ADB:Stichaner, Franz Joseph Wigand Edler von
[506] und Lyceum in München besuchen. Das Gymnasium absolvirte St. schon im Alter von 18 Jahren mit Auszeichnung; die Rechts- und Staatswissenschaften studirte er an der Universität Göttingen, an der ihn berühmte Professoren in sein Fach einführten. Er wurde dort mit vielen trefflichen jungen Männern bekannt, mit denen er sein ganzes Leben hindurch Beziehungen unterhielt, selbst dem Herzog von Cambridge, dem späteren Vicekönig von Hannover, trat er damals näher, der ihm auch später ein freundschaftliches Andenken bewahrte. Den Norden und Nordwesten Deutschlands durchwanderte er zu Fuß, auch die Hansestädte besuchte er, und die damals gewonnenen vielfachen Eindrücke sind ihm für immer erhalten geblieben. Dieser Aufenthalt in dem protestantischen Norden und der Verkehr mit so vielen trefflichen protestantischen Männern aus den höchsten Kreisen gewährte ihm einen Einblick in ganz neue Anschauungen und befähigte ihn später als Regierungspräsident von Provinzen mit überwiegend protestantischer Bevölkerung verständnißvoll mit dieser zu verkehren und erfolgreich zu wirken. 1788 prakticirte er am Reichskammergericht zu Wetzlar, wo auch Goethe 1772 prakticirt hatte. 1789/90 studirte er die bairischen Rechts- und Verwaltungszustände an der Universität Ingolstadt, wo er seine Studien vollendete. 1790 bestand er die „Probe-Relation“ vor dem kurfürstlichen Hofrath in München und wurde als ein „bestens fundirt, gelehrt und treffliches subjectum“ dem Kurfürsten aufs wärmste empfohlen. Im selben Jahre schrieb er eine Abhandlung „Ueber das Entscheidungsrecht des Pfalzgrafen bei Rhein bei einer streitigen deutschen Königswahl“. Die dadurch bekundete gründliche Kenntniß der damals überaus verwickelten Rechtsverhältnisse des deutschen Reiches und das warme Eintreten für die Rechte des bairischen Kurfürsten lenkten noch mehr die Aufmerksamkeit der regierenden Kreise auf ihn, auf die er noch überdies durch sein stattliches Aeußere, sein feines Auftreten, seine große Arbeitskraft und Berufsfreudigkeit den besten Eindruck machte, so daß er schon 1791 (10. Mai) im Alter von erst 21 Jahren seine erste Anstellung als Accessist der Oberlandesregierung in München mit einem Wartegeld von 500 fl. erhielt. Bereits zwei Jahre darauf (18. Mai 1793) wurde der 23jährige Mann zum Oberlandes-Regierungsrath ernannt. 1795 wurde ihm die Regulirung der Grenze gegen Tirol übertragen, wodurch er das ganze bairische Alpengebiet kennen lernte. 1796 besetzten die Franzosen unter Moreau München; dabei bekam St. als Mitglied der Kriegsdeputation schwere Arbeit. 1798 hatte er als Polizei-Obercommissär unter dem Grafen Rumford die Polizei der Haupt- und Residenzstadt München zu organisiren.
