Über das griechische Mönchtum

Textdaten
Autor: Karl Holl
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Über das griechische Mönchtum
Untertitel:
aus: Geschichtliche Aufsätze zur Kirchengeschichte II.: Der Osten, 1927/28
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1898
Erscheinungsdatum: 1928
Verlag: J. C. B. Mohr
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Tübingen
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Faksimile auf den Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[270]
14. Über das griechische Mönchtum
1898

Man kann nicht sagen, daß das griechische Mönchtum von den Kirchenhistorikern – um von den Profanhistorikern zu schweigen – sonderlich freundlich behandelt werde. Man pflegt, nachdem seine Geschichte bis auf Basileios (Bischof von Käsarea in Kappadokien, † 379) erzählt ist, nur noch anläßlich der theologischen Streitigkeiten seine Tätigkeit hervorzuheben und im übrigen die weltverlorenen Sonderlinge ihrer „Ruhe“ zu überlassen. Roher Fanatismus oder tatenloses Träumen erscheinen als die charakteristischen Züge dieses Kreises. – Unwillkürlich mißt man dabei das griechische Mönchtum am abendländischen, an dessen großartigen Leistungen für Welt und Kirche. Wir brauchen ja nicht erst in die Vergangenheit zurückzugreifen und uns der Kulturarbeit der mittelalterlichen Orden zu erinnern, um zu sehen, welche Rolle das Mönchtum in der Welt spielen kann, wir haben heute noch in der katholischen Kirche ein Bild davon vor Augen. Wenn man erwägt, was das Mönchtum dort bedeutet, wie es den schroffen Gegensatz zwischen Priester und Laie mildert, selbständigem religiösen Streben eine Zuflucht gewährt, ohne daß es dem Ganzen gefährlich wird, wie es über die offiziellen Organe der Kirche eine stillschweigende Kontrolle ausübt und die oberste Regierung in direkter Fühlung mit den großen Massen erhält, wenn man sieht, mit welchem Eifer es sich den großen Aufgaben der Kirche auf dem Gebiete der inneren und äußeren Mission widmet, wie es im Volke den Sinn für die allgemeinen Interessen und das stolze Bewußtsein, einem großen Ganzen anzugehören, zu wecken versteht, – wenn man dies alles sich vergegenwärtigt, so erscheint das Mönchtum als einer der wichtigsten Faktoren in jenem kunstvollen kirchenpolitischen System, und ein großer Teil der Erfolge des Katholizismus ist sein Verdienst. Solche Großtaten auf dem Gebiet der Kultur und der Kirchenpolitik hat das griechische Mönchtum nicht aufzuweisen. Aber messen wir nicht mit falschem Maßstab, wenn wir dies vom Mönchtum fordern? Das Mönchtum ist von Haus aus eine rein religiöse Bewegung, darf man seine Bedeutung darnach schätzen, was es für weltliche Kultur und für das Kirchenregiment leistet? Sind nicht dadurch, daß das Mönchtum im Abendland diesen Zwecken dienstbar wurde, auch Kräfte gelähmt und edle Gedanken unterdrückt worden? Man erinnere sich doch, wie im Abendland jeder Orden nach einer kurzen Zeit jugendfrischer Begeisterung unaufhaltsam verweltlicht, wie unter diesem Eindruck in immer neuen Anläufen neue Gründungen unternommen werden, bei denen sich dasselbe Gesetz wiederholt; man denke an den heiligen Franziskus und an die Geschichte seines Ordens! Wenn man gerecht urteilen und die Verdienste des Mönchtums da suchen will, wo sie in [271] erster Linie liegen müssen, auf dem Gebiete des inneren geistigen Lebens, so wird man finden, daß auch die griechische Kirche Grund hat, auf ihr Mönchtum stolz zu sein, und nachdem die Vorwürfe, die man gegen die Orientalen erheben kann, zum Ueberdruß wiederholt worden sind, ist es wohl billig, auch einmal vorwiegend die guten Seiten hervorzuheben.

Was ist der Gedanke, den das Mönchtum ursprünglich verwirklichen wollte? - Die älteste Heiligenbiographie, die von Athanasios verfaßte vita Antonii, schildert uns in anschaulicher Weise das innere Werden dieses Urbildes aller griechischen Mönche[1]. Sie erzählt uns, daß Antonios einmal auf dem Weg zur Kirche von dem Gedanken bewegt wird, wie die Apostel alles hingegeben hätten, und welche Verheißung dem wahren Jünger Christi im Himmel aufbewahrt sei. Es trifft sich, daß in der Kirche das Evangelium vom reichen Jüngling verlesen wird. Das schlägt bei ihm ein. Er faßt den Entschluß, das Seinige preiszugeben und nach dem Beispiel der ersten Jünger dem Herrn nachzufolgen. Sein Ziel sieht er darin, die innere Vollkommenheit zu erreichen, durch die man des Himmelreichs würdig wird. So fängt er, zunächst noch in der Nähe seines Heimatdorfes sich aufhaltend, an, sich mit sich selbst zu beschäftigen, die Tugenden, die er bei anderen sieht, sich anzueignen und in anhaltendem Gebet die Gemeinschaft mit Gott zu suchen. Versucherische Gedanken machen ihm dabei zu schaffen; er kämpft sie nieder, aber je weiter er innerlich fortschreitet, desto deutlicher wird ihm, daß das, was ihn versucht und seinen Frieden stört, nicht bloß die Gedanken des eigenen Herzens sind: hinter diesen steht die Welt des Bösen, der Satan mit dem Heer seiner Dämonen, die das Gute nicht aufkommen lassen wollen. Mit diesen Mächten muß er fertig werden, wenn er definitiv die innere Ruhe gewinnen will, und dies kann er nur in völliger Einsamkeit. So wird er unter stets sich steigernden Kämpfen immer weiter in die Wüste hinausgetrieben; aber in diesen Kämpfen wachsen auch seine Kräfte. Je mehr der überirdische Gegner ihn unmittelbar angreift, desto mehr wird auch sein Blick geschärft für die Dinge der unsichtbaren Welt, desto mehr verspürt er auch in sich das Vermögen, Uebernatürliches zu vollbringen. Der Herr, für den er streitet, begnadet ihn mit Offenbarungen und erfüllt ihn mit dem Geiste; er erhält Macht, Kranke zu heilen und Dämonen auszutreiben, und so von Gott unterstützt, gelangt er an sein Ziel. Es kommt einmal ein Zeitpunkt, wo er innerlich fertig und sicher ist, wo er die Ruhe des Herzens gewonnen hat und die Schrecknisse der Dämonen keine Macht mehr über ihn haben. – Ein ganz der inneren Heiligung gewidmetes Leben, in dem durch Entsagung und Selbstzucht die Seele frei wird, so daß sie ständig das Angesicht Gottes zu schauen vermag, das ist das Ideal der vita Antonii.

