Textdaten
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Autor: A. Kohlenberg
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Titel: „Des Löwen Spur“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 782f.
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[782]

„Des Löwen Spur.“

Ein Blick auf die Geschichte von Bardowiek.


Vineta, die vom Meere verschlungene Wendenstadt mit ihren marmornen Palästen und güldenen Dächern, wem wäre sie nicht bekannt! Oder die über den Wellen stehen gebliebene nordische Trümmerstadt Wisby, wer hätte nichts von ihr gehört! Wie aber steht es um unser niedersächsisches Wisby, die alte Bardenstadt Bardowiek? Nur wenige wissen von ihr, und als am 28. Oktober 1889 zum siebenhundertsten Mal der Tag sich jährte, da Bardowiek von Heinrich dem Löwen zerstört wurde, weil es ihm in den Tagen seiner Acht die Thore verschlossen hatte, da haben nur wenige Zeitungen Bardowieks gedacht. Und doch kann es mit Stolz darauf hinweisen, daß es eines der ältesten, wenn nicht gar das älteste deutsche Gemeinwesen ist! Aber es liegt seit Jahrhunderten in Trümmern, dank der gar zu gründlichen Zerstörung sind nur wenige Spuren seiner einstigen Größe übrig geblieben, und unsere Forscher haben vielleicht zu wenig gethan, um das Dunkel zu lüften, das über diesen Ruinen schwebt.

Ja, ein märchenhaftes Dunkel liegt über dem Ursprung von Bardowiek, und wie gar oft, so hat auch hier geschäftige Phantasie des Wissens Lücke zu füllen sich bemüht. Alte Chronisten und mit ihnen auch Christian Schlöpken, dem wir die einzige Chronik von Bardowiek verdanken, sind nicht abgeneigt, es für eine phönizische Kolonie zu halten. Der Mindener Dominikanermönch Heinrich von Herford aber erzählt. „Zween aus denen 72 Jüngern Christi sind von dem heiligen Apostel Petrus in Teutschland gesandt, das Wort Gottes zu predigen. Der eine unter ihnen, nämlich Maternus, gen Trier an der Mosel; der andere, nämlich Egistus, nach Bardowick an der Elmenow, in Begleitung des Mariani, der sein Archediakonus gewesen; welche beyde auch zu Bardowick die Märter-Krone erhalten haben, und ruhen ihre Gebeine noch daselbst und zwar des Egisti seine am unbekandten Orte bey dem großen Altare zu St. Peter daselbst.“

Wenn also nach dieser Nachricht Bardowiek schon im ersten Jahrhundert n. Chr. Geburt bestanden haben müßte, so verlegt eine räthselhafte Inschrift im Dome seine Anfänge noch viel weiter zurück, nämlich 1065 Jahre nach Abraham und 250 Jahre vor Rom, das wäre rund das Jahr 1000 vor [783] Chr. Geburt. Können auch diese Zeugnisse auf geschichtliche Glaubwürdigkeit keinen Anspruch machen, so weisen sie doch darauf hin, daß man die Stadt im Mittelalter schon für außerordentlich alt hielt; „vetustissma urbs“, eine uralte Stadt, nennt sie auch eine Urkunde aus der Zeit Kaiser Heinrichs VI. (1190 bis 1197), und sicher ist, daß sie schon zu Karls des Großen Zeit von hervorragender Bedeutung war.

Nach dem, was bis jetzt über Bardowiek erforscht ist, haben wir es bei seinem Eintritt in das Licht der Geschichte als die Hauptstadt eines sächsischen Gaues anzusehen, welcher unter dem Namen „Bardengau“ bekannt und berühmt geworden ist und der sich seinem Umfang nach ungefähr mit dem heutigen Regierungsbezirk Lüneburg deckt. Es war ein gefährlicher Posten, hier außen an der Grenze des Deutschthums gegen das Wendenthum, und lange Jahre war der Bardengau der Schauplatz des heißen Kulturkampfs zwischen den beiden Völkern, eines Kampfes, an dem die Sachsenherzöge, das aus dem Bardengau stammende Geschlecht der Billunger, so hervorragenden Antheil genommen

