Textdaten
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Autor: Ludwig Storch
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Titel: „Rübezahl“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45–46, S. 490–492, 503–505
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[490]

„Rübezahl.“

Keine Dichtung aus dem Leben eines deutschen Dichters.
Von Ludwig Storch.


Himmelfahrt ist in unserm rauhen Norden in der Regel das erste sonnige Frühlingsfest. Jede deutsche Stadt hat ihren besondern Land- und Vergnügensort, wohin sie ihre Bevölkerung zu Himmelfahrt schickt. Es ist wirklich eine Fahrt in den irdischen Himmel der jungen Frühlingsfreude. Man muß die lebenslustige Frau eines nicht minder heitern deutschen Professors sein, der eine starke Ausnahme von der Regel macht und Zopf und Haarbeutel - auch die ideellen und metaphorischen - längst abgeschnitten und dem Teufel der gelehrten Pedanterei zugeschickt hat, obgleich man erst im Jahre 1782 nach Christi Geburt lebt, man muß im schönen Weimar wohnen, wo der junge geniale Herzog Karl August glänzenden Hof hält, wo seine Mutter, die treffliche Herzogin Anna Amalia, selbst noch von den Göttern der Jugend, Anmuth und Schönheit umwaltet, in Tieffurth alle Herzen entzückt, wo Adel und Beamtenthum Pracht und Wohlhabenheit entfalten und wo der Herr Geheime Rath und Kammerpräsident von Goethe für sinnreiche Feste und poetische Unterhaltung sorgt; man muß das Alles so zusammen haben, und wegen Mangels eines modischen Envelöppchens oder eines neuen Hutes zu Himmelfahrt nicht nach Tieffurth können, wohin wahrscheinlich die ganze weimarische Welt strömen wird, um nicht eben so in stiller Verzweiflung zu sein, wie es die Frau Professorin Musäus wirklich war, als nur noch zwei Tage zwischen heute und Himmelfahrt vorhanden waren, nirgend aber sich eine Aussicht zeigen wollte, wie die besagten Paradestücke annoch anzuschaffen sein möchten.

Es ist stets ein großes Mißverhältniß zwischen der gesellschaftlichen Stellung und der Besoldung der Professoren an den deutschen Gelehrtenschulen gewesen. Sie gehören zu den vornehmen Ständen und sollen mit drei oder vierhundert Thalern Besoldung allen Ansprüchen genügen, welche die Welt an diese Stände macht. Jedermann verlangt und die Frau Professorin verlangt es auch, daß sie gerade so geputzt einhergehe, wie die Frau Präsidentin oder die Frau Commerzienräthin, deren Männer jährlich so viel Tausende einnehmen, wie der Herr Professor Hunderte. Schulden dürfen nicht gemacht werden; denn wovon sollten sie denn bezahlt werden? und das Oberconsistorium, die Behörde des Herrn Professors, ist in diesem Punkte abgeschmackt streng, macht in vorkommenden Fällen ganz fatale Abzüge von der Besoldung und droht wohl gar im Wiederholungsfalle mit Absetzung. Da soll’s nun an der Bibliothek, am Frühstück und Abendbrot des Herrn Professors erspart werden. Du liebe Zeit! Das läßt sich der gelehrte Hausvater, wenn er eine gute Haut ist – und deutsche Professoren sind in der Regel gute Häute - eine Zeit lang gefallen, hernach braucht er aber doch Bücher für die geistige und eine Flasche Wein für die leibliche Nahrung (vorzüglich wenn eine so starke poetische Ader in ihm pulsirt, wie in dem lieben trefflichen Musäus), und die Frau Professorin hat feuchte Augen; denn das Fest rückt heran und der neue Hut fehlt und das Envelöppchen. Diese häusliche Noth hat schon manchen guten deutschen Professor zum Schriftsteller gemacht und auf die schlüpfrige Bahn der Oeffentlichkeit hinaus getrieben.