Rein auf den persönlichen Drang des Antonios nach Frieden und Gottgemeinschaft führt die vita die Entstehung dieses Ideals zurück; Zug um Zug ergibt sich in ihrer Schilderung mit innerer Notwendigkeit aus dem ersten Entschluß des Antonios. Die geschichtliche Betrachtung kann Linien ziehen, die auf dieses Ideal hinführen. Sie kann in der Theologie, vor allem bei Clemens von Alexandrien in seiner Schilderung des vollkommenen Gnostikers, die ideelle Wurzel zeigen; sie kann darauf [272] hinweisen, daß es von den ältesten Zeiten her in der christlichen Gemeinde einen besonderen hochangesehenen Stand der Asketen gab, daß überhaupt die Übungen der Entsagung hochgeschätzt wurden und die Erwartung sich daran knüpfte, daß dem Asketen besondere geistige Gaben zuteil würden, man kann endlich, um den Bruch des Antonios mit der Welt und mit der Gemeinde zu erklären, daran erinnern, welchen Anstoß die Kompromisse, zu denen sich die Kirche entschließen mußte, strenger gerichteten Christen bereiteten. Dennoch wird die vita Antonii darin recht haben, daß sie eine individuelle Erfahrung voranstellt und den Antonios schildert, als ob hier erst das Ideal erzeugt worden wäre. Das Ideal des Mönchtums ist nicht bloß eine Häufung wie von selbst sich vereinigender Motive, seine Stimmung ist nicht bloß der Reflex der Verhältnisse der damaligen Welt[2]. Eine neu erwachende Empfindung, ein übermächtiges Gefühl für die Größe der religiösen Güter und Pflichten, eine vertiefte sittliche Erkenntnis, der alle asketische Leistung nur Mittel zur inneren Befreiung ist, ein neues Kraftgefühl, das sich in dem Wiederaufleben des Enthusiasmus kundgibt, – das sind die festen Grundzüge, in denen sich der originale Charakter der Bewegung offenbart.

Das Ideal der vita Antonii ist als das Ideal des wahren Mönchs in der griechischen Kirche unverändert durch alle Jahrhunderte hindurch festgehalten worden. Es ist das Ideal des Einsiedlers, des Anachoreten. Zwar ist sehr bald, als das Mönchtum sich ausbreitete, der Trieb und das Bedürfnis nach Vereinigung der Gleichgesinnten entstanden, und Basileios hat den Versuch gemacht, die Anschauung zur Herrschaft zu bringen, daß die in Klöstern zusammenlebenden Mönche ein höheres Ideal verwirklichten als die Anachoreten; er machte namentlich geltend, daß sie auch das Gebot der Nächstenliebe erfüllten. Aber wenn schon naturgemäß das in Könobien vereinigte Mönchtum der Zahl nach überwog, die Tendenz des Basileios hat doch nicht durchdringen können. Die Könobiten selbst fügten sich darein, anzuerkennen, daß der Anachoret erst der vollkommene Mönch sei: nur er brach ja ganz mit der Welt, nur er stand völlig auf sich selbst. Was wollte es dagegen heißen, wenn der Könobit sich rühmte, daß er auch die Nächstenliebe nicht versäume? War es doch Nächstenliebe nur in beschränktem Umfang – denn der Nächste ist in erster Linie der Klostergenosse –, und gar zu handgreiflich war es, daß das Gemeinschaftsleben eine Erleichterung bedeutete und zerstreuend wirkte, während das Ziel Sammlung der Gedanken und einziges Genüge an Gott war.

Seitab von Welt und Kirche führt der Weg, den das griechische Mönchtum geht. Auch in sich selbst hat es kein Bedürfnis nach festerem Zusammenschluß gehabt. Etwas einem Orden Vergleichbares gibt es im Orient nicht. Das einzelne Kloster bildet eine Welt für sich. Höchstens, daß in Gegenden, in denen das Mönchtum dominierte, ein loser Verband hergestellt wurde. So vorübergehend in Palästina im fünften und sechsten Jahrhundert und dauernd auf dem Athos, dem heiligen Berg[3]. Auch hier nicht so, daß die Selbständigkeit der einzelnen Könobien aufgehoben worden wäre. – Wenn man sich diesen Charakter des griechischen Mönchtums vergegenwärtigt, so [273] erscheint es als eine paradoxe Tatsache, daß diese Richtung überhaupt Bedeutung, ja sogar die höchste Bedeutung für die Kirche erlangen konnte[4]. Wirklich hat auch nicht etwa das Mönchtum die Kirche, sondern die Kirche hat das Mönchtum gesucht. Ja gerade von der Seite her, wo man zunächst Widerstand oder Eifersucht erwarten sollte, von seiten der offiziellen Kirche, wird das Mönchtum von Anfang an begünstigt und mit Ehren bedacht. Schon in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts sehen wir, daß man Mönchen mit Vorliebe kirchliche Würden, namentlich die Bischofswürde verlieh. Das Mönchtum verhielt sich lange spröde: von dem Einsiedler Ammonios wird uns erzählt, daß er sich das Ohr abschnitt, um nicht Bischof werden zu müssen, Athanasios schreibt einen langen Brief an Drakontios, um ihn davon zu überzeugen, daß er nichts verliere, wenn er Bischof werde, und noch Johannes Xiphilinos, der 1064 vom Mönch zum Patriarchen von Konstantinopel erhoben wurde, gibt seinem Freund Psellos auf dessen Glückwunsch zur Antwort: nicht ein hinaufsteigen, sondern ein herabsteigen sei es, wozu er sich jetzt entschließe. Wie begehrt Mönche für kirchliche Stellungen waren und wie wenig die genuinen Vertreter des Standes auf diese Würden Wert legten, erkennt man am besten daraus, daß in den Mönchsregeln seit Basileios vor ehrgeizigem Trachten nach kirchlichen Würden gewarnt wird.

