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Artikel „Burchardus de Monte Sion“ von Wilhelm Heyd in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 567–568, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Burchardus_de_Monte_Sion&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 11:23 Uhr UTC)
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Burchardus de Monte Sion oder auch de Saxonia. Im Mittelalter war eine Beschreibung Palästina’s sehr verbreitet, welche unter dem Autornamen Burchardus (spätere Corruption: Brocardus) läuft und, auch wenn sie diesen Namen nicht an der Spitze trägt, immer daran kenntlich bleibt, daß sie vom Mittelpunkt Accon ausgehend das Land nach verschiedenen Richtungen der Windrose durchreist. Leider gaben fast sämmtliche Drucke dieses Werk in einer paraphrastischen Umarbeitung oder in einem magern und schlechten Auszug wieder, bis endlich J. C. M. Laurent den ursprünglichen Text freilich nicht ganz vollständig – es fehlt Aegypten – veröffentlichte. („Peregrinatores medii aevi quatuor.“ Lips. 1864.) Neben den Handschriften, deren er sich hierzu bediente, existirt aber eine Gruppe anderer mit kürzerem Text, die nach Laurent’s Urtheil nicht sowol einen Auszug von fremder Hand, als vielmehr eine vor Ausarbeitung des größeren Werks vom Verfasser selbst entworfene vorläufige Skizze zu enthalten scheint. Ueber die Richtigkeit dieser Behauptung Laurent’s läßt sich schwer ein Urtheil fällen, so lange die fragliche Textesrecension selbst noch in Handschriften vergraben liegt; denn die höchst ungenügende Wiedergabe im Druck durch Canisius (Thes. anecd. T. 4) gibt kein treues Bild von ihr und constatirt die Ursprünglichkeit derselben noch keineswegs. Den Handschriften der soeben charakterisirten Gruppe zufolge nannte sich der Verfasser Burchardus de Monte Sion, sei es weil er den Zionsberg in Jerusalem als Pilger gesehen, sei es weil er ein nach diesem Berg benanntes Kloster im Abendlande als Mönch bewohnte, und schickte seine Skizze sammt einer Karte dem Lesemeister Burchardus bei den Dominicanern zu Magdeburg; Vertrautheit mit der letztgenannten Stadt und ihrer Umgebung verräth der Verfasser auch an zwei Stellen des Buchs selbst nach den [568] Handschriften dieser Gruppe. Aber auch andere Handschriften bezeichnen ihn wenigstens im allgemeinen als einen Deutschen, sofern sie überhaupt eine Nationalität angeben, und dabei werden wir stehen bleiben müssen, indem eine von Tobler eingesehene Handschrift der Stadtbibliothek Lindau uns belehrt, dieser „Burchardus de Saxonia“ habe Palästina durchreist mit einem Geleitsbrief des Sultans von Aegypten, an dessen Hof er zuvor als Gesandter des deutschen Kaisers Rudolf von Habsburg gewesen sei. Seinem Stande nach war B. Geistlicher und zwar gehörte er höchst wahrscheinlich dem Dominicaner-Orden an. Die Jahreszahl 1283, welche in einigen Handschriften da auftaucht, wo vom Besuch des Bergs Galboë durch den Verfasser die Rede ist, ist die einzige im ganzen Buch; auch sie stand nicht ursprünglich darin, der Interpolator hat aber ziemlich das Richtige getroffen. Denn nach einer Reihe von Angaben fiel Burchards Aufenthalt im heiligen Lande zwischen die Jahre 1271 und 1285; er dauerte mindestens zwei, einem wahrscheinlich unechten Beisatz zufolge sogar zehn Jahre und an ihn schloß sich noch eine Reise durch das nördliche Syrien, Cilicien und Cypern an. B. durchreiste Palästina zu Fuß nach allen Richtungen, besuchte weitaus die meisten der Orte, von denen er spricht, selbst, darunter viele zu wiederholten Malen, zog fleißig Erkundigungen von Christen und Saracenen ein, baute aber am liebsten auf eigene Anschauung, Erfahrung und Messung. Seine warme ungeschminkte Frömmigkeit hindert ihn nicht, da und dort eine falsche Tradition auf Grund besserer Kenntniß oder eigener Wahrnehmung zu bekämpfen, obgleich er im ganzen die Legenden, welche sich an die heiligen Orte knüpfen, unangetastet läßt. In seinem Urtheil über die Menschen zeigt sich ein Geist edler Unparteilichkeit und Toleranz, welche auch die nicht zur römischen Kirche gehörigen orientalischen Christen als Glaubensbrüder zu schätzen, auch an den Saracenen das Lobenswerthe anzuerkennen weiß, und zugleich ein Geist sittlicher Strenge, welcher aber seine strafende Geißel zumeist gegen die in Palästina eingewanderten Abendländer schwingt. Wahrscheinlich noch vor dem Untergang der Kreuzfahrerstaaten geschrieben, gewährt Burchards Buch ein treues Bild des Landes in den letzten Zeiten derselben sogar mit Berücksichtigung der Bodencultur und der Industrie. Keine Beschreibung Palästina’s aus dem Mittelalter kommt dieser gleich in Hinsicht auf Reichhaltigkeit und Zuverlässigkeit der Notizen; so wenig sie selbst aus andern Büchern geschöpft hat, so oft ist sie von Andern geplündert worden und noch heute kann derselben keiner entrathen, der sich mit der Geschichte und Topographie jenes Landes beschäftigt.

Quellen außer der Ausgabe Laurent’s (mit dessen Commentar): Büsching, Litt. d. älteren Reisebeschreibungen 2, 31 ff.; Histoire littéraire de la France T. 21, p. 180 ss. (wo ein ausgezeichneter Artikel über „Brocard“ von V. Leclerc); Tobler, Bibliotheca geograph. Palaestinae p. 27 ss. Ej. descriptiones terrae sancte ex saeculo VIII. IX. XII. et XV. p. 500.