„’s ist nichts so fein gesponnen –“

Textdaten
<<< >>>
Autor: W. P.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: „’s ist nichts so fein gesponnen –“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 378
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[378]

„’s ist nichts so fein gesponnen –“

Eine postalische Plauderei.

Herr Prokurist Karl Kunze vom Hause N. N. und Söhne in D., früher ein flotter Lebemann, ist seit zwei Jahren verheiratet und natürlich solid geworden, d. h. seine kluge und energische Elise hat es verstanden, die gelegentlichen Versuche ihres Mannes, in dem alten Fahrwasser weiter zu segeln, stets im Keime zu ersticken. Herr Kunze muß es sich zwar selbst gestehen, daß er sich jetzt bei seinem soliden Leben entschieden wohler fühlt als früher, aber –

„der Frosch hupft wieder in den Pfuhl,
Wenn er auch saß’ auf goldenem Stuhl.“

Eines Abends verabredeten mehrere seiner alten Kneipbrüder, lauter fidele Junggesellen, für den folgenden Tag eine Spritztour zum Kölner Karneval. Es kostete nicht allzuviel Mühe, Freund Kunze zu überreden, mitzumachen. Erst nachdem er seine Zusage gegeben hat und nach der Verabredung, wann und wo die lustige Gesellschaft morgen früh zur gemeinsamen Fahrt sich treffen soll, fällt unserem soliden Ehemann der Gedanke schwer aufs Herz, was wohl seine Frau zu dem Unternehmen sagen wird. Da ist guter Rat teuer. Die Wahrheit zu gestehen wagt er nicht – aus naheliegenden Gründen. Was also thun? Die Sache ist ja aber doch höchst einfach, sagt er sich dann nach einem Augenblick des Nachdenkens. Ich werde Elisen sagen, daß ich morgen auf zwei Tage eine Geschäftstour nach N. machen müsse. Und so geschah’s. Elise merkte nichts und kein Schatten von Verdacht stieg in ihr auf. Aber wie das so kommt! Im Augenblick, wo ihr Karl sich von ihr verabschiedet, muß er noch versprechen, ihr seine glückliche Ankunft in N. zu melden. Eine Postkarte sei ja bald geschrieben, ist ihre Erwiderung auf seine Einwendungen. Will er also keinen Argwohn erregen, so muß er sich fügen. Du ahnungsvoller Engel du, denkt Freund Kunze mit einem Seufzer, während er sich nach dem Bahnhofe begiebt. Dort erzählt er seinen Freunden von seiner Verlegenheit und daß er keinen Ausweg wisse.

„Kellner, eine Postkarte!“ ruft sofort einer aus der Reisegesellschaft, „aber ein bißchen schnell, der Zug geht bald ab!“ Dann mit triumphierendem Lächeln die rasch herbeigebrachte Postkarte dem etwas verblüfft dreinschauenden Freunde überreichend, sagt der erfindungsreiche Odysseus: „Ja ja, Karl, in der Fixigkeit bin ich dir über, hier ’mal schleunigst die verlangte Karte an die Gattin, die teure, geschrieben, datiert von N. vom heutigen Tage. Ich schreibe inzwischen zwei Zeilen an das Postamt in N. und bitte darin um Abstempelung und Absendung der Karte.“

Jeder begriff jetzt die Absicht, und unter allgemeiner Heiterkeit wurde, bevor die Gesellschaft den Zug bestieg, der Brief mit der eingelegten Postkarte in den Bahnhofsbriefkasten gesteckt. Während wir die lustige Gesellschaft, Freund Kunze, wie begreiflich, mit bedeutend erleichtertem Herzen, den Karnevalsfreuden entgegenrollen lassen, wollen wir uns inzwischen ein wenig für das Schicksal der Postkarte interessieren.

Eben hatte, nach friedlich beendetem Nachmittagsschläfchen der bejahrte und weißbärtige, aber noch immer dienstlich stramme Postmeister der guten Stadt N. sein Dienstzimmer betreten, in dem der ihm zur Ausbildung überwiesene Posteleve mit Rechnungsarbeiten beschäftigt war, als ein Unterbeamter eintrat und ihm einen mit der eben angekommenen Post eingegangenen Brief überreichte. Den Brief besehen, ihn öffnen, lesen, die Stirn runzeln und ihn dann, nach einem Augenblick des Nachdenkens, nebst der darin eingeschlossen gewesenen Postkarte dem jungen Eleven übergeben, diese Vorgänge folgten unmittelbar aufeinander. „Die Sache könnten Sie wohl gleich ’mal erledigen, lieber Müller,“ sagte der alte Herr mit einem listigen Augenzwinkern.

Der junge Mann überflog die wenigen Zeilen des Briefes, durch den das Postamt gebeten wurde, die beigeschlossene Karte abstempeln und absenden zu lassen, und erhob sich sodann diensteifrig, um die Karte in das anstoßende Abfertigungszimmer zu bringen. Doch die Worte seines Chefs „Also richtig hereingefallen!“ hielten ihn, bevor er noch die Thür erreicht hatte, auf.

