Alter Burgunder wird versteigert

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Autor: Kurt Tucholsky
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Titel: Alter Burgunder wird versteigert
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aus: Lerne lachen ohne zu weinen, S. 24-26
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1932 (EA 1931)
Verlag: Ernst Rowohlt
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Erscheinungsort: Berlin
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Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Scans auf commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck in: Tempo, 23. November 1928
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Alter Burgunder wird versteigert
Beaune, 20. November

Um halb zwei Uhr ist der alte Keller im Hospital von Beaune schon gesteckt voll. Im Saal sitzen die Händler; vor ihnen auf einem Podium, vor riesigen Fässern, der Bürgermeister und die Stadträte; an einem der Fässer hängt ein kleines Telephon; Neugierige sitzen auf den Fässern ringsum und lassen die Beine baumeln. Die kleine Holztribüne steht auf Fässern, da drängen sich die Leute in beängstigender Fülle. Um zwei Uhr beginnts.

Dies ist der große Tag der „Côte d’Or“, wo auf sechzig Kilometer Länge die großen Weine der Bourgogne wachsen: der Clos Vougeot und der Pommard und der Romanée Conti und alle die andern. Die Winzer sind mit diesem Weinjahr mehr als zufrieden, und mit Recht. Der Most des Pommard ist nun zwei Monate alt, aber das Kind kann schon laufen – das wird einmal, wenn nicht alles täuscht, ein großer Wein. Nun eröffnet der Bürgermeister die Versteigerung.

Vor einem Beisitzer steht eine Wachskerze, an der er ununterbrochen zwei winzige Lichtchen nacheinander entzündet: solange die brennen, darf geboten werden, jedes leuchtet nur etwa eine halbe Minute, ist bis dahin der Zuschlag nicht erfolgt, so wird wiederum angezündet; das ist ein sehr alter Brauch. (Wird in Frankreich etwas gerichtlich versteigert, so brennen drei Kerzen – in Beaune nur zwei.) Sie bieten.

[25] Ein Doppelfaß „Nicolas Rollin“, so heißt der Begründer des Spitals, das heute der Stadt gehört, ein Doppelfaß von 456 Litern bringt 15000 Franken – und der ganze Saal applaudiert – der Wirt vom Hôtel de la Poste in Beaune strahlt über das ganze Gesicht: er hat etwas für seinen Keller.

Vorher haben die Händler den Wein aus kleinen silbernen gobelets gekostet, niedrigen, flachen Schalen mit einem Handgriff, von uralter Form; ihr Grund ist ornamentiert, damit sich der Wein richtig spiegelt. Sie heben die Tasse an die Nase, ziehen den Duft ein und kosten, unendlich behutsam.

Die alten Stiftungen legten gern den Wein mit der Fürsorge für die Kranken zusammen – man denke nur an das Bürgerspital in Würzburg. Dieses Hospital in Beaune ist ein wunderschönes, altes Bauwerk, mit einer Küche, darin noch ein alter eiserner Bratenröster unermüdlich seine Räder dreht.

Vorher hat die Stadt ein Frühstück gegeben: der Bürgermeister und der Souspräfekt präsidierten.

Die Weine rannen in die Gläser – ich liebe die deutschen Weine und denke, daß man zuerst die Weine seines Landes trinken solle, weil sie eine Verkörperung der Heimat sind. Mit allem schuldigen Respekt vor dem Rhein und Franken aber darf gesagt werden: als eine Grande Réserve 1919 erschien, verstummten auch die größten Kenner: das war kein Wein mehr, das war Sonne und der ganze Garten Frankreichs. Dieses Glas wollte getrunken sein.

Die „sommeliers“ gingen umher, die Kellermeister, die so gar nichts vom Kellner haben: sie stellen vielmehr etwas dar, was zwischen einem alten Bauern und einem Mönch liegt. Ammen des Weins.

Und Reden wurden gehalten, ich hatte mit meinen Weinen zu tun, und soweit ich hörte, war da von dem „Phänomen der Prohibition“ die Rede, wie eine graue Wolke zog das durch [26] den Saal. Und die Jury verteilte kleine Zettel, auf denen geschrieben stand, wie der heurige Wein beschaffen sei, und es gab auch, mit vielen Fehlern und sehr viel gutem Willen, eine deutsche Übersetzung dazu:

„Diese Schätzung paßt auf den Weinen der sogenannten Gegenden: ‚Beaujolais, Mâconnais, Câhlonnais, Côte d’Or, Yonne‘; sie paßt nicht auf den Weinen von der zweiten Blütenzeit, die von Trauben errühren, die nach dem Gewitter vom 6ten Juni gewachsen sind, welches den Ruits-Rebenberg zum Teil gewüstet hat.“

Sie versteigern noch immer. Faß auf Faß geht hinaus in die Welt – der Lohn für die Arbeit eines Jahres wird einkassiert. „Premier feu!“ ruft der dicke Ausrufer – soviel wie unser „Zum ersten!“ – das kleine Licht erglänzt, erlöscht, erglänzt, es riecht nach Wein und weingetränktem Holz, die Glatzen glänzen, der freundliche, alte Bürgermeister, der so hübsch die Bilder des in Beaune geborenen Impressionisten Ziem erklärt hat, spricht den Käufern ihre Fässer zu, die Schreiber schreiben …

Und wieder einmal ist zu sehen, daß Paris nicht Frankreich ist, und seine Fremdenviertel schon gar nicht. In den sanftblauen Spätherbsthimmel klingelt die Turmuhr, ein braunes Licht liegt über diesem Garten Gottes, und wie schön müßte es sein, mit diesem Lande dauernd in Frieden zu leben –!