Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Drumann, Wilhelm Karl August“ von Karl Lohmeyer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 5 (1877), S. 436–439, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Drumann,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 30. Dezember 2024, 16:10 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Druida, Michael
Nächster>>>
Drusius, Johann
Band 5 (1877), S. 436–439 (Quelle).
Wilhelm Drumann bei Wikisource
Wilhelm Drumann in der Wikipedia
Wilhelm Drumann in Wikidata
GND-Nummer 100113842
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|5|436|439|Drumann, Wilhelm Karl August|Karl Lohmeyer|ADB:Drumann, Wilhelm}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=100113842}}    

Drumann: Wilhelm Karl August D., berühmter Geschichtsforscher und Universitätslehrer, geb. 11. Juni 1786 zu Dannstedt im Fürstenthum Halberstadt, gest. zu Königsberg in Pr. 29. Juli 1861. Drumann’s Vater, ein Geistlicher, dessen dritter Sohn er war, muß ein wissenschaftlich sehr gebildeter Mann gewesen sein, denn er konnte selbst und ohne Beihülfe den Sohn nicht blos so weit fördern, daß derselbe beim Eintritt in eine öffentliche höhere Lehranstalt der ersten Classe zugewiesen werden konnte, sondern der Sohn erkannte es später selbst an, daß er wesentlich durch den väterlichen Unterricht den Weg gefunden habe, um sich wissenschaftlichen Studien mit Erfolg hingeben zu können. Nachdem er dann drittehalb Jahre die Prima der Domschule zu Halberstadt besucht und im August 1804 das Zeugniß der Reife erhalten hatte, bezog er zu Ostern 1805 die Universität Halle, um Theologie und philosophische Wissenschaften zu studiren.

Im Herbst 1806 durch den unglücklichen Krieg genöthigt, zeitweilig die Universität zu verlassen und in der Heimath eine Zuflucht zu suchen, setzte er den Winter hindurch, soweit das Unglück des Vaterlandes ihn zur Sammlung kommen ließ, seine Studien im väterlichen Hause fort. Zum ersten Abschluß gelangten dieselben im Frühjahr 1807, nachdem er noch ein Jahr lang in Helmstedt Vorlesungen gehört hatte. Schon während seiner Universitätszeit scheint D. die Theologie ganz hintangesetzt und sich vorzugsweise der Geschichte, zumal der alten, hingegeben zu haben, denn gleich nach dem Abgange von Helmstedt wurde er in das Lehrercollegium der halberstädtischen Domschule aufgenommen. Jedoch sah er sich sehr bald, wol durch die Kärglichkeit seiner Mittel, veranlaßt in eine Hauslehrerstelle auf dem Lande einzutreten. Da er auch hier die Beschäftigung mit den historischen Schriftstellern der Griechen und Römer nicht aufgab, so konnte er sich im April 1810 bei der philosophischen Facultät zu Helmstedt durch eine Abhandlung „De ratione ac disciplina Romanorum literas artesque tractandi“ die Doctorwürde erwerben. Jetzt erst in der Lage ein öffentliches Lehramt annehmen zu können, erhielt er eine Stelle am Pädagogium der Franke’schen Stiftungen zu Halle, die er sieben Jahre lang innehatte. Doch genügte ihm diese Thätigkeit bald nicht mehr, sein Ziel wurde ein immer höheres, und im Juni 1812 habilitirte er sich als Privatdocent an der dortigen Universität. Am 8. Mai 1817 wurde er zum außerordentlichen Professor in der philosophischen Facultät der Universität zu Königsberg ernannt, doch langte er, da er nicht sogleich aus seiner Lehrerstelle scheiden konnte, erst im October, zusammen mit dem gleichzeitig als Professor der historischen Hülfswissenschaften und als Director des geheimen Archivs berufenen Johannes Voigt, der auch schon in Halle sowol [437] beim Pädagogium, als auch bei der Universität sein Amtsgenosse gewesen war, an dem Orte an, der nun seine zweite Heimath wurde und für immer blieb. Schon nach vierjähriger Thätigkeit, am 18. Octbr. 1821, wurden beide, D. und Voigt, wieder gleichzeitig zu ordentlichen Professoren befördert, jener besonders für das Fach der alten, dieser für das der mittleren und neueren Geschichte und der betreffenden Hülfswissenschaften. Ein Jahr vorher hatte D. als Nebenamt die Stelle des dritten Bibliothekars an der königlichen und Universitätsbibliothek erhalten. In den Kreis seiner akademischen Vorlesungen, die D., da er längere Zeit auch Mitglied der wissenschaftlichen Prüfungscommission für Lehrer höherer Schulen war, vorzugsweise nach den Erfordernissen des Examens einrichten zu müssen glaubte, zog er neben den verschiedenen Theilen der alten Geschichte und ihren Hülswissenschaften auch allgemeine Culturgeschichte sowie neuere und neueste Geschichte hinein. Rastlos thätig und ohne Rücksicht auf die Schonung seines schwächlichen Körpers, ganz erfüllt von der Lust an seinem Lebensberuf, durch welche er in den letzten Jahren auf dem Katheder oft die schmerzhaftesten Leiden, die ein organisches Herzübel ihm verursachte, zu überwinden sich bemühte, lag D. fast volle vierzig Jahre seiner akademischen Lehrtätigkeit ohne jede Unterbrechung ob. Erst als das körperliche Leiden gar zu schwer wurde, und als auch häusliches Ungemach den siebzigjährigen Greis niederdrückte, trug er im Frühjahr 1856 selbst auf Versetzung in den Ruhestand an. Bei der Entbindung von seinen Amtspflichten wurde ihm der Titel eines geheimen Regierungsraths verliehen. Die letzten fünf Jahre seines Lebens verbrachte D., lediglich seinen Studien hingegeben, in völliger Abgeschlossenheit von der Außenwelt, auf den gelegentlichen Umgang mit denen sich beschränkend, die ihn in seiner Wohnung aufsuchten.

