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Artikel „Schmeykal, Franz“ von Josef Bendel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 72–76, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schmeykal,_Franz&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 10:18 Uhr UTC)
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Schmeykal: Franz Sch., österreichischer Politiker, geboren am 3. December 1826 in Böhmisch-Leipa, † am 5. April 1894 in Prag.

Schmeykal’s Jugend fällt in die vormärzliche Zeit, in der ein bürgerlicher Unterthan seinen Gemeinsinn und seinen Drang nach Theilnahme am öffentlichen Leben höchstens durch seinen Eintritt in ein privilegirtes bürgerliches Schützencorps bethätigen durfte. Sein Vater, k. k. Notar und Advocat, hatte es bei den heimischen Scharfschützen bis zum Major und Commandanten gebracht. Sch. besuchte in seiner Vaterstadt die Hauptschule, sodann von 1837 [73] bis 1843 die sechs Gymnasialclassen des Augustinerklosters und von 1843 bis 1850 in Prag die Unversität, wo er philosophischen und juridischen Studien oblag und 1851 zum Doctor der gesammten Rechte promovirt wurde. Seine Absicht ging nun dahin, sich für die akademische Laufbahn vorzubereiten, er wurde jedoch hiervon durch die Erfolge abgelenkt, die er als Vertheidiger vor Gericht erzielte, wie auch durch seine lebhafte Betheiligung an dem schon einigermaßen entwickelten Vereinsleben in Leipa. Deshalb wurde er auch bei Beginn des verfassungsmäßigen Lebens in Oesterreich von seinen engeren Landsleuten in den böhmischen Landtag gewählt (18. März 1861) und zwar für die Landgemeinden der Bezirke Leipa, Haida, Niemes und Zwickau. Seine politische Begabung erregte bald die Aufmerksamkeit führender Parteigenossen und auf ihre Empfehlung wurde Sch. bei der Constituirung der neuen autonomen Landesregierung zum Landesausschußbeisitzer gewählt. In dieser Stellung behauptete er sich durch ein volles Vierteljahrhundert, war durch eine stattliche Reihe von Jahren auch Stellvertreter des Oberstlandmarschalls und erwarb sich durch seine eifrige Mitwirkung an vielen wichtigen Landesgesetzen und insbesondere an der Errichtung der Hypothekenbank, ferner als Referent in Gemeinde- und Bezirksangelegenheiten große Verdienste um das Land Böhmen. Zugleich gewann er sich in so hohem Maaße das Vertrauen und die Anerkennung seiner Parteigenossen, daß sie ihn bald neben Eduard Herbst, dem nachmaligen Minister, an die Spitze des Landtagsclubs stellten. Diese Auszeichnung war für Sch. bei seinem besonnenen und bescheidenen Wesen Grund genug zu dem Entschlusse, für sein ganzes Leben seine Kräfte ungetheilt dem deutschböhmischen Volke zu widmen und darum allen Lockungen zur Uebernahme eines Reichsrathsmandates zu widerstehen.

Bis zum Jahre 1868 trat Sch. als Redner im böhmischen Landtage nur wenig hervor. Dafür entfaltete er im Landesausschusse eine außerordentlich eifrige Thätigkeit, der eine um so größere politische Bedeutung zukam, als die Tschechen vom Landtage, wie von den übrigen parlamentarischen Vertretungskörpern sich fernhielten und auf diese Weise die Decemberverfassung zu untergraben und das Bürgerministerium zu stürzen suchten. Daß trotz der Abstinenz der Tschechen die Landesverwaltung tadellos functionirte, war hauptsächlich das Verdienst Schmeykal’s. Dabei wußte er noch Zeit zu gewinnen für den Ausbau der politischen Organisation der Deutschböhmen. Er rief im October 1869 den Verfassungsverein der Deutschen in Böhmen ins Leben.