„Hatten Sie mir nicht gesagt,“ sprach der alte Herr jetzt, „daß Sie meine Anweisung, sich mit dem Posttaxgesetz genau bekannt zu machen, befolgt hätten?“

„Gewiß habe ich das gethan,“ war die Antwort, „es ist vom 28. Oktober 1871 datiert, die Postkarte hier ist aber richtig mit fünf Pfennig frankiert und finde ich auch sonst nichts daran auszusetzen.“

„Na, dann holen Sie ’mal den ersten Band der Allgemeinen Dienstanweisung her, schlagen Sie das Posttaxgesetz auf und sehen Sie dort nach, wie in diesem Falle zu verfahren ist!“

Der junge Beamte beeilte sich, den Auftrag auszuführen, und blätterte dann eifrig in dem Buche. „Ich kann wirklich nicht finden, was Sie meinen, Herr Postmeister,“ sagte er schließlich.

„Hab’s mir wohl gedacht,“ war die Entgegnung des Angeredeten, „über die Hauptsachen sehen die jungen Herren meistens hinweg. Lesen Sie mal den § 5 nebst Anmerkung vor!“

Während eine verräterische Röte der Verlegenheit auf seinen Zügen sich verbreitete, las der junge Mann nun folgendes:

„§ 5. Werden Briefe oder andere Gegenstände vom Absender an eine Postanstalt zum Verteilen couvertiert, so kommt für jede im Couvert enthaltene Sendung das tarifmäßige Porto in Ansatz.

Anmerk. Die Bestimmungen des § 5 erstrecken sich nur auf solche Briefe, welche vom Absender an eine Postanstalt zum Verteilen couvertiert werden, mithin lediglich auf Briefe etc., die an bestimmte, in der Aufschrift benannte Empfänger im Bestellbezirke der Postanstalt gerichtet sind. Wenn den Postanstalten dagegen von anderen Postorten her unter Umschlag Briefe etc. mit dem Ersuchen übersandt werden, solche mit dem Aufgabestempel der Postanstalt zu versehen und nach den in den Briefaufschriften angegebenen dritten Orten weiter zu senden, so darf diesem Verlangen nicht entsprochen werden. Ebensowenig haben sich die Postanstalten mit der Verteilung der ihnen ohne Aufschrift etwa zugehenden Sendungen (Geschäftspreislisten etc.) zu befassen. Derartige Briefe etc. sind vielmehr an die Postanstalt des Ursprungsortes zur Rückgabe an den von letzterer entsprechend zu verständigenden Absender zurückzusenden.“

„So,“ sagte der Postamtsvorsteher, als die Verlesung beendet war, zu dem gerüffelten Posteleven, „nun werden Sie ja wohl wissen, wie die Sache zu erledigen ist. Ist Ihnen aber auch der Zweck klar, der dieser eben vorgelesenen Bestimmung zu Grunde liegt? Wenn Sie erst ’mal länger im Dienste sind, dann werden Fälle, wie der jetzt hier vorliegende, Ihnen nicht allzuselten bekannt werden. Fast ausnahmslos ist es dabei selbstredend auf Schwindeleien der verschiedensten Art abgesehen. Dabei spielen anonyme Denunziationen, Liebes- und andere Intriguen ihre Rolle. Wer Phantasie genug hat, kann sie hier frei walten lassen und dabei sicher sein, daß die Wirklichkeit noch mehr Abwechslung bringt. Da nun aber die Reichspostverwaltung sich nicht dazu mißbrauchen läßt, solchen Schwindeleien ihre Unterstützung zu leihen, so hat sie so, wie Sie eben vorgelesen, verfügt. Und damit Sie bei der Gelegenheit gleich erfahren, wie die Sache anderswo im deutschen Vaterland geregelt ist, so bemerke ich, daß, wenn dergleichen in Bayern vorkommt, nach der dortigen Postordnung der Empfänger der Sendung, auf dessen Mystifizierung es abgesehen ist, den Brief nebst der Zuschrift etc. postamtlich direkt zugefertigt erhält und dadurch in der Lage ist, sofort den Schwindel zu durchschauen – ein Verfahren, das mir eigentlich noch praktischer erscheint als das unsrige.“

Der fein ausgesonnene Plan der Karnevalsbrüder war somit kläglich gescheitert. Frau Elise erhielt zwar am andern Morgen die von ihr erwartete Postkarte, jedoch in einem an ihren Gatten adressierten amtlichen Schreiben des Postamtes nebst Briefumschlag und den betreffenden Begleitzeilen unter entsprechender Verständigung über die Unzulässigkeit der erbetenen Abstempelung etc. zugesandt. Sie hatte, was sie sonst nicht zu thun pflegte, in der Annahme, daß es sich um eine eilige Angelegenheit handeln würde, das postamtliche Schreiben geöffnet und war nun, wie namentlich unsere Leserinnen sich leicht vorstellen können, über die Findigkeit ihres lieben Karl aufs angenehmste überrascht.

Von der Unterhaltung, die dann abends nach seiner Rückkehr von der „Geschäftstour“ Karl mit seiner Elise führte, schweigt natürlich unser Bericht. Herr Kunze soll aber längere Zeit hindurch in seiner Stammkneipe nicht mehr sichtbar geworden sein.
W. P.