ADB:Schönwerth, Franz Xaver von

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Artikel „Schönwerth, Franz Xaver von“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 321–324, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sch%C3%B6nwerth,_Franz_Xaver_von&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 01:05 Uhr UTC)
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Schönwerth: Franz Xaver v. S., Germanist. Nach einer durch etliche Kleinode und Schatzstücke, auch heraldisch unterstützten Familientradition stammen die S. von den Comtes de Bellisle, welche mit anderen Hugenotten aus Frankreich emigrirten, durch die Schweiz in die baierische Oberpfalz kamen, verarmt ihres Adels sich begaben und ihren Namen geistreich in Schönwerth (Schönwörth, Schönwerd) übersetzten. Da uns die genealogischen Zwischenglieder fehlen, indem der zu Amberg seßhafte Großvater, welcher mit Malen und Zeichnen sich fortbrachte, in seinem 98. Jahre alle ererbten Familienpapiere und Diplome verbrannte, so genügt die Thatsache, daß der Vater Joseph S. die artistische Beschäftigung weiter trieb, eine Stelle als Zeichnungslehrer zu Amberg erhielt und bis zu seinem 1851 erfolgten Tode versah. Diese künstlerische Neigung vererbte auf unseren am 10. Juli 1809 geborenen Franz S., welcher immer unter den Besten Lateinschule und Gymnasium mit Auszeichnung absolvirte, dann aber auf die Münchener Kunstakademie ging, um sich im Baufach auszubilden. Indeß überwog doch, insbesondere in Anbetracht der Mittel, welche S. durch Instructionen selbst erringen mußte, die Lust an der Wissenschaft. Zwei Jahre oblag er eifrigst dem Studium der Philosophie und war ein begeisterter Zuhörer der Görres’schen Geschichtsvorträge, dann warf er sich mit der ihm eigenen Energie, nebenbei durch eine Hofmeisterstelle vor Noth und Sorge geschützt, auf die Jurisprudenz und bestand 1837 mit der ersten Note das Schlußexamen. Trotz seines 1839 glänzend abgelegten Staatsconcurses erhielt S. doch erst 1842 die Stelle eines Finanz-Rechnungs-Commissariats-Accessisten mit der unglaublich geringen Remuneration von einhundert Gulden jährlich. In dieser jammerwürdigen Stellung, in welcher der gute Sohn noch alles Mögliche aufbot, um seinen alternden Vater [322] zu unterstützen, blieb S. bis 1845, wo ihn ob seines ausdauernden Fleißes und seiner dadurch errungenen Geschäftstüchtigkeit, sein oberster Chef für die Stelle eines Secretärs bei S. k. Hoh. dem Kronprinzen Maximilian empfahl. Darauf wurde ihm am 1. März 1847 als besondere Anerkennung und Auszeichnung erst vom Kronprinzen und bald darauf von der Kronprinzessin die Verwaltung ihres Vermögens, soweit es in Capitalien und Papieren bestand, übertragen und sein Gehalt von 150 auf 200 Gulden erhöht. Dieses Vertrauen bewährte S. in vollem Maße; durch vorsichtige Speculation erhöhte er die Rente um zehn Procent und wies, als ihm aus den Kreisen der Finanzwelt bedeutet wurde, hiebei nach Recht und Herkommen auf seinen eigenen Vortheil bedacht zu sein, diese Zumuthung entschieden zurück. In der stürmischen Zeit des Jahres 1848 fuhr S., vielleicht unnöthiger Weise durch eine drohende Nachricht allarmirt, das ihm anvertraute Vermögen mit vielen Kostbarkeiten, verkleidet in Handlangercostüm, auf einem zweiräderigen Handkarren, unscheinbar verpackt, im Werthe von drei Millionen, nach dem benachbarten Nymphenburg. Sobald König Maximilian II. die Regierung angetreten hatte, ernannte er seinen getreuen, vielerprobten S. zum Hofsecretär und Stabsrath, übertrug ihm die Vorstandschaft über die Cabinetskasse, das Referat über die verschiedenen Hofstäbe, sowie die weitere Verwaltung des königlichen Privatvermögens. Hiezu kam noch der tägliche Vortrag bei Sr. Maj. dem Könige, wozu S. oft spät in der Nacht befohlen wurde und alles umfaßte, was nicht die unmittelbaren Regierungsgeschäfte berührte, so die neuesten Ereignisse der Politik, die Erscheinungen auf dem Gebiete der Wissenschaft und Kunst und die vielseitige Privatcorrespondenz des Königs. S. führte auch die Verhandlungen mit den Beamten des Königs Ludwig I. wegen Uebernahme und Vollendung derjenigen Bauten, welche der kunstsinnige Maecen begonnen hatte und die jetzt auf Kosten der