Um dieses Werben der Kirche zu verstehen, muß man sich vor allem daran erinnern, daß es auf dem Konzil von Nikäa abgelehnt worden war, den Cölibat dem Klerus aufzuerlegen. Die griechische Kirche hat sich auch später nicht dazu entschließen können, so weit zu gehen wie die abendländische. Seit Justinian, dessen Gesetz mit einer nicht unwesentlichen Milderung durch das Trullanum (692) bestätigt wurde, ist vom Bischof, aber auch nur von ihm gefordert, daß er ehelos sein müsse. Vom kirchenpolitischen Standpunkt aus betrachtet war das ein schwerer Fehler. Bei der allgemeinen Hochschätzung der Virginität, in einer Zeit, in der so viele ihrem Glauben dieses Opfer brachten, war die Möglichkeit, moralische Auktorität zu entfalten, durch den Besitz dieses Vorzugs wesentlich mitbedingt. Wenn er seine Gewänder abgelegt hatte, schien der Priester um nichts höher zu stehen als die Laien, ja hinter vielen stand er zurück. Dieser Mangel war ein Hauptgrund, warum in der griechischen Kirche das persönliche Ansehen des Mönchs das des Priesters so weit überflügelte[5]. Selbst dem Bischof, der früher verheiratet gewesen war, haftet im Vergleich mit dem Mönchsbischof noch ein gewisser Makel an.

Es ist daher begreiflich, daß die Kirche nach Kräften darnach trachtete, es in der Praxis wenigstens zu erreichen, daß möglichst viele ihrer Organe dem jungfräulichen [274] Stande angehörten. Gerade die höheren Würden sind womöglich Mönchen übertragen worden. Man darf es dem Mönchtum nachrühmen, daß es sich des Respekts, den ihm die Kirche erwies, würdig gezeigt hat. Nicht bloß, daß eine Reihe der selbstlosesten und hingebendsten Bischöfe aus diesem Stand hervorgegangen sind, es fällt, wenn man das Abendland vergleicht, den ganzen Stand betreffend auf, wie einfach hier der hohe Klerus lebt. Und in einer Beziehung namentlich war dieses Element der griechischen Kirche zum Segen. Die griechische Kirche war ständig davon bedroht, bloßes Werkzeug der kaiserlichen Politik zu werden. Gewöhnliche Patriarchen und Bischöfe zu gewinnen, war nicht allzu schwer; im Notfall war die σύνοδος ἐνδημοῦσα zu allem zu haben. Die Mönche hatten den Mut, zu widerstehen und, wenn es sein mußte, auch das Leben dran zu geben. Mag das Fanatismus sein, mochte es teilweise auf Beschränktheit zurückgehen, jedenfalls traten sie ein für eine Überzeugung, und sie sind darin achtenswert; achtenswerter mindestens als die, die sich feige oder aus eigennützigen Gründen beugten.

Aber weit mehr als auf diesen amtlichen Stellungen beruht der Einfluß des Mönchtums auf Beziehungen, die es sich in völlig freier Weise erwarb. Die geistlichen Gaben, die man dem Mönch zuschrieb, das Vertrauen, das man in seine Fürbitte setzte, bilden das Motiv für ein enges Verhältnis, das zwischen dem Mönchtum und dem gewöhnlichen Volk entstand. Schon die vita Antonii erzählt uns von ganzen Scharen, die zu Antonios pilgern, um sich sein Gebet und seinen geistlichen Rat zu erbitten. Als der in geistlichen Kämpfen Geübte gilt er für befähigt, die Geister zu scheiden, in die Tiefen des Herzens zu blicken und den inneren Zustand richtig zu beurteilen; von ihm, als einem, der mit Gott vertraut ist, erwartet man, daß er auch für andere wirksam einzutreten vermöge. Die Schilderung, die in der vita Antonii entworfen wird, ist keineswegs legendarisch; sie ist durch die zuverlässigsten historischen Berichte aus allen Zeiten bestätigt. Nachdem einmal der Glaube an die besonderen Gaben und Kräfte des Mönchs, an seine bevorrechtete Stellung bei Gott, sich festgesetzt hatte, da wendet sich das Volk an ihn als an seinen besten Berater und Mittler: bei großen und kleinen Unglücksfällen, bei Regenmangel und Heuschreckenplagen, in geistlichen und leiblichen Nöten nimmt man zum Mönch seine Zuflucht. Weit mehr als bei uns die Bettelmönche sind auf griechischem Boden die Mönche die Vertrauensmänner des Volks gewesen. Wie groß ihr Einfluß war, läßt sich am besten daran ermessen, daß die kaiserliche Politik diesen Faktor ernstlich in Rechnung nehmen mußte. Als Kaiser Anastasios 512 das Chalcedonense beseitigen wollte, hielt er es doch für gut, dem heiligen Sabas vorher bei Gelegenheit 2000 Goldgulden anzubieten; der gute Sabas hat in seiner Einfalt nicht gemerkt, was der Kaiser bezweckte, er hat es trotzdem riskiert, den Hyparchen, der in Jerusalem den Willen des Kaisers zu verkündigen unternahm, mit Schimpf und Schande aus der Stadt zu jagen. Dem palästinensischen Mönchtum zu lieb hat Justinian den Origenes verdammt; er wußte, daß die Ruhe in Palästina davon abhing, und welche Mühe hat sich im Bilderstreit Konstantinos Kopronymos (741–775) gegeben, um Stephanos den Jüngeren von dem abgelegenen Olympos für seine Wünsche zu gewinnen.

Aus dem Verhältnis, in das das Mönchtum zu der Bevölkerung der Umgegend trat, hat sich überall auch eine Mission entwickelt. Das Christentum hat im Orient [275] wie im Abendland zunächst vornehmlich in den Städten Fuß gefaßt, und die offizielle griechische Kirche bewies nach dem Sieg des Christentums keinen großen Eifer, es weiter auszubreiten; die Landbischöfe, deren Sitze Ausgangspunkte für eine vollkommenere Christianisierung des platten Landes hätten werden können, sind frühzeitig degradiert worden: der erste Schritt hierzu ist schon 314 auf der Synode von Ankyra gemacht worden. Aber die mönchischen Niederlassungen in den Einöden, die Klosterkirchen, bildeten Sammelpunkte für die rings zerstreuten Christen, und daran schloß sich auch eine gewisse Mission unter den heidnischen Stämmen. Mönche waren es, die das Christentum bis tief nach Asien hineintrugen. Und das Mönchtum hat den Besitz, so viel es vermochte, auch behauptet. Als der Sturm der arabischen Invasion über die griechische Kirche hereinbrauste, da sind die Bischöfe bald dem Unheil gewichen. Schon das Trullanische Konzil trifft Bestimmungen, in denen der Keim des Episkopats in partibus infidelium liegt. Aber das Mönchtum hat auf seinem Posten ausgeharrt, und seine Klöster sind die festen Burgen des Christentums in den vom Islam überfluteten Gegenden bis zum heutigen Tag geblieben.