Ende des folgenden Jahres nahm Sch. mit Banhans und Professor Cyhlarz an dem ersten Ausgleichsversuche zwischen Deutschen und Tschechen teil, der aber zu keinem Resultate führte.

Nach der Spaltung des Verfassungsministeriums folgte auf das Uebergangsministerium Potocki das Ministerium Hohenwart, das durch die „Fundamentalartikel“ die Verfassung aus den Angeln heben und Böhmen in eine ähnliche Sonderstellung bringen wollte, wie sie Ungarn besitzt. Die Deutschen Böhmens wären dadurch der vollständigen Majorisierung durch die Tschechen preisgegeben worden. Daher traten die deutschen Abgeordneten im böhmischen Landtage unter Schmeykal’s Führung in die entschiedenste Opposition zur Regierung, überreichten durch ihren Führer in der Sitzung am 12. September 1871 eine energische Verwahrung gegen die „Fundamentalartikel“ und verließen den Landtag. Die deutschen Landesausschußbeisitzer legten gleichzeitig ihre Ausschußmandate nieder. Der Sieg des Föderalismus schien ein vollkommener zu sein. Da rettete hauptsächlich der Widerspruch Ungarns gegen die auch mit dem Ausgleiche zwischen den beiden Reichshälften unvereinbaren Fundamentalartikel die Decemberverfassung. Graf Hohenwart mußte seinen [74] Abschied nehmen und es folgte wieder ein verfassungstreues Ministerium, das Ministerium Lasser, genannt Auersperg. Die neue Regierung suchte den Rechtsboden des Centralparlamentes vor allem durch eine Wahlreform, welche den Reichsrath von den Landtagen unabhängig machte und schließlich zu den directen Reichsrathswahlen führte, sicher zu stellen. Sch. ging mit allem Eifer an die Arbeit, ganz Deutschböhmen zur Unterstützung dieser Wahlreform zu mobilisiren. Die Wahlreform wurde durchgeführt, allein die Führer der Verfassungspartei begingen nach wenigen Jahren den verhängnißvollen Fehler, sich dem Berliner Vertrage und der in demselben festgesetzten Occupation Bosniens und der Herzegovina zu widersetzen. Das führte unter dem Ministerium Taaffe eine neue und langandauernde Slavisirungsära herbei, die auch nach Taaffe’s Sturze noch nicht ihr Ende fand, sondern heute noch, wenn auch einigermaßen gemildert, anhält.

In die Zeit der rücksichtslosen Slavisirungsversuche durch das Ministerium Taaffe fällt die bedeutsamste und fruchtbarste Thätigkeit Schmeykal’s, nicht allein zum Schutze der Interessen der Deutschen Böhmens, sondern ganz Deutschösterreichs. Deshalb wurde er auch der Wortführer auf dem allgemeinen deutschösterreichischen Parteitage in Wien am 14. November 1880 und der thatkräftigste Vertreter der Gemeinbürgschaft aller Deutschen in Oesterreich. Seine Hauptsorge aber blieb es, das geeinigte Deutschböhmen als Kerntruppe gegen das Slaventhum und die mit ihm verbündete Regierung immer schlagfertig und kampfesfreudig zu erhalten. Darum ward er nicht müde, an der Ausgestaltung und Sicherung der alle Deutschböhmen zusammenhaltenden Organisation zu arbeiten. Unter seinem Vorsitze fand in den ersten Apriltagen 1873 in Prag ein Abgeordnetentag und einen Monat darauf ein Parteitag in Teplitz statt, auf dem ein Centralwahlcomité für die Reichsraths- und Landtagswahlen, „die Vertrauensmänner der Deutschen in Böhmen“, mit der Untergliederung von Bezirkswahlcomités gebildet wurde, eine Organisation, die sich auch in den kritischsten Tagen bewährte. Als Abschluß der ganzen Organisation erfolgte dann kurz vor Schmeykal’s Tode die Errichtung eines Parteibureaus.

