ADB:Bülow-Cummerow, Ernst von

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Artikel „Bülow, Ernst Gottfried Georg von“ von August Meitzen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 517–520, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:B%C3%BClow-Cummerow,_Ernst_von&oldid=- (Version vom 14. Oktober 2024, 05:26 Uhr UTC)
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Bülow: Ernst Gottfried Georg v. B., genannt Bülow-Cummerow, geboren zu Pritzau bei Güstrow, Mecklenburg-Schwerin, am 13. April 1775, † am 26. April 1851, stammt aus einem, wie es scheint, obotritischen, schon im 13. Jahrhundert in Mecklenburg erwähnten, noch heut sehr zahlreichen Geschlechte, das sich von dem Dorfe Bülow bei Rhena nannte. (Vgl. P. v. Bülow, Familienbuch der v. Bülow, Berlin 1859.) Er wurde im elterlichen Hause auf dem gedachten Gute seines Vaters in damals üblicher Weise durch Hauslehrer unterrichtet, trat schon 1788, 13 Jahr alt, als Lieutenant in ein hannöverisches Regiment, nahm aber bereits 1790 den Abschied, um in Jena und Rostock zu studiren, machte dann zu weiterer Ausbildung Reisen in Frankreich, stand auch eine Zeit lang als Kammerjunker und Reisestallmeister in mecklenburgischen Diensten, lebte aber seit 1802 ohne Staatsamt der Landwirthschaft. 1804 kaufte er mit geringen Mitteln in Gemeinschaft mit seinem Bruder Werner große Gütercomplexe in Pommern, von welchen er selbst Cummerow und Justin im Kreise Regenwalde in dauerndem Besitz behielt und seit 1826 durch Ankauf von Schloß Regenwalde und Labehn mit Zubehör und mehreren benachbarten Gütern bis zu einem Grundbesitze von mehr als 1 Quadratmeile Ausdehnung vergrößerte.

Dieser Besitz und die Anerkennung, die er in dessen Verwaltung fand, vorzugsweise aber seine geistige Lebendigkeit und schnelle, praktisch eindringende Auffassung, verbunden mit ungewöhnlicher Thätigkeit und Unternehmungslust, erwarben ihm in kurzer Zeit einen sehr vorwiegenden und entscheidenden Einfluß in den ständischen Angelegenheiten der Provinz. Schon 1811 wurde er Mitglied der damals berufenen General-Commission zur Regelung der Kriegsschulden, [518] welche nach dem Edict vom 7. September 1811 zugleich als interimistische National-Repräsentation bevollmächtigt war.

Die Anschauungen, die er in der damaligen Lage des Staate gewann, hat er mit unbeirrtem Freimuth durch sein langes Leben festgehalten. Er war ein warmer Verehrer Hardenberg’s, vornehmlich wegen der unerwarteten Kraft, welche dessen Gesetzgebung aus dem Bürger- und Bauernstande entwickelte. Der Städte-Ordnung und der Agrargesetzgebung zollte er vollen Beifall. In der Verachtung hohler Adelsprätensionen ging er so weit, in Druck und Schrift in der Regel nur Bülow zu zeichnen, auch war seine Frau bürgerlich und ohne Vermögen. Ständische Organisation schien ihm unerläßlich, aber die ständische Berechtigung sah er nur im Grundbesitz. Dagegen war er durchaus ein Mann der Interessen-Vertretung und begegnete sich darin immer wieder mit der extremen conservativen Partei, von der er gleichwol vielfach als Liberaler angefeindet wurde. Anhänger der neugestalteten Gesellschaft, forderte er Selbstregierung und Decentralisation, Beschränkung des Staates und des Beamtenthums auf die nothwendigsten Zwecke, Enthaltung vom Gebiete der Privatunternehmung und deren Risicos, endlich nicht allein strenge und umsichtige finanzielle Ordnung und Sparsamkeit, sondern auch Rechnungslegung gegenüber den Landständen und das Steuerbewilligungsrecht derselben. In allen seinen Schriften werden diese Grundsätze, ohne theoretische Neigung oder Consequenzmacherei, oft sehr lebendig vertreten. Der Natur der Sache nach aber galt sein Hauptstreben den Interessen des großen Grundbesitzes, vor allem der Verbesserung des ländlichen Creditwesens, und es ist ein Zeichen der großen geistigen Bedeutung Bülow’s, daß unter den thatsächlichen Fortschritten, die die neueste Zeit auf diesem Gebiete gemacht hat, kaum einer ist, dessen Grundideen er nicht lange vorher ausgesprochen, und dessen Durchführung er nicht betrieben hätte, obwol er dabei mit seiner Meinung wenigstens unter seinen Standesgenossen oft allein stand.

