ADB:Sicard von Sicardsburg, August

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Artikel „Sicard v. Sicardsburg, August“ von Karl Weiß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 142–143, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sicard_von_Sicardsburg,_August&oldid=- (Version vom 15. Oktober 2024, 01:12 Uhr UTC)
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Sicard: August S. v. Sicardsburg, Architekt, geb. am 6. Dezember 1813 in Pest, gest. am 11. Juni 1868 in Weidling bei Wien. War der Enkel des von Kaiser Franz in den Adelstand erhobenen Registrators des k. k. Artilleriehauptzeugamtes in Wien Dominik S. v. S. und der Sohn des Cassencontrolleurs der k. k. priv. Nationalbank Dominik S. v. S. – Nachdem August v. S. 1829–1832 seine erste fachliche Ausbildung an der polytechnischen Schule in Wien erhalten hatte, trat er im November 1833 in die Architekturschule des Professors Nobile an der Akademie der bildenden Künste ein, in welcher er bis zum Jahre 1835 verblieb. Schon damals legte S. den Grund zu seinem innigen Freundesbündniß mit Eduard van der Nüll, das durch ihre gleiche künstlerische Begabung befestigt wurde. Bezeichnend ist es jedenfalls, daß beide Künstler gleichzeitig für ihre vorzüglichen Arbeiten mit der goldenen Fügermedaille ausgezeichnet wurden. Wie van der Nüll fand auch S. an dem damals akademischen Classizismus keinen Gefallen, und beide neigten mit ihren Kunstanschauungen den Romantikern zu. Ihr Ideal war aber keineswegs das Mittelalter, sondern sie setzten sich die freie Erfindung nach eigener Sinnes- und Ausdrucksweise zum Ziele. Als beide von der kaiserlichen Regierung Reisestipendien zu ihrer ferneren künstlerischen Ausbildung erhalten hatten, machten beide Künstler in den Jahren 1839–1842 gemeinschaftlich eine Studienreise und erwirkten die ausnahmsweise Genehmigung, nicht nur Rom und Italien, sondern auch Deutschland, Frankreich und England besuchen zu dürfen. Die Fülle der mitgebrachten Studien, meist über maurische, spätmittelalterliche und Renaissancewerke, war bereits bezeichnend für ihre Geistesrichtung. Zurückgekehrt von dieser Reise erhielt S. die Stelle eines Assistenten an der Akademie. Schon in dieser Stellung bekundete er seine Befähigung für zweckmäßige Dispositionen von Grundrissen und bauliche Construktionen bei der Lösung der verschiedensten Aufgaben. Der erworbene gute Ruf war die Veranlassung, daß dem jungen Künstler über Vorschlag der k. Akademie der Künste am 26. Dezember 1843 von dem damaligen Präsidenten der Akademie Fürsten Metternich, „in Anerkennung seiner vorzüglichen Fähigkeiten und Kenntnisse sowie seiner Mittheilungsgabe als Lehrer“ provisorisch die Stelle eines dritten Professors an der Akademie verliehen wurde. Und als gleichzeitig von der Akademie der Künste die Nothwendigkeit erkannt worden war, dem Studium der Ornamentik eine breitere, die verschiedenen Stile mehr berücksichtigende Grundlage zu geben, erhielt wenige Wochen später – am 5. Februar 1844 – Eduard van der Nüll die neu geschaffenen Stelle eines Professors für Ornamentik. Diese parallel laufende Berufung der beiden Künstler war keine zufällige. Denn die Erkenntniß war bereits in die maßgebenden Kreise gedrungen, daß es notwendig sei, einen neuen Geist in das Studium der Baukunst zu verpflanzen, und daß beide Künstler, von gleichen Kunstanschauungen durchdrungen und in gleichem Geiste zusammenwirkend, sich gegenseitig ergänzten, daß ersterer durch die konstruktive und letzterer durch die dekorative