Stichaner: Franz Joseph Wigand Edler von St., Dr. juris, kgl. bair. Regierungspräsident und Staatsrath im ordentlichen Dienst, war geboren am 22. October 1769 zu Tirschenreuth in der Oberpfalz, wo sein Vater Franz Joseph August Stiganner (1726–1802) Amtsrichter des Klosters Wiesau und Oberhauptmann des Stiftes zu Waldsassen war und später als kurfürstlich bairischer Wirklicher Hofrath am 17. December 1788 vom Kurfürsten Karl Theodor als „Edler von Stichaner“ in den erblichen Adelstand erhoben wurde. Sein Großvater Georg Paul stand in Diensten des Stiftes Waldsassen und sein Urgroßvater Peter war Bürgermeister in Mosbach bei Vohenstraus. Die Familie war aus Böhmen in die Oberpfalz eingewandert, wahrscheinlich infolge ihrer dienstlichen Beziehungen zu den Klöstern, die in Böhmen wie in Baiern reiche Besitzungen hatten. Die vermögenden Eltern ließen ihren einzigen Sohn die Lateinschule zu Amberg wie das GymnasiumNoch größeres Vertrauen schenkte ihm der neue Kurfürst Max Joseph IV. Der neue Ministerpräsident Graf v. Montgelas erkannte bald die vorzüglichen Eigenschaften Stichaner’s und verwandte ihn auf den wichtigsten Stellen. Damals wurde der moderne Staat Baiern geschaffen, von dem Alten blieb fast nichts bestehen, es war eine friedliche Revolution von oben herab, die Baiern damals durchmachte ohne die Erschütterungen und die entsetzlichen Opfer, die Frankreich für die Errungenschaften der Neuzeit hatte bringen müssen. (Riezler, Das glücklichste Jahrhundert bairischer Geschichte 1806–1906, S. 8.) Um aber die neue Ordnung der Dinge aufzurichten, dazu brauchte man kenntnißreiche, thatkräftige Männer, und einer dieser war St. Am 27. Februar 1799 wurde er zum Geheimen Referendär im Geheimen Justizdepartement mit einem Gehalte von 3000 fl. ernannt und ihm die Justiz-, Polizei- und Regiminalsachen übertragen. 1800 fielen die Franzosen abermals in Baiern ein, der Kurfürst mußte nach Bamberg fliehen und St. wurde Mitglied einer Hofcommission zur Verwaltung des Landes. 1805 hatte er [507] die Verpflegung der französischen Truppen in Baiern zu regeln. 1806 wurde er dem neuerrichteten Ministerium des Innern zugetheilt. Während seiner Thätigkeit in den Ministerien wurden unter seiner Mitwirkung die grundlegenden Organisationsgesetze des bairischen Staates geschaffen, die ein halbes Jahrhundert in Geltung blieben, bis in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts jene Gesetze eine den Bedürfnissen der Neuzeit entsprechende Umarbeitung erfuhren. Bei so vielen Arbeiten fand St. noch Zeit, sich mit der Wissenschaft, besonders der Geschichte, zu befassen. Die vielen römischen Alterthümer in Baiern erregten sein besonderes Interesse, und über sie veröffentlichte er 1808 zwei Hefte mit lithographischen Abbildungen, worauf ihn die kgl. Akademie der Wissenschaften in München zu ihrem Ehrenmitglied ernannte. Unter anderem entdeckte er eine römische Töpferstätte bei Rosenheim und besprach die Richtung der Römerstraße von Salzburg nach Augsburg. Die gefundenen Alterthümer übergab er der Akademie der Wissenschaften, die ihm die Aufsicht über die Alterthümer-Sammlung übertrug.
1808 wurde er im Alter von erst 38 Jahren zum Generalcommissär (Regierungspräsident) des neugebildeten Unterdonaukreises in Passau ernannt. 1809 hatte er dort mit Napoleon einen Zusammenstoß. Die Franzosen schalteten in Baiern wie in einem eroberten Lande, da nahm sich St. mit Muth und Edelsinn seiner Untergebenen an, was dem Imperator berichtet wurde; Napoleon ließ St. kommen, fuhr ihn mit großer Barschheit an und gestattete ihm kein Wort der Vertheidigung, so daß man für Freiheit und Leben des kühnen Mannes fürchtete. Doch der König Max I. nahm sich seines treuen Beamten an und versetzte ihn noch in demselben Jahre als Generalcommissär des Regenkreises nach Straubing. Auch hier war seines Bleibens nicht, man brauchte sein bewährtes Organisationstalent auf einer anderen wichtigen Stelle, und so wurde er 1810 als Generalcommissär der Stadt Augsburg berufen, wo er mit dem dort residirenden depossedirten Kurfürsten Clemens Wenzeslaus von Trier und dessen Schwester Kunigunde, einer sächsischen Prinzessin, sehr angenehmen Verkehr hatte. Auch römische Alterthümer fand er in der alten Augusta Vindelicorum in Menge vor, so daß er eine anregende Nebenbeschäftigung erhielt. 1811 entwarf er in einigen Monaten ein neues Polizeistrafgesetzbuch für das Königreich. 1813 wurde er zum Generalcommissär des Illerkreises in Kempten ernannt, wo er die allgemeine Landesbewaffnung mit solchem Eifer durchführte, daß ihm der Kronprinz Ludwig, der Obercommandant der Reservearmee, seine besondere Anerkennung aussprach. 1814 hatte er Vorarlberg an Oesterreich zurückzugeben, und da er dies zur vollen Zufriedenheit that, wurde ihm auch die Uebernahme von Würzburg und Aschaffenburg übertragen. Daneben ließ er einen Entwurf für das Verfahren in Polizeistrafsachen als 2. Theil zu seinem früheren Gesetzentwurf erscheinen.