So ist das Mönchtum fast ohne sein Zutun tatsächlich an die erste Stelle in der griechischen Kirche gerückt: es ist die höchste moralische Auktorität; die wichtigsten Funktionen der Kirche, die der Seelsorge namentlich, sind ihm zugefallen, und sein Einfluß ist um so größer, weil er nicht auf Machtmitteln, sondern auf persönlichen Eigenschaften beruht.

Man müßte sich wundern, wenn das geistige Leben der Kirche nicht Spuren dieses Einflusses trüge, wenn es dem Mönchtum nicht gelungen wäre, auch dem Christentum der „Weltleute“ seinen Stempel aufzudrücken.

Schon durch sein Dasein bewirkte es das Mönchtum, daß die Aufmerksamkeit der morgenländischen Kirche energisch auf die praktische Seite des Christentums gelenkt wurde. Die Kirche hatte diesen Hinweis nötig. Der Eifer, mit dem sie sich der Lösung der dogmatischen Probleme widmete, mußte bei ihren Gliedern den Eindruck erwecken, als ob korrekter Glaube die Hauptsache im Christentum sei. Man sagt nun zwar dem griechischen Mönchtum selbst nach, daß es an den dogmatischen Streitigkeiten besonderen Gefallen gefunden hätte. Aber das ist Legende. Vielmehr ist für das Mönchtum die Haltung, die Basileios einnahm, maßgebend geworden. Basileios hat immer wieder dazu ermahnt, „über die Trinität keine unnützen Fragen aufzuwerfen und dem, der etwa interpellieren wolle, einfach zu sagen: wir glauben das, worauf wir getauft sind“. Die Stimmung des Mönchtums war immer die, daß die Geheimnisse des Glaubens so unergründlich seien, daß nur der Fürwitz sich getrauen könne, in sie einzudringen. Man kann sie höchstens ahnen, schauen, aber nicht im strengen Sinn in Begriffe fassen und demonstrieren. Nur ungern hat sich das Mönchtum auf die Fragen eingelassen, die Leute, denen konsequentes Denken Bedürfnis war, der Kirche immer von neuem stellten. Der Fanatismus, den es dann entfaltete, entstammt zum guten Teil dem Ärger darüber, daß durch unnötige theoretische Beunruhigung der Eifer in praktischer Frömmigkeit gelähmt werde. Mit tieferem sachlichen Interesse hat es sich nur da beteiligt, wo eine Kontroverse das religiöse Leben direkt berührte: der Haß gegen Origenes entzündete sich an seiner Leugnung der Ewigkeit der Höllenstrafen; damit schien der Nerv des sittlichen [276] Strebens durchschnitten. Was einmal erreicht und im Dogma festgeschlagen war, hielt auch das Mönchtum für eine Errungenschaft, aber einen Trieb, den Glauben begrifflich weiterzubilden, hatte es nicht. Ihm lag die Übung der Frömmigkeit am Herzen. So gewiß das Mönchtum orthodox sein wollte, – Orthodoxie allein genügt nicht; das halten der Gebote Gottes ist erst das Entscheidende, hat es unaufhörlich gepredigt. Symeon der neue Theologe schleudert den Patriarchen den Vorwurf ins Gesicht, daß sie die Kirche ruinierten, weil sie sich begnügten, von den Bischöfen ein orthodoxes Glaubensbekenntnis zu fordern; orthodox im wahren Sinn sei erst der, der ein mit dem rechten Glauben übereinstimmendes Leben führe.

Aber das Mönchtum hat nicht bloß die praktische Aufgabe überhaupt der Kirche energisch zum Bewußtsein gebracht; es hat auch die sittliche Anschauung geläutert und vertieft. Die abendländische Kirche war damals schon lange auf bedenklichem Wege. Hauptsächlich die Einführung der Begriffe meritum und satisfactio ist dort vom schlimmsten Einfluß auf die Entwicklung der sittlichen Vorstellungen gewesen. Denn damit ist sanktioniert, daß es Handlungen gibt, die ipso facto sittlichen Wert haben, ihr Wert kann ausgedrückt, kann als Äquivalent verwendet, kann als Billigkeitsanspruch vor Gott geltend gemacht werden. Der Ablaß ist nur die konsequente Ausbildung dieser Idee. Der griechischen Kirche ist diese ganze niedrig rechnerische Art der sittlichen Anschauung fremd geblieben. Es gibt dort keinen Ausdruck für Verdienst und Genugtuung. Als Gabriel Philadelphus († 1616 in Venedig) das abendländisch-scholastische Lehrstück von den sieben Sakramenten ins Griechische übertrug, da übersetzt er satisfactio mit ἱκανοποίησις und erklärt, ἱκανοποίησις sei die Erfüllung des κανών, d. h. der vom Priester auferlegten Bußübung. Daß man bei satisfactio auch an Genugtuung vor Gott denken könne, kam ihm nicht in den Sinn, obwohl er jahrelang in Venedig gelebt hatte und mit der abendländischen Scholastik wohl vertraut war. Wohl kennt und schätzt auch die griechische Kirche gewisse hervorragende sittliche Leistungen – Ehelosigkeit, Fasten, Almosengeben –, sie übertrifft sogar in dem Maß der Askese, das sie von ihren Gläubigen fordert, die abendländische Kirche weit, aber sie hat nie vergessen, daß Askese Uebung, Uebung im sittlichen handeln sein soll, daß eine Entsagung nur dann Sinn und Wert hat, wenn eine schlimme Neigung dadurch unterdrückt oder, wie sie sich ausdrückt, wenn ein πάθος dadurch geheilt wird. Wohl erwartet auch die griechische Kirche, daß eine außergewöhnliche sittliche Leistung bei Gott ihren besonderen Lohn findet, aber sie denkt nicht an einen Anspruch oder an äußerlich abzumessende Vergeltung; sie hofft, daß der, der sich hervortut, dadurch zum Freund Gottes wird, der in seiner Nähe stehen darf und dessen Bitten Gott gern Gehör schenkt. Die Kirche bemühte sich aber auch zu verhindern, daß über asketischen Leistungen das Schwerere am Gesetz: Versöhnlichkeit, Barmherzigkeit, Nächstenliebe vernachlässigt werde. Es ist ein schöner Zug an der russischen Kirche, wie stark dort die Verpflichtung, den Bedürftigen zu unterstützen, von den Gläubigen empfunden wird. Wenn aber die sittliche Anschauung in der griechischen Kirche so reiner und kindlicher blieb, als in der abendländischen, so hat sie dies vor allem ihrem Mönchtum zu danken. Eben weil der Mönch nicht mehr sein wollte als wahrer Jünger Christi, weil die höchste asketische Leistung, die Weihe des ganzen Lebens, vom Mönchtum selbst nur als [277] ein Mittel zur Erreichung der inneren Vollkommenheit betrachtet wurde, deswegen blieb das Bewußtsein lebendig, daß das sittliche Ziel die Vollendung der Persönlichkeit, und daß diese Aufgabe einfache Pflicht ist.