Johann Karl August Musäus hatte schon zwanzig Jahre früher als Candidat des heiligen Predigtamts in Eisenach seine Schriftstellerlaufbahn mit einem guten Romane, dem „deutschen Grandison“ eröffnet, worin er mit Glück gegen die Narrheit ankämpfte, welche Richardson’s englischer „Grandison“ in deutschen Köpfen hervorgerufen, wie heutigen Tags die köstliche Onkel-Tomelei aus Amerika. Als Professor am Gymnasium zu Weimar hatte er dann vor vier Jahren - so lange hatte er geschwiegen - gegen eine andre grassirende Narrheit, die der gute Lavater aufgebracht und der sich selbst Goethe nicht hatte entziehen können, in seinen „Physiognomischen Reisen“, 4 Hefte, angekämpft; aber diese wenigen Schriften hatten ihm begreiflicher Weise auch sehr wenig Geld eingebracht. Die Herren Verleger pflegten vor siebzig Jahren noch weit geringere Honorare zu zahlen als heutiges Tags. Aber in Musäus lebte und webte ein echter Genius, die Besoldung war gering, die Frau hatte kleine Bedürfnisse, und er selbst war ja der gutmüthigste Mensch, den Gottes Sonne beschien. So schrieb er denn aus seiner gesunden Seele heraus schöne deutsche Volkssagen in seiner harmlosen, etwas breiten, aber köstlichen Weise, voll satyrischer Anspielungen auf geistige Zeitkrankheiten. Sie sollten einen Damm gegen die Thränenfluth sentimentaler Romane bilden, welche mit Goethe’s „Werther“ und mit Miller’s „Siegwart“ einige Jahre zuvor über Deutschland hereingebrochen war. Gegen diese kranke Empfindsamkeit konnte es kein besseres Mittel geben, als die gesunde Kost, welche Musäus in seinen „Volksmärchen der Deutschen“ auftischte. Wer kennt sie heute nicht diese lieblichen Schöpfungen eines gesunden poetischen Humors, die mit dem treuherzigen Kindeslächeln der Unschuld die süße Schalkhaftigkeit einer reinen Dichterseele vereinigen? Wer hat sich nicht an ihnen ergötzt in der Jugend und im Alter? Welches unverdorbene Gemüth hat nicht über den neckischen Kobold des Riesengebirges und seine strenge poetische Gerechtigkeit gejauchzt! O Rübezahl, der treffliche Berggeist, der unverhofft und mit den köstlichsten Späßen jedermann nach wahrem Verdienst belohnt, ist in Deutschland erst durch Musäus zu Ehren gekommen! Die deutsche Bildung verdankt den Volksmärchen von Musäus mehr als man meinen sollte. –

