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Artikel „Wiehe, Ernst“ von Paul Zimmermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 492–495, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wiehe,_Ernst&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 10:35 Uhr UTC)
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Wiehe *): Johann Karl Ernst W., Architekt († 1894), wurde am 17. November 1842 in Braunschweig geboren. Sein Vater, Heinr. Friedrich Christ. W., war ein Steinhauer- und Maurermeister, der auf seiner Wanderschaft am Dome zu Regensburg längere Zeit mitgearbeitet hatte († 1872), seine Mutter, Auguste geb. Williges, die Tochter eines Victualienhändlers in Braunschweig († 1890). Ernst W. besuchte das Realgymnasium seiner Vatetstadt und bezog zu Ostern 1858 das Collegium Carolinum daselbst, um sich dem Baufache zu widmen, eine Wahl, zu der er wol durch den Beruf und die Neigung des Vaters zuerst mag angeregt worden sein. Er verweilte auf dem Colleg drei Jahre und fand dann seine erste praktische Beschäftigung unter dem Stadtbaumeister Tappe bei der Restauration der Brüdernkirche in Braunschweig, gerade auf dem Gebiete, dem der Wiederherstellung mittelalterlicher Kirchenbauten, auf dem er später Hervorragendes leisten sollte. Im J. 1864 bestand er die erste Staatsprüfung, das Bauelevenexamen, und im Herbste des folgenden Jahres begab er sich nach Wien, wo er besonders bei dem berühmten Dombaumeister Professor Friedrich Schmidt arbeitete. Währte sein Aufenthalt hier auch nicht lange, da die Kriegsunruhen des Jahres 1866 ihn bereits in die Heimath zurückriefen, so wurde er doch bestimmend für sein Leben, weil durch Schmidt, zu dem W. sein Leben lang als zu seinem Lehrer und Meister dankbar emporschaute, hauptsächlich die Vorliebe für die Gothik in ihm geweckt und gestärkt wurde, die ihn nie wieder verlassen hat. Das günstige Zeugniß, das Schmidt ihm ausstellte, beweist auch, wie viel dieser von dem strebsamen Schüler sich für die Zukunft versprach. Im November 1866 bestand W. die zweite Staatsprüfung, die für die Bauconducteure, und bald darauf führte er sein Erstlingswerk, die Kirche in Thedinghausen aus. Hier lernte er die Tochter des Physicus Dr. L. W. A. Vetterlein, Luise Charl. Ant. V., kennen, mit der er am 25. November 1869 den Lebensbund schloß. Inzwischen war er durch Patent vom [493] 2. Februar 1869 zum Bauconducteur ernannt und seit dem 1. März d. Js. auf dem Secretariate der herzoglichen Baudirection in Braunschweig beschäftigt worden. Im December des folgenden Jahres erfolgte seine Ernennung zum Kreisbauconducteur und zum 1. Januar 1873 wurde ihm als Kreisbaumeister der Hochbaukreis in der Stadt Braunschweig an Stelle des in den Ruhestand versetzten Bauraths Fr. Krahe übertragen. So kam schon um diese Zeit auch das Gebäude unter seine besondere Aufsicht, das länger und mehr als alle anderen sein Sinnen und Können in Anspruch nehmen sollte, der alte St. Blasiusdom Heinrich’s des Löwen. Etwa um diese Zeit faßte das herzogliche Staatsministerium den Entschluß, die Restauration sämmtlicher Klosterkirchen des Landes einheitlich zu gestalten, sowie Projecte und Kostenanschläge für diese Arbeit aufstellen zu lassen. Diese Aufgabe wurde 1876 W. übertragen, der schon vorher bei der Wiederherstellung