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Artikel „Vorst, Johannes“ von Edward Schröder in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 308–309, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vorst,_Johannes&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 13:25 Uhr UTC)
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Vorst: Johannes V., Philolog und Theolog, geboren 1623 zu Wesselburen in Ditmarschen und vorgebildet in Itzehoe sowie auf dem Hamburger Gymnasium unter Joach. Jungius, studirte seit 1644 in Wittenberg, wo er auch promovirt wurde, und ging von da 1646 als Hofmeister hamburgischer Patriciersöhne nach Helmstedt, 1648 nach Jena. 1649 siedelte er als Ephorus der holsteinischen Alumnen nach Rostock über, wo er bereits eifrig litterarisch thätig war. 1653 trat er eine Studienreise nach den Niederlanden an, übernahm aber noch im gleichen Jahre das Rectorat der Schule zu Flensburg. 1655 von Rostock zum Licentiaten der Theologie promovirt, lehnte er eine ihm von Helmstedt aus angetragene theologische Professur aus religiösen Bedenken ab. Im J. 1659 ward er als Rector des vor kurzem dorthin übergesiedelten Joachimsthal’schen Gymnasiums nach Berlin berufen und erhielt zugleich die Anwartschaft auf eine Bibliothekarstelle an der kurfürstlichen Bibliothek, die ihm 1662 auch zufiel und seinen umfassenden gelehrten Interessen leichtere Befriedigung gewährte. Inzwischen hatte ihn freilich der Uebertritt zum reformirten Bekenntniß in weitläufige theologische Streitigkeiten verwickelt und es gelang ihm nicht sobald, in den ruhigen Hafen philologischer Studien einzulaufen, wie er selbst und die Freunde es wünschten. Endlich dem confessionellen Gezänk entrückt, ist er noch über ein Jahrzehnt hindurch vorzugsweise auf dem Gebiete der Sprachwissenschaft thätig gewesen. Am 4. August 1676 ist er gestorben.

V. hat in der Weise vieler Zeitgenossen ein ungemein weites Arbeitsfeld bebaut: er ist u. a. auch unter dem Pseudonym Janus Orchamus in die Reihe der Streiter eingetreten, welche Will. Harvey’s berühmtes Buch „De generatione animalium“ (1651) bekämpften. Das eigentliche Centralgebiet seiner wissenschaftlichen Production bildete die philologia sacra des alten wie des neuen Testaments. Er galt seiner Zeit für einen der ausgezeichnetsten Kenner des Hebräischen. Heute lebt er in der Geschichte der Wissenschaft wol nur für die Germanisten fort, und zwar durch ein kleines Schriftchen „Observationum in linguam vernaculam specimen“ (Coloniae Brandenburg. 1669). Ihm schwebte darin das Ideal eines deutschen Varro vor, und als Proben seiner eingehenden Beschäftigung mit der Muttersprache und ihrer Geschichte gibt er in 19 Capiteln etymologische Einzeluntersuchungen, von denen nicht eine ganz verfehlt ist, die [309] meisten aber wirklich Hand und Fuß haben. V. kennt alles was in Deutschland, den Niederlanden, England und Skandinavien an Denkmälern der ältern Sprachstufen gedruckt ist, außerdem den freilich damals unbedeutenden Besitz der Berliner Bibliothek an altdeutschen Handschriften. Er ordnet die Formen und Bedeutungen meist chronologisch richtig an und enthält sich jeder vagen Sprachvergleicherei: das ihm so wohl vertraute Hebräische läßt er ganz aus dem Spiel, das Lateinische und Griechische zieht er nur zu lehrreichen Parallelen und Analogien hervor. Es fehlt natürlich nicht an kindlichen Deutungen, wie altsächs. witut ‚Gesetz‘ als wit ut – „weit ausgebreitet“, aber die sichern Treffer überwiegen bei weitem. So hat er das Verhältniß von „Urlaub, Urtheil“ zu „erlauben, ertheilen“ zuerst erkannt, hat „überantworten“ von „Antwort“ getrennt und zu „Gegenwart“ gestellt, „Freund“ und „Feind“ als alte Participia nachgewiesen, die Etymologien von „ereignen“, „erquicken“, „ruchlos“, „Beichte“, Demuth“, „Wucher“ u. s. w. richtig erfaßt. Er steht als Etymologe hoch über Schottel und Stieler und hat erst in Diederich von Stade einen ebenbürtigen Nachfolger gefunden. Sein methodisch vortreffliches und an sichern Ergebnissen reiches Büchlein fand und verdiente noch 1741 eine Uebersetzung, die in den Beyträgen zur Crit. Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit Bd. 7, S. 179 bis 241 erschienen ist.

Moller, Cimbria litterata I, 700 ff. – Raumer, S. 183.