Von der Erkenntnis aus, daß die sittliche Aufgabe in der Vollendung der eigenen Persönlichkeit besteht, ist das Mönchtum zu einer intensiven Selbstbeobachtung geführt worden. Die Mönche wissen es, daß die Sünde aus den argen Gedanken des Herzens entspringt, und überall erscheint daher die Beschäftigung mit den λογισμοί, deren es Herr zu werden gilt, als dasjenige, womit die Selbstzucht beginnt. Das positive Ziel des Mönchs ist, alle seine Gedanken in Gott zu sammeln, sich selbst dahin zu schulen, daß der Gedanke an Gott ihn überall begleitet und selbst bei der kleinsten Verrichtung ihm gegenwärtig ist. Man ist erstaunt, was für moderne Dinge man unter den Kunstgriffen, die sie hierbei anwendeten, findet: schon Athanasios läßt den Antonios seinen Mönchen den Rat erteilen, die Gedanken, die sie des Tages über bewegt hätten, sich aufzuschreiben, als ob sie sie einem anderen bekennen wollten, und manche Hilfsmittel zur Schulung der Phantasie erinnern etwas an die jesuitischen Exerzitien[6]. Aber nicht in diesen kleinen Zügen liegt das Interessante dieser Selbstdisziplinierung – ein geistiger Fortschritt von allgemeiner Bedeutung ist im Zusammenhang damit gemacht worden. Denn mit der Aufgabe der Heiligung des eigenen Herzens ist dem Mönchtum der Blick für eine ganze Welt, für die Welt des inneren Lebens, aufgegangen, und so phantastisch das Bild ausstaffiert ist, das sie von dieser Welt gewinnen, man darf sich dadurch nicht beirren lassen, anzuerkennen, daß hier eine höhere Stufe des ganzen geistigen Lebens erreicht ist. Erfahrungen, wie sie in Röm. 7 geschildert sind, sind hier zum erstenmal wieder in originaler Weise gemacht worden. Nun erschien auch wichtig, was der einzelne, wenigstens das hervorragende Individuum, erlebte und welche Lehren es aus seinen Erlebnissen zog. Eine ganze Literatur befaßt sich damit, in Erzählungen und in Merksprüchen[7] die Erfahrungen und die Erkenntnisse großer Asketen zum Gemeingut zu machen. Was das griechische Mönchtum hier erfaßt hat, läßt sich vergleichen mit der Leistung, die Augustin im Abendlande vollbracht hat. Auf beiden Seiten ist die Erkenntnis erreicht, daß das Ich der Mittelpunkt einer eigenen Welt ist, und daß in dieser Welt die höchsten Probleme, die es für den Menschen gibt, liegen. Ein literarisches Produkt vom Schlag der Konfessionen hat ja die griechische Kirche nicht aufzuweisen; im Vergleich mit Augustin erscheint alles, was die Griechen haben, dürftig und abstrakt. Aber das liegt doch nicht bloß daran, daß hier der Genius fehlte, der es verstand, in dem Ich den Menschen zu zeigen. Das Interesse ist ein anderes. Nicht umsonst hat das griechische Mönchtum das paulinische Wort immer wiederholt: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich nach dem, was vorne ist. Der Grieche geht darauf aus, aus dem Erlebnis die Regel, die sich für künftig ergibt, herauszuschälen; die Sentenz ist ihm das Wertvollste[8]; Augustins Kunst besteht darin, das konkrete Erlebnis selbst in farbiger Anschaulichkeit festzuhalten. - Auch ohne daß man Augustin für das verantwortlich macht, was seine Nachahmer erst entwickelt [278] haben, jenes Kokettieren mit dem eigenen Ich, kann man nicht leugnen, daß die griechische Art die gesundere ist. Diesem richtigen Instinkt verdankt das griechische Mönchtum das, was wir an seinen edelsten Vertretern bewundern, die Geschlossenheit und die unerschütterliche Ruhe des Charakters, die stetige Freudigkeit der Stimmung. Wer würde es diesen Männern ansehen, daß sie die einfache Sicherheit ihres Urteils und ihrer Haltung in hartem Kampf mit sich selbst errungen haben, wer würde es merken, daß so viel Selbstreflexion dahinter liegt, die doch so leicht den Willen entnervt und die Reinheit des Strebens trübt?

Was das Mönchtum entdeckt und geübt hat, ist für die ganze Kirche von Bedeutung geworden. Man spürt die Wirkung bald in der Predigt. Nicht daß der Grundcharakter der griechischen Predigt, die dithyrambische Schilderung sich geändert hätte. Aber von dieser Zeit an vermögen es doch manche Prediger, Basileios und Chrysostomos in erster Linie, tiefer zu dringen und den Menschen persönlich zu fassen. So viel in den griechischen Predigten und gerade das Kunstvollste ist für uns nicht mehr genießbar, es schmeckt zu stark nach antiker Rhetorik; – was uns heute noch ergreift, die Stellen, an denen es den Predigern gelingt, das allgemein Menschliche zu berühren, das sind zugleich gerade die Stellen, an denen sie unter den Impulsen des Mönchtums stehen.