der St. Lorenzkirche in Schöningen seine Befähigung zu solcher Arbeit glänzend bewiesen hatte. Am 1. April 1877 wurde er dann zum Baurathe und stimmführenden Mitgliede der herzogl. Baudirection ernannt, zugleich auch, als erster in einer auf Anregung der Landessynode neugeschaffenen Stellung, zum technischen Mitgliede des herzoglichen Consistoriums in Wolfenbüttel, gleich darauf ferner zum ordentlichen Mitgliede der Bauexaminationscommission. Jetzt war er an die Stelle gesetzt worden, die er bis zu seinem Tode in trefflichster Weise ausfüllte und in der er sich um das Bauwesen des Herzogthums bleibende Verdienste erworben hat. Es begann nun eine Periode des rüstigsten Schaffens auf dem Gebiete des Kirchen- und Schulbaues und nicht minder auch auf dem der Wiederherstellung der schönen Klosterkirchen des Herzogthums, der W. seine besten Kräfte widmete. Es genüge hier, außer an den Dom zu Braunschweig an die Kirchen zu Marienberg, Marienthal, Königslutter, Süpplingen, Riddagshausen, Amelungsborn und Kemnade zu erinnern, die ganz oder theilweise unter seiner unausgesetzten Leitung restaurirt worden sind. Auch die Pläne zu vielen neuen Gotteshäusern im Lande rühren von ihm selbst her oder sind unter seiner speciellen Aufsicht ausgearbeitet worden, wie die der Kirchen zu Lunsen, Rüningen, Barmke, Bevern, Braunlage, Delligsen, Halle, Jerxheim, Stroit, Vorwohle u. a., ebenso die Entwürfe zahlreicher Schulbauten, wie der des neuen Gymnasiums in Braunschweig. Hier verstand er vorzüglich die praktischen Bedürfnisse nach Wunsch zu erfüllen, mit den gegebenen Mitteln vorsichtig Haus zu halten und ließ daneben doch auch bei Nützlichkeitsbauten die ästhetischen Rücksichten keineswegs außer Acht. Es ist auf dem Gebiete des Kirchen- und Schulbaues in Braunschweig mit Wiehe’s Thätigkeit geradezu eine neue Periode angebrochen, die sich auf das vortheilhafteste von der vorigen Zeit unterscheidet. Außerdem sind auch noch einige andere Bauwerke von ihm entworfen worden: die Herberge zur Heimath, das Marienstift und als letztes Denkmal, das er sich errichtete, das aber erst nach seinem Tode vollendet wurde, das schöne in gothischem Stile erbaute Finanzbehördenhaus in Braunschweig. Leider waren der unermüdlichen Arbeitslust Wiehe’s, die sich überall persönlich zu bethätigen wünschte, die Körperkräfte nicht gewachsen. Es stellte sich ein Lungenleiden bei ihm ein, und er verbrachte den Winter von 1892 auf 93 in Arosa. Als er Ende April nach Hause zurückgekehrt war, nahm er mit dem alten Eifer wol zu früh und ohne die nöthige Vorsicht die ihm ans Herz gewachsene Thätigkeit wieder auf. Schon im Juli erkrankte er aufs neue, besuchte im September ohne Erfolg Lippspringe und nahm im Februar 1894 einen Aufenthalt in Gardone, den er bei Eintritt der heißen Jahreszeit mit dem zu Reichenhall vertauschte. Auch in der Ferne verfolgte er mit lebhafter Theilnahme den Fortgang der ihm unterstellten Bauten und Restaurationsarbeiten. Eine kleine Schrift über die „Ausmalung der Stiftskirche zu Königslutter“ [494] (Braunschweig 1894), die er dort verfaßte, ist die Frucht solcher Gedanken. Er sollte die Stätte seiner Wirksamkeit nicht wiedersehen. Am 1. August 1894 ist er in Reichenhall gestorben und am 5. August auf dem Centralfriedhofe zu Braunschweig bestattet worden.

