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Artikel „Naef, Matthias“ von Hermann Wartmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 212–213, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Naef,_Matthias&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 21:09 Uhr UTC)
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Naef: Matthias N., Industrieller und Kaufmann, geb. in Schwarzenbach, Kanton St. Gallen, am 14. Mai 1792, † in Oberuzwil, ebendaselbst, am 29. December 1846. – Als Sohn eines toggenburgischen Baumwollwebers verlor N. seine Mutter mit acht Jahren. Nicht blos mußte er schon damals dem Vater mit Spulen und Spinnen an die Hand gehen, sondern bald auch neben ihm und für ihn weben, da sich der in den Revolutionszeiten gänzlich verarmte Mann einem unregelmäßigen Leben ergab. Außerdem besorgte der Knabe so gut wie möglich noch drei jüngere Brüder. Im J. 1805 wurde die Familie aufgelöst und N. bei einem Bauer untergebracht, wo er im Sommer auf dem Felde arbeitete, im Winter neben einem nothdürftigen Schulbesuch ein artiges Stück Geld mit Weben verdiente. Nach seiner Confirmation trat er bei einem kleinen Fabrikanten als Weber in Dienst und arbeitete als solcher mehrere Jahre emsig und unermüdlich. Nur der Marsch als Milize über den Gotthard im December 1813 und in den Jura im Frühjahr 1815 zur schweizerischen Grenzbesetzung brachte einige Abwechslung in sein einförmiges Leben und öffnete ihm eine neue Welt. Der Militärdienst gefiel dem kräftigen Jüngling so gut, daß er sich ernstlich mit dem Gedanken trug, in ein französisches Schweizerregiment zu treten. Doch besaß er nicht die volle, hierzu erforderliche Körperlänge. Bis zum J. 1814 hatte N. sich mit seiner Weberei 1000 Gulden erspart. Jetzt verheirathete er sich und begann zugleich auf eigene Rechnung zu arbeiten, zuerst nur mit einem Bruder und einem Weber; dann nahm er deren mehrere in seine Dienste, im Haus und außer dem Haus. Aus dem Lohnweber wurde ein Fabrikant, der in St. Gallen das Garn im Großen einkaufte und seine weißen Cambrictücher dort und in Herisau oder Zürich zu Markte brachte. 1826 begann er sich in bunter Waare zu versuchen, die zum Absatz in der Levante bestimmt war und errichtete sich ein eigenes Farbhäuschen, zwei Jahre später aber, als das Unternehmen Erfolg hatte, ein wirkliches Färbereigebäude. Die Buntweberei wurde in immer größerem Stile betrieben und das Fabrikat direct in Consignation nach den wichtigsten Plätzen des Orients verschickt. Das Haus Matthis Naef in dem kleinen Dorfe Niederuzwil gewann durch seine tadellosen Leistungen und die strengste Rechtlichkeit und Zuverlässigkeit in Handel und Wandel einen der geachtetsten Namen auf dem Levantiner Markte. Damit hatte es die Grundlage gewonnen, auf welcher sein Haupt der angebornen Unternehmungslust [213] ebenso besonnen als kühn ungehemmte Folge geben durfte. N. wollte in seiner ganzen Fabrikation von Anderen vollständig unabhängig werden, Alles in seiner eigenen Hand haben, auch den Absatz der fertigen Waare ohne Vermittlung Dritter selbst besorgen. Im J. 1836 schritt er zu dem Bau einer eigenen Spinnerei, zuerst von 4000 Spindeln, später auf 7000 erweitert; drei Jahre später folgte auch das eigene Appreturgebäude. Gleichzeitig hatte er die bunte Jacquardweberei eingeführt und deren Artikel im Orient mit bestem Erfolge verwerthet. Als sich die Tage des einstigen armen Weberknaben ihrem Ende zuneigten, beschäftigte er etwa 1500 Arbeiter – darunter ca. 1000 Handweber in weitem Umkreise um seinen Wohnort – und zahlte jährlich wenigstens 150,000 Gulden an Arbeitslöhnen. Das früher so unbedeutende und unbekannte Niederuzwil hatte durch die Geschäftshäuser, die Färberei, Spinnerei und Appretur der Firma Matthias Naef ein stattliches Aussehen und sein Name über die ganze Welt einen guten Klang gewonnen; denn wenn auch die Levante das Hauptabsatzgebiet der Naef’schen Buntwaaren blieb, so fanden sie doch auch ihren Weg nach den Märkten Westindiens und Brasiliens und sogar die Pforten Hinterindiens und Ostindiens begannen sich ihnen um die Mitte der vierziger Jahre schon zu öffnen. Doch eben damals begann N. zu kränkeln. Nach mehreren Schlaganfällen erlag er am 29. December 1846 den Vorboten der Wassersucht, noch nicht 55 Jahre alt. Den letzten Schlaganfall hatte er sich im vorhergehenden August bei einer anstrengenden Sitzung des Großen Raths in St. Gallen erholt; denn auch als Mitglied von Gemeinde- und Kantonsbehörden hat N. nach guter Schweizersitte seinem Lande gedient und ihm einen Theil seiner Kräfte gewidmet. Sein Privatleben blieb einfach und schlicht. Sein Werk hat ihn überdauert; noch heute steht unter seinem Namen das Haus, das er gegründet, in ungeschwächter Lebenskraft.

M. Hungerbühler, Der Toggenburger Fabrikant aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In den Verhandlungen der St. Gallisch-Appenzellischen gemeinnützigen Gesellschaft v. 3. Mai 1855.