Pflege der Architektur letztere in neue Bahne einzulenken berufen war. Seither wirkten sie in ununterbrochener Gemeinschaft bei der Bewältigung der an sie herangetretenen künstlerischen Aufgaben. Kein Mißtrauen, keine Rivalität trübte das Verhältniß, und diese Erscheinung ist umso merkwürdiger, als sie eine grundverschiedene Lebensauffassung hatten. S. war heiter und zu geselligen Vergnügungen stets bereit; van der Nüll ernst und in sich gekehrt. In der Kunst vereinigte sie aber gemeinsames Arbeiten und gemeinsames Denken. S. verrieth mehr praktischen Sinn und geschäftliche Routine, welche sich bei van der Nüll weniger geltend machten. Beide waren sich nur darin gleich, daß sie stets das künstlerische Interesse in den Vordergrund stellten, die Architektur als Kunst und nicht als Gewerbe behandelten und ungeachtet ihrer vielfachen Beschäftigung kein nennenswerthes Vermögen hinterließen. So entstanden [143] als Werke gemeinsamer Arbeit: das Karltheater in Wien (1846), der Sophienbadsaal (1848), der preisgekrönte Entwurf des Stadterweiterungsplanes (1859), einzelne Teile des k. Arsenals (1856), das Hofoperntheater (1856), der Palast des Grafen Larisch, I verlängerte Johannesgasse 26 (1866), das Geschäftshaus des Großindustriellen v. Haas, I Stockimeisenplatz (1867). Außerdem führte S. theils gemeinschaftlich mit van der Nüll, theils allein verschiedene Zinshäuser und Landhäuser aus. Das größte Verdienst erwarb sich S. als Lehrer an der Akademie der Künste durch sein gründliches Erfassen der Behandlung der Bauconstructionen mit Rücksicht auf deren Zweck und das zur Anwendung kommende Material und, wie van der Nüll durch den feinen Geschmack in den decorativen Formen, legte S. durch sein Streben, neben der Schönheit auch die Zweckmäßigkeit eines Bauwerkes stets im Auge zu behalten, den Grund zur neuen Wiener Schule, deren Leistungsfähigkeit sich an den großartigen Aufgaben der Neugestaltung Wiens erprobte. Wenn S. ebenso wie van der Nüll in späterer Zeit von den Leistungen einzelner ihrer Schüler infolge der Begabung und der günstigeren Verhältnisse weit überragt wurde, so bleibt seine Bedeutung für die Zeit, in der er lebte und wirkte, doch unbestritten. Durch ein schweres Leiden, das ihn anderthalb Jahre vor seinem Tode heimsuchte, wurde S. ungeachtet seiner kräftigen Natur frühzeitig seinem Wirken entrissen. Er erlebte ebensowenig wie van der Nüll den Tag der Eröffnung des Hofoperntheaters (25. Mai 1869), des bedeutendsten Bauwerkes, an dem er mitgewirkt, und er teilte mit diesem auch die schweren Anfeindungen, welche dieses Werk unberechtigt erfuhr. Nur wenigen war es damals bekannt, daß die geringe Wirkung der Außenarchitektur der Oper wesentlich dadurch herbeigeführt wurde, daß nachträglich zu Ungunsten der letzteren das ganze Niveau der Ringstraße in deren Nähe abgeändert wurde. Erst später klärten sich die Anschauungen, und heute ist unbestritten, daß die Oper in Bezug auf Schönheit der Innenräume und Zweckmäßigkeit in der Disposition des Grundrisses zu den glänzendsten Leistungen der modernen Wiener Architektur zählt. S., tief erschüttert durch die Nachricht von dem Tod seines Freundes van der Nüll, welcher am 3. April 1868 Hand an sich gelegt hatte, endete sein Leben wenige Wochen später in seinem Landsitze zu Weidling bei Wien. Aus seiner Ehe mit Louise Jantschky hinterließ er nur eine Tochter Namens Valentine.

K. v. Lützow’s Zeitschrift für bildende Kunst (Leipzig), Jahrgang 1869. – C. v. Wurzbach, Biograph. Lexikon 34. Bd. S. 204.