ADB:Jörg, Johann Christian Gottfried

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Jörg, Johann Christian Gottfried“ von Karl von Hecker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 14 (1881), S. 527–528, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:J%C3%B6rg,_Johann_Christian_Gottfried&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 16:32 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 14 (1881), S. 527–528 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Christian Jörg in der Wikipedia
Johann Christian Jörg in Wikidata
GND-Nummer 117148814
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|14|527|528|Jörg, Johann Christian Gottfried|Karl von Hecker|ADB:Jörg, Johann Christian Gottfried}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117148814}}    

Jörg: Joh. Christ. Gottfried J., Professor der Geburtshülfe in Leipzig, geb. den 24. Decbr. 1779 zu Predel bei Zeitz, † in Leipzig am 20. Septbr. 1856. Nachdem J. von 1792 bis 1800 das Stiftsgymnasium zu Zeitz besucht hatte, bezog er die Universität Leipzig, um Naturwissenschaften zu studiren, und nur ein eigenthümlicher Zufall führte ihn der praktischen Medicin zu: im 22. Jahre seines Lebens hielt er nämlich am 10. November 1801 zu Ehren des plötzlich verstorbenen Professors der Anatomie, Dr. Haase eine Grabrede, welche einen solchen Eindruck auf den vielbeschäftigten Stadtgeburtsarzt Dr. Menz machte, daß er ihn zu seinem Assistenten erwählte, wodurch er Gelegenheit fand, durch mehrere Jahre hindurch sehr viele geburtshülfliche Operationen auszuführen. Auf diese Weise war er vor seinen Commilitonen sehr bevorzugt, aber da er bisher keine einzige normal verlaufende Geburt gesehen hatte, indem die Gelegenheit fehlte, die physiologischen Vorgänge hierbei zu studiren, so war er nicht befriedigt, sondern wurde durch das Studium der Schriften des berühmten Lucas Johann Boër veranlaßt, nach Wien zu reisen, um an Ort und Stelle dessen dem Operiren sehr abholde Behandlungsweise kennen zu lernen. Mit diesen Eindrücken kehrte er nach Leipzig zurück, erwarb am 23. Decbr. 1804 die philosophische Doctorwürde, habilitirte sich am 9. Febr. 1805 als Magister legens, und disputirte am 23. August als Doctor der Medicin und Chirurgie. Von nun an wirkte er durch Wort und Schrift für Erhebung der Geburtshülfe zur eigentlichen Wissenschaft, wovon seine Lehrbücher der Physiologie, der Geburtshülfe, der Weiber- und Kinderkrankheiten, sein Hebammenlehrbuch, so wie seine Schriften zur Beförderung der Kenntniß des Weibes Zeugniß ablegen. Als nun gemäß einer Stiftung der am 1. Mai 1806 verstorbenen Frau Appellationsräthin Trier die Errichtung einer Hebammenschule und Entbindungsanstalt zum Unterricht für Studirende der Medicin ins Leben treten sollte, wurde J., der deshalb einen ehrenvollen Ruf nach Königsberg ablehnte, unter Ernennung zum ordentlichen Professor für Geburtshülfe, sowie zum Director und Obergeburtshelfer an dieser Anstalt, mit der ersten Organisation derselben beauftragt (1810). Sie nahm unter seiner Leitung einen rapiden Aufschwung und verdankt seinen fortgesetzten Bemühungen 1826 ihre Uebersiedelung aus ihrem ursprünglichen Local in dem vormals Trierischen Grundstücke, bis zum J. 1880 botanischen Garten in das in der Dresdener Straße gelegene Haus, welches 1853 mit Hülfe eines beträchtlich angewachsenen Stammcapitals und durch die Munificenz der Staatsregierung und der Stände bedeutend erweitert wurde. Neben seinen vielen Amtsgeschäften war J. fortwährend nicht nur als consultirter Arzt, sondern auch schriftstellerisch thätig, und fungirte nach der Schlacht bei Leipzig als Dirigent eines großen Militärspitals auf dem zur Stadt gehörigen Vorwerke Pfaffendorf. Seinem Wahlspruch „Naturae“ getreu, verfocht er die Rechte derselben und die naturgemäße Behandlung der Geburt gegen Jedermann, wie unter Andern gegen Osiander den Vater zu Göttingen. Neben den oben genannten schrieb er eine specielle Therapie für Aerzte am Geburtsbette, über [528] die Zurechnungsfähigkeit der Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen, ein Taschenbuch für gerichtliche Aerzte und Geburtshelfer bei den gesetzmäßigen Untersuchungen des Weibes, sowie zahlreiche andere Schriften, u. A. Materialien zu einer künftigen Materia medica, worin er die Homöopathie bekämpfte, endlich in Gemeinschaft mit dem berühmten Domherrn Dr. Tzschirner eine populäre Schrift über die Ehe. So wirkte J. bis an sein Greisenalter und verrichtete bis zuletzt noch die schwersten Operationen. Die zunehmende Altersschwäche, gegen die er mehrmals die Seebäder von Helgoland und Norderney, sowie 1855 das Bad Elster mit Erfolg gebraucht hatte, namentlich aber eine bedeutende Abnahme des Gesichts und Gehörs bewirkte seinen Rücktritt vom Amte, der in den ersten Tagen des October 1856 bevorstand, als er noch mitten in seiner Berufsthätigkeit starb. J. war ein Mann nach altem Schrot und Korn, unbeugsam im Festhalten dessen, was er für recht und wahr erkannt hatte. Eine bedeutende Schärfe des Geistes verband er mit einer bis zur Schroffheit gehenden Festigkeit des Charakters. An der Einfachheit der Natur wollte er immer und immer festhalten, und wehe den auf Künsteleien ausgehenden Neuerungssüchtigen, die er in unablässigem harten Kampfe durch Schrift und Rede verfolgte (Kirsten).

Emil Apollo Meißner, Nekrolog vom 20. October 1856. Monatsschrift für Geburtskunde, Bd. XI, S. 439. Kirsten, Gedächtnißrede auf Joerg in Mittheilungen der Gesellschaft für Geburtshülfe in Leipzig aus dem Jahre 1879, S. 34.