Textdaten
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Autor: Karl Brandt
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Titel: Am Waldessaum
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 405, 416
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[405]

Am Waldessaum.
Originalzeichnung von Ch. Kröner.

[416] Am Waldessaum. (Mit Illustration S. 405.) Eine Lust ist es, im Frühling am Saume des Waldes dem lieblichen Koncerte zu lauschen, mit welchem die kleine befiederte Sängerwelt den werdenden Tag begrüßt. Da summen Tausende von Maikäfern durch die Wipfel der Bäume, daß man wähnen sollte, man wäre in einem Dome und hörte Orgelklang; das ist die wirkungsvolle Begleitung zu dem vielstimmigen Liede, das aus jedem Busche und Strauche ertönt. Merkwürdig, wie das Alles so harmonisch klingt, trotzdem jeder Vogel eine andere Melodie und eine andere Tonart wählt. Aber zuweilen gellt auch eine Dissonanz dazwischen. Der grämliche Hypochonder Waldkauz hält es für seine Pflicht, mit höhnischem Gelächter die kleinen lustigen Gesellen daran zu erinnern, daß sich oft gerade am heitersten Himmel Gewitterwolken aufthürmen. Aber die gefiederten Sänger lassen sich in ihrer Morgenandacht nicht stören, sie sind Kinder des Augenblicks und jubiliren lustig weiter. Schön ist es, das anzuhören. Wenn man aber als Jäger sich an einen Baum lehnt und Büchsenlicht erwartet und auf der Esparsette vor sich einen röthlichen Schatten, ein Stück Rehwild, hin und her treten sieht und noch nicht erkennen kann, ob es ein Gehörn trägt, ein Bock ist, dann achtet man kaum des Vogelgesanges. Auch ich achtete nicht auf ihn, als ich mich mitten aus der Lust eines Polterabends geschlichen habe, weil der Brautvater verrieth, daß er trotz eigener und aller Nachbarjäger Anstrengung keinen Bock im Keller habe. Hochzeit im Hause des besten Jägers und kein Rehbock auf der Tafel! Ja! die Dame Diana ist viel koketter, als uns die Sage glauben macht. Sie liebäugelt mit jedem Jäger, aber im gewünschten Augenblick, da läßt sie ihn im Stich. Die bittere Erfahrung bleibt keinem ihrer Anbeter erspart.

Es wurde heller und heller und zwischen den Lauschern des Stückes (Ohren des Wildes), das ich in der Schußweite sah, immer lichter. Ach! wenn ich doch Stangen dazwischen entdecken könnte, und wären sie auch dünn wie Bleifedern — ja, auch nur ganz geringe Knöpfchen — heute wäre ich mit Allem zufrieden. Die Augen thränten mir schließlich vor Anstrengung, aber sie fanden auch nicht die kleinste Erhöhung – es war ein Schmalreh.

Jetzt geht’s in den Wald, um auf dem Pürschgang das Glück zu versuchen. Das Pürschen ist des Jägers größte Lust. Welche Wonne, am thauicht frischen Morgen auf moosigem Waldwege den Bock zu beschleichen! Alles mußt du im Auge haben, kein Reis darf unter deinen Füßen knacken, und nur auf das Eine darf dein Gedanke gerichtet sein: den Bock zu sehen, bevor er dich eräugt — sonst gelingt es nicht. Und dann das Heranwaidewerken! Noch ist er zu weit zum Schuß — wie hämmert das Herz vor Erwartung, ob es glückt!

Da steht Hans Urian an einem Pulverholzbusch und schlägt muthwillig sein Gehörn durch die Zweige oder reibt es am Stämmchen — er fegt — sagt der Jäger; oder er scharrt mit einem Vorderlauf den Boden — er plätzt; aber du trittst einmal unvorsichtig auf — es knackt und raschelt im dürren Laube — der Bock wirft auf, gewahrt dich und flüchtig geht’s den Berg hinan. Vielleicht bist du auch glücklich herangekommen. Hundert Schritt, das ist die richtige Pürschweite. Aber du hast ihn immer noch nicht! Die Hauptsache kommt noch. Du ziehst den Kolben an die Backe — was ist das? Wie tanzt das Korn auf dem Bocke herum! Bald hast du den Kopf gefaßt, bald den Lauf — bald die Luft, bald den Boden — ach wenn’s doch erst knallte! Ja! es knallt, und die Kugel schlägt auch — aber nicht mit einem festen Klatsch — sie hüpft von einem Stämmchen zum andern, es lautet, als wenn ein Specht am Baume hackt — und der Bock? er lacht dich mit seiner kurz abgestoßenen bellenden Baßstimme noch obendrein wegen deines Jagdfiebers aus.

Ich aber hatte nicht das Glück, einen Bock zu sehen, und mißmuthig machte ich mich auf den Heimweg. Wiederum komme ich an den Waldessaum. Durch Buschwerk und Brombeergerank geht er hier in eine Wiesenfläche über. Eine Quelle ist am Wege. Ein frischer Trunk — die heiße Stirn wird benetzt — die Hände werden gekühlt — das bekommt gut nach Tanz und Pürschgang. Da bewegt sich etwas Rothes vor mir im Gebüsch — ein Stück Rehwild ist es unzweifelhaft. Wieder Enttäuschung. Eine Ricke hat sich niedergethan — neben ihr das buntgefleckte Kitz; zwar sonst ein anziehendes Bild, aber heute – ich mochte es gar nicht sehen. Da ruckst ein Tauber im hohen Ort, vielleicht komme ich auf den zu Schuß, denn mit dem Rehbock ist es heute Morgen ja doch nichts. Ich locke: Huku — huku! hukeru — huku — — Die Ricke rührt sich nicht — aber im Gebüsch poltert’s und auf einer freieren Stelle verhofft (stutzt) — ein starker Bock. (Siehe das Bild.) Aufgeworfen (hochaufgerichtet) steht er da und äugt nach mir herüber — wie blinken die weißen Endenspitzen der Stangen in der Morgensonne! Die Büchse fliegt an die Wange — Herz einen Augenblick ruhig! die Zähne auf einander gebissen! — 80 Schritt spitz von vorn, da heißt es ruhig Blut! Jetzt liegt das Korn dicht unterm Brustkern — es knallt — und klappend ruft mir der Kugelschlag zu, daß ich meine Schuldigkeit gethan. Karl Brandt.