ADB:Müller, Wilhelm (Schauspieler)
[530] Bonin wohnte und am 20. April 1862 gestorben ist; sein Vermögen, etwa 10 000 Thaler, soll er milden Stiftungen hinterlassen haben. Ein Porträt Müller’s ist dem Taschenbuch „Des Bettlers Gabe“ 1844 beigegeben[WS 1].
Müller: Wilhelm M., Schauspieler und Schriftsteller, soll am 13./24. März 1780 in St. Petersburg als Sohn eines Bauraths v. Müller geboren sein; wo er erzogen ist, wo er seine Jugend verbracht hat, bleibt unbekannt. Aus seinen Schriften scheint hervorzugehen, daß M. seine Jugend in Rußland, meist in St. Petersburg verlebt hat. Mit schwärmerischer Liebe hängt er an Rußland; er soll immer russische Erde in einer kleinen silbernen Kapsel auf der Brust bei sich getragen haben. Nach einer anderen – aber nicht verbürgten – Nachricht ist M. in St. Petersburg als Sohn eines kaiserlich russischen Stallmeisters geboren; der Name Müller ist nur ein angenommener; der eigentliche Familienname ist unbekannt. Infolge eines Duells soll M. das elterliche Haus verlassen haben. In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts (19.) taucht M. als Schauspieler in Riga auf; sein Aufenthalt in Riga ist durch Personen, die sich Müller’s erinnerten, sicher begründet. In Riga verheirathete er sich mit einer Wittwe, die ihm einen Sohn mitbrachte; er hatte die Frau am Sarge ihres Mannes kennen gelernt. Nachdem er eine Zeitlang als Schauspieler in Reval gewirkt hatte, wandte er sich nach Deutschland und erwarb sich die Concession in Cöslin und Stettin spielen zu dürfen. In Colberg verließ ihn seine Frau; sie fand es für geeignet, mit einem Officier durchzugehen; ihren Sohn ließ sie zurück. M. heirathete zum zweiten Mal, eine seiner Schauspielerinnen, aber das Glück der Ehe war nur kurz; die Frau, sowie der dieser Ehe entstammte Sohn starben. M. verkaufte seine Theatereinrichtung, seine Bibliothek und zog nach Berlin. Hier lernte ihn J. Brunold (eigentlich Meyer, Pfarrer in Joachimsthal) kennen; Brunold ist der einzige, dem wir einige Mittheilungen über M. verdanken (Gartenlaube 1865, S. 589 Sancta Libertas; 1872, S. 397 ein litterarisches Geheimniß). In Berlin beschäftigte sich M. nur mit schriftstellerischen Arbeiten – einsam stand er da. Er siedelte nach Charlottenburg über, wo er bei einem FräuleinAls Schauspieler soll M. unbedeutend, höchstens in Spitzbubenrollen erträglich gewesen sein; bei seinen Fachgenossen hat er den Spitznamen „Totenkopf-Müller“ geführt.
Nachdem M. von der Schauspielkunst Abschied genommen hatte, widmete er sich mit großem Eifer der Schriftstellerei (1835–1850). Er war außerordentlich fleißig; er hat Romane, Novellen, Dramen, Volks- und Jugenderzählungen verfaßt. Viele seiner Romane und Erzählungen sind auffallend düster, aber alle sehr anziehend und spannend geschrieben; seine Jugenderzählungen (in G. Nieritz’ Volksbibliothek erschienen) erlebten mehrere Auflagen, der[WS 2] Stoff zu den meisten seiner Novellen und Romane ist der russischen Geschichte und dem russischen Volksleben entnommen; auch die baltische Geschichte war ihm nicht fremd geblieben. Daß M. der russischen Sprache mächtig war, unterliegt keinem Zweifel; seinen Werken sind vielfach russische Worte beigemischt. Er scheint aber auch russische Originale benutzt zu haben. Wissenschaftliche Werke hat M. nicht veröffentlicht; seine historischen Schriften sind einfach erzählend, ohne Quellenangabe verfaßt.
M. soll auch Dramen geschrieben haben und zwar unter dem Namen Adami, doch habe ich darüber nichts sicheres ermitteln können. Ich habe mich vergeblich bemüht, alle Schriften Müller’s zu sammeln; es ist nicht möglich gewesen. Viele in den Katalogen angegebene Werke sind vollständig verschwunden. Es kann hier nicht alles genau angeführt werden. Von seinen historischen Werken nenne ich: „Russen und Mongolen“, 4 Bde., 1830–1840, „Groß-Nowgorod, die Freistätte der russischen Slaven“ 1843, „Jermak und seine Genossen“ 1843, „Rußland und seine Völker“, I. (einziger) Theil 1844. Wenn wir von einigen besonders herausgegebenen Novellen und Romanen („Dämmerzustände“ 1837, „Die Verworfenen“ 1836) absehen, so findet sich die weitaus größere Menge der Arbeiten Müller’s in dem von ihm herausgegebenen Taschenbuch „Des Bettlers Gabe“, 14 Jahrgänge, 1835–1848. Es sei nur auf einige der hier abgedruckten Erzählungen hingewiesen. Im I. Jahrgang (1835) liefert M. in den „Schattenbildern“ Skizzen aus Livland und Petersburg; er läßt einen Deutschen, Waller, seine Lebensgeschichte erzählen, wie Waller von Pommern nach Rußland gelangt sei. Im II. Jahrgang (1836) führt er abermals einen – unschuldig verurtheilten – Deutschen ein, der Schauspieler geworden war, seine Geliebte durch einen Officier verlor u. s. w., alles erinnert vielfach an Müller’s eigenen Lebensschicksale.
M. hat außerdem noch für Zeitschriften vielfach Beiträge geliefert (z. B. für den Preußischen Volksfreund 1836–1847). Sicher ist es, daß er seit 1847 den früher von Puttkamer herausgegebenen „Preußischen Volksfreund“ übernahm und mehrere Jahre leitete. In diesen Bänden finden sich vielfach größere und kleinere Beiträge von M., die hier aufzuzählen unmöglich ist.