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Artikel „Dollfus“ von Eugen Waldner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 740–743, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Dollfus&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 18:40 Uhr UTC)
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Dollfus, elsässische Fabrikantenfamilie. Die Familie D. zählt zu jenen alten Rathsgeschlechtern von Mülhausen, deren Energie und Umsicht es gelungen war, die Unabhängigkeit ihrer Stadt bis zur Schwelle des 19. Jahrhunderts zu erhalten, und welche dann durch Bethätigung eben dieser Eigenschaften auf wirthschaftlichem Gebiete die mächtige elsässische Textilindustrie geschaffen haben. Die alte Reichsstadt Mülhausen hatte seit dem [741] Jahre 1515 zur schweizerischen Eidgenossenschaft gehört, ließ sich aber 1798 der französischen Republik einverleiben, um ihre erst aufblühende Industrie nicht durch die Zollschranken erstickt zu sehen. Ein D. war schon an der im J. 1746 erfolgten Gründung einer Baumwollzeugdruckerei betheiligt, mit welcher der gewerbliche Großbetrieb zu Mülhausen seinen Anfang nahm. Die bekannteste Schöpfung dieser Familie ist die im J. 1800 zu Dornach bei Mülhausen unter dem Namen Dollfus-Mieg & Cie errichtete Fabrik, welche von dem Zeugdruck ausging, aber bald sämmtliche Zweige der Baumwollindustrie vereinigte. Durch die Vorzüglichkeit und künstlerische Ausführung ihrer bunten Kattune eroberte sich diese Firma rasch den Weltmarkt: schon im J. 1820 hatte sie Häuser zu Paris, Brüssel, Neapel, Leipzig etc. Im Jahre 1880 bedeckten ihre industriellen Anlagen zu Dornach 45 Hektar, verfügten über 1500 Pferdekräfte, beschäftigten 2600 Arbeiter und lieferten etwa 10 000 000 Meter bedruckte Stoffe in den Handel. Seitdem hat sie den Zeugdruck zeitweise ganz eingestellt und verlegt sich hauptsächlich auf die Spinnerei und namentlich auf die Herstellung des Nähfadens, welche sie schon seit den 40er Jahren mit großem Erfolge betreibt. (S. u. a.: Moßmann, La famille Dollfus, in: Revue Alsacienne III. Paris 1880.)

Von den ausgezeichneten Männern, denen dies Riesengeschäft seine dauernde Blüthe verdankt, mögen die folgenden drei Brüder genannt werden, Söhne des Gründers Daniel D. und seiner Frau Anna-Maria Mieg.

Daniel D.-Ausset, geboren am 15. April 1797, † am 21. Juli 1870. Seine Schulerziehung erhielt er in der Schweiz, wie damals die meisten jungen Mülhauser, und zwar auf der Kantonalschule zu Aarau; dann studirte er 1814 und 1815 Chemie und Physik in Paris , wo er Chevreuil zum Lehrer hatte. Erst 18 Jahre alt, wurde er von seinem kranken Vater nach Hause berufen, um die technische Leitung der Kattundruckerei zu übernehmen. Im J. 1819 machte er zu seiner industriellen Ausbildung eine längere Studienreise durch England und brachte von dort mehrere neue Verfahren nach dem Elsasse mit, namentlich die Anwendung der Kalkmilch zum Bleichen der Gewebe. In den folgenden Jahren reiste er noch wiederholt nach England, um stets mit allen dort in der Baumwollindustrie gemachten Fortschritten vertraut zu bleiben. Er selbst arbeitete unablässig an der Verbesserung des Buntdrucks und legte später seine Erfahrungen auf diesem Gebiete in einem zweibändigen Werke nieder („Matériaux pour la coloration des étoffes“. Paris 1865). An den zahlreichen gemeinnützigen Unternehmungen zu Mülhausen betheiligte er sich in hochherziger Weise. In weiteren Kreisen bekannt wurde D.-Ausset hauptsächlich durch seine Gletscherstudien. Im Jahre 1840 hatte er auf einer Schweizer Reise die Naturforscher Agassiz, Desor und Guyot aus Neuchâtel am Aargletscher getroffen und sich für ihre physikalischen und geologischen Untersuchungen begeistert. Von nun an beschäftigte er sich selbst auf das eifrigste mit den Fragen nach der Entstehung und Bewegung der Eismassen und ließ am Aargletscher ein Gebäude errichten, in welchem er während vieler Sommer eine Reihe Gelehrter zu gemeinsamer Arbeit versammelte. Später gründete er noch auf dem Theodulpaß eine meteorologische Station in der Höhe von 10 000 Fuß. Er beschränkte seine Beobachtungen mit der Zeit nicht allein auf die Schweiz, sondern durchreiste einen großen Theil Europas, um die Spuren verschwundener Gletscher zu besichtigen. Das Ergebniß seiner Studien veröffentlichte er in einem monumentalen Werke: „Matériaux pour servir à l'étude des glaciers“ (Straßburg und Paris 1863 bis 1872, 13 Bände).

[742] Weber, Notice biogr. sur M. Dl Dollfus-Ausset, in: Bulletin de la Société industrielle de Mulhouse XLI. Mulhouse 1871.

