ADB:Wilhelm V. (Prinz von Oranien-Nassau)

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Artikel „Wilhelm V., Prinz von Oranien-Nassau“ von Pieter Lodewijk Muller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 159–163, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wilhelm_V._(Prinz_von_Oranien-Nassau)&oldid=- (Version vom 4. Oktober 2024, 20:36 Uhr UTC)
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Wilhelm V., Prinz von Oranien-Nassau, wurde am 8. März 1748 im Haag geboren. Da seinem Vater Wilhelm IV. die Erblichkeit seiner sämmtlichen Aemter und Würden in der niederländischen Republik zugesichert worden war, folgte er ihm bei dessen schon nach drei Jahren (1751) erfolgtem [160] Tode, ohne irgend welche Widerrede in denselben nach. Seine Mutter, Anna von Hannover, die Tochter des Königs Georg II. von England, führte die Vormundschaft und vertrat ihn als Gouvernante. Die Militärgeschäfte jedoch überließ sie dem Feldmarschall, dem Herzog Ludwig Ernst von Braunschweig, der schon damals die einflußreichste Persönlichkeit der Republik war und nach Anna’s Tod im J. 1759 die erste Stelle im Rathe der Vormünder des jungen Prinzen und dessen Vertretung als Generalcapitän erhielt. W. zählte damals zehn Jahre und wird als ein gelehriger, fleißiger Knabe geschildert, der sich durch nichts auszeichnete. Der Herzog wußte ihn so vollständig unter seine Herrschaft zu bringen, daß W., als er 1766 volljährig wurde und seine Aemter und Würden in Person antrat, nichts rascher zu thun hatte als sich factisch unter seine Curatel zu stellen. Durch die sogenannte Acte van Consulentschap verpflichtete sich der Herzog ihm fortwährend in allen Dingen zu Rathe zu sein, wogegen der Prinz ihn aller Verantwortlichkeit für den ertheilten Rath enthob. Freilich verpflichtete Letzterer sich nicht, diesem Rath immer Folge zu leisten, wie nachher allgemein geglaubt wurde, jedoch bei dem zwischen den Beiden bestehenden Verhältniß konnte die Verbindung kaum andere Folgen haben und mußte sie factisch zu einer fortwährenden Beaufsichtigung des früheren Mündels durch den gewesenen Vormund führen. Das Geheimniß, in welches die Geschichte gehüllt wurde, machte die Sache noch ärger; als einige Kunde allmählich zu verlauten begann, erregte sie bei Jedermann Unwillen und wurde zuletzt die Grundlage aller gegen den Herzog erhobenen Beschuldigungen, in welche zuletzt selbst von des Prinzen Gemahlin eingestimmt wurde, wie sehr dieselbe auch im Anfang selbst unter des Herzogs Einfluß gerieth. Wenn es nun auch klar ist, der Herzog habe nicht absichtlich den Prinzen so erzogen, damit es ihm nie möglich sein sollte, sich seinem Einfluß zu entziehen, wie auch die Prinzessin geglaubt hat, gewiß ist es, daß er nichts gethan hatte, ihm größere Selbständigkeit zu erwecken, wozu er ursprünglich beanlagt war. Peinlich genau wollte W. alles selbst wissen, untersuchen und bevor er entschied, Jedermann über Alles zu Rathe ziehen; er meinte das Regieren bestehe in der Entscheidung in allen Details. Es gibt von ihm einen von der historischen Gesellschaft in Utrecht herausgegebenen Briefwechsel mit einem seiner Vertrauten, dem Baron v. Lynden von Hemmen, der ihn in Seeland vertrat, der meistens die Marine betrifft, und der legt ein treffendes Zeugniß ab, wie er auch den geringsten Dingen seine Aufmerksamkeit widmet und nicht den geringsten Unterschied zwischen Wichtigem und Unwichtigem zu machen versteht. Einem solchen Fürsten, namentlich einem, der in so