[491] Zu jener Zeit war die Ettinger’sche Buchhandlung in Gotha eine der ersten Verlagsbuchhandlungen Deutschlands, und Musäus war veranlaßt worden, das Manuscript des ersten Bandes seiner Volksmärchen an Ettinger mit einer sehr mäßigen Honorarforderung zu schicken. Zu seiner und seiner Ehehälfte großen Freude hatte Ettinger das Manuscript für den genannten Preis behalten und das Honorar unverzüglich geschickt. Zu Weihnachten war aber der kleine Schatz schon ausgeflogen, und nun waren Himmelfahrt und Pfingsten vor der Thüre, und die Frau Professorin wußte nicht, wovon dies und das Nothwendige anschaffen, und der Herr Professor wußte es auch nicht. Ach, Rübezahl kam nicht nach Weimar! Längst lag ein zweiter Band von den Volksmärchen fertig im Schreibpult, und der Verfasser hatte dieses Umstands mit der beiläufigen Bemerkung, daß ihm der Verkauf dieses Manuscripts sehr erwünscht wäre, an Herrn Ettinger in Gotha geziemende Meldung gethan, darauf aber die wenig tröstliche Antwort erhalten, man müsse den Erfolg des ersten Bandes erst abwarten. Ueber das Schicksal dieses ersten Bandes war Musäus natürlich ganz in Ungewißheit und er versprach sich davon keineswegs etwas Gutes. Denn alle Welt drohte sich wie Werther zu erschießen und eine nicht geringe Anzahl verrückter Menschen erschoß sich wirklich, oder seufzte, stöhnte und flennte mit „Siegwart“, winselte den Mond an und löste sich in tugendhafter Liebe, frommer Schwärmerei und trauernder Empfindsamkeit auf, so daß dafür die technischen Ausdrücke siegwartisiren und siegwartsche Liebe aufgekommen waren. Was man mit Werthern und Lotten für Affenschande trieb, davon kann man sich heute gar keine rechte Vorstellung machen. Es klingt Alles wie Fabeln. Das weiße Taschentuch einer Dame von gutem Geschmack mußte durchaus feucht sein, so verlangte es die Mode, und man setzte voraus, daß die Feuchtigkeit von Thränen herrühre. Die Romane „Leiden des jungen Werther“ und „Siegwart“ wurden Gott weiß wie vielmal nachgeahmt, und alle diese schlechten Bücher fanden Käufer, das Werther- und Siegwartsfieber schien noch im Steigen begriffen zu sein und die Helden der Romane mußten sich entweder wie Werther erschießen, oder auf dem Grabe der Geliebten in einer Mondscheinnacht vor süßem Schmerz und Sehnsucht umkommen, wie der Klosterbruder Siegwart. Wie durfte eine so unberühmte Feder wie die unseres heitern lebensfrohen Musäus gegen diesen Unfug aufzukommen hoffen?

So standen die Dinge im Musäus’schen Hause zwei Tage vor Himmelfahrt. Die Frau Professorin machte ein verdrießliches Gesicht und war sehr schweigsam; der Herr Professor schielte zuweilen nach ihr hinüber, während er sein frugales Frühstück einnahm und schnitt dann seinerseits ein drolliges Gesicht. Endlich fragte er ironisch: „Soll ich Dir etwa ein lustiges Stückchen vom Rübezahl vorlesen?“

„Ach davon kommt er nicht in’s Haus und bringt uns nichts von seinen Schätzen! Du hast Dich so nobel gegen ihn benommen; er führt sich dagegen schlecht gegen Dich auf. So geht’s den Dichtern immer. Sie erfreuen alle Welt; Niemand erfreut sie.“

„Das solltest Du in Weimar nicht sagen. Du bist ungerecht.“

„Du bist nicht Wieland, nicht Goethe und nicht Herder. Zu diesen kommt Rübezahl mit vollen Händen, nicht zu uns.“

„Wer weiß! Es ist noch nicht aller Tage Abend,“ versetzte Musäus, nahm sein Lehrbuch unter den Arm, pfiff den Dessauer Marsch leise durch die Zähne und verfügte sich zu seinen Tertianern.

Er mochte ohngefähr eine Stunde aus dem Hause sein, als ein stattlicher Fremder mit einem sehr ehrlichen und gutmüthigen Gesicht, fein und modern gekleidet mit einem Diener hinter sich, der einen großen Carton trug, in dasselbe trat und bei der Frau Professorin anfragte, ob er die Ehre haben könne, den Herrn Professor zu sprechen?

„Mein Mann ist im Gymnasium,“ versetzte die Frau, „und wird erst in einer Stunde zurückkehren.“

„Desto besser,“ sagte der Fremde. „Dann werde ich mich mit Ihrer gütigen Erlaubniß so lange mit Ihnen unterhalten. Zuvor habe ich aber eine etwas delikate Bitte an Sie zu richten. Meine Gesundheitsumstände verlangen nämlich, daß ich salva venia die Leibwäsche öfter wechsele, und ich fühle mich nicht eher behaglich und zu einer muntern Unterhaltung aufgelegt, bevor ich nicht dieser Pflicht gegen mich selbst genügt habe. Gestatten Sie mir also in einem Zimmer meinem Bedürfniß zu genügen.“