Die Reihe der größeren wissenschaftlichen Arbeiten Drumann’s ist folgende: „Ideen zur Geschichte des Verfalls der griechischen Staaten“ (766 S.), Berlin 1815; „Schedae historicae quibus de rebus Ptolemaeorum agitur“ (56 S.), Königsberg 1821 (Habilitationsschrift für die außerordentliche Professur); „Historisch-antiquarische Untersuchungen über Aegypten oder die Inschrift von Rosette aus dem Griechischen übersetzt und erläutert“ (271 S.), ebenda 1823 (ein kleiner Theil daraus, 34 S., erschien 1822 lateinisch für die ordentliche Professur); „Geschichte Roms in seinem Uebergange von der republicanischen zur monarchischen Verfassung, oder Pompejus, Cäsar, Cicero und ihre Zeitgenossen. Nach Geschlechtern und mit genealogischen Tabellen“, 6 Theile, 1834–1844; „Grundriß der Culturgeschichte. Für seine Zuhörer“ (210 S.), 1847; „Geschichte Bonifacius des Achten“, 2 Theile (252 und 270 S.), 1852; „Die Arbeiter und Communisten in Griechenland und Rom. Nach den Quellen“ (346 S.), 1860. – Diese Schriftenreihe vergegenwärtigt am besten den Gang derjenigen Studien, denen sich D. neben seiner amtlichen Thätigkeit hingab. Die „Ideen“, die doch in mancher Hinsicht das Gepräge einer Jugendarbeit an sich tragen, kann man sehr wohl auffassen einerseits als eine erste Abrechnung des jungen Gelehrten mit sich selbst, als die Begründung und Rechtfertigung der Auffassung, welche er selbst der alten Welt und ihrer Geschichte glaubte entgegenbringen zu müssen, andererseits für den Leser als eine Einführung in das Studium derselben; ganz auf dem Thatsächlichen beruhend, nimmt die Schrift sich aus wie eine Nachahmung jener großen Werke eines Gibbon u. A., deren Einwirkung damals ja noch unendlich fühlbarer war als heutzutage. Solange D. auch weiterhin sich der alten Geschichte widmete, scheint es immer vorzugsweise der Verfall mächtiger Staatengebilde gewesen zu sein, was ihn reizte und anzog. Zuerst beschäftigte er sich eine Reihe von Jahren mit besonderer Liebe mit der Geschichte der Ptolemäer, und als die bedeutendste Frucht dieser Studien ist die Arbeit über den Stein [438] von Rosette zu betrachten, an welcher Aegyptologen richtige Auffassung im Ganzen und scharfsinnige Erklärung im Einzelnen zu rühmen wissen. Ohne Frage das Hauptwerk Drumann’s, dasjenige, welches seine hohe Bedeutung unter den Alterthumsforschern für alle Zeit festgestellt hat, und man kann zugleich sagen: dasjenige, welches, wo Drumann’s Name genannt wird, immer allein vorschwebt, ist seine Geschichte des Ausgangs der römischen Republik. Volle zwanzig Jahre hat er an die Ausarbeitung desselben gesetzt. Es ist hier nicht der Ort, über den großen Mangel der eigenthümlichen Anordnung des Stoffes sich auszulassen, es genügt darauf hinzuweisen, daß sie D. nicht blos beim Erscheinen des ersten Bandes, sondern auch späterhin gegen alle Angriffe zu rechtfertigen sich bemüht hat. Der zweite, noch weit größere Anstoß, den gleich der erste Band auf allen Seiten erregte, wurde verursacht durch die fast neue, hier wenigstens zum ersten Male mit voller Consequenz hervortretende Auffassung. D. war von Grund seines Herzens aus ein conservativer Monarchist, woraus ihm in den späteren, politisch bewegten Jahren mancher Streit mit seinem Freunde Lobek erwuchs, er war – mit diesem Geständniß schließt er die Vorrede des ersten Bandes – ein treuer Unterthan seines Königs: Antonius, der sei es nun bewußt oder unbewußt nach der Monarchie hinstrebte, selbst ein Clodius fanden nur zu leicht Gnade und Rechtfertigung für ihre Handlungen, während Cicero der schärfsten Kritik unterworfen wurde