ADB:Oppenheimer, Joseph Süß
[181] des Freiherrn v. Heydersdorff gewesen zu sein, der im J. 1693 schmachvoll cassirt wurde, weil er als Commandant von Heidelberg Stadt und Schloß angeblich zu früh den Franzosen übergeben hatte. Der Ort der Geburt ist ohne Zweifel Heidelberg, das Jahr nach der wahrscheinlichsten Berechnung 1692. An Gelegenheit, sich umfassende Bildung anzueignen, fehlte es dem Knaben nicht, der indessen nur theilweisen Gebrauch davon machte. Abenteuerlust und Sucht, den vornehmen Herrn zu spielen, traten bei ihm frühzeitig hervor und trieben ihn mit 17 Jahren in die Fremde. Zuerst ging er nach Holland, dann über Prag nach Wien. Entfernte Verwandtschaft mit den dortigen Oppenheimern verschaffte ihm Zutritt in vornehme Häuser; hier wurde er in die Geheimnisse des Geldmarktes und in die damaligen Finanzkünste eingeweiht, und bildete sich zum Geschäftsmann aus. Praktisch verwerthete er zunächst die neu erworbenen Kenntnisse im Dienste der Kurfürsten von der Pfalz und von Köln, sowie des Landgrafen von Hessen-Darmstadt: seine Gewandtheit trug ihm verschiedene Hoftitel und ein ansehnliches Vermögen ein. Im Sommer 1732 lernte er im Wildbad, wo er als Curgast weilte, den damaligen Prinzen Karl Alexander von Württemberg und dessen Gemahlin kennen; beide fanden an ihm so großes Wohlgefallen, daß sie ihn alsbald in ihre Dienste zogen. Nachdem Karl Alexander Herzog von Württemberg geworden war, ernannte er S. zunächst zu seinem Residenten in Frankfurt a. M., bald aber berief er ihn nach Stuttgart und verlieh ihm den Titel eines Geheimen Finanzrathes. In kürzester Frist wußte S. sich dem Herzog unentbehrlich zu machen und die ganze Leitung der Staatsgeschäfte in die Hände zu bekommen. Der Herzog bedurfte zur Ausführung seiner Pläne – nach außen Vergrößerung des Landes, nach innen Beschränkung der landständischen Rechte und Gleichberechtigung der katholischen mit der evangelischen Confession – einer starken Militärmacht, und zur Unterhaltung dieser, großer Geldmittel. Solche zu schaffen, war S. der richtige Mann. Sein Genie in Entdeckung neuer Geldquellen war unerschöpflich. Es waren die damals in Deutschland allgemein üblichen Finanzoperationen, die S. auf seinen Wanderungen an fremden Höfen kennen gelernt hatte und nun in Stuttgart einführte, meist in doppelter Hinsicht verwerfliche Operationen, weil sie das Volk aufs härteste drückten und zugleich demoralisirend wirkten, indessen auch einige darunter, deren Anwendung durch Uebung späterer Perioden nachträglich gerechtfertigt worden ist. Prägung schlechten Geldes durch S., der die Münze in Pacht hatte, Handel mit Aemtern und Titeln durch Vermittlung des sogenannten Gratialamtes, Feilheit der Justiz durch die des Fiscalamtes, Steuern, Sporteln und Monopole aller Art waren die Mittel, wodurch S. die Casse des Herzogs und mehr noch die eigene zu füllen wußte; sich selbst bereicherte er überdies durch Handel mit Juwelen, Pferden, Weinen