W. verband mit einer reichen künstlerischen Schaffenskraft, einem empfänglichen Sinne für das Schöne in Kunst und Natur, rascher Auffassung und scharfer Beobachtungsgabe gründliche technische Kenntnisse und Fertigkeiten, einen eisernen Fleiß, der sich schwer genug that und auch in Nebendingen nicht erlahmte, eine peinliche Gewissenhaftigkeit in seinem Berufe, eine große Geschäftsgewandtheit und Arbeitskraft, die ihn in den Stand setzten, den zahlreichen dienstlichen und außerdienstlichen Anforderungen, die an ihn gestellt wurden, pünktlich zu entsprechen, und einen lebendigen geschichtlichen Sinn, der durch eifrige Studien geschult und vertieft ihn ganz besonders zum Verständniß und zur Wiederherstellung alter Bauwerke befähigte. Es war vor allem der mittelalterliche Kirchenbau, mit dem er sich auf das gründlichste wissenschaftlich und künstlerisch beschäftigte. Ihn beseelte wirkliche Pietät vor dem Alten, geschichtlich Ueberlieferten, und er suchte an alten Bauwerken zu retten, was irgend in seinen Kräften stand. Seinem Eifer, der der Sache galt und nicht müde wurde in dem Streben, die Mitglieder der Regierung, des Consistoriums, der Kammer, der städtischen und der Gemeindebehörden für seine Pläne immer aufs neue in liebenswürdigster Form zu gewinnen und die erforderlichen, oft sehr erheblichen Geldmittel dafür flüssig zu machen, ist es zu verdanken, daß manche schöne Gebäude, die schon dem Untergange geweiht schienen, wie die alte Johanniterkirche zu Süpplingenburg, die Georgscapelle in Helmstedt u. a., dennoch erhalten und in würdigster Weise wieder hergestellt wurden. Seine Hauptsorge galt dem Dome in Braunschweig. Hier ist die Restaurirung des Langhauses und der Seitenschiffe 1891 von ihm vollendet, während die des Chores später von ihm begonnen wurde und erst jetzt von seinem Amtsnachfolger zu Ende geführt werden wird. Die Entdeckung alter Gemäldereste im Langhause veranlaßte die Vermalung auch dieses Bautheils, zu dessen Oberleitung auf Wiehe’s Antrieb eine Autorität auf diesem Felde, der Director des germanischen Museums zu Nürnberg v. Essenwein, hinzugezogen wurde, der die Cartons zu den Gemälden entwarf und eine besondere Schrift über „die Wandgemälde im Dome zu Braunschweig“ (Nürnberg 1881) herausgab. Ebenso hat v. Essenwein auch die Leitung der Ausmalung der Kirche zu Königslutter übernommen, die dann nach seinem Tode W. weiterführte, deren Vollendung aber auch er nicht mehr erleben sollte. Die Ausführung der Malerei besorgte in beiden Kirchen der Hofdecorationsmaler A. Quensen, einer der tüchtigsten Braunschweiger Werkmeister, die wol den größten Theil ihrer Schulung in mittelalterlicher Form und Ausschmückung Wiehe’s Anregung verdanken. Für die Ausmalung der Kirchen im ganzen Lande ist Wiehe’s Wirksamkeit von großer Bedeutung gewesen. Ein Lieblingsplan von ihm war es ferner, über alle Klosteranlagen, in die er sich mit Eifer versenkt hatte, eingehende Monographien herauszugeben; fleißige Vorarbeiten hatte er dazu bereits in großer Zahl gemacht, doch zur Bearbeitung ist leider nichts mehr gekommen. Allen Bestrebungen auf dem Gebiete der Baukunst wie der Geschichte schenkte er ein lebhaftes Interesse; er wirkte eifrig für die Erhaltung der Burg Dankwarderode und gehörte zu den Begründern des vaterländischen Museums in Braunschweig, für das er besonders eine architektonische Abtheilung ins Werk zu setzen suchte. Er besaß ein tief religiöses Gemüth, ein warmes kirchliches Interesse und war, wenn er Kirchen baute, auch mit dem Herzen bei der Sache; er gehörte dem Vorstande mehrerer milder Stiftungen an und war hier stets gern bereit, namentlich sein [495] technisches Wissen und Können zur Verfügung zu stellen. Dabei war er eine liebenswürdige Persönlichkeit, ein Mann von ruhiger Würde und gemüthvollem Humor, der ohne Hasten still und sicher seinen Weg ging, angenehm auch in dem Verkehr mit seinen Collegen, von denen einer, der ihm sehr nahe stand, sein Wesen also charakterisirte: „Immer bescheiden wollte er niemals hervortreten, immer dienstwillig half er, wo er konnte, fürsorglich für die Seinen, gefällig gegen jedermann, milde in seinem Urtheil, frohsinnig im geselligen Kreise und unerschütterlich in seinem Gottvertrauen“.

Fr. Lilly’s Aufsatz i. d. Brnschw. Anzeigen v. 15. März 1895, Nr. 74. – Ev.-luth. Monatsbl. f. Br. 1894, Nr. 20. 21. – Brschw. Magazin 1897, S. 197. – Nachrichten aus d. Familie.

[492] *) Zu Bd. XLII, S. 395.