und eine entschiedene Verurtheilung erfuhr. Natürlich, daß ein solcher Angriff (und er war der erste, der mit vollster Wucht geführt wurde) gegen einen Mann, den man gewohnt war aus dem ganzen Alterthum im hellsten Lichte strahlen zu sehen, auf allen Seiten lauten Widerspruch hervorrief. Daß dieser so einmüthig erfolgte, daß man an einzelnen Stellen auch ganz und gar kein Verständniß für die neue Auffassung haben, an der hergebrachten ohne Einschränkung festhalten zu wollen schien, riß D., der trotz der eigenthümlichen Weichheit, ja Schüchternheit seines Wesens leicht reizbar war, in einem einzelnen Falle zu einer Erwiderung hin, deren Ton und Haltung den Verehrer des trefflichen Mannes wol betrüben muß. Das umfassende Werk ist doch nicht blos, wie man so häufig hört, eine möglichst vollständige Materialiensammlung – kaum eine Stelle eines alten Schriftstellers dürfte sich finden lassen, die nicht an ihrem richtigen Platze angezogen wäre – sondern wo nur für die einzelnen Personen ausreichender Stoff gegeben war, hat der Verfasser ein wohl abgerundetes Bild geliefert, oft in kleinlichster Detailmalerei. – Nach dem Abschluß seiner „Römischen Geschichte“ trat bei D. eine Aenderung in der Richtung seiner Thätigkeit ein, indem er sich für längere Zeit vom Alterthum entfernte. Das Buch über Bonifacius VIII. ist wesentlich durch Vorlesungen über mittlere und neuere Geschichte, die ja längst neben den antiquarischen herliefen, hervorgerufen. In diesen zog ihn ganz besonders die große Frage über das Verhältniß zwischen Staat und Kirche an, die nie aufgehört hat die christliche Welt zu beschäftigen, und in deren historischer Entwicklung gerade jener große Papst einen Angelpunkt bildet. So tief war D. auch in diesen Gegenstand eingedrungen, daß manche seiner Worte, zumal heute betrachtet, wie prophetische Warnungen ertönen; in der auf die Thatsachen gerichteten Einzelforschung zeigt er nicht weniger Genauigkeit und Scharfsinn wie in den früheren Werken. Aber dennoch ist die Biographie bei ihrem Erscheinen wenig beachtet worden und scheint heute beinahe vergessen. Und nicht besser ist es dem letzten Werke, mit welchem D., sich wieder zum Alterthum zurückwendend, unmittelbar vor seinem Tode hervortrat, ergangen, obwol die Kritik, welche es inhaltlich für eine sorgfältige und vollständige Sammlung von lauter Einzelnheiten erklärte, nicht verkennen konnte, daß „die Auffassung der antiken Verhältnisse durch den Verfasser fast durchgängig als eine richtige und vorurtheilsfreie erscheint“. Die wissenschaftliche Bedeutung [439] Drumann’s ist ausreichend in den Worten zusammengefaßt, welche Rector und Senat der Universität in den dem dahingeschiedenen Collegen gewidmeten Nachruf zu setzen für gut fanden: reicher Umfang seiner historischen und philologischen Studien, gewissenhafte Gründlichkeit in der Forschung, hervorragender Scharfsinn in der Arbeit. In seinem Privatleben erschien D. durchaus als ein Gelehrter von alter Art: frei von jeder Sucht in seiner Person überall hervorzutreten und zu glänzen, lebte er in früheren Jahren in seinen Mußestunden ganz seiner Familie, später, als er diese verloren, entbehrte er, wie schon erwähnt, fast jedes Umgangs. Als höchst charakteristisch sei noch seiner ausgesprochenen Verachtung der Musik gedacht, von der er nicht zu fassen vermochte, wie sie einen Mann interessiren könne.

Kurze, wenig bietende Nekrologe in den Preuß. Provinzialblättern 1861, II. S. 282 ff. und in Gottschall’s Unsere Zeit V. (1861) S. 654. – Acten der Universitäten Helmstedt (jetzt in Wolfenbüttel), Halle und Königsberg.