Am 19. März 1817 wurde St. an Stelle des Freiherrn v. Zwack-Holzhausen, der die Pfalz von der österreichisch-bairischen Landesverwaltung als künftigen Besitz Baierns auf dem linken Rheinufer am 30. April 1816 übernommen hatte, zum Generalcommissär des Rheinkreises und Staatsrath im außerordentlichen Dienst mit dem Titel „Excellenz“ und am 16. Juli 1817 zum Wirklichen Staatsrath im außerordentlichen Dienst ernannt. Hier durfte er längere Zeit wirken als auf seinen früheren äußeren Stellen; in der Pfalz, die vor der französischen Revolution aus 44 verschiedenen Landesherren gehörigen Territorien und 15 Condominaten bestanden und unter der französischen Fremdherrschaft 4 verschiedenen Departements angehört hatte, mußte nahezu alles neu geschaffen und geordnet werden, und dazu bedurfte es einer Kraft, [508] wie St. es war, der mit dem größten Wohlwollen das lebhafte und bisher arg mißhandelte Volk der Pfälzer behandelte und alle an ihn herantretenden berechtigten Wünsche zu erfüllen sich bestrebte. Und wenn es gelungen ist, in verhältnißmäßig kurzer Zeit diese reiche und herrliche Provinz zu heben und ihre Bewohner mit den neuen Verhältnissen nach Möglichkeit zufrieden zu stellen und mit Baiern und Deutschland wieder fest zu verbinden, so ist dies das Verdienst Stichaner’s und der ihm fast völlig freie Hand lassenden wohlwollenden, aus der Pfalz stammenden und sich als Pfälzer fühlenden Könige Max I. und Ludwig I. Vor allem gelang es St., die in vieler Beziehung trefflichen französischen Gesetze in Geltung zu erhalten und dafür die Genehmigung in München zu erwirken, so daß nicht auch noch ein völliger Wechsel in der Gesetzgebung eintrat und die Neugewöhnung der Bevölkerung an ganz fremdartige, weniger gute Institutionen erzwungen werden mußte, was die Pfälzer mit der größten Erbitterung erfüllt hätte. Den Gebrauch der französischen Sprache hatte man in Gesetz und Verwaltung der durchaus deutschen Bevölkerung aufgezwungen, und da keine genügende Zahl einheimischer der französischen Sprache mächtiger Kräfte vorhanden war, hatte man viele stockfranzösische Beamte in das Land gezogen, die kein Wort deutsch verstanden und zum Theil mit großer Anmaßung auftraten, was große Unzufriedenheit erregte. Diese Urfranzosen kehrten jetzt größtentheils in ihre Heimath zurück, und die dablieben, mußten sich den neuen Verhältnissen anpassen. Die deutsche Sprache gelangte in der ganz deutschen Provinz auf allen Gebieten wieder zu ihrer vollen Herrschaft, was von der Bevölkerung als eine Befreiung von drückendem Joche empfunden wurde.