Selbst in dem harten Boden der byzantinischen Dogmatik regt sich ein neuer Keim, der vom Mönchtum herübergeflogen ist. Wenn man das dogmatische Hauptwerk des Johannes von Damaskus mit ähnlichen früheren Werken, etwa mit der großen katechetischen Rede des Gregor von Nyssa vergleicht, so fällt sofort der Unterschied auf, wie umfangreich die Anthropologie ist und wie eingehend jetzt psychologische Fragen erörtert werden. Johannes behandelt nicht bloß wie die Alten Sünde und Willensfreiheit, sondern er redet auch von Lust- und Unlustgefühl, von Furcht, von Zorn, vom Einbildungsvermögen, von der Apperzeption, von Denkvermögen und Gedächtnis, von Begehren und Wollung. Gewiß sind seine Aufstellungen keineswegs original; die alten Philosophen haben die Begriffe und die präzisen Definitionen geliefert. Aber woher kommt es, daß die Kirchenväter es für nötig halten, diese Fragen in der Dogmatik zu behandeln? Es gibt keine andere Antwort darauf, als die, daß das Mönchtum auf die Bedeutung der psychologischen Probleme hingewiesen hatte. Damit ringt sich, wenn auch in bescheidenster Form, ein Gedanke wieder durch, den die älteren Systeme hatten verkümmern lassen. Das Christentum, sofern es Weltanschauung ist, durchbrach die alte Metaphysik mit der Erkenntnis, daß der Mensch nicht ein ens neben andern entia, daß sein Ich ein Wesen eigener Art, höheren Werts als die übrige Welt ist. Die ersten, die das Christentum wissenschaftlich darstellten, haben diese Erkenntnis verdunkelt. Sie glaubten das Christentum verteidigen und seine Wahrheit sicherstellen zu können, wenn sie seine Gedanken anknüpften an philosophische Prinzipien: sie nahmen den Grundriß der alten Philosophie auf, und so erschien in ihren Systemen der Mensch nur als Teil des Universums, die Erlösung nur als spezielle Seite der Kosmologie resp. der Weltentwicklung. Zur kraftvollen Geltendmachung der wiedergewonnenen Erkenntnis kam es auf griechischem Boden nicht. Aber der Gedanke ist doch lebendig geblieben. Die Mystik, die im Orient erwuchs und die sich neben der abendländischen nicht zu [279] verstecken braucht, hat ihn gepflegt. Der größte der griechischen Mystiker, Symeon der neue Theologe († ca. 1041) hat ein System entworfen, dessen streng festgehaltene Richtpunkte Gott und die Seele sind. Was nicht in diesen Rahmen hereinpasst, was nicht erfahrbar ist und nicht mit dem unmittelbaren religiösen Leben in Beziehung steht, ist hier stillschweigend beiseite geschoben. Als Kritik am Dogma war das nicht gemeint, wenn es auch Selbsttäuschung war, daß das Dogma daneben völlig unangetastet bestehen bleibe. Die Last der Vergangenheit drückte zu schwer, und die Erinnerung an die heißen Mühen, die es gekostet hatte, das Dogma zu formulieren, war zu mächtig, als daß ein Grieche des Mittelalters auch nur von ferne hätte daran denken können, ein Steinchen bewußt zu verrücken. Aber wenn auch auf dem Gebiet der sogenannten objektiven Dogmen von einem gewissen Zeitpunkt an jede Weiterbildung aufhörte, die Tatsachen des innern Lebens boten noch Stoff für die Spekulation, und an diesem Punkt hat die Produktion nie ganz aufgehört.

Um zu ermessen, was das für die Kirche bedeutet hat, muß man sich vergegenwärtigen, in welcher Stimmung der Grieche des Mittelalters dem Dogma gegenübersteht. So stolz man auf das Erbe der Väter ist, mit so großem Respekt man an dieser Leistung hinaufsieht, es wird doch niemand seines Glaubens recht froh. Denn man weiß, welche Abgründe neben dem schmalen Weg der Orthodoxie links und rechts gähnen, und so oft ein dogmatisches Problem auftaucht, macht man die Erfahrung, daß sich Für und Wider mit gleich guten Gründen verteidigen läßt[9]. Das Mönchtum hat der Kirche den Dienst geleistet, daß es ein Gebiet erschloß, auf dem das Denken sich frei bewegen konnte.

Es wäre mit dem Bisherigen noch nicht entschieden, ob in das praktische sittliche Leben des Volkes selbst etwas vom mönchischen Geist, vom mönchischen Ernst der Selbstzucht eingedrungen sei. Aber gerade dafür haben wir ein sicheres Zeugnis in der Verbreitung eines darauf berechneten, spezifisch mönchischen Instituts, des Instituts der Beichte. Sofern man unter Beichte ein pflichtmäßiges und regelmäßiges Bekenntnis der Gedanken des Herzens versteht, läßt sich mit ziemlicher Bestimmtheit sagen, daß Basileios von Käsarea der Schöpfer des Instituts ist. Die Einordnung entsprach seinem Ideal des Gemeinschaftslebens in den Könobien, seiner Überzeugung, daß der einzelne nur als Glied eines größeren Ganzen die Vollkommenheit zu erreichen vermöge, und sein Sinn dabei war, die geistlichen Kräfte der Gesamtheit für die persönlichen Nöte des einzelnen nutzbar zu machen. Deshalb schrieb er vor, daß jedes Glied der Mönchsgemeinde seine Herzensgedanken und seine Verfehlungen je nachdem im weiteren oder im engeren Kreise bekennen solle, damit das Gute erkannt und befestigt, das Schlimme sofort unterdrückt werde. Er dachte nicht daran, damit jemand eine Tortur aufzuerlegen; er sah nur auf die geistliche Förderung, die hieraus erwachsen konnte, und er setzte aufrichtige brüderliche Gesinnung bei allen Beteiligten voraus. Die offizielle Kirche hat ihre Zucht auf die Ahndung der Todsünden (hauptsächlich Häresie, Totschlag, Unzucht) beschränkt, sie ließ ihre Gläubigen in Unsicherheit darüber, wie für die Sünden, die noch keine Todsünden waren, Vergebung zu erlangen sei, resp. sie erwartete, daß das große [280] Fasten vor Ostern genüge, die Sünden des verflossenen Jahres wegzuwischen. Wenn aus ihrer Mitte heraus der Rat erteilt wurde, auch leichtere Sünden dem Priester zu bekennen, so stand der Befolgung dieser Mahnung nicht nur entgegen, daß vereinzelt sich ein prinzipielles Bedenken gegen ein Bekenntnis vor Menschen, wo es nicht unbedingt notwendig ist, regte. Chrysostomos ist feinfühlig genug, um das Gefährliche eines Bekenntnisses zu empfinden; er weiß, daß das Schamgefühl dadurch ertötet wird, und auch sonst ist man in der griechischen Kirche dessen eingedenk, daß eine Sünde durch das Aussprechen erst recht befestigt werden kann. Aber mehr noch stand etwas anderes dem im Wege, daß die ihrer Sünde wegen bekümmerten Gläubigen sich gerade an die Priester gewendet hätten. Der erste, der zum Bekenntnis auch leichterer Sünden ermahnte, Origenes, hat auch die Warnung hinzugefügt, sich nicht jedem Beliebigen anzuvertrauen: nur ein erfahrener Arzt kann den Schaden heilen; man prüfe wohl, wer des Vertrauens würdig sei! Diese Warnung hat sich der griechischen Kirche tief eingeprägt, und als unter dem Einfluß des Beispiels, das die Mönche gaben, auch in der Kirche die Gewohnheit einer Beichte aufkam, da wandte man sich mehr und mehr nicht an die Priester, sondern an die, die tatsächlich das Vertrauen besaßen, d. h. an die Mönche. Von der Zeit des Bilderstreits bis zum Ende des dreizehnten Jahrhunderts hat das Mönchtum hier ausschließlich Buße und Beichte verwaltet. Erst am Ende dieses Zeitraums gelingt es der Kirche, die Sache an sich zu reißen, und nicht ohne daß sie der festgewurzelten Auktorität der Mönche Konzessionen machen mußte. Jahrhunderte hindurch galt noch der Mönchspriester als der allein zum Beichtvater Befähigte, und das besondere Zutrauen zum Mönch hat sich heute noch in Rußland, wie auf griechischem Boden erhalten. So wie die Beichte in der griechischen Kirche die längste Zeit hindurch bestand, hat sie gewiß Segen gestiftet. Sie hat vor allem heilsam dem Wahn entgegengearbeitet, den die kirchliche Bußdisziplin erzeugen mußte, als ob nur die sogenannten Todsünden ernst zu nehmende Sünden seien, und sie hat dahin gewirkt, den Sinn für Sammlung, für Einkehr bei sich selbst, auch bei gewöhnlichen Christen zu wecken. – Soweit überhaupt das Christentum in der griechischen Kirche Herzenssache ist, trägt das sittliche handeln den Charakter der μετανοία, d. h. sein Motiv ist das des Mönchtums. Aber das Mönchtum hat auch dafür gesorgt, daß das Wort den rechten Sinn behielt, den des ernsthaften Willens der Sinnesänderung.