Die Frau Professorin fand dieses Verlangen allerdings etwas sonderbar und begriff nicht, weshalb der fremde Herr nicht vorher im Gasthofe seinem Reinlichkeitssinne das nöthige Opfer gebracht, zumal sie den Diener als Lohndiener eines der ersten Gasthöfe erkannte, inzwischen bat der Unbekannte so höflich und benahm sich so fein, daß sie ihm ohne Weiteres ihre Putzstube öffnete. Der Diener stellte den Carton dort ein und empfahl sich. Der Herr riegelte die Thür zu und hielt sich eine geraume Zeit zurückgezogen. Dann trat er sehr freundlich heraus, setzte sich zu ihr nieder und brachte sie bald zum Plaudern. Da waren es theils die kleinen häuslichen Verhältnisse, theils die größern öffentlichen, die er ihr so fein, so geschickt, so treuherzig abzufragen verstand, daß sie ihm, sie wußte selbst nicht wie, nicht nur über das eigne Hauswesen detaillirte Mittheilungen gemacht und über die unzureichende Besoldung und die stille Resignation auf kleine freundliche Wünsche geseufzt hatte, sie war auch in glänzende Schilderungen des Hofs und des Adels gerathen; sie hatte von den Liebschaften des Herrn Geheimenraths von Goethe mehr fallen lassen, als sie selbst gewollt, über das seltsame eheliche Leben des Herrn Generalsuperintendent Herder und dessen Gemahlin Einiges gesprochen, was ihr nicht lieb war und über des Hofrath Wieland’s Eigenthümlichkeiten Erörterungen gegeben, die wohl auch besser unterblieben wären; denn sie kannte ja den Herrn, zu dem sie sprach, nicht. Das Alles überlegte sie sich aber erst, als der gute Musäus hereingetreten und sich mit dem Fremden bekomplimentirt hatte. Es war ihr, als habe es ihr der fremde Herr angethan. „Mit wem habe ich die Ehre?“ fragte der Professor.

[492] „Ich bin ein Buchhändler, der von der Jubilate-Messe zurückkehrt. Mein Name thut vor der Hand nichts zur Sache, doch sollen sie ihn nachher erfahren. Ich habe da Ihre Volksmärchen der Deutschen gelesen und möchte Ihres eignen Besten wegen wohl mit Ihnen über Ihre Schriftstellerei reden.“

„Wissen Sie wohl, wie das Büchlein gegangen ist? Hat wohl Herr Ettinger einigen Absatz erzielt?“ fragte Musäus etwas ängstlich.

„Das ist’s eben, weshalb ich zu Ihnen komme. Mein Freund Ettinger hat schlechte Geschäfte mit Ihren Märchen gemacht. Das ist kein Artikel, wie ihn die beutige Lesewelt verlangt.“

„Ich dachte es mir gleich,“ sagte Musäus resignirt; die Frau Professorin hatte aber plötzlich ihre ganze Munterkeit verloren. „Herr Ettinger wird Schaden an dem Buch gehabt haben; ich werde ihm den zweiten Band ohne Honorar überlassen. Ich kann nicht zugeben, daß er durch mich zu Schaden kommen soll.“ Die Frau Professorin seufzte und eine Thräne des Unmuths stieg ihr in’s Auge. Sie verwünschte im Stillen den Fremden, der sie so schlau ausgefragt und dafür so schlechten Trost ins Haus brachte.

