Textdaten
Autor: Joseph Sedelmayer
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Titel: Aftermystiker M. Boos
Untertitel:
aus: Geschichte des Marktfleckens Grönenbach, S. 196–198
Herausgeber: Historischer Verein zur Förderung der Heimatkunde des Allgäus
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1910
Verlag: Vorlage:none
Drucker: Jos. Kösel’sche Buchhandlung
Erscheinungsort: Kempten
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Martin Boos im Kontext seines Grönenbacher Aufenthalts
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[196]
8. Aftermystiker M. Boos.

Doch größere Beachtung unter den Stiftskanonikern als die zwei vorausgehenden Ettlinger und Epp verdient wohl der Aftermystiker Martin Boos, der von 1792 an bis 1799 Kanoniker hiesigen Stifts war. Mit Recht wird Martin Boos der Patriarch des Aftermystizismus genannt. Es ist dieser Aftermystizismus, auch Irwingianische Irrlehre oder vulgär Lindlianismus genannt, eine sonderbare Mischung von katholischen und protestantischen Ideen, durchhaucht von einem eigentümlichen mystischen, schwärmerischen Anflug, die am Ende des 18. und anfangs und Mitte des 19. Jahrhunderts in vielen Gegenden auch in unserer Diözese auftraten und ganze Gemeinden samt Pfarrherren ergriffen. Erweckung und Auserwählung einzelner, Wiederkunft Christi und Stiftung eines Friedensreiches waren die Schlagworte; großartige Nächstenliebe, die werktätig sich überall erwies, verbunden mit einer süßlichen Frömmelei und scheinbarem Asketentum, gleichwohl aber auch vermengt mit Sinnlichkeit, indem oscula pacis und amplexus mutui unter den Anhängern dieses Glaubens männlichen und weiblichen Geschlechtes vorkamen und geschlechtliche Ausschweifungen in letzter Konsequenz bei den geheimen Konventikeln und Zusammenkünften auftraten, lockte die Leute an.[1]

Martin Boos ist nunmehr der eigentliche Begründer dieser neuen sektirischen Schwärmerei; er war geboren 1756 oder 1757 in Huttenried, studierte in Augsburg bei den Exjesuiten, – sein Onkel war der Domkapitular, Sigillifer und Fiskal Johann Kögl in Augsburg, – wurde sogar Präfekt der marianischen Kongregation unter den Studierenden; seine Universitätsstudien machte er in Dillingen, seine Lehrer waren Weber, Zimmer und Sailer. Ende der 1780er Jahre wurde er Kaplan in Unterthingau, las vielfach protestantische Mystiker und 1790 erfolgte seine Erweckung! 1791 kam er als Stiftskaplan nach Kempten und von da gar bald als 4. Kanonikus nach Grönenbach. Im hiesigen Pfarrarchiv ist ein Empfehlungsschreiben, d. d. 10. Dezember 1791 vom Onkel des Martin Boos, H. Domkapitular und Fiskal Johann Kögl, worinnen vermerkt: „Ich empfehle Ew. Hochw. diesen meinen ex sorore Nepotem angelegentlichst und ich hoffe, daß er sowohl in Rücksicht seiner Sitten als seelsorgerlichen Verrichtungen sich selbst recommandieren wird. Ich bitte also, Ew. [197] Hochw. wollen denselben mithinkommen lassen und was ihm noch an Kenntnissen abgeht, gütig belehren.“ Infolge seiner sonderbaren Predigten wurde er jedoch schon 1793 seines Kanonikates mit Belassung des Gehaltes entsetzt; nur mußte Martin Boos dafür einen Vikar stellen.