Sch. war niemals ein einseitiger oder engherziger Parteipolitiker, sondern ein echter Volksmann und allgemein anerkannter Führer des gesammten deutschböhmischen Volkes. Alle seine „Aufrufe an das deutsche Volk in Böhmen“, die er im Namen und Auftrage der Vertrauensmänner in kritischen Zeitpunkten erließ, waren tiefernste, von großen Ideen getragene Mahnrufe an alle Kreise und Schichten der deutschen Bevölkerung seines Heimathlandes und stellten allzeit dasjenige in den Vordergrund, was alle anging, wovon das Wohl und Wehe der Gesammtheit abhing. Von hoher Warte aus hielt er eifrig Ausschau nach allen Seiten und achtete die kleinste örtliche Bewegung nicht für gering, um jeder Gefahr, womöglich schon im Anzuge zu begegnen. So glückte es ihm um die Mitte der achtziger Jahre, den bedenklichsten Versuch, Bresche in die Geschlossenheit der Deutschböhmen zu legen, rechtzeitig zu vereiteln. Dieser Versuch bestand in der Gründung der sogenannten „Wirthschaftspartei“, welche Partei von der Regierung auf alle Weise begünstigt wurde und die Bevölkerung durch Vorspiegelung wirthschaftlicher Vortheile irre zu führen suchte. Weil es Sch. immer nur um die Sache, niemals um die Person zu thun war, ließ er dem Gegner und dem Verführten die Wiederkehr in das Lager der stramm geeinten Volksgenossen offen.

Der von der Regierung mit allen Mitteln unterstützten rücksichtslosen Eroberungspolitik der Tschechen fielen in kurzem alle utraquistischen Körperschaften und Institutionen zum Opfer. Die altehrwürdige Karl [75] Ferdinands-Universität wurde von diesem Schicksale nur durch ihre Trennung in eine deutsche und eine tschechische bewahrt. Eine gleiche Theilung wurde mit der technischen Hochschule unternommen. Bei einer solchen Entwicklung der Dinge und bei der beschleunigten Tschechisirung von Amt und Gericht in den deutschen Gauen Böhmens infolge der unseligen Stremayr’schen Sprachenverordnung (1880) fand der zuerst von Ludwig Schlesinger ausgesprochene Gedanke der administrativen Abgrenzung der Gerichts- und Verwaltungsbezirke nach der Nationalität, sowie der möglichst weitgehenden Trennung aller bisher gemeinsamen Angelegenheiten rasch bei der gesammten deutschböhmischen Bevölkerung einmüthige Zustimmung. Am 14. December 1886 brachte Sch. im Vereine mit Plener einen darauf abzielenden Antrag im Landtage ein. Die Tschechen und die Feudalen lehnten denselben a limine ab. Das bestimmte die deutschen Abgeordneten, aus dem Landtage auszutreten. Daß die deutsche Bevölkerung drei Jahre lang alle Folgen der Abstinenz ihrer Abgeordneten ohne Murren ertrug und ihre Abgeordneten nicht im Stiche ließ, war in erster Linie das Verdienst Schmeykal’s. Das unbegrenzte Vertrauen zu ihm, seine Umsicht und unablässige Aufklärungsarbeit ließen Kleinmuth und Verzagtheit nicht aufkommen. Daher fand sich Graf Taaffe endlich bestimmt, Sch. einzuladen, sich in Wien mit Vertrauensmännern zu Ausgleichsconferenzen mit den Führern der Tschechen und der Feudalen einzufinden. Ein guter Stern schien über diesen Conferenzen zu walten. Es kam eine Einigung über folgende wesentliche Punkte zu Stande: Abgrenzung der Bezirke nach der Nationalität, Scheidung des Landesschulrathes und des Landesculturrathes in nationale Abtheilungen, Schaffung nationaler, mit dem Vetorecht bei nationalen Fragen ausgestatteter Curien im Landtage. Daß nur einige dieser „Wiener Punktationen“ wirkliche Gesetzeskraft erlangten, daran trug wieder hauptsächlich die Regierung Schuld. Sie ließ Monate verstreichen, bevor sie den Landtag einberief, und im Landtage selbst zeigte dann ihr Statthalter, der feudale Graf Franz Thun, nur geringen Eifer in der Vertretung der betreffenden Regierungsvorlagen. So gelang es den Deutschen nur, die Trennung des Landesschulrathes und des Landesculturrathes und die Neuerrichtung eines einzigen deutschen Bezirksgerichtes (in Weckelsdorf) gegen den Widerstand der Jungtschechen und die zweideutige Haltung der Feudalen durchzusetzen. Allein die Beschlüsse der Wiener Conferenzen vom Jahre 1889 bleiben das nationale Programm der Deutschböhmen, das zwar im Sinne des vollständigen Ausbaues der nationalen Selbstverwaltung ergänzt werden kann, von dem sie aber niemals auch nur ein Jota werden abhandeln lassen.

