ADB:Walderdorff, Karl Wilderich Graf von

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Artikel „Walderdorff, Graf Karl Wilderich von“ von Wilhelm Sauer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 693–696, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Walderdorff,_Karl_Wilderich_Graf_von&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 01:44 Uhr UTC)
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Walderdorff: Graf Karl Wilderich von W., 1799–1862, war als Sohn des Grafen Franz Philipp und der Gräfin Mauritia, geborenen Freifräulein von Freiberg-Hopferen, am 1. September 1799 zu Eltville im Hause des Freiherrn von Langwerth-Simmern, wo die Eltern seit der Besitznahme des linken Rheinufers durch die Franzosen ihren Wohnsitz hatten, geboren. Graf Franz Philipp hatte sich wol nicht gern der nassauischen Herrschaft gefügt. Stellung und Anschauungen führten den vormals kurtrierischen Unterthan auf die Seite des mediatisirten Hochadels, den nur die Furcht vor französischen Gewaltmaßregeln zum Gehorsam gegen die neuen Landesherrn, die bisher als gleichstehend angesehenen Fürsten von Nassau, gebracht hatte. Die innere Entwicklung des nassauischen Staatswesens, die Organisirung einer einheitlichen, die Sonderinteressen der Mediatisirten und des kleineren Adels rücksichtslos beseitigenden Verwaltung des Landes durch den Minister Marschall und den Präsidenten Ibell führten den Grafen zur Opposition; gleicher Anschauung wie der Minister vom Stein stand er auf dessen Seite im Kampfe gegen Marschall. Nachdem es Marschall gelungen war, Stein aus der im J. 1818 zum ersten Male tagenden Ständeversammlung und hierdurch aus dem Lande zu entfernen und dieser sich grollend auf seine Güter in Westfalen zurückgezogen hatte, nahm auch Graf W. keinen Antheil mehr am politischen Leben, sondern beschäftigte sich nur mit der Verwaltung seiner Familiengüter, welche er aber schon im J. 1823 seinem Sohne, dem Grafen Karl Wilderich, abtrat. Graf Karl Wilderich hatte seine Jugend bis zu seinem elften Jahre bei den Eltern zu Eltville zugebracht. Im J. 1810 trat er mit seinem jüngeren Bruder Eduard in die französische Militärschule zu La Flêche, welcher beide bis zum Zusammenbruch der Napoleonischen Herrschaft im J. 1814 angehörten. In die Heimath zurückgekehrt, besuchte Karl Wilderich in den Jahren 1815–1819 die Universitäten Göttingen und Heidelberg. In diese Studienzeit fällt der Tod seines älteren Bruders, durch welchen ihm die Erbfolge in die Besitzungen der Familie zufiel; im J. 1817 ließ ihn der Vater deshalb für großjährig erklären. An die Studienjahre schlossen sich von 1819–1821 größere Reisen nach Süddeutschland und Italien; 1819 erhielt er den österreichischen Malteserorden. Zurückgekehrt vermählte er sich am 15. September 1823 zu Schloß Frenz bei Köln mit der Gräfin Mauritia Beißel von Gymnich. Zu derselben Zeit trat ihm [694] der Vater die Verwaltung der Familiengüter ab, deren Zustand seine volle Thätigkeit in Anspruch nahm. Vom Jahre 1828 ab nahm er seinen dauernden Aufenthalt auf Schloß Molsberg.

