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Artikel „Mommsen, Friedrich“ von Johann Saß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 462–464, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mommsen,_Friedrich&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 05:23 Uhr UTC)
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Mommsen: Friedrich M., Präsident des evangelisch-lutherischen Consistoriums und Curator der Christian Albrechts-Universität zu Kiel, wurde am 3. Januar 1818 als Sohn des Kaufmanns Fedder Mommsen in Flensburg geboren. Er besuchte bis Ostern 1836 das Gymnasium seiner Vaterstadt und widmete sich dann in Kiel, Berlin und München dem Studium der Rechtswissenschaft. Nachdem er im Frühjahr 1841 das Staatsexamen mit dem ersten Charakter bestanden hatte, trat er als Auscultant bei dem Schleswiger Obergericht ein, bei dem er am 29. Januar 1848 zum Rath ernannt wurde. Als solcher ordnete er sich nach der Erhebung der Herzogthümer im März 1848 der provisorischen Regierung unter, die ihn einige Tage vor ihrem Abtreten im October desselben Jahres zum interimistischen Chef des Justizdepartements berief. Gleichzeitig gehörte er der schleswig-holsteinischen Landesversammlung in Kiel an, in der er zuletzt die Stelle des Vicepräsidenten bekleidete. Allen revolutionären Bestrebungen gegenüber stellte sich M., der sich der conservativen Partei anschloß, durchaus auf den Boden des Rechts. Nach Beendigung des Krieges aber wurde er von der dänischen Regierung in dem Patent vom 10. Mai 1851 betreffend eine Amnestie „als ein solcher bezeichnet, welcher an einem Aufruhr theilgenommen oder doch einen solchen gefördert habe, und deshalb von der Amnestie gänzlich ausgeschlossen sein solle“. So verlor er sein Amt und wurde gezwungen, fern vom Vaterland neuen Lebenszielen entgegenzusteuern. Das Amnestiepatent veranlaßte ihn zu einem ausführlichen Protest, den er unter dem Titel „Erörterung über meine Theilnahme an den politischen Begebenheiten in den Jahren 1848 bis 1851“ Anfang Juli 1851 niederschrieb. Das interessante Manuscript befindet sich zur Zeit im Besitz des Herrn Amtsrichters Mommsen in Kiel, der es mir für die Zwecke dieser Skizze gütigst zur Verfügung stellte. Es schließt mit den charakteristischen Worten: „Doch, was der Einzelne zu tragen hat, tritt zurück, wenn man an die Leiden des Ganzen denkt, namentlich an die Leiden des Herzogthums Schleswig, welches jetzt unter dem schweren Drucke schrankenloser Willkürherrschaft seufzt. – Was dabei allein trösten kann, ist, daß Gott der Herr, der es zugelassen hat, daß so schwere Trübsale über unser Land hereingebrochen sind, auch die Macht hat, jeden Augenblick uns wieder aufzurichten, daß Er, der Allmächtige und Gerechte, die Geschicke der Völker und Staaten in Seiner Hand hält. Wenn wir uns demüthigen unter Seine gewaltige Hand, so wird Er uns schon erhöhen zu Seiner Zeit (1. Petri 5). Möge Er bald bessere Zeiten über mein jetzt so unglückliches Vaterland heraufführen!“

Mit solchen Gedanken schied M. von der alten Heimath. Er wandte sich nach Göttingen, um hier die akademische Laufbahn einzuschlagen, promovirte 1852 zum Dr. jur. und habilitirte sich im folgenden Jahre als Privatdocent in der juristischen Facultät. Bereits 1854 wurde er zum außerordentlichen und 1859 zum ordentlichen Professor ernannt. Mit durchdringender Schärfe des juristischen Denkens verband M. eine überaus gründliche und tiefe Gelehrsamkeit. Von seinen akademischen Vorlesungen wie von seinen Schriften gingen die fruchtbarsten Anregungen aus. Seine „Beiträge zum Obligationenrecht“ (Abth. 1–3, Braunschweig 1853–55) fanden allgemeine Anerkennung und gewannen sehr bald einen nachhaltigen Einfluß auf die Praxis. (Vgl. [463] Brinz: Kritische Ueberschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Bd. 5, 1857, S. 278–302.) Durch eine Fülle casuistischen Details sowie durch klare, präcise und sichere Beantwortung der aufgeworfenen Fragen zeichnen sich die „Erörterungen aus dem Obligationenrecht“ aus, von denen das erste Heft 1859, das zweite 1879 erschien. In diesem Rahmen sei noch die Schrift über „die Nichtigkeit des Londoner Vertrages vom 8. Mai 1852“ (Göttingen 1863) erwähnt. Mit seinem „Entwurf eines deutschen Reichsgesetzes über das Erbrecht nebst Motiven“ (Braunschweig 1876), der von der Juristischen Gesellschaft in Berlin mit dem Preise gekrönt wurde, hat M. einen werthvollen Beitrag zur Codifikation des Civilrechts geliefert. (Vgl. P. v. Roth, Jenaer Literaturzeitung, Jg. 3, 1876, S. 639–643.)

