ADB:Rudolf von Rotenburg
von der Hagen und Gervinus (Geschichte der deutschen Dichtung 5. Auflage I, 513), Bartsch in seinen Liederdichtern hielten ihn für einen Schweizer. Dagegen schloß ihn Wackernagel von seiner Skizze der schweizerischen Litteraturgeschichte (Verdienste der Schweizer um die deutsche Litteratur. Basel 1835) und Bartsch, seine frühere Meinung ändernd, von seiner Sammlung der Schweizer Minnesänger (Frauenfeld 1886) aus. Auch Bächtold übergeht ihn in seiner Geschichte der deutschen Litteratur in der Schweiz (Frauenfeld 1887), läßt aber die Möglichkeit schweizerischer Herkunft offen (Anmerkungen S. 43). Der Dichter war wol ein Alemanne, wenn nicht geradezu ein Schweizer. Denn die landschaftlich ordnende Pariser (jetzt Heidelberger) Handschrift überliefert seine Gedichte mitten unter nachweislich schweizerischen Minnesängern, und auch seine Sprache zeigt in Lauten und Wortschatz dialektische Spuren, die obzwar nicht alle gleich charakteristisch, doch mit ziemlicher Sicherheit nach dem Südwesten des deutschen Sprachgebiets d. h. nach [298] Alemannien oder dem Elsaß weisen. Vergl. auch Weinhold, mittelhochdeutsche Grammatik. Zweite Auflage § 44. Ob man den Dichter nun aber gerade in jenem Rudolf v. R. aus ritterlichem Geschlecht wiedererkennen darf, der 1257 zu Luzern mit seinem Bruder Wernher eine Urkunde bezeugt, bleibt ganz zweifelhaft. – R. war ein berufsmäßiger Sänger: wenn die Geliebte ihn erhöre, würden – rühmt er sich – von seinen Liedern wieder tausend Herzen froh. Er scheint sich durchweg in den höchsten Kreisen bewegt und für sie gedichtet zu haben. Er wirft sich zum Lehrer der höfischen Sitte auf und in einem gewiß zum Gesellschaftstanz bestimmten Liede (XVI) gibt er sich als den Führer der gebildeten Fröhlichkeit; er predigt das Evangelium des „hohen Muthes“, der Selbstbeherrschung, der Zucht, der schoenen vuoge, der heimlichen hohen Minne; er glaubt an die beglückende und veredelnde Macht der reinen Liebe, warnt vor falscher Minne, betont den Werth gesellschaftlicher Anerkennung; er will nur den Wohlgemuthen singen und wendet sich von den Verzagten ab, kurz er stellt noch ganz das höfische Lebensideal der besten Vorgänger auf. Die von ihm geliebten geographischen Anspielungen – er nennt den Po, die Saone, Saale, Paris, Troie (Troyes oder Troja in Italien?), Maggun (?), Portugal – auch nur theilweise auf wirkliche Wanderungen zurückzuführen, muß man freilich Bedenken tragen, da hier sicher stilistische Manier mit im Spiel ist. Doch mag R. Deutschland verlassen haben: ein Lied (XII) ist in der Fremde gedichtet. War er ein Fahrender, so war er ein Fahrender adligen Standes und hielt sich ganz in den älteren Traditionen der höfischen Lyrik, wie sie von den Hofdichtern Reinmar und Walther ausgehen. Die Heidelberger Handschrift (A), die aus der Ueberlieferung der fahrenden Sänger schöpft, bringt seine Gedichte außer unter seinem Namen auch unter dem Walther’s von der Vogelweide und unter „Rudolf Offenburg“ und führt dann noch einen Markgrafen v. Rotenburg auf: auch das spricht für Beziehungen des Dichters zu der Classe der Fahrenden. – Am günstigsten zeigt er sich in seinen Liedern. Eins – weitaus das beste – ist in der Trennung gedichtet: ein Pilger hat ihm Nachricht von der Geliebten gebracht; nun wünscht er ihr jeden Tag in der Frühe guten Morgen und Abends gute Nacht; er gedenkt des Abschieds, der ihm fast die Sinne raubte: sie glühte wie das Abendroth und bat ihn, ihr seine neuen Lieder zu senden; nun weiß er nicht, wem er sie anvertrauen solle, damit er sie in ihre weißen Hände lege, tausend Boten möchte er senden, alle sollen ihr den freundlichen Sang singen, vielleicht daß sie ihm dann Habedank gewährt. In den übrigen Liedern belebt manch hübsche Wendung den landläufigen Inhalt: so wenn R. sich einmal dem Baum ohne Rinde vergleicht oder wenn er von ihrem Munde sagt, er scheine immerfort zu sprechen: „Küsse mich!“ Ein schönes Lied Walther’s nachahmend erklärt R., von seiner Geliebten nehme er den kleinen Fingerring lieber als das Reich und die Kaiserkrone. Auch sonst spürt man die Wirkung Walther’scher Kunst. Lebendig ist ein Klagelied, das sich über die Vergeblichkeit treuer Liebe beschwert und den Tod herbeiruft. – Der Dichter übt die Künste der Responsion und Strophenverkettung. Er meidet aber typische Formeln und hat nur einmal Natureingang zum Contrast. – Von den sechs Leichen, die ihm beigelegt werden, ist wenig Gutes zu sagen. Fünf davon sind nichts weiter als große Sammelbehälter für abgegriffene Liebesfloskeln; selten, daß einmal ein eigenartiges Bild, ein gewählter Ausdruck mit unterläuft. Der Dichter prunkt hier mit seiner Beherrschung der höfischen Lebensart, mit seiner Belesenheit, seiner Kenntniß der höfischen Romanfiguren (Parzival, Meljot, Clies, Gawan, Guraze, Alienor, Helena, Lavinia, Pallas), denen er sich und sein Liebesverhältniß vergleicht, mit Meister Ovidius und Amur und allerlei geographischer Weisheit. Die Mühe, welche dem Dichter die formale Seite der zum Theil sehr umfangreichen [299] Leiche verursacht, drückt auf den Inhalt und die Darstellung. Der an letzter Stelle überlieferte Leich, dessen Echtheit mir nicht ganz zweifellos ist, feiert die Jungfrau Maria mit dem herkömmlichen Apparat von Epitheten und gelehrten theologisch-allegorischen Anspielungen, wie er dieser Gattung, den Marienleichen, eigen ist. Auch hier scheint für Einzelnes besonders Walther’s Leich das Muster abgegeben zu haben, doch wird man durch Haltung und Ton der Darstellung mehr an die religiösen Leiche der späteren bürgerlichen Spruchdichter erinnert.
Rotenburg: Rudolf v. R., Minnesänger. Ueber seine Heimath und Abstammung schwanken die Ansichten:- Von der Hagen, Minnesänger I, 74 ff. III, 592 ff. IV, 105 ff. – Bartsch, Deutsche Liederdichter des 12. bis 14. Jahrhunderts. 2. Auflage. S. LIII f., 183 ff., 355 f.