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Artikel „Stüßi, Rudolf“ von Karl Dändliker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 71–74, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:St%C3%BC%C3%9Fi,_Rudolf&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 06:22 Uhr UTC)
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Stüßi: Rudolf St., Bürgermeister der Stadt Zürich von 1430 bis zu seinem Tode 1443, d. h. in der Zeit des „alten Zürichkrieges“. Aus einem Geschlechte stammend, das von Glarus her gekommen war, lebte sich der junge St. völlig in die zürcherischen Verhältnisse ein, umsomehr, als schon sein Vater Rudolf, welcher 1375 zum Bürger angenommen worden war, lange Zeit (1388 bis 1410) das Zunftmeisteramt, sowie einige andere städtische Stellen bekleidet hatte. Von 1414 an erscheint er unter den Räthen, von 1426 an unter den Zunftmeistern und verwaltete dazwischen auch Obervogteien (1415 Männedorf, 1417 Höngg). Gegen Ende des dritten Jahrzehnts stieg er rasch von Stufe zu Stufe, da er sich, allem Anscheine nach, ungemein geschäftstüchtig zeigte. Nachdem er 1424 zuerst als Bote Zürichs auf eidgenössischen Tagen erschienen, betheiligte er sich an hervorragenden politischen Angelegenheiten. Er vermittelte, theils allein, theils mit Andern zusammen, in verschiedenen Streitfällen der Eidgenossen: mit Mailand 1426, zwischen Zürich und dem Grafen von Toggenburg einerseits und Glarus andrerseits 1428, ferner zwischen Appenzell und dem Grafen von Toggenburg 1426, dann zwischen demselben Lande und dem Abte von St. Gallen 1428. Dazwischen war er Vogt der Eidgenossen in den freien Aemtern 1427, 1429 Bauherr, und endlich für die erste Hälfte des Jahres 1430 wurde er zum Bürgermeister gewählt und bekleidete nun diese Stelle jeweilen die erste Hälfte der folgenden Jahre bis zu seinem Tode (mit einziger Ausnahme von 1442, wo er nur gewöhnliches Rathsmitglied war). Als einer der Leiter und Führer der Zürcher Politik ergriff er mit aller Leidenschaftlichkeit seines Temperaments, mit dem ganzen Ungestüm seiner Seele, in der Vergrößerung und Machtstärkung Zürichs das Hauptmittel, sich selbst zum unumschränkten Machthaber empor zu schwingen. Mit Schwyz und dessen klugem Führer Ital Reding dem Aelteren (s. A. D. B. XXVII, 531 ff.) rang er um die Gunst bei König Sigismund, der seit dem Aargauer Zuge (1415) in engeren Beziehungen zu Zürich und den Eidgenossen stand. Daß schon die großen Vergünstigungen, [72] die Sigismund 1424 der Stadt Zürich zukommen ließ, insbesondere die Erlaubniß, vom Grafen von Toggenburg die Lande Wesen, Windegg und Gaster zu lösen, welche 1415 Oesterreich entrissen und ans Reich genommen worden waren, Stüßi’s Einfluß zuzuschreiben seien, kann nicht bewiesen, sondern nur vermuthet werden. Anfang der dreißiger Jahre aber tritt Stüßi’s Person in den Beziehungen zum Reiche durchaus in den Vordergrund. 1431 trifft er als Gesandter der Eidgenossen den König bei Feldkirch und verhandelt hernach im Auftrage Sigismund’s mit den Eidgenossen über Hülfeleistung gegen Venedig. Seiner Initiative ist es zuzuschreiben, daß die Zürcher 1433 dem Könige bei seinem Römerzuge ein ansehnliches Geleite gaben. Bei der Kaiserkrönung in Rom war St. anwesend und erfreute sich persönlicher Auszeichnung durch das Reichsoberhaupt. Die mächtige, eindrucksvolle Gestalt des Zürcher Bürgermeisters, die von allen Quellen als charakteristisch hervorgehoben wird, seine tapfere, stolze Haltung mögen die Aufmerksamkeit des Kaisers gefesselt haben – kurz, dieser ging auf St. zu, unterredete sich freundlich mit ihm, und neben andern Zürchern ließ er St. zum Ritter schlagen. Jetzt erschien der Emporkömmling völlig den Angehörigen der alten ritterlichen Geschlechter Zürichs gleichgestellt. Dies mag sein Selbstbewußtsein in nicht geringem Maaße gehoben haben, aber auch seinen Sinn für rücksichtsloses, durchgreifendes Handeln. Beides tritt von nun an stets merklicher hervor.