Als mit dem Jahre 1864 eine neue Zeit für Schleswig-Holstein anbrach, kehrte M. in die Heimath zurück. Zunächst war er als Rath an dem Schleswiger Appellationsgericht in Flensburg thätig, von wo er zum 1. September 1867 als Oberappellationsgerichtsrath nach Berlin berufen wurde. Einige Monate später, im Februar 1868, finden wir ihn jedoch schon wieder auf heimathlichem Boden und zwar als Präsidenten des neu errichteten evangelisch-lutherischen Consistoriums in Kiel. M. gelangte damit in eine Stellung, die der Eigenart seiner Geistes- und Seelenkräfte in ganz besonderem Maaße entsprach. Es fordert dies verantwortungsvolle Amt einen ganzen Mann, einen Juristen von hervorragender Tüchtigkeit, dem es aber auch nicht an theologischer Bildung fehlen darf und der von echter Religiosität beseelt allen kirchlichen Angelegenheiten wärmstes Interesse entgegenbringen muß. In M. vereinigten sich diese Vorzüge aufs glücklichste, und so hat er auf die Entwicklung der schleswig-holsteinischen Landeskirche den segensreichsten Einfluß geübt. Sehr bald nach seinem Amtsantritt fiel ihm die schwere Aufgabe zu, die Kirche seiner Heimath neu zu organisiren, sie „aus dem Zustande regimentlicher Gebundenheit in den ihrem Wesen entsprechenden freieren Zustand der heutigen Gemeindeverfassung überzuleiten“. Zielbewußt hat er die Aufgabe gelöst und mit fester Hand in bewegten Zeiten das Steuer gehalten. Die Kirchengemeinde-Ordnung, die im August 1869 erschien, war in erster Linie sein Werk und wurde nur unwesentlich verändert in die Kirchengemeinde- und Synodal-Ordnung vom November 1876 aufgenommen. Die genaueren Einzelheiten bietet Mommsen’s kleine Schrift „Vergleichung der für Schleswig-Holstein erlassenen Kirchengemeinde-Ordnungen vom 4. November 1876 und 16. August 1869“ (Kiel 1877). Im folgenden Jahre veröffentlichte er im Verein mit H. F. Chalybäus das Werk „Die Kirchengemeinde- und Synodalordnung für Schleswig-Holstein. Mit Commentar“, das für alle, die mit der kirchlichen Verwaltung zu thun haben, ein bewährter und unentbehrlicher Rathgeber geworden ist. Aus Mommsen’s Feder stammen außer der Einleitung die §§ 1–71, während Chalybäus die §§ 72–112 bearbeitete. M. war ein Mann des Friedens, und so ging auch auf kirchlichem Gebiet sein vornehmstes Streben dahin, den Frieden zu wahren und ihn wiederherzustellen, sobald er gestört war. Mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit suchte er bei drohendem Widerstreit der Parteien zu vermitteln und die bestehenden Gegensätze auszugleichen, und immer verfuhr er dabei mit feinem Tact und strenger Gerechtigkeit. Und noch für eins hat ihm die schleswig-holsteinische Kirche zu danken. Als es sich darum handelte, ein neues Gesangbuch für sie zu schaffen, widmete M., der sich von jeher mit besonderer Vorliebe in das Studium der Hymnologie vertieft hatte, diesem Werke seine lebhafteste Theilnahme. Den vorgelegten Entwurf unterzog er einer gründlichen und feinsinnigen Kritik, die bei der endgültigen Auswahl und Redaction der Lieder [464] eingehende Berücksichtigung fand. In Anerkennung seiner reichen Verdienste um die Landeskirche verlieh ihm die theologische Facultät zu Kiel am 25. October 1876 die Würde eines Dr. theol. honoris causa.

Ein neues Arbeitsfeld eröffnete sich M. im J. 1879 durch seine Ernennung zum Curator der Kieler Universität. Der hohe Aufschwung, den die Christiana Albertina in den elf Jahren seiner Amtsführung besonders in dem Ausbau ihrer Institute nahm, ist nicht zuletzt auf seine hingebende Thätigkeit und Fürsorge zurückzuführen. Seit 1884 gehörte M. auch dem Preußischen Staatsrath an. 1891 trat er in den Ruhestand. In jungen Jahren hatte er einst eine längere Reise durch Italien unternommen, die er stets zu den reichsten und glücklichsten Erinnerungen seines Lebens zählte. Nun trieb es ihn im hohen Alter die tiefen Eindrücke jener frohen Jugendtage noch einmal aufzufrischen, noch einmal zu genießen, was Italien Köstliches bietet. So reiste er mit den Seinen gen Süden ohne zu ahnen, daß er die Heimath nicht wiedersehen sollte. In Rom sank er aufs Krankenlager und hier ist er am 1. Februar 1892 sanft entschlafen. Am 11. Februar wurde er in Kiel in heimischer Erde zur letzten Ruhe bestattet. Ein lauteres und rechtschaffenes Leben voll edler und großer Wirkungen, voll Güte und Treue hatte damit seinen Abschluß gefunden.

Vgl. Alberti, Schriftstellerlexikon, 1829–1866, 2, S. 82; 1866–1882, 2, S. 63. – Chronik der Universität Kiel für das Jahr 1891/92, S. 4. – Kieler Zeitung, Abend-Ausg. v. 2., Morgen-Ausg. v. 3. Febr. 1892. – Schleswig-Holstein-Lauenburgisches Kirchen- u. Schulblatt, 1891, Nr. 14 ; 1892, Nr. 6; Beilage zu Nr. 8 (Nachruf am Sarge des Consistorial-Präsidenten Mommsen von W. Becker). – Aus dem Bilderschatz des Sonntagsboten. I. Lebensbilder. Herausg. von J. Claussen und E. Bruhn. Bordesholm 1902, S. 12/13 (Bildniß).