Vor allem mußte die Regierung des Landes selbst constituirt werden. Die Provinz wurde zunächst in die vier Bezirksdirectionen Frankenthal, Landau, Kaiserslautern und Zweibrücken eingetheilt. Am 6. November 1817 erfolgte die Eintheilung in zwölf Landcommissariate (heute Bezirksämter), die 70 Jahre unverändert blieb; erst 1886 (1. Juli) wurde das erste neue Bezirksamt Ludwigshafen a. Rhein errichtet, dem 1900 Rockenhausen und 1902 Dürkheim und St. Ingbert folgten. Neben dem Kreisamtsblatt, das im Mai 1816 gegründet worden war und in dem alle behördlichen Bekanntmachungen veröffentlicht wurden, erschien vom 1. Januar 1818 an ein „Kreis-Intelligenzblatt“, in dem St. mehr als 50 Artikel über aufgefundene Alterthümer, besonders aus der Römerzeit, über Römerstraßen, Grabhügel, Verschanzungen u. a. zum Theil mit Zeichnungen zum Abdruck brachte. In Speier und den vier Bezirkshauptstädten erschienen Wochenblätter, Privatunternehmungen, die unter Aufsicht der Bezirkscommissäre standen. 1817 erfolgte auch die Eintheilung des Rheinkreises in Kantone (Districte), in denen Friedensgerichte (heute Amtsgerichte genannt) errichtet wurden, die heute noch fast alle unverändert bestehen. Zur Ordnung der Angelegenheiten der Bürger hielt man in sehr richtiger Weise die Zuziehung der Bevölkerung für nöthig, und es wurde deshalb ein Landrathsgesetz erlassen, doch unterlagen die Gewählten der Bestätigung der Regierung. Eine Forsteintheilung wurde erschaffen, 1817 ein Medicinal-Collegium errichtet und 1831 Bauinspectionen gebildet. An Stelle der französischen Münzen traten die bairischen (Gulden und Kreuzer). Eine Hypotheken-Verfassung wurde gegeben. Für das Schulwesen hatte die französische Regierung sehr wenig gethan, mehr noch für die Mittelschulen als für die Volksschulen. Im Interesse des Deutschthums war das übrigens das beste; denn die französische Regierung hätte sicher das ganze Schulwesen französisch gestaltet und damit dem Deutschthum tödliche Schläge versetzt. Hier setzte St. kräftig ein. Die Lehrer wurden besser bezahlt, das Prüfungswesen geregelt, [509] Districtsschulinspektionen gebildet, viele Schulgebäude aufgeführt. Auf seine Veranlassung wurde der ausgezeichnete Gymnasialrector Georg Jäger in Kempten, ein geborener Rheinländer, den St. in Kempten kennen und schätzen gelernt hatte, nach Speier berufen und diesem trefflichen Schulmanne allmählich die Leitung des ganzen Mittel- und Volksschulwesens in der Pfalz übertragen (s. meinen Artikel „Georg v. Jäger“ in der A. D. B. L, 621 ff.).
Viele Kirchen und Schulhäuser, die dem Verfallen nahe waren, wurden wiederhergestellt oder zum Theil neu aufgebaut. Der altehrwürdige Kaiserdom in Speier, der noch 1820 als Stroh- und Heumagazin diente (s. Bavaria, Rheinpfalz, S. 704), wurde nach Wiedererrichtung des Bisthums Speier 1818 in den Jahren 1820–1822 den nächsten Bedürfnissen entsprechend in Stand gesetzt und erst unter den Königen Ludwig I. und Max II. als Begräbnißstätte von acht deutschen Kaisern prachtvoll restaurirt und geschmückt. Unter der französischen Herrschaft war infolge der unaufhörlichen Kriege die Schuldenlast der Gemeinden ins unerträglichste gestiegen, ja man war bereits daran, den Gemeinden ihr Eigenthum, besonders ihre werthvollen Waldungen, wegzunehmen. St. gelang die Tilgung fast der ganzen Kriegsschuld im Betrage von 7 Millionen Gulden. In der Pfalz gab es 1817 nur eine einzige Straße, die von Napoleon I. zur Verbindung von Metz mit Mainz hergestellte durch die Pfalz über St. Ingbert, Kaiserslautern und Kirchheimbolanden gehende, nach ihm benannte Kaiserstraße. Von den früher ausgezeichneten Römerstraßen war so gut wie nichts mehr vorhanden, selbst die größeren Städte der Pfalz waren nur durch Feldwege miteinander verbunden. Da mußte energisch eingegriffen werden, wenn Handel und Verkehr gedeihen und der Wohlstand der Pfalz gehoben werden sollte. Industrie und Gewerbe lagen darnieder; da gab es viel zu thun. Gegen die oft äußerst verderblichen Rheinüberschwemmungen wurden mächtige Dämme errichtet und zur Förderung der Schifffahrt 13 Rheindurchstiche ausgeführt. In Frankenthal erbaute man die große Kreis-Armen- und Irrenanstalt und in Kaiserslautern das Centralgefängniß. Die Gemeinden am Hartgebirg besaßen noch ungetheilte Waldungen, Hain- oder Hart-Geraiden genannt, und die Verwaltung derselben war sehr mangelhaft. St. setzte es durch, daß die Gemeinden der Theilung der Geraiden zustimmten, so daß jede Gemeinde ein Stück Vorder- und ein Stück Hinterwald erhielt. Jetzt bekamen die Gemeinden wieder Interesse daran, ihren Wald in besten Stand zu setzen, und vieles öde Land wurde aufgeforstet. Damit hing die neue Forsteintheilung von 1822 zusammen. Da St. mit der ganzen Bevölkerung in steter Fühlung war und alle Gemeinden der Pfalz besuchte, gelang es ihm, durch persönliche Rücksprache mit den einflußreichsten Personen fast alles durchzusetzen; er besaß einen scharfen Verstand, mit dem er sofort den springenden Punkt erkannte, und von seiner dem gemeinen Nutzen zugewandten Fürsorge war stets Alles überzeugt; manchen verderblichen langjährigen Streit hat er durch sein persönliches Eingreifen geschlichtet und dadurch segensreich gewirkt.