Cabinetskasse seines königlichen Nachfolgers vollendet werden sollten. Der Abschluß gelang nach Wunsch, und S., dessen Gehalt sich erheblich verbesserte, errang das volle Vertrauen seines Monarchen, welcher durch seinen Secretär auch in seiner Vorliebe für Wissenschaft und historische Studien bestärkt wurde. S. war es, welcher den opferfreudigen Herrscher auf dieses Gebiet verwies, welches, richtig gepflegt, reiche Ernte verspreche und wohl geeignet sei, das Maecenatenthum des erlauchten Herrn Vaters und Vorgängers vollständig, wenn auch in anderer Richtung, in adäquater Wirkung wieder aufleben zu lassen. Daß diese Anregung auf fruchtbaren Boden fiel, bewährte König Maximilian während seiner ganzen Regierung durch seine für wissenschaftliche Bestrebungen stets offene Hand, durch die huldreiche Unterstützung von Gelehrten, durch den vielen begabten Dichtern verliehenen Ehrensold, insbesondere aber durch die reiche und wiederholte Dotation der Historischen Commission, welche außer vielen immerdar bleibend wirkenden Unternehmungen auch die „Allgemeine deutsche Biographie“ ermöglichte. Schönwerth’s ächte Humanität bethätigte sich ferner in unübersehbarer Weise in charitativen Spenden, welche er im Auftrage seines hohen Herrn an Nothleidende und Dürftige freudigen Herzens vertheilte. Durch seine Fürsprache bei dem edlen, allzeit freigebigen Könige wurden unzählige Arme und Unbemittelte unterstützt. Die wohlthätige Wirkung, welche die „Witwen- und Waisenkasse“ für die Hinterbliebenen von Beamten seit nunmehr vielen Decennien in Baiern ausübt, ist theilweise auch das Verdienst von Schönwerth’s Einfluß auf die maßgebenden Kreise der Staatsverwaltung und das Werk seines eigenen Organisationstalentes. Die guten und treuen Dienste, welche S. seinem hohen Herrn leistete, ehrte der König dadurch, daß er ihn 1851 zum Regierungsrathe und schon 1852 zum Ministerialrathe und Generalsecretär im Finanzministerium beförderte, worauf alsbald die Erhebung in den persönlichen Adel erfolgte. Damit trat S. in die Laufbahn [323] des Staatsdienstes zurück, behielt aber nebenbei die Revision der königlichen Cabinetskasse. S. fand trotz dieser aufreibenden und zeitzersplitternden Thätigkeit noch Muße genug, nicht nur sein eminentes Sprachentalent auszubilden – außer den classischen und modernen Sprachen bemeisterte S. auch die scandinavischen Idiome, das Gothische und Hebräische, wozu später noch das Sanscrit kam und die Erforschung der Keilschrift – sondern noch selbständige Forschungen und Studien zu treiben, wozu die Culturhistorie seiner Heimath, insbesondere aber ihrer mythischen Vorstellungen, Sagen, Sitten und Gebräuche in erster Reihe gehörte. Wie Jacob Grimm’s „Mythologie“ und „Rechtsalterthümer“, so hatte auch dessen „Grammatik“ mit feuriger Begeisterung auf S. gewirkt, welcher plötzlich die ganze Tragweite und den geistigen Zusammenhang in den heute noch lebenden Traditionen und Vorstellungen seiner Heimath erkannte und durch das Studium ihres Idioms zur Ueberzeugung gelangte, hier noch ganz ächt gothische Nachklänge zu vernehmen. Insbesondere durch seine Vermählung mit einer, in ihrer unmittelbaren Volksthümlichkeit reizenden Tochter der Oberpfalz, welche ihm einen unversiegbaren Schatz von den in ihrem väterlichen Heim gangbaren Märchen, Sitten und Sagen zubrachte, gerieth S. darauf, diese Traditionen vor ihrem drohenden Erlöschen und Verklingen noch einzuheimsen und in Schrift und Einklang zu bringen. Weitere Ausbeute ergab eine alte treue Dienerin des Hauses, welche alsbald andere, in München verstreute Landsleute aufstöberte, die gleichfalls „etwas wußten“. So gab es fast tagtäglich neue Berichte, Geschichten und überraschende Ausbeute an Aberglauben, Sprüchen, Beschwörungen und ächtem „Teufelszeug“ aller Art. S. besaß außer der Kenntniß aller Schattirungen des Oberpfälzerdialektes ein eigenes Ingenium, den Leuten nicht allein mit Kaffee und Cigarren – weiteres wurde niemals als Lohn gereicht – die Zunge zu lösen, ihr Zutrauen zu wecken und ihre ängstlich und beinahe mißtrauisch behüteten Geheimnisse flüssig zu machen. Mit größter Vorsicht behandelte S. dieses sein lebendiges Material; die Art und Weise wie er sorgfältigst den „Erdspiegel“ handhabte und ohne in die Leute hinein zu inquiriren, doch alles herauszulocken wußte, die Ausbeute mit diplomatischer Treue aus dem Gedächtniß gleich zu Papier brachte und die Resultate einzuordnen verstand, verdient alle Bewunderung. Man muß die Genesis dieser Forschungen theilweise selbst miterlebt haben, um die ganze Objectivität Schönwerth’s dem Erzähler gegenüber zu würdigen. Daß er dann mit dem ganzen Feuer seiner rastlos arbeitenden und vergleichenden Phantasie die gewonnenen Resultate vielleicht zu kühn construirte, dürfte keine Beanstandung finden, denn jeder Fachmann experimentirt mit einer logischen Sicherheit, welche der fernstehende Laie nur ängstlich und argwöhnisch belauscht. So entstand nun das in Form und Inhalt meisterhaft gerundete Werk: „Aus der Oberpfalz“ (Augsburg 1857–59 in drei Bänden). Wie S. die Sitten und Sagen dieses Landstriches nicht trocken nacherzählt, sondern im hellen Lichte wissenschaftlicher Forschung beleuchtet, eröffnet er überall culturhistorische Perspectiven in die Urgeschichte des Volkes und kann deßhalb heute noch als Muster und Vorbild für alle ähnlichen Forschungen dienen. So trat er, von Jacob Grimm freudig begrüßt, plötzlich in die erste Reihe der Germanisten, wo er immerdar die gleiche Achtung und Werthschätzung behaupten wird. Der erste, mit einem Vorwort von Wolfgang Menzel eingeleitete Band umfaßt nach allgemeiner Grundlegung von Land und Leuten alle mit dem heimischen Familienleben zusammenhängenden Gebräuche, welche Liebe und Liebeszauber, die Braut, Mutter und Kind, den Tod, die Thiere des Hauses und die Frucht des Feldes umspinnen; als ganz neue Resultate ergaben sich die Deutung von Drud, Hexe und Bilmesschneider, welche in ihrer früheren priesterlichen Stellung wieder gewürdigt wurden. Der zweite Band ist den vier Elementen gewidmet, während [324] der dritte Tod, Hölle und Teufel, den Himmel und der Welt Ende ergründet. Unverdrossen weitersammelnd gewann S. noch überaus reichen Stoff, welcher für eine zweite, vermehrte Umarbeitung in Aussicht genommen wurde, wobei nur Schönwerth’s amtliche Thätigkeit hindernd entgegentrat. Vergeblich drang Jacob Grimm darauf, S. solle dem Staatsdienste entsagen und nur der Wissenschaft leben, wogegen S. seine Familienverpflichtungen mit Recht geltend machte. Es hätte sich indessen gerade unter der Aegide des jeder exacten Forschung so wohl geneigten Königs Maximilian leicht ein Mittelweg in Form einer längeren Beurlaubung finden lassen, welchen Schönwerth’s strenger Sinn und Pflichteifer als unverdiente Bevorzugung ablehnen zu müssen glaubte. Außer der Abhandlnng über „Dr. Weinhold’s baierische Grammatik und die oberpfälzische Mundart“ (Regensburg 1869) und dem Ehrengedächtniß auf „Johann Andreas Schmeller“ (1870) entstanden nur noch die Studie über die „Sprichwörter des Volkes der Oberpfalz“ (1874) und einige kleinere Arbeiten, welche mit seiner gleichfalls zeitraubenden Ehrenstellung als Vorstand des „Historischen Vereins von Oberbayern“ (1868–75) zusammenhingen. In rastloser Arbeit verfloß seine nur zu sehr getheilte Thätigkeit; erst 1880 trat S. in den wohlverdienten Ruhestand; eine schwere Krankheit erschütterte 1884 den seither immerdar elastisch schreitenden, auch nach Auge und Haar einen ächten Germanen repräsentirenden Mann, welcher am 26. Mai 1886 aus dem Leben schied. Zu seinen Eigenheiten gehörte, daß er sich nie entschließen konnte, zu einer Portraitzeichnung oder Photographieaufnahme zu sitzen; sein Conterfait hätte mit der berühmten sogenannten „Arminiusbüste“ im Capitolinischen Museum zu Rom eine überraschende Aehnlichkeit ergeben. Seltsamer Weise besaß S. auch einen mystischen Tiefsinn und eine Gläubigkeit, welche ihn von der Realität des im Volksleben spukenden Supranaturalismus mit allen seinen dämonischen Verzweigungen, vollständig überzeugten. Am 26. September 1889 wurde an seinem Vaterhause zu Amberg eine wohlverdiente Gedenktafel in feierlicher Weise inaugurirt.

Vgl. die Nekrologe von Dr. Sepp in Nr. 81 des „Augsburger Sammler“ vom 10. Juli 1886. – Joh. Freßl im XXXXVIII. Jahresbericht des Histor. Vereins von Oberbayern. 1887. S. 82–92 und Cornelius Will in den Histor.-Pol. Blättern. 1889. CIV, 805–20.