Indessen höher als sein Verdienst um die Weckung sittlichen Ernstes ist anzuschlagen, was das Mönchtum für die Erhaltung und Belebung des Gottesgefühls in der griechischen Kirche getan hat. Es ist für jede Kirche Lebensfrage, ob das Bewußtsein, daß sie mit Gott in lebendiger Beziehung stehe, in ihr wach bleibt oder nicht. Wer von außen an die griechische Kirche herantritt, bekommt leicht den Eindruck, daß sie in Formen erstarrt sei. Im Mittelpunkt des religiösen Lebens steht ein Kultus mit reicher, schwer verständlicher Symbolik, auch das Bekenntnis hat seine wesentliche Bedeutung als Stück des Kultus, als feierliche Aussprache unerforschlicher Geheimnisse, eine übermäßige Zahl von Festen füllt das Kirchenjahr, so daß kaum mehr ein Unterschied zwischen heiliger und festloser Zeit zu bestehen scheint, und auf die sinnlichste Empfindung, auf das Auge, ist es berechnet, wenn die heiligen Bilder als unveräußerlicher Bestandteil des Kultus gelten. Wo so viel [281] Zeremonielles gehäuft ist, ist da nicht darauf zu schließen, daß das Verständnis für den Sinn der Formen entschwunden ist? Wo das Sinnlichste mit dem Schimmer des Göttlichen umkleidet ist, weiß man da noch, daß Gott Geist ist? – Wenn man unter diesem Eindruck die späteren griechischen Schriftsteller liest, so ist man überrascht, daß diese Kirche so gar kein Bewußtsein davon hat, daß sie der Erstarrung anheimfalle: vielmehr geht durch die ganze Kirche bis zum Schluß ein merkwürdiges Selbstgefühl, man rühmt sich, daß apostolischer Geist immer noch in der Kirche vorhanden ist. Ist das bloß dasjenige Selbstbewußtsein, das bei innerem Stillstand eintritt? Man muß die griechische Kirche davon freisprechen. Denn mindestens an einer Stelle spürte sie, daß unmittelbares religiöses Leben stets neu in ihr sich erzeugte. Sie sah in den Mönchen immer noch Träger des Geistes, und in allen Jahrhunderten wissen die Zeitgenossen uns von Männern zu erzählen, die die Prophetengabe und Wunderkräfte besaßen. Mit Stolz nannte die Kirche, wenn sie die Heiligen aufzählte, nach den Aposteln und Märtyrern die vollkommenen Asketen, und sie erblickte in den Zeichen, die diese verrichteten, das unmittelbare Zeugnis, daß Gottes Geist in ihr gegenwärtig sei. Uns mutet das kindlich an, aber man sieht die Wirkungen dieses kindlichen Glaubens, wenn man in der griechischen Kirche eine wunderbare Stärke des Gottvertrauens und eine geradezu heldenhafte Geduld findet.