Die Beziehungen zu Friedrich VII. von Toggenburg (s. A. D. B. VIII, 38 f.) eröffneten Zürich eine glanzvolle Zukunft. In der Hand des mit Ländern reich gesegneten, aber kinderlosen Grafen lag es, Zürichs Interesse für Erweiterung und Abrundung des Gebietes zu fördern, und St. und Zürich unterließen anfangs nichts, sich in die Gunst des Grafen einzuschmeicheln. Aber bei diesen Aspirationen hatte St. es mit einem Rivalen zu thun, der an Gewandtheit und Geschäftstüchtigkeit ihm nichts nachgab, an Schlauheit, Kaltblütigkeit und berechnendem Tact ihn womöglich übertraf: jenen schon genannten Ital Reding. Daß beide dabei ihr Augenmerk auf dieselben Lande richteten, auf das Gebiet zwischen Zürichsee und Walensee, längs der Handelsstraße von Zürich und dem Obersee bis Rätien, bereitete einen unheilvollen Conflict in der Eidgenossenschaft vor. St. erkannte, daß Zürich, das wirthschaftlicher Rückgang bedrohte, einer Stärkung in mercantiler Richtung bedürfe, und mit aller Energie und Zähigkeit diese erstrebt zu haben, ist sein Verdienst. Aber die Unbesonnenheit, mit der er vorging, brachte viel Unglück. In allzu großer Zudringlichkeit suchte er Wesen, Windegg und Gaster von dem Grafen zu lösen oder diese Lande sich für den Fall von dessen Tode, ohne Rücksicht auf Oesterreich, versprechen zu lassen; voreilig probirte er, den Schleier über die Zukunft der Toggenburger Lande und die Erbnachfolger des Grafen zu lüften. Dies und vielleicht auch persönliche Reibungen führten zunächst zu Trübungen zwischen St. und dem Grafen und zuletzt dazu, daß der Graf sich mehr dem Einflusse von Schwyz und Reding hingab. Nach dem Tode des Grafen (1436) kam der geschickt operirende Landammann von Schwyz dem Zürcher Bürgermeister zuvor. Wesen, Windegg und Gaster gingen für Zürich verloren. Vergeblich suchte St. dafür von der Gräfin-Wittwe Utznach zu erlangen; Zürich brachte es nur zu einer Verbindung mit Sargans. Da die Leute in den Toggenburger Landen eher mit dem demokratischen Schwyz sympathisirten, vielleicht auch durch Stüßi’s hochfahrendes Wesen abgeschreckt wurden, gelang es Reding, alles andere, selbst Utznach auf seine Seite zu bringen. Parallel damit ging ein Proceß um die Erbschaft (s. A. D. B. VIII, 40), der die Leidenschaften in der Eidgenossenschaft aufs höchste steigerte.

So war der Bürgerkrieg unvermeidlich. Durch Vermittlungen suchten zwar [73] die Eidgenossen den Streit zwischen Zürich und Schwyz zu schlichten (1436 bis 1437); aber die heftige und hartnäckige Haltung Stüßi’s, des Stadtschreibers Graf und anderer Parteigenossen, welche sich dem eidgenössischen Rechtsverfahren nach dem Bundesbriefe von 1351 nicht unterziehen wollten, sondern in unziemlicher Weise Recht auf Kaiser und Reich boten, verunmöglichten jede Verständigung. Stüßi’s Zug ins Sarganserland und die gegen Schwyz verhängte Getreidesperre (1437) waren tactlose Herausforderungen und steigerten die Gegensätze zur Unversöhnlichkeit. Stüßi’s trotzige Art fand aber in der Stadt selber Widerspruch und eine altzürcherische, eidgenössisch gesinnte Partei organisirte sich unter Bürgermeister Rudolf Meiß und seinem Bruder Hans Meiß. 1439 kam es zum Waffenzusammenstoß. Nachdem Zürcher Vorposten am Etzel leicht geschlagen worden, vermittelten befreundete Orte einen Waffenstillstand bis Ostern 1440. St. aber trieb es in seinem blinden Eifer zum äußersten: sein Gegner Meiß wurde nicht nur im Bürgermeisteramte verdrängt, sondern wegen angeblichen Verrathes verhaftet und alle seine Anhänger gestraft und gebüßt. Mit allen Mitteln sollte die Minderheitspartei unschädlich gemacht werden, und dazu wurde eine Art Schreckensherrschaft begründet. Dadurch bereitete sich St. nur größere Verlegenheiten. Beim neuen Ausbruch des Krieges im Herbst 1440 lockerten Zwietracht und Uneinigkeit die Disciplin der Zürcher, und als St. seine Hoffnung auf Unterstützung durch die andern Eidgenossen zusammenbrechen sah, blieb ihm nichts anderes, als bei Pfäffikon am Zürichsee, wo man sich gegenüberstand, das Feld zu räumen. Fast die ganze Zürcher Landschaft wurde von den Gegnern besetzt und im Frieden (1441) mußte Zürich bleibend die „oberen Höfe“ (Pfäffikon, Wollerau, Hurden, Ufenau) an Schwyz abtreten. Die schwere Kränkung und Demüthigung durch Miteidgenossen brachte ganz Zürich in