Johann D., geboren am 25. September 1800, † am 21. Mai 1887. Er besuchte die Schulen zu Aarau und Neuchâtel und wurde dann zur Erlernung des Handels nach Brüssel gesandt. Im zwanzigsten Lebensjahre trat er in das väterliche Geschäft ein, das er wenige Jahre später mit seinen Brüdern zusammen übernahm. Als kaufmännischer Leiter desselben gewann er bald die Oberhand über den ganzen Betrieb und war fortan der eigentliche Chef des Welthauses Dollfus-Mieg & Cie. Sein scharfer Blick und seine unerschöpfliche Thatkraft wußten dies Haus auf der aufsteigenden Bahn zu erhalten und ließen es alle Handelskrisen siegreich überstehen. Als einer der Hauptvertreter der französischen Kattundruckerei, welche durch das damals bestehende Einfuhrverbot von Baumwollfabrikaten der Spinnerei und Weberei preisgegeben war, betrieb Johann D. seit 1851 eine lebhafte Agitation zu Gunsten einer liberaleren Handelspolitik. Mit seinen berühmten Gesinnungsgenossen Michel Chevalier und Richard Cobden stand er in freundschaftlichem Verkehr. Bei dem Abschluß des englisch-französischen Handelsvertrags vom Jahre 1860 und dem Erlaß der Gesetze über die Baumwollindustrie waren seine Rathschläge maßgebend. An Stelle der Prohibition traten mäßige Werthzölle; den Druckern wurde sogar erlaubt, fremde Tücher zollfrei zu beziehen, unter der Bedingung, daß sie dieselben innerhalb sechs Monate in bedrucktem Zustande wieder ausführten. Ebenso wie bei der französischen Regierung vertheidigte D. später im deutschen Reichstage, dem er 1877–87 angehörte, die Interessen der heimischen Industrie.

Sein Hauptverdienst besteht indessen in seiner Fürsorge für die Arbeiterclasse. Im J. 1853 gründete er eine Baugesellschaft zur Beschaffung gesunder und billiger Arbeiterwohnungen in Mülhausen. Jede einzelne Familie sollte ein besonderes Haus mit einem kleinen Garten erhalten, und zwar sollte sie durch allmähliche Abzahlungen mit der Zeit selbst Eigenthümerin werden. Man bezweckte damit nicht nur, die Wohnungsnoth mit ihren für Gesundheit und Sittlichkeit so schädlichen Folgen zu beseitigen, sondern auch noch, den Arbeiter zur Sparsamkeit anzuhalten und ihn zum Grundbesitzer zu machen. Das Unternehmen glückte vollkommen, denn in wenigen Jahrzehnten wurden weit über tausend Häuser erbaut und verkauft. So entstanden die bekannten Mülhauser Arbeiterquartiere. D. versah dies sein Werk noch mit zahlreichen gemeinnützigen Anstalten wie Bädern, Waschhäusern, einem Arbeiterrestaurant, einer Armenherberge etc. Seinen Edelmuth bekundete er auch sonst noch auf mannichfache Weise, so durch Gründung einer Heilanstalt für scrophulöse Kinder zu Cannes und eines Greisenasyls zu Dornach. Auch ließ er sich die geistige Hebung der ärmeren Classen angelegen sein und bemühte sich während seiner Amtsthätigkeit als Bürgermeister von Mülhausen (1863–69) namentlich um die Verbesserung des Volksunterrichts. Ein Sohn von Johann D. ist der französische Schriftsteller Charles D., der Begründer der Revue germanique.

Zuber, Notice nécrologique sur M. Jean Dolfus, in: Bulletin de la Société industrielle de Mulhouse LVIII. Mulhouse 1888.

Emil D., geboren am 10. April 1805, † am 27. August 1858. Er wurde, ebenso wie seine Brüder, in verschiedenen Schweizer Bildungsanstalten erzogen, arbeitete dann einige Zeit in dem Brüsseler Contor des väterlichen Geschäftes und besuchte darauf in den Jahren 1821–23 die Vorlesungen des Kunst- und Gewerbe-Conservatoriums zu Paris. Nach einer sechsmonatlichen Reise durch England zur Besichtigung der dortigen Fabriken kehrte er definitiv [743] nach Hause zurück und wurde im J. 1827 Theilhaber des Hauses Dollfus-Mieg & Cie, in welchem er die technische Leitung der Spinnerei übernahm. Die industrielle Gesellschaft von Mülhausen, ein nicht nur die Förderung der Industrie, sondern auch die Schaffung der verschiedensten gemeinnützigen Einrichtungen bezweckender Verein, ernannte Emil D. im J. 1834 zum Präsidenten und hat ihren ungewöhnlichen Aufschwung nicht am wenigsten seinem langjährigen Vorsitze zu verdanken. In den Bulletins dieser Gesellschaft veröffentlichte er in uneigennütziger Weise eine Reihe technisch wichtiger Aufsätze, welche auch den ausländischen Fabrikanten zu gute kamen. Er wurde im J. 1846 in die französische Deputirtenkammer gewählt und gehörte bis 1851 den aufeinanderfolgenden Volksvertretungen an; er galt daselbst als eine Autorität in industriellen und commerciellen Dingen. Wie die anderen Mitglieder seiner Familie bekümmerte sich auch Emil D. ganz besonders um das Unterstützungswesen. Unter seiner Verwaltung als Bürgermeister von Mülhausen kam im J. 1844 eine Gemeindekrankencasse zu Stande, während es bisher nur Berufsgenossenschafts- und Fabrikcassen gegeben hatte, welche zahlreiche Hülfsbedürftige ausschlossen.

Penot, Notice nécrologique sur M. Emile Dollfus, in: Bulletin de la Société industrielle du Mulhouse XXIX. Mulhouse 1858.