„Ja, lieber Herr Professor, mit einem zweiten Band Märchen wird meinem Freund Ettinger nicht gedient sein. Damit können Sie ihn nicht entschädigen, er würde ja nur noch größern Verlust haben.“

„Sie sind also ein Beauftragter des Herrn Ettinger an mich, mit mir zu unterhandeln?“

„Gewissermaßen, ja!“

„Er hat mir wohl die Hiobspost nicht selbst bringen wollen?“

„Er wird aber doch selbst kommen. Erst muß ich mit Ihnen reden, Herr Professor. Sie haben ein schönes Talent; Sie würden gewiss einen guten Roman à la Werther oder Siegwart schreiben. Damit würden Sie nicht nur meinen Freund Ettinger hinlänglich entschädigen, sondern er würde Ihnen auch ein ansehnliches Honorar herauszahlen. Was meinen Sie dazu? Der Held muß aber durchaus vor schwärmerischer Liebe auf unnatürliche Weise umkommen. Was die Flammen der Sehnsucht nicht verbrannt haben, das muß in den Thränenbächen der Schwärmerei ertrinken. Je mehr unvergleichlich herrliche und vollkommene Menschen Sie auf diese Weise umbringen, desto reichlicher wird das Honorar sein, welches Ihnen Freund Ettinger zahlt.“

[503] Die Frau Professorin warf einen halb bittenden, halb auffordernden Blick auf ihren Gatten, um die beanspruchten mörderischen Entschlüsse in ihm zur Reife zu bringen, und ihre Augensprache enthielt etwas von dem mangelnden neuen Hut und dem entbehrten Envelöppchen. Aber der wackere Musäus, obgleich von beiden Seiten bestürmt, schüttelte lächelnd den frisirten und gepuderten Kopf, daß ihm der Haarbeutel wackelte und sagte: Nein, mein Herr! Zu einem solchen Fabrikat kann ich mich nimmer verstehen. Das ginge mir [504] wider die Natur, und mir würde zu Muth sein wie einer Katze, der man das Fell aufwärts streicht. In dem ganzen literarischen Bettel dieser Nachahmungen ist ja nicht für einen Pfennig Wahrheit. Mögen die Herren Romanschreiber ihr in Thränen geweichtes und am Sehnsuchtsfeuer wieder getrocknetes Makulatur noch so theuer verkaufen, mich gelüstet's nicht nach ihrem larmoyanten Verdienst. Ich werde wohl noch Mittel und Wege ausfindig zu machen wissen, wie ich Herrn Ettinger auf eine für mich ehrenvollere Weise entschädigen kann. Sagen Sie ihm, daß ich seinen Schaden durchaus nicht zugebe; eh’ ich ihm aber eine Wertheriade oder Siegwartiade schreibe, will ich mir die Entschädigung lieber von meiner knappen Besoldung absparen. Meinst Du nicht auch, liebe Frau, und sollten all’ Deine Hoffnungen auf Hüte und Enveloppen verduften? Geld verloren: nichts verloren; Ehre verloren: Alles verloren! Und der wirft seine Ehre von sich, der etwas gegen seine bessere Ueberzeugung thut. Sprechen wir von andern Dingen!“ Das sonst so heitere lachende Gesicht des Dichters war sehr ernst geworden und sah recht würdig und stolz aus.

Die Augen des Buchhändlers leuchteten von heller lichter Freude. „Ja wohl!“ rief er mit der heitersten Laune, welche mit dem besprochenen Gegenstande und Musäus’ Redetone im schneidendsten Contrast stand. „Von andern Dingen also! Kommen Sie doch Beide mit mir in dieses Zimmer da, welches die Frau Professorin vorhin auf kurze Zeit mir abzutreten die Güte gehabt hat; denn ich kann in der That die Unterhaltung, über die andern Dinge, die ich mit Ihnen besprechen möchte, nur im Putzzimmer der Frau Professorin führen.“

Das Ehepaar sah sich über diese räthselhafte Rede verwundert an; ihre Verwunderung stieg aber zum höchsten Erstaunen, als sie mit dem ungenannten Gaste in das Nebenzimmer traten. Da stand nämlich der große Gesellschaftstisch in der Mitte der Stube und war über und über mit großen französischen Laubthalern bedeckt, so daß auch kein Räumchen mehr übrig war, auf das man einen weimarischen Sechser hätte legen können, und diese Münze war doch bekanntlich sehr klein. Daneben aber auf dem Federkanapee lag ein prächtiger Stoff zu einem modernen Sommerdamenkleide und ein anderer zu einer Enveloppe und endlich ein neuer Damenhut nach der neuesten Mode. Kurzum, es sah aus, als ob Rübezahl bescheert hätte.