Die Grenze zwischen der bairischen Pfalz und Frankreich wurde unter seinem Präsidium 1825/26 definitiv abgesteckt.
Um die Erhaltung der Alterthümer in der Pfalz war er unablässig bemüht und suchte auch Andere dafür zu gewinnen. Es wurde in Speier ein Antiquarium (Halle) errichtet, aber der Raum reichte für die Aufbewahrung der vielen Schätze bei weitem nicht aus, die Nothwendigkeit der Erbauung eines historischen Museums erkannte schon St., aber die Mittel dazu fehlten; endlich 1907 wurde der Grundstein zu einem Museum in Speier gelegt, wozu schon St. die erste Anregung gegeben hatte. 1827 veranlaßte er die Gründung eines historischen Vereins der Pfalz, dessen erster Vorstand und Seele er war, [510] doch mit seiner Versetzung nach Ansbach ging der Verein wieder unter; erst 1869 wurde ein solcher wieder ins Leben gerufen, der heute noch blüht und über 1200 Mitglieder zählt. An allen Unternehmungen in der Pfalz nahm er den regsten Antheil und gewährte ihnen die Unterstützung der Regierung, so weit dies nöthig und möglich war. 1829 machte der König Ludwig I. und die Königin Therese eine Rundreise durch die Pfalz und überzeugten sich von dem Aufschwung der Provinz unter der vorzüglichen Verwaltung Stichaner’s, und die Majestäten sprachen ihm ihre Anerkennung aus. Freilich blieb noch gar vieles zu thun übrig, was aber nicht von St., sondern von der allgemeinen Weltlage abhing; vor allem mußten die besonders für die Pfalz verderblichen Zollschranken fallen, wofür auch der König zu wirken versprach und was er auch wirklich durchführte durch die Aufrichtung des deutschen Zollvereins mit Preußen 1834.