Am 6. März 1793 schrieb der Kemptische geistl. Rat von Brentano an Herrn Dekan Frey: „Ich kann Ew. Hochw. nur soviel zur Beruhigung melden, daß man im hiesigen Vikariatshause wirklich ein Zimmer für H. Boos zurichtet; sobald dieses fertig ist, wird er hieher ziehen, und dann soll auch die Sache wegen seinem Substituten berichtigt werden.“ Am 18. April 1793 schrieb H. Boos selbst vom Stift Kempten aus an den Dechant Frey hier: „Euer Hochwürden H. Dekan wird schon bekannt sein, daß ich in der Auswahl eines Vicarii Ihrer Neigung zu entsprechen gesucht habe; ich wählte nämlich H. Anton Epple, der bis Pfingsten dem seminario entkommen, dann sobald möglich meine Lücke ausfüllen und Ihnen in der Seelsorge künftig aushelfen wird. Euer Hochw. kennen nun den Mann und sehen an ihm Ihren Wunsch erfüllt. – Nun bitt ich, mir für diesen meinen H. Vicario das Kostgeld quartaliter bestimmen zu wollen; ich möchte ihn von Ihrem Hause geradeso bedient wißen, wie ich selbst bedient war, und für eine gleiche Bedienung und Kost wünschte ich Euer Hochw. H. Decan mit einem gleichen Kostgeld befriedigen zu können und ich schmeichle mir, Ew. Hochw. werden mir diese freimütige Äußerung um so minder verargen, weil Ihnen meine gegenwärtige Lage bekannt und auch ich durch Aufstellung eines Ihnen angenehmen Subjects Ihren Wunsch zu befriedigen gesucht habe.“

Nun verlangte Herr Stiftsdekan eine Zulage zu des Herrn Vikars Epple Quartalkost und Pflege wegen teuern Zeiten. Darüber entspann sich ein interessanter Briefstreit zwischen Herrn Stiftsdechant und Pfarrer Abraham Brackenhofer in Wiggensbach und dessen Schützling Martin Boos, dem das Generalvikariat ein Ende machte und entschied, Boos Martin müsse sich drein ergeben, daß für seinen Chorvicario quartaliter eine Teuerungszulage aufgerichtet und ihm an seiner Pension in Abzug komme. Anno 1794 kam Boos nach Seeg zu Pfarrer Feneberg; 1795 wurde er Kaplan in Wiggensbach, und als er von da aus wieder in Seeg Besuch machte, erweckte er den Pfarrer Feneberg und dessen beide Kapläne Bayer und Siller „mit der ihm eigenen Seilerschen gravitaet“, wie Pfarrer Brackenhofer von Wiggensbach über Boos an Herrn Dechant Frey schrieb. Anläßlich einer Neujahrspredigt 1796 mußte er aus Wiggensbach fliehen und kam nach Seeg; dann acht Monate ins Priesterkorrektionshaus in Göggingen bei Augsburg.

[198] Herr Joh. Gg. Hoffmann, Benefiziat und Direktor dieses Hauses, bedankt sich am 22. Oktober 1797 bei Herrn Dechant Frey für die gütigst übermachte Kanonikatspension des Herrn Kanonikus Boos und bittet Herrn Dechant auch weiter um Wohlwollen für den Genannten, indem er dem Herrn Dechant vorschlägt, einen Tausch in der Person herbeizuführen, da es für jeden doch ein guter Tausch wäre, der dem Kanonikus (Boos) ein geringes Benefizium gäbe und dafür das „gute Kanonikat“ Grönenbach annähme. Im Jahre 1799 schickte Herr Dekan Frey auf Aufforderung des Vic. glis Anton Nigg zum letzten Male die Kanonikatspension für Martin Boos, die 119 fl. betrug, wovon aber 4 fl. 24 kr. und 4 hl. Kriegsbeiträge in Abzug kamen, an den Herrn Direktor Hoffmann des Priesterhauses in Göggingen. Nach Abschwörung von zehn irrigen Sätzen wurde Boos nach zweimonatlichem Stadtarrest in Augsburg Kaplan in Langenneufnach; aber bald begann er wieder seine Erweckungen, und wieder vors Ordinariat zitiert erschien er nicht mehr, sondern fand auf seines früheren Professors Sailer Verwenden Unterkunft im Schlosse Grünbach bei Hohenlinden; 1798 stellte er sich wiederum dem Ordinariat und erhielt seine Dimissorien durch Generalvikar Nigg, kam nun in die Diözese Linz, wurde zuerst Kaplan in Leonding, Waldneukirchen und Peyerbach, dann Pfarrer in Gallneukirchen. – Er war vorsichtiger, aber der alte Mystiker geblieben. 1810 hielt er eine aufreizende Marienpredigt, ward verklagt, 11 Monate ins Karmeliterkloster zu Linz gesperrt, kam dann wieder nach Bayern und erhielt zuletzt die Pfarrei Sayn bei Koblenz, die er von 1819 an bis zu seinem Tode 1825 inne hatte.


  1. Spottvers: „Mir ist so seitwärts schielerich, ganz seitenheimwärts fühlerisch, ganz lammschweißspur beriecherlich, ganz lammherzgruft durchkriecherlich an der magnetischen Seite.“