Die Zustände und Verhältnisse seines Heimathlandes werden ihm, als er zu Anfang der zwanziger Jahre seinen Wohnsitz in demselben nahm, im ganzen fremd gewesen sein. So zögerte er, auch nachdem er nach dem im J. 1828 erfolgten Tode seines Vaters seinen Sitz auf der Herrenbank der nassauischen Ständeversammlung eingenommen hatte, dem politischen Leben des Landes näher zu treten, obwol er als größter Grundbesitzer in demselben vornehmlich hierzu berufen war. Hier mag auch die Absicht bestimmend gewesen sein, dem vom Vater gegebenen Beispiele zu folgen und persönliche Berührungen mit dem Minister v. Marschall möglichst zu vermeiden. Mochte ihn als hervorragendes Mitglied des katholischen rheinischen Adels auch die österreichische Richtung des nassauischen Hofes und namentlich Marschall’s ansprechen, so scheint er doch frühzeitig die schweren Schäden, die dem Lande vorzüglich auf wirthschaftlichem Gebiete durch die grundverkehrte preußenfeindliche Politik des Ministers Marschall zugefügt wurden, erkannt, sich auch ebensowenig der Empfindung des harten Druckes, den das täglich schroffer werdende Regiment des Ministers ausübte, verschlossen zu haben. Langsam und vorsichtig handelnd trat er in die Opposition gegen den Minister ein, sich zunächst in kleinen aber treffsicheren Angriffen auf denselben versuchend. Bei den damaligen Verhältnissen und bei dem knapp bemessenen Rechte der Initiative auf dem Gebiete der Gesetzgebung, welches der Ständeversammlung zustand, verdienen die Anträge auf Aufhebung der Jagdfrohnden, auf die Berichtigung des gesetzlichen Kurswerthes des preußischen Thalers in Nassau, welche W. auf dem Landtage 1831 stellte, Beachtung. Beide Anträge verfolgten wohl gutgemeint den Zweck, zur Milderung der damals im Lande herrschenden tiefen Mißstimmung versöhnend beizutragen. Die Julirevolution und der erneut mit Heftigkeit auflodernde Domänenstreit hatten diese weitgehende Aufregung hervorgerufen. In denselben Tagen (1831) finden wir W. auf der Seite der Majorität der Herrenbank, welche bei Erörterung der bei derselben eingegangenen Massenpetition nassauischer Gemeinden um Anschluß an den Zollverein sich unter entschiedenster Verurtheilung der Zollpolitik Marschall’s für den vollen Anschluß an Preußen und den Zollverein aussprach. Daß es W. vorbehalten war, diese Forderung des Landes zu erfüllen, werden wir sehen. Dann scheint W. namentlich in dem, das Land tief erregenden Domänenstreit einen vermittelnden Ausweg angestrebt zu haben. Auch der Herzog Wilhelm neigte sich einer friedlichen Lösung der verwickelten Frage zu, wenigstens schreckte er bei der damaligen drohenden politischen Lage davor zurück, seine Forderung an das Land bis zur äußersten Consequenz geltend zu machen, was bis dahin sein fest ausgesprochenes Programm war. Er entschloß sich, einzulenken. Bei Eröffnung des Landtages 1832 berief er an Stelle des bisherigen Präsidenten, des stark oppositionellen Grafen von Elz, W. zum Präsidium der Herrenbank, welches derselbe auch in den Tagungen der folgenden Jahre 1833 und 1834 führte. Der damals eingeleiteten Vorbereitung eines wenigstens zeitweiligen Ausgleichs des Domänenstreits wird Walderdorff’s wirksame Theilnahme nicht gefehlt haben. In der Kammer selbst übernahm W. seit 1829 die Referate über wichtige Abschnitte des Etats, namentlich über den Militäretat. – Im Anschluß an die friedliche Wendung, welche der Domänenstreit nahm, bereitete sich auch auf anderen Gebieten ein Umschwung der Verhältnisse vor. Das unbedingte Vertrauen des Herzogs, welches der Minister Marschall von jeher genossen, erhielt im Herbste 1833 eine nachhaltige Erschütterung, als derselbe die Fehler der Zollpolitik seines dirigirenden Staatsministers zu erkennen begann. [695] Der Minister Marschall starb am 22. Januar 1834; der Tod bewahrte den im Dienste ergrauten Staatsmann vor