Leider eilten die Regierungsjahre Stichaner’s in der Pfalz ihrem Ende zu. Als 1830 die französische Juli-Revolution fast ganz Europa in Unruhe und zum Theil in Aufstand versetzte, blieb die an Frankreich grenzende Pfalz nicht unberührt. Da selbst eine aufständische Bewegung befürchtet wurde, glaubte man in München, daß der milde St. durch ein schärferes Regiment ersetzt werden müsse, und so wurde St. am 10. Februar 1832 in gleicher Diensteseigenschaft nach Ansbach versetzt. Das empfand man als einen schweren Schlag in der Pfalz; denn mit der Regierung Stichaner’s war man durchaus zufrieden, aber nicht mit dem Ministerium in München, von dem man eine entschiedene deutsch-nationale und liberale Politik verlangte. Wie allgemein beliebt St. bei den Pfälzern war, das zeigte sich bei seinem Abschiede. Die Kreishauptstadt Speier verlieh ihm das Ehrenbürgerrecht am 17. Februar 1832 und brachte ihm einen großartigen Fackelzug dar, und mit vielen Wagen gab man ihm das Ehrengeleite bis über die Grenze der Pfalz hinaus, bis nach Mannheim. Zu seinem Nachfolger wurde der seitherige Regierungsdirector Freiherr v. Andrian-Werburg ernannt, der aber nur wenige Monate (bis 22. Juni) im Amte blieb, weil er der jetzt erst recht einsetzenden nationalen und freiheitlichen Bewegung noch weniger Herr werden konnte, weshalb er durch den Freiherrn Karl v. Stengel ersetzt wurde; gleichzeitig sandte man den Feldmarschall Fürsten v. Wrede mit einem Armeecorps in die Pfalz, der bis 31. Juli 1832 daselbst blieb und mit Waffengewalt die ganze Bewegung unterdrückte. Wäre St. geblieben, wäre wohl alles viel friedlicher und ohne einen Stachel zu hinterlassen verlaufen. Die Erinnerung an das äußerst verdienstliche Wirken Stichaner’s hat sich bis heute in der Pfalz erhalten, und wenn man etwas besonders Günstiges über einen seiner Nachfolger sagen wollte, sagte man: „Der ist Stichaner geworden.“
Das Vertrauen des Königs blieb St. ungemindert erhalten; ihm wurde die vielbegehrte Stelle eines Regierungspräsidenten des schönen und culturell am höchsten stehenden Rezatkreises (Mittelfranken) übertragen, in dem das wichtige Nürnberg lag; dort war alles bereits wohl geordnet und seiner harrten keine besonders schweren Aufgaben. In Ansbach verkehrte er viel mit dem geistreichen Appellationsgerichtspräsidenten Anselm v. Feuerbach, dem ersten Criminalisten seiner Zeit (1775–1833, seit 1817 lebte dieser in Ansbach), sowie mit dem bekannten Historiker und Kritiker Geheimrath Ritter v. Lang († 1835); auch dem unglücklichen Kaspar Hauser öffnete er sein Haus, und nach dessen Ermordung (December 1833) ließ er ihm einen Denkstein setzen. Am 7. December 1835 wurde in seiner Gegenwart die erste deutsche Eisenbahn, die Nürnberg-Fürther, feierlich eröffnet. Die Leipziger Illustrirte Zeitung [511] hat erst kürzlich (21. März 1907) von dem wichtigen Ereigniß ein Bild gebracht, auf dem St. im Vordergrund steht.
Als St. sich dem 70. Lebensjahre näherte, berief ihn der König 1838 (31. März) an seine Seite nach München als Staatsrath im ordentlichen Dienst. Die Universität Erlangen verlieh dem Scheidenden die Würde eines Ehrendoctors beider Rechte. Die k. Akademie der Wissenschaften in München ernannte ihn noch 1838 zu ihrem ordentlichen Mitglied und wählte ihn 1842 zum Secretär der historischen Classe. Der historische Verein von und für Oberbaiern berief ihn 1838 in den Ausschuß und wählte ihn 1840 zum 2. und 1847 zu seinem 1. Vorstand. Der Landwirthschaftliche Verein von Baiern, dessen Vorstand der Kronprinz Maximilian war, wählte ihn 1842 zu seinem stellvertretenden Vorstand, als der er 1844 die 8. Versammlung der deutschen Land- und Forstwirthe in München leitete.
Mit erstaunlicher Frische hatte St. bisher trotz seiner 75 Jahre sich allen Arbeiten seines Berufes und den zum Theil anstrengenden Aufgaben seiner mannichfachen Ehrenämter unterzogen, aber jetzt erkannte er doch, daß endlich auch seine Kräfte nicht wie sein Eifer unerschöpflich seien. Er legte deshalb zunächst die Vorstandsstelle des landwirthschaftlichen Vereins von Baiern nieder, dessen letzte übergroße Versammlung ihn allzusehr angestrengt hatte. Am 8. December 1846 trats er im Alter von 77 Jahren auch als Staatsrath nach 55 Dienstjahren in den wohlverdienten Ruhestand und wurde unter die Staatsräthe im außerordentlichen Dienste eingereiht. Die ihm noch verbleibenden Lebensjahre verwandte er auf wissenschaftliche Arbeiten. Mit 85 Jahren glaubte er sich ganz aus dem öffentlichen Leben zurückziehen und sorgsamer pflegen zu müssen. Erst im März 1856 erregte ein Krankheitsanfall die Besorgnisse der Seinigen und am 6. April 1856 entschlummerte er nach sanftem Todeskampfe im 87. Lebensjahre in die Räume des ewigen Friedens. In der Pfalz hatte man sein großartiges Wirken noch nicht vergessen. Das bewies der Nachruf in der Allg. Zeitung vom 14. April 1856.
