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Artikel „Fritsche, Paul“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 154–156, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Fritsche,_Paul&oldid=- (Version vom 27. November 2024, 18:52 Uhr UTC)
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Fritsche: Paul F., Lyriker, der sich als Dichter öfters der Pseudonyme „Gustav Adolf“ und „Paul v. d. Redo“ bediente, wurde am 15. December 1863 als Sohn eines Tischlermeisters zu Frankfurt a. d. Oder geboren. Nach dem Besuche einer höheren Lehranstalt daselbst widmete er sich seit 1881 auf der Berliner Akademie der Künste der Bildhauerei. Der anfängliche Eifer dafür erlahmte jedoch bald und eine längst keimende Begeisterung für die Poesie trat an dessen Stelle. So kam es, daß F. nach der in kleinerem Kreise freundlichen Aufnahme einiger dichterischer Versuche sich angelegentlich mit Litteratur und Geschichte beschäftigte, um recht bald selbst als Dichter auf den Plan treten zu können. Dieser Entschluß verscherzte ihm die pecuniäre Unterstützung seitens des Vaters, und F. mußte sich daraufhin mit der ganzen Misère herumschlagen, die des debutirenden jungen Litteraten, so lange er namenlos und ohne Protection ist, warten. Seit dem Jahre 1883 führte der jugendliche Zwangspublicist die Redaction der akademischen „Kyffhäuser-Zeitung“, seit 1885 diejenige der verunglückten „Berliner Gartenlaube“. Da machte er 1886 in verzweifelnder Enttäuschung einen Selbstmordversuch, der zwar mißlang, aber dem langsam Aufkommenden auf die Dauer nachhing. Er wagte es schon im Herbste desselben Jahres die anforderungsvollere Leitung der „Frankfurter Oder-Zeitung“ in der Geburtsstadt zu übernehmen; jedoch meldeten sich bald alle Anzeichen einer schweren Lungenkrankheit. In Görbersdorf im Riesengebirge suchte F. ein Jahr lang vergebens die gewünschte Genesung. So kehrte er heim und starb da, noch nicht 25jährig, am 25. September 1888.

Paul Fritsche’s kurzabgerissenes Dasein, die aufreibenden Existenzfragen infolge des kecken Berufswechsels, sein früher, elegischer Tod, – all diese Bitternisse des Lebens erwartet man in den Versen dieses echten Gefühlsdichters anklingen zu hören, der mit dem Herzblut die Fülle voller Töne ausströmen ließ, wie sie uns in seinen lyrischen Offenbarungen entgegentreten. Denn diese allein spiegeln uns das feine Gemüth und die Herzensdrangsal des Frühverblichenen wieder. So finden wir den sinnigen und begabten Poeten in den beiden Sammlungen „Mein Herzensstestament. Liedercyklus“ (1887) und „Bilderbuch eines Schwermüthigen. Anhang: Fliegende Blätter“ (1888). Obwohl diese Titel auf einen weichlichen, weinerlichen Pessimismus zu weisen [155] scheinen, tritt ein solcher zunächst völlig in den Hintergrund, wennschon dem formschönen „Prolog“ der jüngern Sammlung zufolge der Dichter als „treuer Sohn der Mark“ der Schwermuth der brandenburgischen Heimath sich anpaßt. Immerhin bemühte sich F. sichtlich, bei Auswahl der für die Oeffentlichkeit bestimmten Erzeugnisse das lichte, sonnige Colorit zu bevorzugen. Der Liedercyklus „Mein Herzenstestament“, 1886 mit der Jahresziffer erschienen, enthält eine Menge tief empfundener ungezierter Gedichte, die durch stoffliche Mannichfaltigkeit sowie Geschick in der Form erfreuen. Dem kundigen Kritiker E. Ziel imponirt darin der „echte lyrische Lakonismus“. Während sie ergreifend ernste Töne anschlagen, wo durch die Untreue des Mädchens das vielseitig besungene Liebesglück in Unglück umschlägt, spricht der Anhang „Jungfrauenliebe“ aus einer Mädchenseele heraus, ungekünstelt von weiblicher Liebe, Lust und Weh, bisweilen an Chamisso’s berühmte Serie „Frauen-Lieb’ und -Leben“ erinnernd. „Lyrische Studienblätter“ waren als nächste Sammlung angekündigt – es folgte aber