiel ich zu aner Feldblum wa’n.
– – – – – – – – – –
Virmeittichs wiel ich schien nofblihn,

[502]

Nochmeittichs wiel ich traurich stien,
Wo olle Lait vorieba gohn,
Diett wiel ich inde traurich stohn.’

In einem andern Volksliede (Wunderhorn 4, 291 = Erk-Böhme nr. 10b) weint eine Königin sieben Jahre um ihren erschlagenen Gatten und wird darauf zu einer blauen Blume:

Gott strafte sie fest, Gott strafte sie hart,
Daß sie zu einer Blume ward.
Vormittags blühte sie helleblau.
Nachmittags blühte sie dunkelblau,
Er ließ sie stehen bei Regen und Schnee,
Wo alle Leutchen vorübergehn.

Nach einer stark ausgeschmückten böhmischen Sage in Hormayrs Taschenbuch für vaterländ. Geschichte 3, 249 (1822) gewahrt Czekanka (Wegwarte), die Tochter des Zauberers Batir, in ihrem Spiegel, daß ihr Geliebter von einem Nebenbuhler im Altvaterwalde ermordet ist, ersticht sich an der Leiche und wird zu einer Wegwarte. Ähnlich bei Joh. Müller, Wanderungen in den Hallen der Vorzeit (Znaim 1831), Bohemia oder Unterhaltungsblätter 1831 nr. 135 (das Mädchen wartet auf ihren im Türkenkriege gefallenen Liebsten) und čechisch bei K. Amerling (Entstehung der Wegwarte, Distel und Espe) sowie bei Mikšíček 2, 222 und in Menšíks Mährischen Märchen und Sagen S. 357 nr. 35; vgl. V. Tille, Čes. poh. do r. 1848 S. 27. Volksmäßig scheint nur ein Bruchstück von der vergessenen Braut aus der Gegend von Taus zu sein (Slavia 1, 4, 5). Ähnlich wird in Oberösterreich von einem Mädchen erzählt, das die Mutter unmäßig betrauerte und der Jungfrau Maria auf ihre Tröstung erwiderte: ‘Eh ih thue’s Woan áfhe’n, wül ih liebár zará Wögwart wên’ (Baumgarten, Linzer Musealbericht 22, 150). Von dieser blauen Wegwarte (Cichorium Intybus), die im kuhländischen Liede Armesünderblume heißt, weiß schon Hans Vintler im Buch der Tugend (ed. Zingerle 1874 v. 7838):

und vil die jehent, die wegwart
sei gewesen ain frawe zart
und wart irs puelen noch mit smerzen.

Bei Panzer 2, 204 wird die um den untreuen Liebhaber trauernde Königstochter eine weiße, ihre Jungfrauen aber blaue Wegwarten. Vgl. Grohmann, Aberglauben aus Böhmen S. 100. Grimm, [503] Mythologie ³ S. 787. 1165; 3, 246. 359. Sobotka Rostlinstvo S. 252 (Liebeszauber). So harrt auch bei Ovid, Metam. 4, 256f. die vom geliebten Phöbus verschmähte Clytia neun Tage vergebens auf derselben Stelle, nur den Blick zur Sonne wendend, bis sie sich in eine Blume verwandelt, die immer zum Sonnenlichte emporstrebt (bei Wickram, Werke 7, 178 Solsequium oder Wegweiß). – Vgl. das Rätselmärchen (nr. 160) und die Nelke (nr. 76), wo die Verwandlung in eine Blume öfter durch andre Umstände herbeigeführt wird.

Über die wiedererweckte Erinnerung an die vergessene Braut vgl. zu nr. 113.


  1. Diese Angaben sind 1822 gestrichen, vermutlich weil die Erzählung gleich nr. 70a (Der Okerlo) auf ein Märchen der Gräfin Aulnoy zurückgeht.
  2. Bei Hygin, Fabulae c. 4 will Themisto aus Eifersucht auf Ino, die erste Gattin des Athamas, deren beide Söhne töten, und läßt diese mit schwarzen Gewändern zudecken, ihre eignen daneben schlafenden aber mit weißen. Da vertauscht die verkleidete Ino die Decken, Themisto ermordet nun ihre eigenen Kinder und ersticht sich aus Verzweiflung. Hygins Quelle war die Tragödie Ino des Euripides (Fragm. 402 ed. Nauck).
  3. Olrik (Zs. f. Volkskunde 2, 372. Kilderne til Saxes Oldhistorie 2, 257) zieht auch Saxos (Buch 8) Erzählung hierher, wie Jarmunriks Genosse vor der Flucht eine Strohpuppe mit einem Hund darin ins Bett legt.
  4. Vgl. über den breiten Stein Erk-Böhme, Liederhort 1, 146 zu nr. 421. Blätter f. pommersche Volkskunde 1, 6. 166. 10, 16.
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