An Ehren und Auszeichnungen aller Art hat es ihm bei seiner vorzüglichen Thätigkeit auf den verschiedensten Gebieten nicht gefehlt. Schon 1808 verlieh ihm der König Max I. das Ritterkreuz des Verdienstordens der bairischen Krone, 1810 das Commandeurkreuz und 1825 das Großkreuz dieses hohen Ordens. Der König Ludwig I. verlieh ihm 1844 eigenhändig das Ehrenkreuz des Ludwigsordens für 50jährige treu geleistete Dienste. König Karl X. von Frankreich ernannte ihn 1826 nach Beendigung der bairisch-französischen Grenzberichtigung zum Commandeur des französischen Ordens der Ehrenlegion, und der König der Franzosen Louis Philipp verlieh ihm 1831 den höheren Grad eines Großofficiers dieses Ordens. Er war Ehrenmitglied der historischen Vereine zu Speier, Würzburg, Augsburg, Bayreuth, Wiesbaden, Hannover, Sinsheim, des Albrecht-Dürer-Vereins zu Nürnberg, Mitglied der k. Gesellschaft für nordische Alterthümer in Kopenhagen, der Société d’encouragement pour l’industrie nationale in Paris, der landwirthschaftlichen Vereine zu Moskau, von Steiermark, Tirol und Vorarlberg u. a., was von seiner fast den ganzen Continent umspannenden Thätigkeit zeugt. Er war ein Mann, auf den Baiern und Deutschland stolz sein konnten.
Sein Lieblingsstudium war die Geschichte, die Beschäftigung mit ihr war ihm keine Anstrengung, sondern eine Erholung von den Mühen seines schweren Berufes; er verlor sie nie aus dem Auge und trug allezeit Sorge für die Erhaltung der Alterthümer aller Art, ein Beweis für seine gründliche Bildung und hohe Einsicht. Schon 1808 ließ er die Ergebnisse seiner Forschungen über die Zustände des bairischen Oberlandes zur Römerzeit erscheinen. Im Passauer [512] wie im Straubinger Intelligenzblatt veröffentlichte er hierauf einige historische Aufsätze, desgleichen in den zu Kempten erscheinenden Intelligenzblättern des Illerkreises 1813–1817. 1812 trat er in nähere Beziehungen zu dem Schweizer Historiker Heinrich Zschokke, der über die Herausgabe seiner bairischen Geschichte mit St. sich eingehend berieth und auf dessen Urtheil das größte Gewicht legte. In der Pfalz arbeitete St. auf diesem Gebiete weiter, indem er alle Funde aus der Römerzeit in einer Antiquitäten-Halle zu Speier sammeln ließ und mehr als 50 Aufsätze für die Intelligenzblätter des Rheinkreises 1818–1830 verfaßte, die er vielfach durch Zeichnungen erläuterte, wodurch ein helles Licht auf die Zustände der Rheinlande während der Römerzeit fiel. In Ansbach setzte er diese Thätigteit fort, dort erregte sein Interesse die Teufelsmauer, das vallum Romanum, das den ganzen Rezatkreis durchzog und in der Hauptsache noch vorhanden war: hier war noch vieles klarzulegen. Heute ist dieses gewaltige Römerwerk gründlich durchforscht, wozu St. schon damals angeregt hatte. Die Römerstraßen wurden aufgespürt. Dem dort befindlichen historischen Kreisverein trat er sofort bei und redigirte nach dem Tode des Ritters v. Lang die Jahresberichte des Vereins 1835–1837. 1838 war in München ein historischer Verein von Oberbaiern gegründet worden, dem er nach seiner Berufung dorthin sofort beitrat und in dessen Ausschuß er schon 1838 gewählt wurde; er übernahm das Conservatorium der Alterthümer. Im 1. Band der Mittheilungen des Vereins berichtet er über die alten Grabhügel, Schanzen und Burgen von Oberbaiern. 1840 wurde er 2. und 1847 1. Vorstand des Vereins, dessen Jahresberichte er 1841–1852 verfaßte. Bis 1854 besuchte er alle Ausschußsitzungen und Versammlungen des Vereins, der ein historisches Lexikon von Baiern herausgeben wollte. Von 1842–1845 war er Secretär der historischen Classe der Akademie der Wissenschaften, an deren Sitzungen er regelmäßig theilnahm und in deren Publikationen er mehrere Abhandlungen veröffentlichte. Seine ausgedehnte Thätigteit ließ ihn mit vielen hervorragenden Männern seiner Zeit bekannt werden und in nähere Beziehungen treten, die wieder befruchtend auf ihn zurückwirkten.
