Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Scinzenzeler“ von Karl Steiff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 476–479, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scinzenzeler,_Ulrich&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 03:59 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Schwoy, Franz Josef
Band 33 (1891), S. 476–479 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Kein Wikipedia-Artikel
(Stand November 2009, suchen)
Ulrich Scinzenzeler in Wikidata
GND-Nummer 13839413X
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|33|476|479|Scinzenzeler|Karl Steiff|ADB:Scinzenzeler, Ulrich}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=13839413X}}    

Scinzenzeler: ist der Name zweier deutscher Buchdrucker in Mailand, die noch dem Wiegenalter der Druckerkunst angehören. Hervorragende Bedeutung kommt dem älteren von ihnen, Ulrich, zu. Nicht als der Erste, auch nicht als der erste Deutsche, aber immerhin ziemlich frühe, 1478, ist er mit einer Presse in Mailand aufgetreten und hat im Laufe der Jahre durch den Umfang seiner Thätigkeit alle die zahlreichen dortigen Berufsgenossen um ein Bedeutendes überflügelt. In den ersten zehn Jahren, bis Ende 1487, druckte er ausschließlich gemeinsam mit seinem Landsmann Leonh. Pachel (s. A. D. B. XXV, 43). Wenn es nach Panzer und andern scheint, als hätte diese Verbindung der beiden Deutschen sich schon 1483 oder gar schon 1480 gelockert und als hätte sie andererseits, wenn auch mit Unterbrechungen, bis 1493 fortgedauert, so beruht dies auf Drucken, deren Zeitbestimmung entweder zweifelhaft oder nachweislich falsch ist. In dieser Geschäftsverbindung erscheint Pachel als die Hauptperson, U. S. mehr nur als dessen Genosse; dies ändert sich aber nach Lösung des Verhältnisses. Während wir von [477] Pachel aus der Zeit von 1488 bis 1500 – mit diesem Jahr hört U. S. zu drucken auf – nur ungefähr 50 Drucke gezählt haben, sind uns deren von letzterem 139 (bezw. 140) bekannt geworden. Nimmt man hiezu die 68 (bezw. 70) Drucke, welche beide mit einander hergestellt haben, so ergiebt sich, daß auf unsern Meister nicht weniger als 207 (bezw. 210) Mailänder Incunabeln zurückzuführen sind. Das ist eine Zahl, die nicht nur größer ist als diejenige, welche irgend ein anderer der Mailänder Drucker jener Zeit aufzuweisen hat, sondern auch an sich betrachtet als sehr bedeutend bezeichnet werden muß. Und doch stellt sie nur die Anzahl der diesseits der Alpen bekannt gewordenen Drucke Scinzenzeler’s dar, wie manche andern mögen – ganz abgesehen von den völlig undatirten – in Italien verborgen geblieben sein! Der damalige Mailänder Verlag umfaßte ganz vorzugsweise die classische Philologie, die Theologie und die Rechtswissenschaft. Diesen Gebieten gehört auch die überwiegende Mehrzahl der von U. S. gedruckten Schriften an. Eine Virgilausgabe eröffnet die Reihe der datirten Drucke, welche seinen Namen tragen (vereint mit dem Namen L. Pachel’s) und so schließt auch seine Thätigkeit mit einer der humanistischen Litteratur angehörigen Schrift, mit des P. P. Vergerius Abhandlung de ingenuis moribus, vom 9. März 1500. Von den dazwischen fallenden, zur alten Philologie zählenden Drucken verdienen die zahlreichen Ausgaben griechischer und lateinischer Classiker und unter diesen wieder als Editiones principes die von Demetrius Chalkondylas besorgte Ausgabe des Isokrates von 1493 und die (undatirte) Ausgabe von Theokrit’s Idyllen erwähnt zu werden. Nicht dieselbe Bedeutung wie diesen philologischen Erzeugnissen der Scinzenzelerischen Presse kommt den betreffenden theologischen und rechtswissenschaftlichen Werken zu. Wohl aber ragen die letzteren an Zahl über alle andern hervor; auch von den sonstigen Mailänder Druckern hat kein einziger so viel zur Verbreitung der juridischen Litteratur jener Zeit, der kanonischen, wie der römisch-rechtlichen, beigetragen, als U. S. Es sind vor allem die Lehrer der oberitalienischen Rechtsschulen, deren Werke uns unter seinen Drucken immer wieder begegnen. Uebrigens hat unser Meister nur bei dem kleineren Theil der von ihm gedruckten Werke die Kosten selbst bestritten, nicht Verleger, sondern Drucker ist er vorzugsweise gewesen und zwar waren es namentlich zwei Männer, welche ihm Arbeit gaben, Petrus Antonius de Castelliono und der große Mailänder Verleger Johannes de Legnano; des letzteren Marke findet man denn auch auf manchen seiner Drucke. Auch U. S. hat ein Druckerzeichen geführt und häufig angewandt. Es zeigt in einem Oblongum mit schwarzem Grund und weißen Randlinien ein Kreuz mit zwei Querbalken; dasselbe steigt aus einem Kreise auf, innerhalb dessen wir links bezw. rechts vom Stamm die Buchstaben V und S lesen. Dieses Druckerzeichen tritt uns zugleich in verschiedenen Größen entgegen. Sonst ist die Mehrzahl von Scinzenzeler’s Drucken schmucklos und namentlich ist es nicht richtig, daß er, wie Butsch behauptet, vor allen andern Mailänder Druckern mit der bildlichen Ausschmückung der Bücher begonnen habe. Dagegen sind viele seiner Drucke von einer Schönheit der Ausführung, daß sie zu betrachten noch heute ein Genuß ist.