Der Dom von Bardowiek.

haben. An das Christenthum haben sich die Bardengauer verhältnismäßig früh angeschlossen; schon 780 erschienen sie bei Ohrum an der Ocker, um die Taufe zu empfangen während ihre Stammesgenossen noch lange für ihren angestammten Glauben gegen die gewaltsame Propaganda Karls des Großen stritten, und daraus mag es sich auch erklären, daß Karl der Große, wenn er wie 785 und 795 im Sachsenlande Hof hielt, gerne die Lüneburger Gegend wählte. Da mag auch Bardowiek unter den Plätzen gewesen sein, welche das kaiserliche Hoflager aufzunehmen hatten.


Bardowieks Glanzzeit fällt indessen unzweifelhaft in die Regierungszeit der Billunger, dieses tapferen Geschlechts, das von Otto dem Großen zum Grenzwächter des deutschen Reiches ausersehen war. Hermann Billung und seine tapferen Nachfolger Benno, Bernhard, Ortulf und Magnus sind es gewesen, welche der von Osten herandrängenden slavischen Fluthwelle einen starken Damm entgegensetzten und in dem kritischen Augenblick, in welchem das Uebergewicht der Slaven im ganzen Norden entschieden zu sein schien, mit der Kraft ihrer Mannen den letzten Schatten einer Herrschaft des Dentschthums aufrecht erhielten und Deutschland vielleicht vor einer gewaltigen Krisis bewahrten. Ein Stück jenes grausamen Kampfes hat uns Christian Schlöpken in seiner Chronik überliefert.

Aus der Bedeutung des Gaues ergiebt sich auch die Bedeutung seiner Hauptstadt. Sie war schon zu Karls des Großen Zeit befestigt, und bis hierher erlaubte er den deutschen Kaufleuten mit ihren Waren vorzugehen. Die Lage der Stadt war eine überaus günstige, an der schiffbaren Ilmenau unweit der Elbe, für den Seehandel erreichbar, zugleich vor den Seeräubereien der Normannen geschützt und doch auch wieder für den Binnenhandel geeignet.

Ein großartiger Zwischenhandel zwischen Sachsen und Wenden wurde hier betrieben, und außerdem führte über Bardowiek die große, im Mittelalter sehr bedeutende Straße von Artlenburg an der Elbe, welche hauptsächlich den Dänen, Mecklenburger und Holsteinern als Handelsweg diente. Noch trägt eine benachbarte alte Furch über die Ilmenau den Namen der „Holstenfurth“. Für den südlichen Theil des Sachsenlandes war Bardowiek der Ort, von wo die Erzeugnisse des Meeres und überseeische Produkte geholt wurden. So sandte u. a. Helmstedt seine Dienstpflichtigen dahin, um Seefische einzukaufen, ebenso das Kloster Corwey. Desgleichen legen die aus Urkunden bekannten Zölle Zeugniß von Bardowieks ausgedehntem Handel ab. Aber das wichtigste Zeichen seiner Macht und Freiheiten ist wohl die Bardowieker Münze, nach Schläpken „Bardowieker Pfennig“ genannt. Sie scheint nicht nur in ganz Norddeutschland, sondern auch im Obotritenland gegolten zu haben, denn nach einer alten Nachricht gaben die Circipaner dem Zwantewit jährlich „entweder einen Fuchsbalg oder sechzig Geldstücke, die ganz so aussahen wie Bardowieker Münze, wenn sie nicht gar dazu gehörten“. Und um das Bild des alten Bardowiek zu vervollständigen, möge hier noch erwähnt werden, daß die Stadt zur Zeit ihrer Blüthe nicht weniger als neun Kirchen besaß. Heute freilich find von allen nur noch zwei übrig, der Dom und die Nikolaikirche.