Schmeykal’s sechzigster Geburtstag war für ganz Deutschböhmen ein wahres Familienfest. Selbst das entlegenste und kleinste deutsche Dorf nahm theil daran. Die Adresse, welche ihm überreicht wurde, trug die Unterschrift von mehr als hunderttausend deutschböhmischen Parteimännern und von mehr als fünfzehnhundert Gemeindevertretungen. In all dem Jubel, der ihn umbrauste, bei all den zahllosen Huldigungen, die ihm dargebracht wurden, fand seine Bescheidenheit nur die eine Bezeichnung für all sein Wirken: „Ich war nichts als der Geschäftsträger meines Volkes“, freilich ein so unermüdlicher, aufopfernder und für jeden einzelnen, der sich aus dem Volke an ihn wandte, so besorgter Geschäftsträger, daß diese bescheidene Bezeichnung in Wahrheit den stolzesten Ehrentitel bedeutet. Denn so überaus vielseitig auch seine politische Thätigkeit war, ihm genügte dennoch die Beschäftigung mit der Politik, die Arbeit im Landesausschusse und im Landtage, die fast ausschließlich persönliche Erledigung aller Correspondenz der Parteileitung, die führende Rolle bei allen großen Parteitagen und in zahlreichen Vertrauensmännerversammlungen nicht. [76] Er war in den sechziger Jahren, als in der Gemeindevertretung der Landeshauptstadt noch deutsche Mitglieder saßen, Stadtverordneter, er nahm wie kein zweiter am deutschen Vereinsleben Prags thätigen Antheil. Hier sei besonders des schätzenswerthen Verdienstes gedacht, daß er sich durch seine hervorragende Betheiligung an der Gründung des Prager „deutschen Casinos“ nicht bloß bei den Deutschen Prags, sondern des ganzen Landes erworben hat. Seiner Persönlichkeit vor allem war es zu verdanken, daß „das deutsche Casino“ nicht allein der gesellige, sondern auch der politische Mittelpunkt Prags, ja bei nicht wenigen Gelegenheiten der Deutschen ganz Böhmens war.

Bald nach Schmeykal’s Tode riß auch im deutschböhmischen Volke Parteizersplitterung ein und schwächte seine nationale Widerstandskraft. Möge es sich nicht zu spät der eindringlichen Mahnung seines unvergeßlichen Führers und besten politischen Kopfes wieder erinnern: „Deutsche in Böhmen, seid einig und stark!“ Mit Recht konnte sein Freund und Gesinnungsgenosse Ernst v. Plener in seinem Nachrufe sagen: „Schmeykal war nicht bloß der erste politische Mann des deutschen Volkes in Böhmen, er war eine große Figur im ganzen öffentlichen Leben Oesterreichs.“

Franz Schmeykal. Eine Gedenkschrift. Prag 1894. – Kalender des deutschen Vereins zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse für das Jahr 1895. Franz Schmeykal. Von Josef Bendel. – Zeitungs-Nachrufe.