„Mein lieber Herr Professor und hochgeschätzte Frau Professorin,“ nahm der Fremde das Wort, „ich gebe mir die Ehre, mich Ihnen als den Buchhändler Ettinger von Gotha selbst vorzustellen und Sie zum Erfolg Ihrer Volksmärchen zu beglückwünschen. Lassen Sie sich umarmen, trefflichster Mann, der mich eher von seiner knappen Besoldung für meinen vermeintlichen Verlust entschädigen, als dem miserabeln Modegeschmack huldigen und ein Buch gegen seine Ueberzeugung schreiben wollte! Das ist wahre Ehrenhaftigkeit, und dies hat ein gütiges Geschick an Ihnen auf eine glänzende Weise belohnt, wie es nicht immer zu thun pflegt. Ja, wackerer Ehrenmann, die gesunde Kost, die Sie dem deutschen Volke vorgesetzt, sagt ihm auf das Werther- und Siegwartsfieber und die in Thränensauce aufgetischten Zuckerbäckereien, an welchen es sich zeither den Magen verdorben hat, ganz vortrefflich zu. Ich hatte selbst kein Vertrauen zu Ihren Volksmärchen und ließ nur eine kleine Auflage drucken. Kaum war aber diese versandt, als von allen Seiten neue Bestellungen einliefen, erst kleine, bald größere, immer größere, immer bedeutendere. Ich ließ eine zweite Auflage machen, aber vor Weihnacht war auch diese schon vergriffen und ich mußte schnell eine sehr große dritte drucken lassen. Ich kann die Bestellungen kaum befriedigen; der Absatz ist fabelhaft. Sie haben zur rechten Zeit den rechten Ton angeschlagen; die Welt ist die Selbstmördergeschichten und die thränenfeuchten Mondscheinsphantasien müde und labt sich an Ihren einfachen und natürlichen Märchen. Der Umschwung ist großartig und der Gewinn an Ihrem Buche ein bedeutender. Als ein redlicher Mann theile ich denselben mit Ihnen, wie es recht und billig ist und wie es mir mein Gewissen vorschreibt. Hier liegt die Hälfte des Gewinnes. Zählen Sie den Schatz und streichen Sie ihn ein.“

„Herr Ettinger!“ rief der Autor, dem zu Muthe war, als sei er gerades Wegs aus den Wolken auf die Erde herabgefallen, „Herr Ettinger, wie ist das möglich! So außerordentlich ist der Absatz meines bescheidenen Büchleins gewesen! Wer hätte so etwas denken sollen? Ich kann es noch gar nicht fassen!“

„Fassen Sie nur zu und zwar den klingenden Beweis!“

„Das ist ja ein ganzes Blumenbeet voll köstlicher Lilien!“

„Die nicht über Nacht verblühen und verwelken.“

„Aber wie kann ich denn diesen Lilienthaler annehmen? Sie haben mir ja das geforderte Honorar für die Märchen richtig bezahlt. Sie sind mir ja nichts schuldig.“

„Andere Verleger mögen wohl so denken, nicht ich, Herr Professor. Wie? ich wäre Ihnen vor Gott und meinem Gewissen nichts schuldig von dem Gewinne, den ich ganz allein Ihrem Geiste zu verdanken habe? Ich würde mich der größten Sünde fürchten, wenn ich dieses Geld behielte; es würde mir die Ruhe meines Lebens rauben. Nehmen Sie es in Gottes Namen, denn Sie dürfen es nehmen; es ist Ihr redlich erworbenes Eigenthum. Sie wollten mich ja für meinen vermeintlichen Verlust entschädigen, redlicher Mann; also gehört Ihnen auch die Hälfte des gemachten Gewinnes. Glauben Sie, ich werde mich von Ihnen beschämen und an Redlichkeit und Treue übertreffen lassen? Nein; glücklicher Weise lag das Geld schon hier aufgezählt, als sich Ihr redliches Herz mir in seiner ganzen Schönheit offenbarte!“