dem Sturze. Die Wahl des Nachfolgers beschäftigte den Herzog Wilhelm längere Zeit. Erst im Juni 1834 entschloß sich derselbe, in W. einen Mann an des Verstorbenen Stelle zu rufen, der den Zeitverhältnissen mit Einsicht Rechnung zu tragen entschlossen war, dem er selbst – der Herzog – schrittweise auf Bahnen folgte, die er unter dem Einfluß des Vorgängers streng gemieden. Und als Herzog Wilhelm am 20. August 1839 gestorben, fand der Nachfolger zunächst keine Veranlassung, sich von dem Berather des Vaters zu trennen. Aus der amtlichen Thätigkeit des neuen Ministers verzeichnen wir zunächst als das Wichtigste das Eingehen auf eine verständige, vom ganzen Lande dringend gewünschte Zollpolitik. Am 11. October 1834 leitete W. in Berlin die Verhandlungen über den Beitritt des Herzogthums zum Zollverein ein, die zu dem Anschlußvertrage vom 10. December 1835 führten, dem unter dem 9. December 1837 eine neue Zollordnung folgte. Als Berather standen hier dem Minister der Regierungsdirector Magdeburg und der Ministerialrath Vollpracht, dessen umfassende Thätigkeit sich auf weite Gebiete der Verwaltung erstreckte, zur Seite. (Vgl. den Artikel Vollpracht.) Der 1837 mit Baiern, Württemberg, Baden, dem Großherzogthum Hessen und Frankfurt vereinbarte Münzvertrag bildete hier den Abschluß. Der Ausbau der Taunuseisenbahn (Strecke Wiesbaden-Frankfurt) 1838, sowie die allmähliche Ausdehnung der Dampfschifffahrt auf dem Rheine gaben dem Handelsverkehr neuen Aufschwung. Mit den größten Schwierigkeiten verbunden war selbstverständlich die Lösung der Domänenfrage, die Beilegung des langwierigen Domänenstreites, an welche W. jetzt unter Mitwirkung von Vollpracht herantrat. Nach fast zweijährigen Verhandlungen konnte hier im December 1836 ein den Herzog wie das Land vorläufig zufriedenstellendes Abkommen getroffen werden. Infolge dieses Abkommens mußte der bereits eingeleiteten Zehntablösung größere Ausdehnung gegeben werden; im J. 1840 traten auf Anregung des Ministers die Landescreditcasse und die Zehntablösungscommission nach den Vorschlägen Vollpracht’s, der mit der Leitung der neuen Institute betraut wurde, ins Leben. – Unter Walderdorff’s Verwaltung machte sich in den katholischen Landestheilen des Herzogthums infolge der damaligen bekannten Ereignisse der Aufschwung kirchlichen Lebens nicht minder bemerklich wie überall sonst in Deutschland. Den berechtigten Forderungen der Katholiken namentlich auf dem Gebiete des Erziehungs- und Schulwesens trug die Regierung wohl nicht ohne des Ministers thätige Einwirkung möglichst ausgiebig Rechnung. Für die Studirenden der katholischen Theologie wurde die bezügliche Facultät zu Gießen zur Landesfacultät erklärt, nachdem deshalb im J. 1838 mit Hessen-Darmstadt ein Vertrag abgeschlossen war. Das Apothekenwesen erhielt 1839 eine neue Organisation; eine Apothekenordnung und Arzneitaxe wurden erlassen. Ebenso wurde 1840 für das Bauwesen im Lande eine neue Ordnung bekannt gemacht.

Im Juli 1842 wurde das Land durch den unerwarteten Rücktritt des Ministers, dessen Veranlassung unbekannt geblieben ist, überrascht. Vom öffentlichen Leben zog W. sich seitdem im ganzen zurück. Zu dem verunglückten Versuche, die am 4. März 1848 vor dem herzoglichen Palais zu Wiesbaden versammelte aufgeregte Volksmenge bei Abwesenheit des Herzogs durch eine versöhnliche Ansprache zum Auseinandergehen zu bewegen, wurde er durch seine zufällige Anwesenheit in Wiesbaden veranlaßt. Daß er auf die Seite des großdeutschen Reformvereins, für welchen Hof und Regierung in Nassau eifrig Boden zu gewinnen suchten, trat, braucht wohl kaum bemerkt zu werden. Gegen Ende der fünfziger Jahre wurde er von einem Kopfleiden befallen, welchem er [696] am 27. December 1862 erlag. Die Leiche wurde in der Schloßcapelle zu Molsberg beigesetzt.

Archivalien. Mittheilungen des Herrn Grafen von Walderdorff.