ADB:Kleuker, Johann Friedrich
Herder’s Bekanntschaft machte. Durch dessen Verwendung kam er 1775 als Prorector nach Lemgo. In Lemgo veröffentlichte er seine Uebersetzung des Zendavesta nach Anquetil du Perron in drei Bänden (Riga 1776–77) – ein Werk, das wol am meisten Theil daran hatte, seinen Namen auf spätere Zeiten zu bringen. 1778 ward er Rector in Osnabrück, wo er Justus Möser kennen lernte. Hier gab er 1781–83 den Anhang zum Zendavesta in zwei Bänden heraus, worin namentlich alle Berichte der griechisch-römischen Schriftsteller über den Glauben der alten Perser sich zusammengestellt finden, übrigens auch in der Echtheitsfrage gegenüber dem Enthusiasmus Anquetil’s sehr besonnene Ansichten entwickelt werden. 1784 vermählte er sich mit einer Nichte Justus Mösers, Klara Auguste v. Lengerke, die er bereits früher von Lemgo aus in Rinteln kennen gelernt hatte. In demselben Jahre erschien nach den bis dahin bekannt gewordenen Schriften des französischen Theosophen Louis Claude de St. Martin (Des erreurs et de la verité, und Tableau naturel). Sein „Magikon oder das geheime System einer Gesellschaft unbekannter Philosophen. Von einem Unbekannten des Quadratscheins, der weder Zeichendeuter, noch Epopt ist“ – eine apologetische und erklärende Reproduction mit Parallelen religiöser Speculation des Alterthums, ziemlich unkritisch, doch von Mysteriophilen, wie Franz Baader, hoch geschätzt. 1785 folgte die Schrift „Johannes, Petrus und Paulus als Theologen“, bemerkenswerth, weil sie von der Annahme ausging, daß jeder dieser drei Apostel gemäß seiner Individualität und den Zeitumständen Jesus verschieden aufgefaßt habe, daß demnach Jedem ein besonderer „Lehrbegriff“ zuzuschreiben sei. Ueberhaupt zeigt er sich, wie hier, überall bei entschiedener positiver Gläubigkeit doch durchaus verständig und liberal. Er ist kein Freund des kirchlichen Inspirationsbegriffs, den er auch hier ganz bei Seite setzt; er gibt nicht zu, daß die Bibel in allen Theilen gleich heilig und infallibel sei, und will vieles Subjective und Relative in ihr finden; er identificirt seinen Glauben nicht mit den kirchlichen (lutherischen) Bekenntnißschriften, lieber geht er auf die einfache und die Individualität weniger bindende Fassung des Symbolum Apostolicum zurück. Im besonderen ist er kein Freund des theologischen Dogmas von der Erbsünde. Dieses, sagt er, wie ebenfalls die kirchlichen Lehren von der Dreieinigkeit und Erlösung, hätten allerdings einen gewissen biblischen Grund, in ihrer wirklichen Form aber hätten sie blos einen conventionellen Werth, der sich zu demjenigen, wonach und woraus sie gebildet wurden, kaum verhält, wie der geltende Werth mancher geprägten Münze zu ihrem wahren Gehalt. Im Begriff der Offenbarung wiegt ihm die durch diese bedingte innere Steigerung, Potenzirung des menschlichen Bewußtseins entschieden vor; gegen das Wahre und Gute in heidnischen Religionen und religiösen Spekulationen ist er nicht blind; er verbindet es mit seinem [180] Christenglauben durch die Hypothese einer Uroffenbarung. Für die Anbahnung einer vergleichenden Religionsforschung darf ihm einiges Verdienst zugeschrieben werden. K. war ein außerordentlich fleißiger, fruchtbarer Schriftsteller. 