Amors Schicksale
Liebe fodert Gegenliebe.
Ohne Kampf und Siege wachsen
Amorn seine Schwingen nicht.
Von der Anmuth selbst gebohren,
Blieb er ohne Streit und Kämpfe,
Flügellos und klein und schwach.
Schaff’ ihm, sprach die weise Themis,
Mutter, schaff’ ihm einen Bruder,
Denn sein Vater war der süße
Trieb und ihm im Busen schläget
Mächtig seines Vaters Herz.
Dies geschah. Dem Kinde sproßten
Schnell die Flügel. Adlerschwingen
Trugen kühn ihn zum Olymp.
Aber Kampf- und Sieggewohnet
Säet’ Amor im Olympus
Denn unglücklich war sein Bruder
Drunten scheu zurückgeblieben;
Im Olympus, sprach er, kennet
Man die Gegenliebe nicht.
Schnell den Knaben an den Flügeln,
Kürzet’ ihm die kühnen Schwingen,
Schleudert ihn zur Erd’ hinab.
Seitdem flattert er hienieden
An den Hof der großen Götter
Tragen ihn die Schwingen nicht.
Dafür sammlet er auf Erden
Sich ein Chor erwählter Freunde.
Ihren Liebling. Schäferinnen,
Kinder, Jünglinge und Mädchen,
Sind an jedem Fest der Ceres,
Oder an Jacchus Kelter,
Allenthalben mit ihm gern.
Und die Nachtigallen singen
Lieblicher; die Lauben blühen
Mit Je länger und je lieber.
Taube fliegt in seinen Schoos.
Aber eingedenk auch seines
Schicksals bei den hohen Göttern,
Siehet Amor je auf Erden
Diesen wandelt er zum Kuckuck,
Jenen gar zum goldnen Regen,
(Den die Schürze spottend auffängt),
Den zum Stier. Die Gottgeliebte
Zur betrüglich-leichten Welle,
Oder gar zum Aschenhäufgen,
Und zum traurig-dürren Baum.
Nur den Menschen ist die Liebe
Eros wohnet, blickt dem Bruder
Vom gesenkten Augenliede
Anteros gefällig zu[1].
- ↑ Eros und Anteros, Liebe und Gegenliebe.