Aufregung, und in der Hitze der Leidenschaft suchte man die Schuld nicht bei sich, sondern beim Gegner und dies verschaffte Stüßi’s Partei nur noch festeren Boden. In toller Verblendung banden nun St. und der aus dem österreichischen Schwabenlande stammende Stadtschreiber mit Oesterreich, dem alten Erbfeinde der Eidgenossen an: ein verrätherisches Bündniß, das sich zum Schein durch Zürichs Recht zum freien Bündnißschluß zu decken suchte, sollte Zürich die Hülfe Oesterreichs zur Herstellung seines Gebietes und zur Besitznahme von Toggenburg und Utznach verschaffen (Juni 1442). Es war eine letzte Reaction des ursprünglich reichsfreien Zürich gegen die Schmälerung der Souveränität durch den eidgenössischen Bund. Das österreichische Bündniß aber veränderte völlig den Charakter des Kriegs: die Eidgenossen kämpften jetzt nicht mehr allein gegen ein Bundesglied, sondern noch gegen die Macht, mit der sie seit zweihundert Jahren im Streite gelegen, und da für Zürich der Adel ins Feld rückte, die Eidgenossen aber als Vertreter der Demokratie galten, so fanden die großen socialpolitischen Gegensätze der Zeit in dem jetzt sich eröffnenden Kampfe einen unverkennbaren Ausdruck. Die Verirrung Zürichs rächte sich indeß schon von selbst. Indem Kaiser Friedrich III., zugleich Haupt des Hauses Oesterreich, militärische und diplomatische Vertreter in Zürich zurückließ, kam diese Stadt unter fremde Vormundschaft. Neben den neuen Führern (Hallwil, Hochberg, Rechberg) trat St. in den Hintergrund. Immer mehr bildete sich in Zürich ein innerer Gegensatz zwischen den Einheimischen und Fremden heraus, und daraus resultirten unvermeidlich die Katastrophen von 1443.

Nochmals griff man nämlich zu den Waffen. Nach einem verlornen Treffen (bei Freienbach) im Mai 1443 standen die Zürcher getrennt auf Hirzelhöhe einerseits, auf dem Albis anderseits; die letztere Abtheilung unter St.; die erstere unter den österreichischen Führern. Sie waren aber ohne genügende gegenseitige Fühlung und ohne harmonisches Zusammenwirken. Ein sinnloser [74] Plünderungszug, den St. ins Freiamt unternahm, lenkte die Aufmerksamkeit in eine falsche Richtung; rasch bewerkstelligten die Eidgenossen eine Umgehungsbewegung, durch welche sie an die Sihlbrücke und auf Hirzelhöhe gelangten und so erlitten die Zürcher an letzterem Orte, von wo her man Zuzug auf den Albis hinauf genommen hatte, eine blutige Niederlage (24. Mai 1443). St. mußte sich zurückziehen; seine Mannschaft löste sich auf und floh nach Zürich. Die ganze Landschaft ging wieder verloren. Nach kurzer Waffenruhe zogen die Eidgenossen im Sommer gegen Zürich selbst. Bereits aber war dort der Gegensatz zwischen den österreichischen und zürcherischen Führern klaffend geworden. Wider den klugen Rath der ersteren, sich hinter der Sihl zu halten, zog St., mit seiner Abtheilung ungeduldig hinaus nach St. Jakob an der Sihl den Eidgenossen entgegen, und dies war sein und seiner Leute Verderben. Von vorn und von der Seite zugleich angegriffen, wurde Stüßi’s Heer geschlagen (22. Juli 1443) und nach Zürich zu getrieben. Aber jetzt, wo für ihn und Zürich Alles auf dem Spiele stand, zeigte St., daß zum Helden ihm die nöthigen Eigenschaften nicht fehlten. Beherzt und opfermuthig stellte er sich in seiner herkulischen Gestalt auf der Sihlbrücke den rasch nachdrängenden Feinden entgegen und tödtete eine Anzahl derselben, worauf einige Eidgenossen, die in den Fluß hineingewatet waren, von unten her die Brückenbretter hoben und St. zu Fall brachten. An seiner Leiche ließen die Eidgenossen ihre Wuth aus. Diese muthige Aufopferung Stüßi’s ist geeignet, seinen Irrthümern und Fehlern gegenüber die Nachwelt versöhnlich zu stimmen.

Eidg. Abschiede, Urkunden d. Staatsarchivs, Rathsverzeichnisse, Chroniken des alten Zürichkriegs. – Leu, Helvetisches Lexikon, Art. Stüßi. – L. Meister, Berühmte Zürcher I. – Sal. Hirzel, Zürcherische Jahrbücher II, 167 ff. – J. J. Hottinger im Schweiz. Museum f. hist. Wiss. von Hottinger u. Gerlach, Bd. II. – Secretan, Galérie Suisse (Biographies nationales) I, 108 ff. – Dändliker, Geschichte d. Schweiz II. – Dierauer, Gesch. d. schweiz. Eidg. II. – Zeller-Werdmüller in Sal. Vögelin’s altem Zürich II, 2. Aufl. – Oechsli, Bausteine zur Schweizergeschichte. – Dändliker in der Festschrift Turicensia 1891.