1787–94 erschien von ihm ferner in drei Bänden: „Neue Prüfung und Erklärung der vorzüglichsten Beweise für die Wahrheit des Christenthums. Dasselbe Thema führte er in breiterer und wissenschaftlicher Form aus in den „Ausführlichen Untersuchungen der Gründe für die Aechtheit und Glaubwürdigkeit der schriftlichen Urkunden des Christenthums“, 1793–99. Inzwischen war noch 1789 erschienen „Zendavesta im Kleinen“, ein mit einigen Abhandlungen vermehrter Auszug aus dem größeren Werk. Nicht ohne Einfluß auf die große Thätigkeit dieser Jahre mochte die in ihm erwachte Sehnsucht nach einer Professur sein. Er hatte seine Blicke deswegen nach Göttingen gerichtet. Aber hier war man ihm seines Theosophirens halber nicht gewogen. Einen Ruf nach Marburg lehnte er ab. Endlich gelang es ihm in Folge der Thätigkeit seiner Freunde, F. H. Jacobi und F. v. Stolberg, sowie durch die besondere Verwendung des Universitätscurators Graf von Reventlow, in Kiel eine theologische Professur zu erhalten. Er traf hier schwierige Verhältnisse. Die rationalistische und die orthodoxe Partei standen sich hier schroff gegenüber und das ganze Land vertheilte sich in ihre Lager. Thieß, der seit 1791 in Kiel Theologie docirte, hatte durch sein Buch „Jesus und die Vernunft“ (1794), dem Callisen mit einer „Warnung und Aufforderung an die holsteinische Geistlichkeit über den Werth der Aufklärung“ antwortete, das Signal zum Kampfe gegeben. K., der außer oder über den Parteien von jeher eine auf unabhängige Ueberzeugung und universellen Blick gegründete selbständige Stellung eingenommen, durfte, wo alle nur in Extremen ausschweiften, wenig Verständniß und Anerkennung erwarten. In der That waren seine Vorlesungen anfangs schlecht besucht. Er veröffentlichte 1800–1801 die „Theologische Encyklopädie“, deren Versuch einer neuen Construction der Theologie doch als verfehlt bezeichnet werden muß; 1815 schrieb er gegen die Funk’sche Bibelübersetzung, 1817 sandte er (zuerst in den Kieler Blättern, 1823 auch als selbständige Schrift gedruckt) in Anlaß der 300jähr. Jubelfeier der Reformation gegen Krug in Leipzig die Schrift „Ueber den alten und neuen Protestantismus“ aus. Seine „Biblischen Sympathien oder Bemerkungen und Betrachtungen über die Berichte von Jesu Leben und Thaten“, 1820, brachten es nicht über den ersten Band hinaus. Seine geistige Regsamkeit erhielt sich bis zu den letzten Augenblicken seines Lebens. Ein edler, einfacher Charakter, voll kindlicher Lust an der Natur und Achtsamkeit auf ihre Kleinigkeiten, streng und unverrückbar treu in seinen Ueberzeugungen, freimüthig sie auszusprechen, von ernsthafter Wahrheitsliebe beseelt und fremd den Intriguen der Partei, war er anfangs in seinem Wirkungskreis viel verschrien, aber nöthigte schließlich auch Andersdenkenden Hochachtung ab.
Kleuker: Johann Friedrich K. ward geboren am 29. Octbr. 1749 zu Osterode im Harz und starb in Kiel am 31. Mai 1827. Bereits als er neun Jahre alt war, verlor er seinen Vater, der Camelottweber und Vorsteher des Weberamtes war; im 19. Jahre auch die Mutter, die bisher unter vielen Schwierigkeiten das Geschäft ihres verstorbenen Gatten fortgesetzt hatte. Die Hinterlassenschaft war äußerst geringfügig, und K. sah sich daher, als er 1770 die Universität Göttingen bezogen hatte, genöthigt, seinen Unterhalt aus Freitischen und aus Stundengeben zu ziehen. Er studirte neben Philologie besonders Theologie und Philosophie. Von der Universität ging er 1773 als Hauslehrer nach Bückeburg, wo er- H. Ratjen, Joh. Friedr. Kleuker und Briefe an seine Freunde, Göttingen 1842. Carstens, Gesch. der theol. Fakultät zu Kiel (1875,), S. 58 bis 66. Klippel in Herzog’s Realencykl.