Nach dem Aussterben der Billunger, deren Regentenreihe mit Herzog Magnus abschließt, kam das Herzogthum Sachsen und mit ihm Bardowiek an Lothar von Suplinburg und später durch Verleihung an die Welfen. Unter den Welfen war besonders Heinrich der Löwe bemüht, den Handel Bardowieks zu heben und es zur nördlichen Hauptstadt seines Reiches zu machen aber auch Lübeck, nach dem sich mehr und mehr der Handel der nordöstlichen Länder hinzog, erfreute sich seiner Begünstigung, und aus diesem Umstand wird wohl die Spannung zwischen ihm und Bardowiek herzuleiten sein, welche später in so bitteren Haß umschlug. Heinrich der Löwe, welcher dem Kaiser Friedrich Barbarossa den Gehorsam verweigert hatte, war von den deutschen Fürsten in die Acht erklärt und mußte sein Land verlassen. Als dann der Kaiser im Jahre 1189 den Kreuzzug nach dem fernen Osten angetreten hatte und Heinrich – gegen seinen Eid – aus der Verbannung zurückkehrte, verschloß ihm Bardowiek die Thore und wollte den Geächteten nicht als Herrn anerkennen. Erzürnt rückte Heinrich mit Heeresmacht herbei und belagerte die Stadt, aber die trotzigen Bürger gaben nicht nach, sie setzten sich tapfer zur Wehr, ja sie sollen ihren Gegner noch durch derbe Verhöhnung von der Mauer herab besonders gereizt haben. Zwei Tage lang brach sich des Löwen Wuth an den festen Mauern. Schon verzweifelte Heinrich an dem Gelingen, da, am dritten Tage, ward ein Zufall der übermüthigen Stadt zum Verderben. In das herzogliche Lager hatte sich ein Stier verirrt. Die Soldaten wollten ihn fangen, allein der Stier flüchtete sich vor ihnen durch die Ilmenau in die Stadt, wohin er gehörte. Verwundert bemerkten seine Verfolger, daß dem Thiere das Wasser nur bis an den Leib reichte – es mußte dort eine Furth vorhanden sein. Zudem war die Stadtmauer an dieser Seite nur schwach vertheidigt, da die Belagerten auf den Schutz des Wassers rechneten. Ehe sie ihren Fehler verbessern konnten setzte die Reiterei Heinrichs durch den Fluß, das Fußvolk folgte nach, und bald hatten die Bardowiecker um ihr Leben zu kämpfen. Nach einem furchtbaren Blutbade, in dem selbst Weiber und Kinder nicht verschont blieben, sank die Stadt in Asche und Trümmer.

So zertrat des Löwen Fuß die reiche Stadt, die sich nie wieder aus ihren Trümmern erhob. Nur der Dom erhielt sich, jedoch seiner kostbaren Gefäße und Schätze beraubt, bis auf die späte Nachwelt. Ueber seine Hauptthür ließ Heinrich einen aus Holz geschnitzten Löwen setzen mit der Inschrift „Vestigia leonis“ – „des Löwen Spur“.

Aus den Trümmern von Bardowiek erhob sich später ein Gemüse bauender Flecken. Wenn demselben auch manche Rechte und Freiheiten verblieben so sank doch sein Ansehen immer mehr. Nicht einmal die alte Stadtmauer wurde wieder aufgerichtet, sondern die gewaltigen Granitquadern, aus denen sie erbaut war, wurden von den Bardowiekern an die Hamburger verkauft, welche daraus ihre großen Ufermauern an der Elbe herstellten. Dafür erhielten die Bardowieker in Hamburg gewisse Rechte, u. a. auch ein Haus zur Niederlage ihrer Gemüse, vom Volke das „Zippelhaus“ (Zwiebelhaus) genannt. Leider ist dieser altehrwürdige Rest aus Hamburgs Vergangenheit dem neuen Hafenbau zum Opfer gefallen und damit wieder ein bedeutungsvolles Stück Bardowieker Erinnerung von der Bildfläche verschwunden.
A. Kohlenberg.