Er war nicht eigentlich zum Schriftsteller vorgebildet und angelegt. Seinen Arbeiten hat er die Form, in der sie vorliegen, nicht selbst gegeben. Aber der ganze Kern, Absicht, Gedanken, Leben, Schärfe und wirthschaftliche und staatsmännische Einsicht und Erfahrung sind völlig sein eigen. Er warf sie bei der Lectüre und im Gespräch wie einen mündlichen Vortrag zum Aufschreiben hin, und wurde schließlich ihr ausdauernder unerbittlicher Censor.

Schon seine ersten Schriften aus den Jahren 1823 und 24, die in dieser Weise durch die Feder eines seiner Neffen gingen, erregten großes Aufsehen. „Ein Punkt aufs I“, Berlin 1823; „Die Verwaltung Hardenberg’s“, 1823, und „Betrachtungen über Metall- und Papiergeld, über Handelsfreiheit und Prohibitivsystem, über den gegenwärtigen Zustand der ersten europäischen Reiche, die Verschuldung der Grundbesitzer; das Pfandbriefsystem und Landbanken“, Berlin 1824, bezeichnen unmittelbar die Richtung offener Kritik und praktischer Initiative, in der er sich bewegte. Seine Ziele können einseitig genannt werden, aber sie waren mit Ueberzeugung und mit Kraft ergriffen. Er kämpfte damals den Plan der pommerschen ritterschaftlichen Privatbank durch, deren Schöpfer nach Gedanken und Ausführung er ist. Das Statut vom 15. Aug. 1824 (Preuß. Ges.-S. S. 169), eine unerhörte Neuerung, lohnte seine Mühe. Mit seinem Namen an der Spitze erhielt eine Anzahl bestimmt genannter Grundbesitzer unter Anerkennung dieser Genossenschaft als öffentliche, privilegirte und mit Stempel- und Sportelfreiheit ausgerüstete Corporation die Berechtigung, gegen ein baar eingeschossenes Capital von 1 Million Thlr., über welches Actien ausgefertigt wurden, den gleichen Betrag in unverzinslichen Bankscheinen mit dem Rechte auszugeben, daß dieselben auch von den königlichen Cassen in Pommern bei Entrichtung der öffentlichen Abgaben zu einem Viertel des Betrages dieser [519] Abgaben und statt der Tresorscheine annehmbar seien. Die Actionäre waren für Ausfälle über ihre Actien hinaus haftbar, und mit dem eingeschossenen Gelde durften nur solche Geschäfte gemacht werden, welche die sofortige Realisirung der ausgegebenen Bankscheine nicht hinderten. Erst neuere Statuten gestalteten das Institut in eine völlig kaufmännische Bank um.

Im Jahre 1841, in der Zeit hoher Erregung nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. wurde B. durch einen Schuß auf der Jagd der Art am Fuße verwundet, daß er genöthigt war, in Berlin durch viele Monate liegend seine Heilung abzuwarten. Ein talentvoller armer Student wurde ihm als Vorleser empfohlen, und aus diesem bald sehr innigen Verkehr entwickelte sich eine neue Reihe litterarischer Arbeiten. „Preußens Finanzen“, Berlin 1841, besprachen den Staatshaushaltsetat, der 1841 zum ersten Mal nicht allein das Netto, sondern auch Brutto und Kosten der Staatseinnahmen angab. Bald darauf erging die Cabinets-Ordre vom 4. October 1842, nach welcher Bücher über 20 Bogen der Censur nicht mehr unterlagen. Verschiedene Abhandlungen, Bruchstücke von Aufsätzen, zusammengetragenes Material lagen bereit. Schnell ineinandergefügt erschien als die erste Gabe der Censurfreiheit: „Preußen, seine Verfassung und Verwaltung, sein Verhältniß zu Deutschland etc.“, Berlin 1842. Es war schwer gewesen, einen Buchhändler zu finden, aber 2000 Exemplare waren in 8 Tagen, doppelt so viel in 14 Tagen, bald auch eine 3. Auflage vergriffen, und der junge litterarische Freund sah sich staunend durch mehrere Tausend Thaler Honorar belohnt. B. arbeitete in gleicher Weise und frischer Anregung weiter, ohne auf Gegner zu achten, die u. a. hämisch seine eigene finanzielle Lage zum Angriff benutzten, welche bei seinem geringen väterlichen Vermögen und dem höchst ausgedehnten Besitz nicht immer ohne Verlegenheiten sein konnte. Es erschienen zunächst ein Nachtrag und ein zweiter Band 1843, ferner „Ueber Preußens landschaftliche Creditvereine“, 1843; „Der Zollverein, sein System und seine Gegner“, 1844, eine im wesentlichen gegen die blendend geistvoll dargestellten Schutzzolltheorien des Zollvereinsblattes und des nationalen Systems der politischen Oekonomie Fr. List’s gerichtete Gegenschrift; dann „Politische und finanzielle Abhandlungen“: Heft 1: „Die preußischen Landtagsverhandlungen und ihre Resultate“, „Die Mahl- und Schlachtsteuer“; Heft 2: „Die preußischen Finanzen 1844–45“; „Die europäischen Staaten nach äußeren und inneren Verhältnissen“, Altona 1845. In den Schriften des Jahres 1846: „Das Bankwesen in Preußen“, „Die beabsichtigte neue Organisation der königl. Bank und die Betheiligung der Privatpersonen bei derselben“, und „Das normale Geldsystem in seiner Anwendung auf Preußen“, rechtfertigte B. seinen Plan, durch Gründung einer großen deutschen National-Actien-Bank das Staatspapiergeld und die bestehende Staatsbank, deren Gefahren er darlegte, zu beseitigen und durch sehr erweiterten Credit dem Bedürfniß des Landes besser entgegen zu kommen. Diesen Plan hatte der Minister Rother verworfen, sich aber durch ihn zu der neuen Bankordnung vom 5. October 1846 bestimmt gesehen, welche die Geschäfte der Bank wesentlich erweiterte und auf eine, gegen Bankantheilsscheine von Privaten eingeschossene Summe von 10 Million Thaler begründete. Weitere, durch ihre Titel genügend charakterisirte Arbeiten, über welche nur bemerkt werden soll, daß sie überall Preußens nationalen Beruf in Deutschland hoch halten, waren: „Die Taxen und das Reglement der landschaftlichen Creditsysteme“, Berlin 1847; „Preußen im Januar 1847 und das Patent vom 3. Februar“, 1847; „Die größten allgemeinen Creditinstitute“, 1848; „Die politische Gestalt Deutschlands und die Reichsverfassung“, 1848; „Beleuchtung des preußischen Staatshaushaltes“, 1849; „Preußen und seine politische Stellung [520] zu Deutschland und den europäischen Staaten“, 1849; „Die Grundsteuer und Vorschläge zu deren Ausgleichung“, 1849.

