„Tauerei: Kette oder Seil?“

Textdaten
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Titel: „Tauerei: Kette oder Seil?“
Untertitel:
aus: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, Band 7, S. 1089
Herausgeber: Gustav Schmoller
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Duncker & Humblot
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google-USA*;Commons
Kurzbeschreibung: Literaturbesprechung des Aufsatzes Tauerei. Kette oder Seil
siehe auch: Tauerei
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[1089(353)]
„Tauerei: Kette oder Seil?“
Von I. H.

Der kleine lehrreiche Aufsatz ist offenbar von einem Sachverständigen, vermuthlich einem Fachmanne, wenn auch mit etwas ungelenker Feder, geschrieben. Die Frage über die vortheilhafteste Art der Güterbeförderung auf unseren wichtigeren Binnenwasserstraßen sei jetzt allseitig zu Gunsten der Tauerei entschieden. Hier stehen sich aber Seil und Kette gegenüber. Praktische und finanzielle Erfolge hat bisher wesentlich nur die Kette gehabt. Ewald Bellingrath in Dresden führte zuerst auf der Elbe von Dresden bis Hamburg, dann auf dem Neckar von Heilbronn bis Mannheim die Kettentauerei mit glänzendem Erfolge ein, er ist augenblicklich dabei, dieselbe auch auf die Saale zu übertragen. In Hamburg kamen an von der Elbe zu Thal ohne Floßholz 1876 3.202.000 metr. Zentner Güter. 1878 5.939.000 und 1880 7.986.000 metr. Zentner; es gingen von dort zu Berg ab 1876 4.598.000 metr. Zentner, 1878 5.669.000 metr. Zentner, 1880 7.751.000 metr. Zentner. Den bezüglichen Eisenbahndirektionen wanken noch heute die Knie wegen die Tarifherabminderungen, die sie der Konkurrentin halber gewähren mußten. Aehnlich sind die Erfolge auf dem Neckar, allerdings bei vorläufig noch zehnfach kleinerem Betriebe. Die Kette hat aber mannichfache Nachtheile gegenüber dem Seile. Die Anschaffungskosten sind bei der Kette bis fünffach so hoch, für die Abnutzung der Kette muß jährlich 121/2 Prozent abgeschrieben werden, noch mehr Kosten verursachen die Reparaturen der Kettenschiffe. So ungemein einfach auch die Kette arbeitet, so sind doch die Reibungen durch die Natur der Kette so gewaltige, daß man bekanntlich das Knarren in weitester Entfernung hören kann. Das Seil arbeitet viel ruhiger, ohne große Reibung, aber, und das entschied bisher für die Kette, das Aufnehmen und Herablassen des Seiles im Betriebe erforderte komplizirte Vorrichtungen, die sich nicht bewährten, sodann war beim Seilbetriebe bisher mindestens 1 Meter Tiefgang erforderlich, was bei den deutschen Strömen ein solch sanftes Gefälle voraussetzt, daß Tauerei überhaupt unnöthig und finanziell unfähig gegenüber den gewöhnlichen Schleppdampfern ist (z. B. auf dem unteren Rheine). Diese Erfahrungen gaben neuerdings dem Ingenieur Wernigh in Berlin Veranlassung, das ganze bisherige System mit den Preßrollen aufzugeben und an deren Stelle die von ihm erfundene Seilscheibe mit wellenförmiger Rille in Anwendung zu bringen, was sich bei halbjährigen Fahrten auf dem Rhein vollständig bewährt hat. System Bellingrath und System Wernigh bewarben sich neulich um die Oder von Breslau bis Stettin vor dem Forum der schlesischen Provinzialstände, die 4 Prozent Zinsgarantie gewähren sollten; die befragten Sachverständigen entschieden sich für System Wernigh. Da machte die jetzige Strominhaberin, die Stettiner Dampfschifffahrtsgesellschaft, einen Strich durch die Rechnung, indem sie erklärte, sie werde später ohne Garantie eine Tauereianlage ausführen. Später, das hieß, wenn es gelungen sei, den kleinen Schiffersmann todt zu machen, sie also das völlige Monopol habe, was ohne obrigkeitliches Eingreifen sehr bald geschehen sein wird. Ihre Schleppdampfer befördern nur ihre eigenen Kähne, fremde zu Berg nur unter der Bedingung, daß der Schiffer seinen Kahn vollständig auf der Bergfahrt unentgeltlich zur Disposition der Gesellschaft stellt, die also alle Frachtsummen einnimmt. Die Existenz der Tausende von Privatschiffern ist so geradezu in Frage gestellt, in kurzer Zeit kann ihr Geschäft nicht mehr betrieben werden. Die Regierung sollte die Sachlage einmal durch sachverständige Beamte prüfen lassen.