u. s. w., durch Lotterien, Pacht einträglicher Artikel, Annahme von Geschenken, Ausleihen von Geldern und dergleichen mehr. Bei allen Manipulationen wurde der Schein gesetzlicher Form wenigstens bis zu einem gewissen Grade gewahrt. S. begnügte sich mit der Rolle des Rathgebers, der Herzog ordnete an, und die herzöglichen Räthe und Beamten vollzogen die Anordnungen. Nur war es S. mit der Zeit gelungen, die alten redlichen Räthe zu entfernen und fast alle Stellen mit seinen gefügigen Werkzeugen zu besetzen oder die Widerstandskraft der wenigen rechtschaffenen Beamten durch Einschüchterung zu lähmen. Des Juden ganze Macht beruhte auf dem persönlichen Vertrauen, das er bei Karl Alexander genoß. Um sich dieses zu bewahren, schreckte er vor keiner Art von Lüge, Verleumdung und Heuchelei zurück. Er wußte vor allem in dem Herzog den Glauben zu erwecken, daß die von ihm vorgeschlagenen Maßregeln seinem und des Landes Wohl dienlich seien. Mit echt semitischer Geschmeidigkeit verstand er es, sich in die fürstlichen Launen zu finden und die [182] Schwächen des Herzogs auszubeuten. Bezeichnend ist nach dieser Richtung sein offenes Bekenntniß: „Ich habe mich in des Herrn Humor zu schicken gewußt, mich die eine Viertelstunde ausmachen lassen, und mich doch gleich wieder präsentirt.“ Die landständische Partei ihrerseits befestigte die unumschränkte Herrschaft des Geheimen Finanzraths durch allzu schroffes Verhalten dem Herzog gegenüber, was hinwiederum S. benutzte, um die Kluft zwischen jenem und den Vertretern seines Volks unüberbrückbar zu machen.
Süß-Oppenheimer: Joseph S., als „Jud Süß“ allgemein bekannter Finanzmann des 18. Jahrhunderts, an dessen Namen sich eine der unerfreulichsten Episoden der württembergischen Geschichte knüpft. Mütterlicherseits stammte er aus einem vornehmen Frankfurter Judengeschlechte; als sein gesetzlicher Vater galt der Rabbi Isaschar Süßkind Oppenheimer, Director einer wandernden Sängergesellschaft, in Wahrheit scheint er aber der natürliche SohnS. scharrte nun die erbeuteten Schätze keineswegs zusammen, verschwendete sie vielmehr zum guten Theil in der Weise eines vornehmen Lebemannes. Sein Haushalt war aufs großartigste eingerichtet, die edelsten und höchststehenden Herren des Landes verkehrten mit ihren Familien in dem Hause des Juden, selbst Besserdenkende wollten sich aus Zweckmäßigkeitsgründen dem Umgang mit ihm nicht ganz entziehen; seine üppigen Gelage, seine glänzenden Ballfeste bildeten den Höhepunkt der Lustbarkeiten in der Residenz. Sein Benehmen war durchaus weltmännisch gewandt, seine Erscheinung vornehm, selbst einnehmend, in nichts verrieth er den Juden, in allen Lebensgewohnheiten war er durchaus Cavalier. Zahllos waren seine galanten Abenteuer mit Schönen aus allen Ständen bis in die höchsten Gesellschaftskreise hinein. Er wünschte auch geadelt zu werden, aber der Wiener Hof berücksichtigte das bezügliche Gesuch nicht, obgleich der Herzog es befürwortete.
