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Artikel „Blumröder, Gustav“ von Friedrich Karl Stahl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 755–757, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Blumr%C3%B6der,_Gustav&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 02:36 Uhr UTC)
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Blumröder: Gustav B., Sohn einer angesehenen und wohlhabenden Bürgerfamilie Nürnbergs, geb. daselbst 27. Juni 1802, † 23. Dec. 1853. Nachdem er das dortige Gymnasium absolviert hatte, bezog er im J. 1820 die Universität Erlangen, in der Absicht Theologie zu studiren, entschloß sich aber alsbald, sich der Medicin zu widmen. In der Folge besuchte er auch die Hochschule zu Würzburg, wo eben Schönlein’s Ruhm zu blühen begann. Der Einfluß dieses Lehrers auf Blumröder’s Richtung und Anschauungen wurde ein bleibender, so daß er in allen seinen Schriften als Schüler der naturphilosophischen Schule sich kennzeichnete. In Würzburg zum Doctor promovirt, bereiste er zu seiner weiteren wissenschaftlichen Ausbildung die Spitäler zu Berlin, Wien und Paris, worauf er 1827 die Staatsprüfung ablegte. Im folgenden Jahre wurde ihm die [756] Stelle eines Armen- und Spitalarztes zu Hersbruck verliehen, woselbst er sich unter den Bürgerstöchtern eine Gattin wählte. In jene Zeit fällt der Beginn seiner litterarischen Thätigkeit auf psychiatrischem Gebiete, nachdem er bereits in seiner Dissertation („De hypnoticis“, Nürnberg 1826) dieser Disciplin sich genähert hatte. Die in verschiedenen Zeitschriften, besonders in Friedreich’s „Magazin der Seelenkunde“ und in kleineren Abhandlungen von ihm vertretenen, auf dem Boden der naturphilosophischen Schule fußenden Theorien sammelte er in einem 1836 in Leipzig erschienenen Werke: „Ueber das Irresein, oder anthropologisch-psychiatrische Grundsätze“. Er bemüht sich in demselben, die Identität des Leibes und der Seele zu beweisen, leitet alle geistigen Störungen von pathologischen Zuständen des Blutes und Nervenmarkes ab; verfällt aber gleichzeitig in phantastische Excursionen im Genre Amadäus Hoffmann’s, mit dem sein Temperament viele Aehnlichkeit zu haben und den er mit Vorliebe zu copiren scheint. Bei Aufstellung seiner Theorie über das gute und böse Princip (Ormuzd und Ahriman), wovon er ersteres in die Nervensubstanz, letzteres ins Blut verlegt, findet er hiezu reichliche Gelegenheit. Inzwischen wurde er (1835) zum Gerichtsarzte nach Kirchenlamitz im Fichtelgebirge befördert. Vergebens suchte er eine Universitätsprofessur zu erlangen oder wenigstens aus dieser verkehrsarmen Gegend auf einen besseren Posten versetzt zu werden. Dessenungeachtet widmete er sich unentmuthigt mit allem Fleiße seiner Berufsthätigkeit, lieferte mannigfache Arbeiten in verschiedene medicinische Zeitschriften, war mit Friedreich Herausgeber der „Blätter für Psychiatrie“ (Erlangen 1837) und betheiligte sich, besonders als Kritiker, an den Schmidt’schen „Jahrbüchern für die gesammte Medicin“. Nebenbei beseelte ihn ein warmes Interesse für Musik und Malerei. Auch verfaßte er einige humoristische Schriften: „Vorlesungen über die Eßlust von Antonino Anthus“, 1838; „Shakespeare’s Affe“, 1841; „Ein Preislustspiel“, 1842 etc. Von Seite seiner Umgebung hatte er sich das vollste Vertrauen und die lebhafteste Zuneigung erworben, so daß er im Revolutionsjahre 1848 zum Abgeordneten seines Bezirkes in die deutsche Reichsversammlung gewählt wurde. Er gehörte hier der gemäßigten Linken (Fraction Westendhalle) an, folgte aber schließlich dem Rumpfparlament nach Stuttgart. Nachdem dasselbe mit Waffengewalt auseinander getrieben worden war, kehrte er nach Kirchenlamitz zurück, und wurde hier am 22. August 1849 auf Antrag der Staatsanwaltschaft am Stadtgerichte Augsburg verhaftet und unter Bedeckung dorthin abgeliefert. Nach vier Monaten aus der Haft wieder entlassen, suchte er wegen seiner, wie er behauptete, durch die lange Einkerkerung gebrochenen Gesundheit um Urlaub nach, um ein milderes Klima aufsuchen zu können. Statt Gewährung dessen wurde er nach circa einem Jahre (9. November 1850) aus administrativen Erwägungen des Amtes entlassen und für immer in den Ruhestand versetzt. Er begab sich nun mit seinen beiden Töchtern (Gattin und Söhne waren ihm in Kirchenlamitz gestorben), nach seiner Vaterstadt Nürnberg, woselbst er, obwol fortwährend leidend, dennoch litterarisch sich beschäftigte, bis ihn am 23. Dec. 1853 der Tod ereilte. Er starb an Tuberkulose der Lungen. In Bezug auf seine sehr anerkennenswerthen psychiatrischen Leistungen ist es zu bedauern, daß ihm die unmittelbare praktische Thätigkeit an einer Irrenanstalt nie vergönnt war. Hiedurch mußte vorzüglich bei dem Mangel genügender selbständiger Beobachtungen, namentlich auch auf pathologisch-anatomischen Gebiete, seine Auffassung immer eine einseitige bleiben, und deshalb haben seine Arbeiten vorherrschend den Charakter philosophischer Betrachtungen. Gleichwol zeichnen sie sich bedeutend vor den Schriften seiner Zeitgenossen aus. Er trat den damaligen Stimmführern in der Psychiatrie kräftig entgegen mit dem decidirt ausgesprochenen Satze, es sei nicht darüber zu streiten, ob im Irresein der Leib oder die Seele irre sei, da unzweifelhaft [757] der ganze, untheilbare Mensch erkranke. Die geistreiche Art seiner Beweisführung wird stets die volle Würdigung finden, wenn auch die Methode der naturphilosophischen Schule, die er hiebei in Anwendung bringt, gegenwärtig als veraltet erscheint.

Aerztliches Intelligenzblatt, München 1854, Nr. 9.