schwierigen Verhältnissen verkehrte, wie W., hätten treue, zuverlässige Rathgeber Noth gethan, und leider mangelte es daran. Der damalige Rathpensionär van Bleiswijk war ein nicht unfähiger aber höchst unzuverlässiger Mensch, dem es bloß darum zu thun war, mit der stärksten Partei befreundet zu sein. Und das schien damals die aristokratische Regentenpartei, der auch der Herzog von Braunschweig sich immer so viel wie möglich angeschlossen hatte. So kam es, daß W. nimmer irgend welche Einsicht in das Verhältniß der Parteien hat gewinnen können. Der alten Orangisten meinte er genügend gewiß zu sein, doch ihre Gegner, die antistatthalterischen Aristokraten, meinte er auffallender Weise gewinnen zu müssen. Dagegen von den Bedürfnissen und Wünschen der von allem Antheil an der Regierung ausgeschlossenen Bürgerschaft wußte er nichts. Auch ihm galt Ruhe als die erste Bürgerpflicht. So ward nichts gethan um in dem morschen Staatsgebäude der niederländischen Republik irgend eine wirkliche Besserung anzubringen. Und was ärger war, W., der von seiner Mutter, der welfischen Prinzessin, bei aller Unselbständigkeit doch zugleich einen unbeugsamen Starrsinn, ein unvernünftiges Festhalten an einmal gefaßten Meinungen geerbt hatte, hielt [161] sein ganzes Leben an dieser verkehrten Politik fest und kam selbst, nachdem er in den Jahren 1786/87 eine Revolution durchgemacht hatte, und seine Autorität mit fremder Hülfe und keineswegs um seinetwillen wiederhergestellt war, nicht zur Erkenntniß der Verkehrtheit derselben. Freilich auch nach seiner definitiven Vertreibung im J. 1795 hat er diese nicht anerkannt. So kam es, daß in der Friedenszeit, welche so viele Gelegenheit zu Reformen bot, gar nichts geschah, und daß die Bürgerschaft, denn die unteren Classen nahmen an dem politischen Leben des 18. Jahrhunderts in Holland keinen Antheil, je länger je unzufriedener wurde. Wurden ja selbst die von Wilhelm IV. versprochenen, selbst die schon angebahnten Verbesserungen nicht ausgeführt. Ein Jahr nach seiner Volljährigkeit heirathete W. die Prinzessin Wilhelmine von Preußen, die Nichte Friedrich’s des Großen. Drei Kinder, zwei Söhne und eine Tochter, entsprossen der Ehe, welche in den ersten Jahren keine Aenderung in den Zustand des vom Herzog von Braunschweig völlig beherrschten statthalterischen Hofes brachte. Erst im J. 1779 bemerkt man von Seiten der Prinzessin einige Einmischung in die Politik und zugleich einigen Widerstand gegen den Herzog. Es war in den Jahren des amerikanischen Freiheitskrieges, an welchem theilzunehmen die sogenannte patriotische, sowohl den antistatthalterischen Regenten als die Demokraten umfassende Partei leidenschaftlich trieb. W. versuchte unter allen Umständen die Neutralität zu bewahren und auch den bald von allen angefochtenen Herzog zu halten, wie er denn überhaupt einem unbedingten Conservativismus huldigte. Doch weder das Eine noch das Andere ließ sich erreichen. Der Herzog wurde gezwungen seine Entlassung zu nehmen und das Land zu verlassen und der Krieg mit England wurde angefangen. W. blieb immer passiv, auch als sich der maßlose Parteihaß jetzt gegen ihn wandte und die Gegner öffentlich auf Umstoßung seiner Autorität hinarbeiteten. Es ist hier nicht der Ort den Verlauf der sogenannten „patriotischen“ Wirren zu schildern noch die Zwischenfälle, wie den Streit mit Kaiser Joseph II. u. s. w. zu erzählen. Fortwährend mit Beleidigungen überhäuft, jedoch alle Versuche ihn zu irgend einer kräftigen Action, überhaupt