nach etwa zwei Jahren wie ein Niederschlag jener körperlich wie geistig unseligen Periode das „Bilderbuch eines Schwermüthigen. Anhang: Fliegende Blätter“. Wie F. selbst für 1886 einen übrigens nie gedruckten Band „Episch-lyrische Gesänge“ angab, so liegt die Stärke de „Bilderbuchs“ im Episch-lyrischen, was „Die Brücke von Essegg“ und „Der Fremdenlegionär“, letzteres eine Perle, trefflich belegen. Bei den Balladen und Romanzen verräth der ehemalige Jünger der bildenden Kunst eine bedeutende Kraft coloristischer Schilderung in Freiligrath’scher Art; diese Gemälde sind bald nach weiterem, bald nach engerem Rahmen angelegt, immer aber mit Stimmung erfüllt. Hier greift der junge Poet auch in den eigenen Busen, um, wie in „Mansardentragödie“ oder „Anch’ io son’ pittore“, das Elend seines mühsamen Aufstiegs abzuspiegeln, über das sich Karl Bleibtreu nicht, als sei es affectirt, hätte lustig zu machen brauchen. Sehr glücklich übernimmt F., hierbei vielleicht, wie im landschaftlichen Stimmungsbilde („Sommertag“, „Winternacht“), Burns nachahmend, wiederholt volksmäßige Klänge und Motive, wie in „Der Unglücks-Kuckuk“ oder in den tiefgefühlten beiden Gedichten „Zur Weihnachtszeit“; einzelne Male, wie in „Heiderosen“ und „Lied einer Spinnerin“, verliert er sich in zu breite Zerdehnung abgebrauchter Volksthümlichkeit. Dazu kommen wohlgelungene sangbare Lieder, wenn sich auch die Trink- und Reiterlieder großentheils bekannten Mustern anlehnen. Der düstere Abschnitt „Totengräbers Leiden“ hält zwischen Lied und Spruch originell die Mitte, während eine Rubrik spruchartig zugespitzter Sentenzen mit meist schlagender Pointe selbständig auftritt, um politisch liberal-demokratische, bisweilen etwas radical angehauchte – man sehe namentlich das sachlich unreife, wenn auch edel gemeinte Gedicht „Der Kaiser fuhr durch die Straßen Berlins“ – Ansichten ohne Doctrinarismus vorzutragen. Neben solchen Tendenzepigrammen steht ein „Lied der Enterbten“, wo Fritsche’s öftere gesuchte Reimbindung zu bewußtem Effect erfolgreich dient.

Hatten körperliche Leiden und Todesahnen wie Todessehnsucht Fritsche’ts Poesie auch mannigfach befruchtet, so gelangte er doch nicht mehr zum Aufraffen, wie ers für ein Gedichtbuch „Es werde Licht“, schon für 1886 angekündigt, gewiß geplant gehabt. Diesen Titel, die genannten „Episch-lyrischen Gesänge“, sowie eine im Buchhandel nicht registrirte 2. Auflage von „Mein Herzenstestament“ führt die letzte, auch von F. selbst revidirte Verzeichnung des Dichters in Kürschner’s „Dtsch. Litteratur-Kalender“ X (1888) Sp. 109c an. Daselbst steht an der Spitze, und zwar schon für 1885, „D. modern. Lyriker-Revolution“, eine Abhandlung, die ihrer Zeit Aufsehen erregte und demnach mit Recht bei Fr. Kirchner, „Gründeutschland. Ein Streifzug durch [156] die jüngste deutsche Dichtung“ (1893), S. 239 Anm., für die sog. jüngstdeutsche Litteraturgeneration (F. rechnet dieser übrigens bloß sehr bedingt zu) unter „verschiedenen Schriften aus ihrem eigenen Lager“ erwähnt ist (mit Erscheinungsjahr 1889); Anton Schmid, D. dtsch. Litteratur in der Klemme (1890; vorher 1889 im „Litt. Merkur“) S. 10 (S. 28 rechnet er F.’s oben charakterisirte zwei Werke den nennenswerthesten jungrealistischen zu) u. Hnr. Hart in seiner Feuilleton-Reihe in d. Ztg. „Der Tag“ über „Die deutsche Litteraturbewegung 1880–1900“ Ende Sommer 1903, zählen F.s „M. L.-R.“ zu den wichtigsten Kampfschriften neben Bleibtreu’s „Revolution der Litt.“. – Lebensskizze Fritsche’s bei Brümmer, Lex. d. dtsch. Dicht. d. 19. Jhrhs5, I, 397; von kritischen Stimmen beachtlich die – oben mehrfach herangezogenen – Referate Ernst Ziel’s i. Blätt. f. lit. Unterhltg. 1887 Nr. 43, S. 679 f. und 1889 Nr. 11, S. 162 f., sowie K(arl) B(leibtreu) i. „D. Gesellschaft“, 42 (1888), S. 847 f.