Seine Familienverhältnisse waren glücklich. Er hatte sich am 14. Mai 1798 mit Maria Bauer Freiin v. Heppenstein, Tochter des Oberlandesregierungsrathes Freiherrn Bauer v. Heppenstein und seiner Gattin Franziska geb. Freiin v. Weinbach, verwittweten Freifrau v. Ickstadt vermählt, mit der er 42 Jahre in glücklicher Ehe lebte († 1840 in München). Aus dieser Ehe stammten 5 Kinder: Joseph, der 1861 als Regierungsrath in Speier starb, ein zweiter Sohn Karl starb schon im 11. Lebensjahre in Speier. Die älteste Tochter Maria war mit dem k. Kreisbaurath Karl v. Wiebeking in Speier († 1827) vermählt, die ihm später sein Hauswesen leitete. Die zweite Tochter Fanni wurde die Gattin des k. Oberberg- und Salinenrathes Ludwig Freiherrn v. Räsfeldt in München. Die dritte Tochter Caroline war in erster Ehe mit dem Freiherrn Friedrich v. Gienanth († 1842) zu Eisenberg in der Pfalz und in zweiter Ehe mit dem k. Kämmerer und Obersten Grafen Karl v. Butler-Clonebough in München vermählt. 4 Kinder und 15 Enkel trauerten um den geliebten Vater und Großvater.
Von den vielen Publicationen Stichaner’s, die bereits theilweise berührt wurden, sind folgende hervorzuheben: 1. Ueber das Entscheidungsrecht des Pfalzgrafen bei Rhein bei einer streitigen deutschen Königswahl, 1790. 2. Sammlung römischer Denkmäler in Baiern, herausgegeben von der k. Akademie der Wissenschaften, München 1808. 3. Mittheilungen in den Intelligenzblättern des Unterdonaukreises 1809, des Regenkreises 1810, des Illerkreises 1813–1817, des Rheinkreises 1818–1830, in den Aarauer [513] Miszellen 1815, in den Jahresberichten des historischen Vereins im Rezatkreis 1832–1837 über die Römerstraßen, Schanzen, Grabhügel u. a. 4. Veröffentlichungen in den Berichten der k. Akademie der Wissenschaften in München 1840. 5. Abhandlungen in den Jahresberichten des historischen Vereins von und für Oberbaiern 1840–1851 über römische Inschriftsteine, Münzen, alte Grabhügel, Burgen, Schanzen, Warten, über Klöster und Stifte, über die Abstammung der Baiern. 6. Entwurf eines Polizeistrafgesetzbuches.
- Graf Friedrich Hektor v. Hundt, kgl. bair. Medicinalrath, Joseph v. Stichaner, kgl. bair. Staatsrath, München 1856, nach Mittheilungen der Hinterbliebenen; Sonderabdruck aus dem 18. Jahresbericht des historischen Vereins von und für Oberbaiern. – Friedrich v. Oertzen, Joseph v. Stichaner (Enkel), ein Lebensbild aus dem Elsaß, Freiburg i. B. 1897, S. 7–15. – Pfälzisches Memorabile, II. Theil, Westheim 1870, S. 264–267. – Kreisamts- und Intelligenzblätter des Rheinkreises 1817–1882. – Mittheilungen des historischen Vereins der Pfalz I, 1870, S. 3 ff. – Private Mittheilungen des Bürgermeisters Dr. jur. Ludwig Bassermann-Jordan in Deidesheim von 1907. – Pfälzisches Museum 1907, Nr. 11 und 12.