ihn zu irgend einem Entschluß zu bringen, abweisend, sah sich W. zuletzt gezwungen den Haag zu verlassen und nach der Provinz Gelderland auszuweichen, wo die Staaten unbedingt an dem alten Zustand festhielten und, als in einzelnen der kleineren Städte die patriotisch-demokratische Partei die Oberhand behielt, den Statthalter zu bewaffnetem Einschreiten aufforderten. W. leistete der Aufforderung Folge und fast ohne Widerstand wurde die alte Ordnung wieder hergestellt. Doch jetzt wurde er von den holländischen Staaten suspendirt (1786) und so war der Krieg, den er immer ängstlich zu vermeiden gesucht hatte doch da. Ein harmloser Scheinkrieg freilich, in dem die dem Statthalter treugebliebenen Truppen das von den Gegnern gewonnene Utrecht bedrohten, und nur zufällige Zusammenstöße Blut fließen machen. Ereignisse, gegen welche die Gefechte des baierischen „Kartoffelkriegs“ bedeutungsvoll erschienen. Da gab endlich der von ihm eigentlich nicht gutgeheißene Versuch der Prinzessin zur Kräftigung der oranischen Partei nach Haag zurückzukehren und ihre Zurückweisung an der holländischen Grenze dem König Friedrich Wilhelm II. von Preußen Veranlassung, Genugthuung von den holländischen Staaten zu fordern und als dieselbe im Vertrauen auf französische Hülfe verweigert wurde, zu bewaffnetem Auftreten, sobald die Ohnmacht Frankreichs zu wesentlicher Hülfsleistung an den Tag kam (1787). Es folgte der bekannte preußische Feldzug gegen Holland und die völlige, bedingungslose Wiederherstellung des alten Zustands, und, was viel ärger war, die übertriebene Rache an den Besiegten, welche einige Tausende derselben zur Flucht nach Frankreich trieb, wo sie [162] natürlicher Weise sich der extremen Revolutionspartei, von der sie den Sieg ihrer Principien erwarteten, anschlossen. Einer Erneuerung des Kampfes konnte nur durch vollständige, allen vernünftigen Forderungen entsprechende Reformen vorgebeugt werden. Aber selbst der W. von seiner Gemahlin und anderen Vertrauten einigermaßen aufgedrängte neue Rathspensionär, der fähige und charakterfeste van de Spiegel war dazu keineswegs geneigt und in seinen Entwürfen spielte Vermehrung der Macht des Statthalters die Hauptrolle. Die Prinzessin, die dazu von W. verdächtigt wurde, sie wolle sich factisch an seine Stelle setzen, war weder durch ihre Beanlagung noch durch ihre Erziehung im Stande zu begreifen was nöthig war, und W. meinte, es sei nur nothwendig die alten Gegner seines Hauses, die antistatthalterischen Regenten durch Bevorzugung zu entwaffnen und das Volk noch mehr wie zuvor von jedem Antheil an der Regierung auszuschließen. Kein Wunder, daß sobald im J. 1792 sich die Franzosen Belgiens bemächtigten und die Niederlande bedrohten, die besiegte Partei sich zu regen anfing. Noch einmal rettete der Beistand Englands und das Unglück der französischen Waffen die alte Republik, zwei Jahre später aber brach sie zusammen. Die demokratischen Patrioten, welche zu gewinnen früher so leicht gewesen war (bildeten sie ja den eigentlichen Kern der oranischen Partei, dem sich die unteren Classen als ein Schweif anschlossen), warfen sich überall, wo die Franzosen erschienen, denselben in die Arme und am 18. Januar 1795 setzte W. auf einem Fischerboot nach England über. Auch ein kräftigerer Fürst hätte sich wol nicht gegen die Revolution halten können, aber daß es so geschah, das war selbstverschuldetes Unglück. Freilich W. sah das noch immer nicht ein. In seinem Abschied erklärte er nach seiner