ADB:Storch, Heinrich Friedrich von

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Artikel „Storch, Heinrich Friedrich von“ von Gangolf von Kieseritzky in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 437–439, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Storch,_Heinrich_Friedrich_von&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 07:59 Uhr UTC)
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Storch: Heinrich Friedrich v. St., seiner Zeit sehr hervorragend als Nationalökonom und Statistiker. Geboren wurde St. am 15. Februar 1766 in Riga, wo er auch die Domschule besuchte. In seinem 18. Jahre ging er von hier aus an die Universität Jena, wo er neben philosophischen und juristischen Fächern sich auch schon mit den Staatswissenschaften beschäftigte. 1786 suchte er weitere Ausbildung auf einer Reise, die ihn durch Süddeutschland und einen Theil Frankreichs führte und deren Ergebnisse er in einer Schrift „Skizzen, Scenen und Bemerkungen, auf einer Reise durch Frankreich gesammelt“, Heidelberg 1787, niederlegte. Diese Schrift trug ihm in Heidelberg, wohin er sich zu weiteren staatswissenschaftlichen Studien begeben hatte, den Antrag ein, eine außerordentliche Professur an der Universität zu übernehmen, deren Ablehnung ihm aber der Graf Rumjänzow, Gesandter Rußlands bei den Rheinkreisen, nahe legte. 1788 kehrte er nach Rußland zurück und wurde in St. Petersburg als Professor der schönen Litteratur am Cadettencorps angestellt; wenig später erhielt er dazu noch die Stelle als Secretär beim Reichskanzler Besborodko. Seine litterärischen Leistungen lenkten die Aufmerksamkeit der Kaiserin Katharina II. auf ihn und sie beabsichtigte, ihn zu ihrem Privatsecretär zu erheben, als ihr Tod dieses verhinderte. Doch sollte St. bald in anderer Weise dem Kaiserhause dienen, da die Kaiserin Maria Feodorowna, Gemahlin des Kaisers Paul, aufmerksam gemacht durch die Begabung Storch’s, seine ausgebreiteten Kenntnisse auf leichte und gefällige Weise Anderen mittheilen zu können, ihn zum Lehrer ihrer Töchter und ihrer beiden jüngeren Söhne, Nikolaus (des nachmaligen Kaisers Nikolaus I.) und Michael bestellte. Noch während der glänzenden Erfüllung dieser Aufgabe wurde er im J. 1803 als Ordinarius für politische Oekonomie und Statistik in die Petersburger Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Diese Stellung eröffnete eine neue Periode seines litterärischen Lebens; denn wenn er vorher sich fast ausschließlich mit der Statistik Rußlands beschäftigt hatte, so trat bei ihm jetzt die politische Oekonomie in den Vordergrund. Nach einer Reihe von Streitschriften in russischer und französischer Sprache über nationalökonomische Themata, die in enger Verbindung unter einander die allmähliche Entwicklung seiner Ideen erkennen lassen, trat dann sein [438] Hauptwerk, der „Cours d’économie politique“ ans Tageslicht, der ursprünglich für seine kaiserlichen Zöglinge, die Großfürsten Nikolaus und Michael Pawlowitsch, geschrieben, seinem Verfasser eine hervorragende Stellung unter den damaligen Nationalökonomen verschaffte. Ad. Smith ist sein Vorbild, doch bleibt er ihm gegenüber immer selbständig, wenn er auch vieles aus dessen Schriften wörtlich entnimmt; wo er nur dasselbe wie seine Vorgänger geben konnte, da legte er auf den Schein der Originalität keinen Werth. Am liebsten ordnet er den Stoff geschichtlich, doch ist diese Auffassung keine Frucht großer geschichtlicher Studien; die mathematische Behandlungsweise der Nationalökonomie verwirft er; seiner Anschauung nach liegen hier keine eigentlichen Naturgesetze vor, sondern eine, nach den Anlagen, Bedürfnissen, Gesinnungen verschiedene, freie Thätigkeit der Menschen. Nach St. ist jeweilig der Wirthschaftszweig der am meisten bereichernde, welcher der größten