„Geben Sie mir Ihre Hand, Herr Ettinger. Sie sind ein ächter deutscher Ehrenmann!“

„Ich bin stolz auf diese Anerkennung eines ächten deutschen Ehrenmannes.“

Und Dichter und Verleger der Volksmärchen umarmten und küßten sich; die Frau Professorin, welche zeither ein Mal über das andere Mal die Hände vor Verwunderung zusammengeschlagen und Freudenthränen [505] vergossen hätte, überflog mit den Augen nicht nur die Blumen, die auf dem Tische blüheten, auch die auf dem Kanapee musterte sie mit freudestrahlenden Kennerblicken, bis sich der redliche Buchhändler jetzt an sie mit den Worten wandte: „Werthgeschätzte Frau Professorin, Sie können unmöglich verlangen, daß ich Ihr Putzzimmer umsonst annehme. Sie müssen mir schon erlauben, ein Weniges zu Ihrem Putze beizutragen.“

„Rübezahl! Rübezahl!“ rief Musäus schelmisch lachend und schabte seiner Frau schadenfroh ein Rübchen. „Hab’ ich dies nicht diesen Morgen gesagt: er kann auch zu uns kommen. Siehe hier steht er leibhaftig!“

„Ach, was für ein Schelm sind Sie!“ rief die Frau entzückt. „Wie haben Sie mich angeführt! Ja, wahrlich, wie der neckische Geist Rübezahl in den Volksmärchen sind Sie in unser Haus gekommen und haben uns mit Schätzen überschüttet. Mein Mann hat eine Ahnung gehabt.“

„Die Dichter sind Seher!“ lachte Musäus, und erzählte die Geschichte dieses Morgens.

„Ich muß freilich um Verzeihung bitten, daß ich aus meiner Rolle als Verleger gefallen und in die des Dichters gepfuscht habe,“ sagte Ettinger und küßte der Frau Professorin artig die Hand.

„Wahrlich dieser Dichter und dieser Verleger gehören zusammen!“ rief Musäus und weinte die süßesten Freudenthränen wie ein vom Glück berauschtes Kind.

„Frau, schaffe Wein herbei! Ich muß mit diesem Schweizer eine Lanze brechen.“

„Nur die Becher, wenn ich bitten darf; drei Stück.“ sagte Ettinger; „der Wein ist schon da.“ Und er zog zwei Flaschen Rheingauer aus dem Carton hervor. „Rübezahl! Rübezahl! Wohlthätiger Geist! Du hast an Alles gedacht, um ein armes Dichterherz und das seines Alterego zu erfreuen. Sei gesegnet, treue Seele, für diese schöne Stunde!“ und der Wein perlte in den Gläsern und floß als Oel in die aufschlagende Flamme der glücklichen Geister. Die drei fröhlichen Menschen umarmten sich, tranken und küßten sich, und Musäus brach plötzlich in den alten lieben Gesang aus:

„Gaudeamus igitur,
Juvenes dum sumus.“

Als Ettinger nach ein paar fröhlich durchlebten Stunden, die er in dieses Haus gebracht, wieder aus demselben schied, hatte er das Manuscript des zweiten Bandes der Volksmärchen unter dem Arme.

Das war die schönste Himmelfahrt, welche jemals die Frau eines deutschen Dichters erlebt hat. Nie beschattete ein neuer Hut seliger strahlende Augen, und nie umhüllte ein modernes Envelöppchen ein glücklicheres Frauenherz, als Professor Musäus sein Weibchen innig küßte und mit ihr nach Tieffurth fuhr.

O, hätte der ehrliche Ettinger viele würdige Nachfolger gehabt, die edelsten Herzen hätten es dem Vaterlande durch die schönsten Thaten gedankt, durch große und bedeutende Schöpfungen!