Trotz der Zahl und des theilweis nicht kleinen Umfanges dieser Schriften bilden dieselben gleichwol nur einen geringen Theil der Thätigkeit, zu welcher die Bewegung des Jahres 1848 den damals schon 73jährigen Greis anregte. Er war vielmehr auch der Gründer und die Seele des Vereins für die Interessen des Grundbesitzes oder des neben der National-Versammlung tagenden sogenannten Junker-Parlaments. Ein Halsleiden hinderte ihn an lautem Sprechen, deshalb führte v. Kleist-Retzow gewissermaßen für ihn den Vorsitz. Keine Frage wurde ohne ihn erörtert, selten wandte sich ein Beschluß gegen seine Meinung. Niemand aber war zugleich rastloser in der Benutzung der Presse, als er. Der erwähnte, inzwischen zum Assessor vorgeschrittene Student, dem B. in immer wärmerer Freundschaft durch eine Adoption als K. v. H. den Adel und ein Vermögen zuwandte, schrieb nach seinen Angaben zahlreiche Artikel von anerkannter Bedeutung in die Spener’sche, Aachener, Kölnische und namentlich die Weserzeitung. Für diese Art Redactionsbureau stellten sich B. damals manche der bedeutendsten Namen unserer Zeit zur Verfügung. Ein agitatorischer enormer Briefwechsel in alle Provinzen und Wahlkreise entwickelte sich. In Vielem sah auch B. zu schwarz und leidenschaftlich, aber auch seine letzten durchaus politischen Schriften: „Die Revolution, ihre Früchte, ihre Politik, die Reform“, 1850; „Die Reaction und ihre Fortschritte“, 1850; „Die Reform der Verfassung,“ 1851, zeigen, welche Fähigkeit der Unbefangenheit und Sammlung er sich bewahrte, und wie viel die Partei und der ganze Staat durch seinen schon am 15. April 1851 erfolgten Tod verloren. Der Sinn enger, fanatischer und brutaler Reaction, der sich der Conservativen in der Kammer von 1852 bemächtigte, lag ihm durchaus fern, und sein Einfluß wäre mächtig genug gewesen, manches Aeußerste zu verhüten. Er besaß innere staatsmännische Ruhe genug, um neben diesem kampfbereiten Streben noch eine Angelegenheit aufzunehmen, durchzudenken und ins Leben zu führen, welche allgemein als von der größten vaterländischen Wichtigkeit anerkannt wurde. Es war dies die Aufhebung des Sundzolles. Sie verwirklichte sich allerdings erst durch den Staatsvertrag vom 14. März 1857, aber B. hatte noch die Freude, die schwierigen Verhandlungen, mit denen auf seine Empfehlung sein Schwiegersohn, der verdiente spätere Unterstaatssecretär Graf Hans v. B. betraut wurde, von diesem glücklich bis zur Aussicht des Gelingenes durchgeführt zu sehen.

Biographie von K. v. H.[WS 1] (dem späteren Inhaber der Berliner Börsenztg.) in der Weserzeitung 1852.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hermann Killisch von Horn.