Vervollkommnung fähig ist, dessen Producte mithin auf den geringsten nothwendigen Preis herabgebracht werden können; dies ist in den Anfängen der wirthschaftlichen Entwicklung der Landbau, erst später tritt an dessen Stelle der Handel und dann die Industrie. Seine Auffassung des Begriffs productiver Arbeit ist eine sehr weite: nach ihm ist jede Arbeit productiv, die vom Standpunkt des Einzelnen betrachtet, alle seine Bedürfnisse befriedigt, ohne für ihn einen Verlust nach sich zu ziehen. Den Unterschied zwischen Privat- und Volkseinkommen betont er sehr eifrig. Sein Standpunkt ist der freihändlerische, darum spricht er auch für die Preßfreiheit. Schönfärberei russischer Dinge lag ihm fern, aber dabei war er immer bemüht, alles Gute in seinem Vaterlande hervorzuheben und dessen Kenntniß dem Auslande zu vermitteln; zu diesem Zwecke gründete er die Zeitschrift: „Rußland unter Alexander I.“ (s. u.) (1804–1808), die noch heute von Werth ist. – Im J. 1827 wurde er vom Kaiser Nikolaus I. zur Theilnahme an den Arbeiten der Commission für die Reorganisation der Lehranstalten des Reiches berufen, darauf 1830 zum Vicepräsidenten der Akademie ernannt. Diese Verpflichtungen nahmen seine Zeit stark in Anspruch und hinderten ihn an anderweitigen Arbeiten, wozu eine mit den Jahren bei ihm eingetretene Gesichtsschwäche kam. Am 1. November 1835 erfolgte sein Tod. Die hauptsächlichsten seiner Schriften sind folgende: „Principes généraux de belles lettres, à l’usage du Corps de Cadets“. St-Pétersbourg 1789. – „Gemälde von St. Petersburg“. 2 Thle. Riga 1793 (übersetzt ins Englische von Tooke; ins Französische von B. Fr. Haller, Bern 1795; ins Schwedische zweimal, Abo 1805 und Stockholm 1806). – „Statistische Uebersicht der Statthalterschaften des russischen Reichs nach ihren merkwürdigsten Culturverhältnissen in Tabellen“. St. Petersbg. 1795. fol. – „Historisch-statistisches Gemälde des russischen Reichs am Ende des achtzehnten Jahrhunderts“. 8 Thle. Riga und Leipzig 1797–1803. Mit Supplementband. Leipzig 1803 (übersetzt ins Französische 1801, Russische und Englische). – „Materialien zur Kenntniß des russischen Reichs“. 2 Bde. Riga und Leipzig 1796. 1798. – „Annalen der Regierung Katharinens II.“ 1. Bd. Leipzig 1798. – Sein Hauptwerk ist: „Cours d’économie politique, ou exposition des principes, qui déterminent la prospérité des nations. Ouvrage qui a servi à l’instruction de Leurs Altt. Impp. les Grands-Ducs Nicolas et Michel“. 6 Tomes. St-Pétersbourg 1815. (Wurde von J. B. Say später mit erklärenden und kritischen Noten herausgegeben, IV vols. Paris 1823. Auch ins Deutsche übersetzt mit Zusätzen von K. H. Rau. 3 Bde. Hamburg 1819. 1820.) – „Considération sur la nature du revenu national“. Paris 1824. Dieselbe Schrift auch in deutscher Ausgabe. Halle 1825. – „Zur Kritik des Begriffs vom Nationalreichthum“. St. Petersburg 1827. – Ferner eine Menge Aufsätze nationalökonomischen Inhalts in den Mémoires de l’Académie des sciences de St-Pétersbg. Tomes I–X; VIe sér. [439] Tome I (1830). – Er gab auch eine Zeitschrift mit Kupfern und Karten heraus unter dem Titel: „Rußland unter Alexander dem Ersten. Eine historische Zeitschrift.“ 27 Lieferungen in 9 Bdn. St. Petersburg und Leipzig 1804–1808.

v. Recke u. Napiersky, Allgemeines Schriftsteller- und Gelehrten-Lexikon der Provinzen Livland, Esthland und Kurland IV (1832), und in den Nachträgen dazu. – Fuß, im Bericht über die öffentl. Sitzungen der k. Akademie, 29. Dec. 1835, daraus im Journal des Ministeriums der Volksaufklärung 1836, Aprilheft, S. 44 ff., danach deutsch übersetzt in den Rigaer Stadtblättern 1837, S. 75–77. 84–86. 106–111. 117–119, woraus in Rigasche Biographien II, 63–68. Riga 1888. 8°. Seine Charakteristik in W. Roscher, Geschichte der Nationalökonomie S. 799–813. München 1874.