In dem Anspruch des Mönchtums, den Geist zu besitzen, steckt ein gegenüber dem Bestehenden revolutionäres Element. Teilweise hat auch das griechische Mönchtum, mit häretischen Richtungen sich verschmelzend, die Formen der Kirche gesprengt, und selbst das orthodoxe Mönchtum hat mit der Kühnheit seiner enthusiastischen Ansprüche manchmal Anstoß erregt. Im sogenannten Hesychastenstreit (1341 bis 1351) ist die Kirche vor die prinzipielle Frage gestellt worden, ob sie diesen Enthusiasmus dulden wolle oder nicht. Es handelte sich um den Anspruch vornehmlich der Athosmönche, daß sie in den Augenblicken der Ekstase das Licht, d. h. die göttliche Herrlichkeit schauten. Die Kirche hat sich für die Mönche erklärt, sie wollte auf den Enthusiasmus nicht verzichten. Mit einem gewissen Instinkt hat sie sich damit ein Element bewahrt, dessen sie zum Gegengewicht bedurfte. Andererseits hat aber auch das orthodoxe Mönchtum es vortrefflich verstanden, sich den kirchlichen Formen anzuschmiegen und sie mit seinen Ideen zu beleben. Es läßt sich beim heutigen Stand der Forschung nicht sagen, wie weit das Mönchtum diese Formen selbst produziert, wie weit es sie nur fortgebildet und mit seinem Geist erfüllt hat, aber so viel ist sicher, daß der Grundgedanke aller dieser Formen dem mönchischen Ideal entspricht, und daß das Mönchtum vor allem es ist, das den Sinn dieser Formen aufrecht erhält. Wenn der Gottesdienst das erhabene Geheimnis, wie Gott unter den Menschen erschienen ist, dem Auge vorführen soll[10], wenn streng darauf gehalten wird, daß nur, wer würdig ist, diese Geheimnisse schauen darf, so sind die Motive die nämlichen wie die, auf denen das mönchische Ideal ruht. Die einfachen Gedanken, daß es die höchste Seligkeit für den Menschen ist, das Göttliche zu schauen, und daß nur der der Schauung teilhaftig werden kann, der vom Schmutz der Sünde, von der Unruhe der Leidenschaften frei ist, sind hier wie dort wirksam. Was der [282] Mönch in den gehobensten Augenblicken erlebt, den Anblick des Göttlichen, das erlebt er nur in anderer Form und erlebt auch der gewöhnliche Christ im regelmäßigen Gottesdienst, und wie der Mönch durch strenge Askese sich auf die Offenbarung bereitet, so stellt die Kirche den großen Festen die vier Fastenzeiten voran, in denen der Gläubige von der Sünde, die ihm anklebt und ihn träge macht, frei werden soll. Damit gewinnt der Gottesdienst, der zunächst außer aller Beziehung zum Alltagsleben zu stehen scheint, doch einen Zusammenhang mit dem wirklichen Leben. Unser höchstes Ideal ist, daß das ganze Leben ein Gottesdienst sein soll, hier kann man wenigstens sagen, daß das ganze Leben als Bereitung zum Gottesdienste gefaßt wird. Von da aus versteht man die gehobene Stimmung, die die Feste in der griechischen Kirche hervorrufen. Wenn die vorangehende Zeit der Askese es kräftig eingeprägt hat, daß man sich dem Heiligen nicht anders als würdig naht, so wirkt der Kontrast um so mächtiger, daß die erhabene Majestät in so sinnenfälliger Form, in so unmittelbarer Nähe sich zu schauen gibt.

Man ist nicht geneigt, der großen Masse der Gläubigen solche Empfindungen zuzutrauen. Man hält vielfach für das einzig Lebendige in der griechischen Kirche den bunten Aberglauben, der mit und ohne Sanktion durch die Kirche im gewöhnlichen Leben sich breit macht. Unzweifelhaft leidet sie darunter, daß eine Reihe barbarischer Völkerschaften in sie eingeströmt ist, die sie nicht imstande war, kulturell zu heben, und deren Aberglauben sich mit den superstitiösen Meinungen, die in ihr selbst herrschten, nur zu leicht verband. Aber der Schluß wäre dennoch falsch, daß auf diesem Boden feinere Gefühle überhaupt nicht gedeihen könnten und die ganze Religiosität ein unheimliches Gepräge tragen müßte. Es ist daran zu erinnern, daß bei den alten Christen der Dämonenglaube keineswegs die Kraft der Frömmigkeit gebrochen, ja eher ein gewisses Hochgefühl erzeugt hat: denn man wußte, daß der Satan unter die Füße getreten ist. Ähnlich hat auch hier das Mönchtum, das in vielfacher Hinsicht den Aberglauben befördert hat, ihm doch seine schlimmste Wirkung benommen. Antonios hat die Parole ausgegeben, daß man die Dämonen nicht zu fürchten brauche, weil der Christ die Macht habe, sie jederzeit zu besiegen, und daß heute noch, trotz all des Wusts von Aberglauben, eine einheitliche, zuversichtliche Stimmung der Frömmigkeit in der griechischen Kirche möglich ist, dafür verweise ich nur auf den überwältigenden Eindruck, den das einfache, seines Weges so sichere Christentum des gewöhnlichen Volkes auf Tolstoi gemacht hat.

Eine merkwürdige Mischung kindlicher Einfalt und heiligen Ernstes ist die Signatur des griechischen Christentums in seinen liebenswürdigsten Vertretern, ein naiver Sinn und eine abgeschlossene Stimmung, die uns immer zugleich an die Jugendzeit des Christentums und an das Sterbegefühl der alten Völker erinnern. Wer mag in die Zukunft sehen, ob die griechische Kirche eine höhere Stufe erreichen kann? Vom Mönchtum jedenfalls, wie manche glauben, darf man eine Reformation nicht erwarten. Es ist mit dem Wesen der gegenwärtigen Kirche verwachsen und hat in ihr seinen Beruf erfüllt. Man darf sagen, es hat ihn erfüllt: es hat die heiligsten Güter in ihr gepflegt, und ihm verdankt die griechische Kirche, was heute noch an Leben in ihr ist.


  1. Vgl. o. S. 250 ff.
  2. [Andacht, nicht Askese das Ziel.]
  3. Näheres darüber bei Ph. Meyer, Die Haupturkunden zur Geschichte der Athosklöster, Leipzig 1894.
  4. [Der Kirchenbegriff ändert sich. Man hält in dieser Form wenigstens das ursprüngliche Ideal fest. Dies eigentlich die Gründung einer zweiten Kirche! Hier aber auch Gütergemeinschaft durchgeführt, Troeltsch, Augustin S. 143 A. Seitdem ist auch die Kultur wieder einigermaßen Problem. Chrysost. in Dan. (auch gegen Schubert, der Ph. Meyer aufnimmt). Bedeutet mehr als die Alexandriner. Bei ihnen die Wirkung des Eindringens der Philosophie, Pistiker und Gnostiker in derselben Kirche. Durch das Mönchtum die Idee festgeschlagen, als ob der Kommunismus die eigentliche Verwirklichung des Liebesgebots wäre.]
  5. [Immerhin erst in Rußland daraus eine soziale Scheidung zwischen schwarzer und weißer Geistlichkeit.]
  6. [Die Beichte hat das Mönchtum zuerst entwickelt.]
  7. [Die Bevorzugung der Sentenz ergibt sich aus der Mündlichkeit des Unterrichts.]
  8. [Dostojewskijs bewunderte Kunst beruht darauf!]
  9. Ich denke dabei vor allem an die Kontroversen unter Alexios Komnenos und Manuel Komnenos.
  10. Ich möchte damit nicht die Ansicht vertreten haben, daß die griechische Liturgie eine dramatische Darstellung der Menschwerdung sei.