Indessen war Süß’ Stellung gegen das Ende der Regierung Karl Alexander’s stark erschüttert, namentlich seitdem der letztere sich hatte überzeugen lassen, daß er von seinem Günstling im Juwelenhandel schnöde betrogen worden war. Als S. Verdacht schöpfte, bat er um seine Entlassung und wollte sich mit dem Reste seines Raubes aus dem Staube machen. Dies verhinderte der Herzog, da er nicht wollte, daß das gestohlene Geld aus dem Lande komme, und außerdem von dem in seine geheimsten Pläne Eingeweihten bloßgestellt zu werden fürchtete. Um den Juden sicher zu machen, ertheilte er ihm ein vollständiges Absolutorium für Vergangenheit und Zukunft, wobei dieser sich beruhigte. Heimlich fertigte aber der Herzog vor seiner beabsichtigten Reise ins Ausland eine Ordre aus, laut welcher S. während seiner Abwesenheit verhaftet und auf eine Festung gebracht werden sollte. Am 12. März 1737 fuhr S. mit Karl Alexander nach Ludwigsburg, nach dessen plötzlichem Tode an dem Abend des genannten Tages eilte er nach Stuttgart zurück, um der Herzogin von dem Geschehenen Bericht zu erstatten. Nach der Audienz wurde er auf Befehl der letzteren und des Generals und Oberburggrafen v. Röder, denen jene oben erwähnte Ordre bekannt war, verhaftet. Auf sein Vermögen wurde Beschlag gelegt, er selbst zunächst in seinem Hause bewacht, nach einem mißglückten Fluchtversuch von dort aus am 19. März nach Hohen-Neuffen, und bald darauf nach Hohen-Asperg gebracht. Dort wurde dem Gefangenen eine so harte Behandlung zu theil, daß er mehrere Selbstmordversuche unternahm. Der Proceß schleppte sich Monate lang hin, und die Acten thürmten sich hoch auf. In dem Verhör zeigte S. sich anfangs störrisch, ja übermüthig. Aber in der Folge bequemte er sich zu umfassenden Geständnissen, deren Offenheit keinen ganz ungünstigen Eindruck macht. Um so tadelnswerther erscheint der gehässige Uebereifer der Untersuchungscommission und der siegreichen Partei überhaupt, die, um den verhaßten Juden desto sicherer zu verderben, sich selbst nicht scheute, den verewigten Herzog und seine Wittwe zu beschimpfen. Auch bewegte sich die langwierige Untersuchung keineswegs durchgängig in gesetzlichen Bahnen. Dem öffentlich bestellten Vertheidiger wurden die Mittel zu einem wirksamen Eintreten für den Angeklagten vorenthalten, so daß die ganze Vertheidigung zur leeren Förmlichkeit wurde. Am 13. December 1737 erkannte endlich das Untersuchungsgericht – im Widerspruch [183] mit dem Gutachten der ersten juristischen Autorität im Lande, des Tübinger Professors und nachmaligen Kanzlers Harpprecht – auf Tod durch den Strang gegen S. wegen der Verbrechen der Amtserschleichung, des Betrugs, der Majestätsverletzung im engern Sinn und des Hochverraths. Am 29. Januar 1738 wurde der Ahnungslose und von einem glücklichen Ausgang seines Processes Ueberzeugte nach Stuttgart gebracht, zwei Tage später ihm vom Richtercollegium das Todesurtheil verkündigt, das am Morgen des 4. Februar vollzogen wurde: auf der sogenannten Galgensteige wurde S. in einem eisernen Käfig, der über dem im Lande wohlbekannten eisernen Galgen angebracht war, aufgehängt. Den Bekehrungsversuchen von protestantischer Seite hatte er, dem in guten Tagen jede Religion gleichgültig gewesen war, hartnäckigen Widerstand entgegengesetzt, wodurch er sich bei seinen Glaubensgenossen den Nimbus eines jüdischen Märtyrers gewann.
Der Ausgang des häßlichen Handels ist nicht mit Rücksicht auf den Juden, der von dem höheren Gesichtspunkt der Moral aus den Tod mehr als einmal verdient hatte, wohl aber im Interesse der siegreichen landständischen Partei zu bedauern, die, der Stimme des Hasses und den Wünschen einer erbitterten Volksmenge Gehör schenkend, das Recht, zu dessen Hut sie berufen war, beugte und ihre Herrschaft mit einem Gewaltact einleitete. Die Erinnerung an Jud Süß hat sich in Württemberg lange von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt, bald haben sich auch Sage und Dichtung seiner immerhin interessanten Person bemächtigt: die weiteste Verbreitung hat Wilhelm Hauff’s Novelle Jud Süß gefunden.
- K. F. Dizinger, Beiträge zur Geschichte Württembergs und seines Regentenhauses zur Zeit der Regierung Karl Alexander’s und während der Minderjährigkeit seines Erstgeborenen. Erstes Heft. Tübingen 1834. – Manfred Zimmermann, Joseph Süß Oppenheimer, ein Finanzmann des 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1874. – Vgl. auch Stälin über Karl Alexander in A. D. B. XV, 366 ff. und die dort angeführten Quellen.