Was nun aber die Persönlichkeit des Mannes betrifft, so wissen wir über sie sehr wenig, da trotz dem Archivio storico lombardo und trotz den neu erwachten bibliographischen Studien der Italiener dem alten Mailänder Buchdrucker noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt und eine Ausbeutung der Archive in dieser Richtung erst noch zu erwarten ist. Aus den Drucken des Meisters selbst ergiebt sich nur, daß er aus Baiern stammte (Hain 9506) und darauf weist auch, um dies gelegentlich zu bemerken, der räthselhaft klingende Name hin. Denn derselbe kann füglich nicht anders als von Zinzenzell, einem [478] Dorf in Niederbaiern, abgeleitet werden, wie denn auch Ulrich in der ersten Zeit sich vorwiegend Scinzenzeller geschrieben hat. Daß letzterer aber aus Ingolstadt war, wie sein Genosse Pachel, dafür fehlt es, so oft es auch behauptet wird, an jedem Anhaltspunkte. Im Gegentheil, wenn es in der Schlußschrift eines Druckes heißt: impensis magistrorum Leonardi Pachel de Engelstadt et Ulrici Scinzenzeler (Panzer II, 33. 124), so erscheint hierdurch jene Annahme geradezu ausgeschlossen. Auch daß U. S. einer der akademisch gebildeten Drucker jener Zeit gewesen sei, möchten wir nicht bestimmt behaupten. In vielen Fällen liegt es nahe, das seinem Namen vorgesetzte Magister so zu deuten, in andern aber heißt dasselbe ganz unzweifelhaft nur Meister. In den deutschen Universitätsmatrikeln ist uns sein Name nicht begegnet.

Mit dem in Vorstehendem besprochenen Druckerherrn wird gewöhnlich jener Heinrich S. identificirt, der auf 5 Mailänder Drucken des 15. Jahrhunderts (aus den Jahren 1478–1496) vorkommt. Wir glauben mit Recht, doch würde der Nachweis hier zu weit führen. Dagegen hat ein anderer Träger des Namens neben Ulrich, oder vielmehr nach ihm, eine Rolle als Drucker gespielt: Johann Angelus S. Er war ebenfalls in Mailand thätig, und da er genau in demselben Jahr einsetzte, in welchem Ulrich aufhörte, 1500, und dasselbe Druckerzeichen hatte wie dieser, nur natürlich mit den eigenen Initialen (statt des V und S: JO und AN links und rechts vom Stamm des Kreuzes, S unter demselben), so ist es unzweifelhaft, daß er als Geschäftsnachfolger zu betrachten ist; vermuthlich war er der Sohn. In seinen Leistungen steht er nicht auf gleicher Höhe mit seinem Vorgänger. Zwar druckt auch er noch wissenschaftliche Werke, doch begegnen uns unter denselben selten neue Titel, auch treten jene mehr und mehr gegenüber den volksthümlichen, in der Landessprache verfaßten Schriften zurück. Nicht minder ist in technischer Beziehung ein Unterschied zu bemerken; die freilich nur wenigen Drucke, welche wir von ihm zu sehen bekommen haben, erreichen die Drucke Ulrich’s weit nicht in der Schönheit der Ausführung. Aehnliches gilt von der Zahl der Drucke, sofern es deren bei ungefähr gleicher Dauer der Thätigkeit, soviel ihrer bis jetzt bekannt, nur 81 sind. An sich betrachtet ist übrigens auch dies eine für das erste Jahrhundert des Buchdruckes nicht unbeträchtliche Zahl, zumal wenn man bedenkt, daß es für des Joh. Angelus Zeit noch mehr als für die Ulrich’s an bibliographischen Zusammenstellungen fehlt. Als letzten Druck nennt Panzer einen solchen von 1523; es ist aber ganz sicher, daß Joh. Angelus noch 1525 eine Ausgabe des Lucan, sowie die Legenda de S. Gulielma gedruckt hat, welch’ letztere am 24. December genannten Jahres vollendet wurde. Genaueres ist über das Ende seiner Thätigkeit nicht bekannt und ebenso ist uns über seine persönlichen Verhältnisse keine Kunde geworden.

Die Drucke Ulrich Scinzenzeler’s findet man bei Panzer, Annales typogr. vol. II, p. 33–94, IV, p. 356–362, 497 sq. IX, p. 250–254, XI, p. 331, 465, dessen Angaben jedoch durch Hain, Repertorium bibliographicum mehrfach Berichtigung erfahren. Außerdem wird Panzer durch folgende Nummern Hain’s ergänzt: 2341, 3324a, 4860, 5198, 5247, 5871, 6093, 9312, 10944, 11603, 11914, 13134, 13421, 14284, 14306, 14313, 15260, 15297, 15476; vermuthlich gehören auch die Nummern 9920, 13454 und 15135 hierher. Wir können noch beifügen ein Missale Romanum von 1481 (Quaritch), Savonarola’s Predica del arte del bene morire von 1494 (Harrisse, Excerpta Colombiniana p. 234), Cumanus’ Commentaria in secundam partem Inforciati, s. l. a. et t. n., aber sicher von U. S. gedruckt (in Stuttgart). – Des Joh. Angelus Scinzenzeler Drucke sind verzeichnet bei Panzer a. a. O. vol. II p. 92, VII p. 379–402, IX p. 533–535, XI p. 459–465, wozu Harrisse a. a. O. (Register) und ders., Bibliotheca americana vetustissima [479] (Register) Ergänzungen giebt. Diesen ist jedenfalls noch ein Druck von Cecco’s Gedicht L’Acerba aus dem Jahre 1514 (in Stuttgart), sowie die oben erwähnte Lucanausgabe von 1525 (Grässe, Trésor) anzufügen.