frommen Weise (denn er war immer ein anständiger, rechtgläubiger Protestant gewesen, der sich von der Philosophie seines Jahrhunderts nicht anfechten ließ), er erkenne in seinem Unglück eine gerechte Strafe seiner Sünden, sei sich aber bewußt, er habe sich in seinem Amte nichts zu Schulden kommen lassen, sondern seiner Pflicht als Statthalter und Generalcapitän vollkommen genüge gethan. Wie er das auffaßte, kam an den Tag, als er nachher sich von der englischen Regierung bestimmen ließ, die niederländische Armee und Marine an ihre Treue an ihn als ihr gesetzmäßiges Oberhaupt zu mahnen und aufzufordern nur von ihm Befehle anzunehmen, wie er auch zuließ, daß sein Sohn es versuchte an den Grenzen der Republik einen beträchtlichen Theil der Officiere und Soldaten, welche das Land verlassen hatten, zum Zweck eines Einfalls in die Republik zu sammeln, und später demselben zu gestatten auch 1799 im Gefolge der Engländer in Nordholland zu erscheinen. Doch es gelang nichts und die Friedensschlüsse von Luneville und Amiens machten allen Hoffnungen auf eine neue Restauration ein Ende. Bonaparte ließ W. als Ersatz für die verlorene Stellung, sowie seiner Besitzungen sowol in den Niederlanden als sonst am linken Rheinufer das Gebiet der Abteien Fulda, Corvey, Weingarten nebst der Reichsstadt Dortmund und einige kleinere kirchliche Güter als souveränes Fürstenthum anbieten. W. selber achtete es unerlaubt säcularisirte Güter anzunehmen, doch verbot er seinem Sohn nicht, es an seiner Stelle zu thun. So wurde der schon wegen seiner nassauischen Güter als Reichsstand geltende Oranier ein Fürst des Deutschen Reichs, wenn er auch nie die Regierung seiner neuen Länder angetreten hat, sondern (England hatte er schon lange verlassen und auch in Berlin war seines Bleibens nicht) im nassauischen Gebiet und zuletzt in Braunschweig die letzten Tage seines Lebens zubrachte. Er starb dort noch zeitig genug (im April 1806), um nicht den Fall der ihn beschützenden preußischen Monarchie und das jähe Ende der Herrschaft seines Sohnes zu erleben.

W. macht eine wunderliche Figur in der Reihe der Oranier. Er war im [163] gewöhnlichen Leben ein gutmüthiger Herr, von einer gewissen Leutseligkeit, wenn er auch seine Popularität bei den unteren Classen mehr seiner Abstammung als seiner Persönlichkeit verdankte. Vielleicht wäre er im bürgerlichen Leben ein, wenn auch beschränkter doch respectabler Herr gewesen, aber für seine eigenthümliche, äußerst schwierige Stellung, die ihn zugleich zum Fürsten und zum Diener einer Republik machte, waren eben seine hervorragenden Eigenschaften am wenigsten geeignet. Abstammung, Beanlagung, Charakter, Erziehung und Umstände wirkten mit, ihn zu jener kläglichen Figur zu machen, als welche er in der Geschichte erscheint.

Wilhelm’s Geschichte ist noch so wenig geschrieben, wie die der Niederlande im 18. Jahrhundert. Seine Lebensgeschichte ist von Zeitgenossen zwar mehrmals aufgezeichnet, aber meistens zu Parteizwecken und mehr als Pamphlet. Denn die Patrioten haben ihn als den blutigsten aller Tyrannen geschildert. Ihre Ueberschwenglichkeit hat aber das Gegentheil bewirkt von dem was sie bezweckten. Groen van Prinsterer, Handboek der geschiedenis des vaderlands, Bd. II, hat es versucht seiner Zeit und Person gerecht zu werden, ist jedoch zu sehr Parteimann. – Jorissen, Historische Bladen hat einige Essays über ihn. Vgl. neben Colenbrander’s neulich erschienenen Patriotentijd I, auch van Kampen, Gesch. d. Niederlande II.